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Spiele, die ich vermisse #186: The 11th Hour

Wenn man mich fragt, warum ich eine Konsole gekauft habe (oder eben nicht), komme ich gern auf das Thema persönliche System-Seller zu sprechen. Gibt es ein Spiel, für das ich dieses System unbedingt haben will? Oder wird es das zumindest in absehbarer Zeit geben? Das ist für mich eine zentrale Frage, die – so ehrlich muss ich sein – nicht immer mit meinem Drang, mir endlich neue Hardware zu kaufen, kompatibel ist. Zum Beispiel habe ich in dieser Generation (noch) auf VR verzichtet, weil für mich nicht klar ist, ob ich genügend Spiele finde, um diese Investition rechtfertigen zu können. Dennoch gibt es aktuell zumindest einen Titel, der mich schwach machen könnte. Die Rede ist vom VR-Remake von The 7th Guest, das erst vor kurzem erschienen ist. Wer meine Geschichte zum großen Original noch nicht gelesen hat, findet mehr darüber in Ausgabe #64 dieser Reihe zum Nachlesen (dass dieser Eintrag auch der letzte zu Zeiten von consol.MEDIA war, ist ein Zufall, aber ein passender Bonus – zehn Jahre SHOCK2 müssen ja auch irgendwie (wenn auch verspätet) gefeiert werden). Und das bringt mich zum heutigen Titel: The 7th Guest war keine Eintagsfliege, sondern wurde mit einem Sequel bedacht, das ich nach meinen Erlebnissen mit dem Original unbedingt haben musste. Sein Name? The 11th Hour.

The 11th Hour knüpft grundsätzlich an die Story von The 7th Guest an, ist aber über weite Strecken eigenständig: Wir schreiben das Jahr 1995 und schlüpfen in die Rolle von Carl Denning, einem Reporter, der ungelöste Fälle im Fernsehen präsentiert. Sein aktueller Fall ist allerdings persönlich: Robin Morales, nicht nur seine Produzentin, sondern auch seine Geliebte, ist vor drei Wochen in Harley-on-the-Hudson verschwunden, wo sie einer Reihe grausamerer Morde nachgehen wollte. Der einzige Hinweis auf ihr Verbleiben ist ein Laptop, der Carl zugesandt wurde, und auf dem ein verzweifelter Hilferuf Robins gespeichert ist. Ihre Spur führt unser Alter Ego in das mysteriöse, verlassene Haus, das wir als Spieler aus The 7th Guest nur allzu gut kennen: das Anwesen des diabolischen Spielzeugmachers Henry Stauf, das viele  Jahre nach den Ereignissen des Vorgängers verfallen sein mag, aber noch immer voller Geheimnisse steckt …

Größer, umfangreicher und besser scheint die Maxime gewesen zu sein, die Trilobyte bei der Entwicklung von The 11th Hour ausgegeben hatte. Gemeinsam mit den großen Sprüngen, die die damals neue CD-ROM-Technologie innerhalb kürzester Zeit machte, war es wohl kaum überraschend, dass das Sequel in allen Bereichen nachlegen wollte – nicht immer zu seinem Vorteil. War das Original vor allem durch die Limitationen der Technik definiert, was sich unter anderem in nach heutigen Standards sehr verpixelten, kürzeren Videos manifestierte, konnte man diesmal dank höherer Transferraten aus dem Vollen schöpfen und eine Menge Videomaterial in deutlich besserer Qualität von den Disks schaufeln. Nicht verändert hat sich aber der grundsätzliche Gameplay-Loop: Als Carl durchsuchen wir das verfallene Herrenhaus und finden dabei in den uns offenstehenden Räumen (die nach und nach mehr werden) die klassischen Puzzles, die Stauf uns in den Weg gelegt hat. Einmal mehr handelt es sich dabei um typische Rätselaufgaben, wie man sie sicher schon aus Rätselbüchern (oder heutzutage auch aus Puzzleapps) kennt. Wie schon im Vorgänger ist dabei aber festzuhalten, das solche Rätsel zwar im Haus eines diabolischen Spielzeugmachers irgendwie zu erwarten sind, aber auch nicht so perfekt in das Spiel eingebunden wurden, dass ganz klar ist, warum wir hier Springer- und Verschiebepuzzles lösen müssen.

Noch weniger klar ist, warum die Entwickler dachten, dass man eine der umstrittensten Spielideen des Vorgängers unbedingt ins Sequel mitnehmen und dabei noch häufiger einsetzen sollte. Die Rede ist vom berüchtigten „Infection“-Puzzle, bei dem wir in 7th Guest gegen Henry Stauf in einem kleinen Strategiespiel antreten mussten, was zahlreiche Spieler zur Verzweiflung trieb, weil die KI sehr, sehr gut war. Diesmal gibt es gleich mehrere solcher Aufgaben, in denen wir uns der (noch immer zu starken) KI stellen müssen. Noch nicht schwierig genug? Dann sollte man noch hinzufügen, dass auch die Möglichkeit die Puzzles zu überspringen eingeschränkt wurde: Zwar müssen wir nun nicht mehr in die Bibliothek laufen und dreimal das Hint-Buch aufschlagen, sondern können direkt über unseren Laptop um Hilfe bitten; dafür kann man bei mehreren Puzzles das Rätsel nicht mehr vollständig skippen, sondern sich nur einen nächsten Zug vorschlagen lassen. Da die KI dabei genauso mit der Stärke von Stauf kämpft und wir die Hilfestellung nicht uneingeschränkt nutzen können, sind diese Puzzles oft echte Stolpersteine auf dem Weg durch das Haus.

Diese Hilfestellung bringt uns aber auch gleich zu einem neuen Teil des Gameplays, der für noch mehr Unmut sorgte: Es gibt nämlich neben den Puzzles auch noch eine Art Schnitzeljagd, bei der wir aufgrund kryptischer Hinweise passende Gegenstände im Haus suchen müssen. Diese Hinweise (und zusätzliche Hints) kommen von Samantha, einem Medium (eben jenem Medium, das uns auch bei den Puzzles unterstützt), sind aber angesichts der Menge an Objekten im Haus nur begrenzt hilfreich. Der Lohn für diese Schnitzeljagd sind oft Filmschnipsel, die die Geschichte von Robins Verschwinden weitererzählen. Zunächst sind diese ungeordnet und abgeschnitten, aber sobald man das Ende der jeweiligen Stunde erreicht hat (also alle Rätsel und Items des aktuellen Abschnitts gelöst bzw. gefunden hat und dann noch das Abschlusspuzzle gegen Stauf bezwungen hat), wird das Video zusammengesetzt und ergänzt. Man merkt also bereits, wie viel wichtiger in diesem Spiel gefilmte Videosequenzen sind, die aber – anders als im Vorgänger – nicht einfach geisterhafte Manifestationen darstellen, sondern vor allem außerhalb des Hauses spielen. Das ist ein zweischneidiges Schwert, da es uns aus dem Spiel und der Stimmung eher hinausreißt. Die Qualität sowohl technischer (im Original sind die Videos interlaced) als auch schauspielerischer Natur (die Darsteller liefern höchstens B-Movie-Niveau ab) tun ihr übriges.

Nichts geändert hat sich bei der allgemeinen Präsentation des Spiels: Wir erkunden das Stauf-Haus einmal mehr aus der Ego-Perspektive auf vorgefertigten Pfaden; freie Bewegung ist nicht vorgesehen, stattdessen gibt es zwischen den jeweiligen Positionen Kamerafahrten, die von den Datenträgern gestreamed werden und diesmal im Licht einer Taschenlampe durch das düstere Haus führen. Auch das Interface feiert ein Comeback – die Skeletthand führt uns mit ihrem Winken von Ort zu Ort, ein pulsierendes Gehirn zeigt ein Puzzle, ein Auge ist ein Punkt, mit dem wir interagieren können. Nur die greifende Hand ist neu und signalisiert einen Gegenstand, den wir als Lösung der aktuellen Schnitzeljagd auswählen können. Atmosphärisch wie eh und je werden wir dabei von der Musik von George Sanger begleitet, der auch schon den Soundtrack des ersten Teils schrieb.

Dass es ein Sequel zu The 7th Guest geben würde, war wohl spätestens nach dem Erfolg des Originals klar, das aufgrund seines Releases zu Beginn der CD-ROM-Ära zu einem der Must-Haves und Vorbilder für die Ausnutzung es unglaublichen Speicherplatzes, den die optischen Datenträger boten, wurde. Tatsächlich kündigte Trilobyte das Spiel allerdings sogar schon zuvor an – schon vor dem Release von T7G wurden Pläne für ein Sequel für Oktober 1993 (also nur rund ein halbes Jahr nach dem Erstlingswerk) enthüllt. Dieser Plan ging allerdings nicht auf und sollte es deutlich länger dauern, bis die Fortsetzung im Händlerregal stand: Erst im November 1995 erblickte The 11th Hour das Licht der Welt. Diese Verzögerung sollte sich als reichlich unvorteilhaft für das Spiel erweisen: Der Wow-Faktor, den die multimedialen Möglichkeiten der CD-Laufwerke ausgelöst haben, war bereits abgeebbt, jetzt zählte das Gameplay deutlich mehr. Und so, wie auch Rebel Assault II als Sequel eines ehemaligen Vorzeigeprojekts mit dieser Veränderung kämpfte, war es auch für 11th Hour plötzlich schwierig geworden, zu überzeugen.

Das zeigte sich in den Wertungen und den Verkaufszahlen, die schlussendlich die Arbeiten an den Fortsetzungen stoppten. Zwar erschienen noch das gameplaymäßig ähnliche, aber kinderfreundlichere Clandestiny sowie die im 7th-Guest-Universum spielende Puzzle-Compilation Uncle Henry’s Playhouse, aber beide waren gewaltige Flops, die schlussendlich zum Aus für Trilobyte führen sollten. Ihr letztes Projekt – Tender Loving Care – wurde von einer neuen Firma unter alter Führung vollendet, konnte sein Budget aber ebenfalls nicht einspielen. Erst in den letzten knapp über zehn Jahren durfte die 7th Guest-Reihe – aber auch hier weniger spezifisch The 11th Hour als sein Vorgänger – ein Comeback feiern: T7G erschien für iOS und Android, später auch auf Steam und wurde sogar mit einer 25th Anniversary Edition remastered. 11th Hour hingegen wurde nur in der Originalversion digital neu veröffentlicht. Ein Sequel gab es – trotz Crowdfundingversuchen der Originalentwickler – nur aus Fankreisen: The 13th Doll erzählte die Geschichte von Tad weiter und konnte sogar den Original-Stauf Darsteller Robert Hirschboeck zurückbringen. Trilobyte gab die Genehmigung für einen kommerziellen Release, weshalb das Spiel auf Steam erhältlich ist. Und zuletzt – und damit sind wir am Anfang der Geschichte – erschien das Remake in VR.

Doch kehren wir nochmal zum Anfang zurück: Nachdem ich mir T7G mit großer Verzögerung geholt habe (immerhin hatte ich zum Release noch keinen PC, geschweige denn ein CD-ROM), wanderte 11th Hour rund um den Release zu mir nach Hause. Und wie so viele habe auch ich rasch festgestellt: Mit dem Titel werde ich bei weitem nicht so warm wie mit dem Original.

Die Gründe dafür ähneln jenen, die ich schon aufgezählt habe: Die weiterentwickelte Gameplayformel war nicht so gut wie das Original. Die Puzzles an sich waren noch immer spannend, auch mit dem Gameplayloop war ich soweit zufrieden. Was mich allerdings wahnsinnig machte, war die Schnitzeljagd. Die (englischen) Wortspiele waren für mich in dem Alter einfach noch nicht zu entschlüsseln, weshalb es auf wildes Herumprobieren hinauslief. Das bremste mich zu deutlich aus, als dass das Spiel so richtig auf Zug kam. Ähnliches kann man auch über die Filmschinpsel sagen: Ja, die Story war okay, aber einfach nicht so atmosphärisch und der Fokus auf Film einfach zu lang. Und dann waren da noch die Stauf-Puzzles, die einfach irrsinnig schwer waren und – da sie immer am Ende einer Stunde zu finden sind, wo alles andere erledigt ist – ein echter Blocker. Klar kann man sich irgendwie durch diese Puzzles durchschummeln (oder beim letzten, das man ohne Unterstützung gewinnen muss, sogar cheaten), aber der alte Mechanismus, ein Rätsel ganz skippen zu können, war deutlich angenehmer. Insgesamt waren es also viele Entscheidungen, die mir das Spiel vermiesten – und dennoch kehrte ich regelmäßig zurück und versuchte es von Neuem. Durchgespielt habe ich es aber erst deutlich später in der Steam-Version. Und ja, das Ende ist verrückt. Und man muss ein wirklich schweres Match gegen Stauf insgesamt dreimal gewinnen, will man alle Enden sehen. Ob euch das wert sein sollte, ist fraglich. Das gute Ende sollte man aber dennoch einmal gesehen haben.

Trotz aller Kritik: Ich vermisse The 11th Hour bis heute. Warum? Weil es ein interessantes Spiel war, das sich vielleicht im Vergleich zum Vorgänger verzettelt hatte, aber trotzdem schön zeigen konnte, was im Zeitalter der CD-ROM-Technologie technisch möglich ist (dass der Fokus dabei stark auf Videos gelegt wurde, zeigt aber auch, wohin sich viele Spiele mit diesem Speicherplatz verrannten). Weil es einige interessante Puzzles bot (ich sage hier einfach „Mausefalle“, „Spielzeugzug“, aber auch „Blut und Honig“, auch wenn ich über letzteres ordentlich geflucht habe). Weil es die Geschichte von Stauf weitererzählte, die nach dem ersten Teil zwar ein Ende gefunden hatte, aber trotzdem noch nicht am Ende war. Weil es es einfach schaffte, trotz seiner Fehler einer jener Titel zu bleiben, die ich gerne bis zum Schluss spielen wollte. Und weil es das Ende einer Serie war, die ich gerne auch in modernem Gewand spielen möchte. Vielleicht wird es doch Zeit für VR …

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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