ArtikelRetro-Gaming

Spiele, die ich vermisse #81: Geheimschrift

Diese Woche war für mich vor allem eines: lang und mit wenig Pausen ausgestattet. Das hat für mich in diesem speziellen Fall gleich drei Konsequenzen. Erstens: Dieser Blogeintrag geht erst jetzt online. Zweitens: Ich fasse mich heute definitiv äußerst kurz. Drittens: Ich mache aus Punkt zwei eine Tugend und schreibe über ein Spiel, das es unter normalen Umständen aus „Längengründen“ niemals in diese Reihe geschafft hätte – so viel gibt es dazu nämlich einfach nicht zu sagen, auch wenn es ein Titel ist, an den ich bis heute gerne denke (was ja eine Grundvoraussetzung ist, um hier einen Eintrag zu bekommen). Wovon ich rede? Einem kleinen G7000-Spiel namens „Geheimschrift“.

Wer meine bisherigen Einträge zu G7000-Titeln (nämlich „Revolverhelden“ und „Burgenschlacht“) gelesen hat, weiß bereits, dass ich diese Konsole als die Wurzel meiner Videospielerfahrungen ansehe. Vor allem aber sind Erinnerungen an diese alte Konsole eine gute Gelegenheit, darüber zu reflektieren, wie weit sich die Industrie seit den sehr frühen 80ern entwickelt hat und wie einfach die Dinge oft waren, die uns Spaß gemacht haben. Und das führt mich zu meinem heutigen „Projekt“ – dem Videopac #1, das zwar eigentlich drei Spiele umfasste, von denen mir allerdings nur eines wirklich hängen geblieben ist (die beiden anderen waren Autorennspiele – einmal („Autorennen“) wich man von „oben“ kommenden Konkurrenten aus, beim zweiten („Wirbelwind“) versuchte man gegen einen Gegner als schnellster eine gewisse Anzahl an Runden um die Kurse zu drehen, die aus der Top-Down-Sicht zu sehen waren).

1331838-cryptogram__scrambled_

Eigentlich ist es fast unfair – die beiden genannten Autospiele waren für die damaligen Zeiten sicherlich technisch anspruchsvoller und wenn auch spielerisch nach heutigen Maßstäben alles andere als spannend zumindest damals nicht uninteressant. Aber seltsamerweise ist mir gerade jenes Spiel hängen geblieben, das das simpelste von allen war. Geheimschrift war ein Titel, bei dem zwei Spieler gegeneinander spielten. Der erste tippte ein Wort (oder zwei, 14 Zeichen waren das Maximum) ein (was auf der Folientastatur der G7000 keine besonders tolle Erfahrung war – diese war nämlich notorisch schwammig). Einen Tastendruck später werden die Buchstaben verdreht. Die Aufgabe des zweiten Spielers ist es nun, das ursprünglich eingetippte Wort zu erraten. Stimmt es nicht, bleiben jene Buchstaben stehen, die an der richtigen Stelle stehen, was eine kleine Hilfe für weitere Versuche darstellt. Das wiederholt sich so lange, bis das richtige Wort eingetippt wurde. Die Anzahl der Fehlversuche wird mitgezählt – ob man diese nutzt, um sich mit seinem Kontrahenten zu messen oder nicht, bleibt einem selbst überlassen.

Halten wir fest – Wort eintippen, scrambeln, anderen raten lassen, Fehlversuche zählen. Das ist das gesamte Gameplay von Geheimschrift. Keine spektakulären Wendungen, keine Gameplay-veränderten Items – gar nichts. Viele Reviews, die man auf Retro-Seiten findet, sind deshalb recht gnadenlos mit dem Titel – „ein Spiel, das man nicht braucht“ sind noch die harmlosesten Aussagen. Klar, vom heutigen Standpunkt ist das Spiel übermäßig simpel – und selbst für damalige Verhältnisse ist der Titel sehr einfach. Doch wie so oft kommt es darauf an, was man daraus macht.

scr_3

Und das führt mich zu meiner ganz persönlichen Erinnerung: Man stelle sich einfach vor, mich, mit etwa vier Jahren im elterlichen Wohnzimmer und diesem Spiel. Ich hatte gerade lesen gelernt (woran lustigerweise Comics nicht unschuldig waren, weil meine Eltern sich weigerten, mir Micky-Maus-Magazine und Lustige Taschenbücher vorzulesen – das war Motivation genug, darauf zu pochen, lesen zu lernen) und dieses Spiel war eine willkommene Gelegenheit, Lesen zu üben. Damit nicht genug: Es ist eine der wenigen videospielerischen Erfahrungen, die ich mit meiner Mutter teilte. Hier spielten wir miteinander und gegeneinander, hier versuchte ich, sie mit meinen Wörtern hereinzulegen und sie mich mit ihren herauszufordern.

Wenn ich heute, fast 30 Jahre später, darüber nachdenke, ist es wohl das, was Geheimschrift für mich so wichtig macht. Es geht nicht um das Gameplay an sich – das war einfach und zugegebenermaßen eigentlich auch gar nichts besonderes. Aber es geht um das, was wir, also ich und meine Familie, daraus machten – und das war viel mehr als das, was das eigentliche Spiel ausmachte. Wir füllten die Lücken, die das Design und die fehlende Technik offen ließen, und machten daraus einen Familienspaß für alle. Und dafür hat sich Geheimschrift einen Eintrag bei den Spielen, die ich vermisse, mehr als verdient – trotz allen aus heutiger Sicht offensichtlichen spielerischen Mängeln.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

Ähnliche Artikel

Überprüfen Sie auch
Schließen
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"