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Spiele, die ich vermisse #115: Toonstruck

Manchmal braucht es einen Rerelease, um mich daran zu erinnern, welche Spiele dereinst so großartig waren, aber heute irgendwie in Vergessenheit geraten sind. So war es auch diese Woche: Der Newsletter von GOG.com – für mich als Retro-Fan eine Pflichtsubscription, aber leider auch regelmäßig ein Geldgrab – flatterte in meine Inbox. Zuerst dachte ich noch, ich hätte Glück gehabt, aber dann, ganz unten, fand sich ein Spiel, das eigentlich schon viel zu lange auf der Liste für diese Reihe steht (und leider auch einen Pflichtkauf darstellt): Toonstruck.

Sagt euch nichts? Macht nichts, ich fasse doch sowieso zusammen: Toonstruck ist ein Point’n’Click-Adventure aus dem Jahr 1996, das von Burst (das später zu Westwood Pacific wurde) entwickelt und von Virgin Interactive in den Handel gebracht wurde. Das ist aber nicht der Grund, warum es bis heute einen gewissen Bekanntheitsgrad hat – dieser liegt wohl eher an der Vielzahl der beteiligten bekannten Schauspieler, die man allerdings Großteils nur in der englischen Version vernehmen konnte, weil sie diversen Figuren ihre Stimmen liehen. So bekommt man Dan Castellaneta (besser bekannt als die Stimme von Homer Simpson) ebenso zu hören wie Tim Curry (The Rocky Horror Picture Show), David Odgen Stiers (M*A*S*H), Dom DeLuise (Spaceballs) und Tress MacNeille (Agnes Skinner bei den Simpsons und Babs Bunny in den Tiny Toon Adventures). Wirklich zu sehen bekam man allerdings nur zwei Schauspieler: Ben Stein (Ferris macht blau) und vor allem Christopher „Doc Brown“ Lloyd.

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Letzterer ist der Protagonist und damit auch unser Avatar in der Handlung. Als Cartoon-Zeichner Drew Blanc (die deutsche Version nennt ihn in einer eigentlich recht gelungenen Übersetzung der Zweideutigkeit seines Namens Mal Block) hatte er vor Jahren mit der zuckersüßen Fluffy Fluffy Bun Bun Show einen echten Hit gelandet, der immer noch läuft und für seinen Boss (Ben Stein) gutes Geld einspielt – aber eben nicht mehr genug. Deshalb soll Drew eine neue Show aus dem Hut zaubern, die (und das ist der Haken) noch mehr vor süßen Fellknäueln und Zucker trieft und Fluffy Fluffy Bun Bun viele, viele flauschige Freunde bietet – und das mit einer Deadline von nicht einmal 24 Stunden. Mal bekommt – nicht ganz unerwartet – eine echte Schaffenskrise, denn die neuen süßen Figuren wollen einfach nicht aus seiner Feder fließen. Stattdessen erinnert er sich an Flux Wildly, eine freche Figur, mit der er eigentlich als junger Comic-Zeichner seinen großen Wurf landen wollte, der dann allerdings nicht gelang, als sein süßes, aber seichtes Häschen zum Erfolg wurde. Schließlich fordert die durchwachte Nacht ihren Tribut – Drew schläft ein und erwacht erst mitten in der Nacht wieder, als sich der Fernseher einschaltet und – ausgerechnet! – die Fluffy Fluffy Bun Bun Show läuft. Als er die Flimmerkiste ausmachen will, passiert allerdings Unerwartetes: Anstatt den Fernseher auszumachen, saugt dieser Drew mitten in die Cartoonwelt.

An diesem Punkt bekommt das Spiel auch seinen typischen Grafikstil: Wir sehen Comic-Grafiken, animierte Charaktere und mittendrin den digitalisierten Christopher Lloyd, der mit seiner Rolle augenscheinlich Spaß hatte. Für Drew hingegen ist der Spaß bald vorbei: Zwar trifft er knapp nach seiner Ankunft auf Flux (Dan Castellaneta), erfährt allerdings auch, dass das Comic-Reich in großer Gefahr ist: Count Nefarious (Tim Curry) hat eine Maschine gebaut, mit der er alles, was süß ist, in sein Gegenteil verkehren kann – so will er Niedlingen (das Reich der süßen Comic-Kreaturen und damit auch die Heimat von Fluffy Fluffy Bun Bun) in einen düsteren Ort verwandeln. Der König von Niedlingen (ein gigantischer Smiley) bietet Drew einen Tausch an: Unterstützt er das Volk von Niedlingen beim Bau einer Maschine, die düstere Dinge wieder in süße, fröhliche Dinge verwandeln kann, wird er ihn zurück in die dreidimensionale Welt schicken. Was bleibt Drew anderes übrig, als gemeinsam mit Flux die Aufgabe anzugehen?

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Mit einer Prämisse wie dieser ist klar, dass Toonstruck sehr viel mit den typischen Stereotypen und Ideen diverser Cartoon-Serien spielt. Niedlingen ist die Heimat der süßen und harmlosen Kindercartoons (auch wenn rasch klar wird, dass nicht alles so gut und strahlend ist, wie es scheint), während Flux‘ Heimat Zanydu mit Figuren (wie eben Flux selbst) bevölkert ist, die man eher in Cartoons für ein etwas erwachseneres Publikum (oder zumindest mit einem subversiveren Geschmack) erwarten würde – ein Reich der grauen Charaktere, weder strahlend gut noch richtig böse. Und nicht zuletzt gab es natürlich auch noch das düstere Reich des Count Nefarious, in dem das Böse regiert. Generell sollte man sich nicht vom Cartoon-Look abschrecken lassen und nicht glauben, dass Cartoon gleich Kinder-Spiel ist. Toonstruck spart nicht mit Anspielungen, Zweideutigkeiten und Ideen, die wohl eher ein ein wenig älteres Publikum ansprechen als jüngere Kinder, die sich tatsächlich noch mit Shows, wie sie Fluffy Fluffy Bun Bun parodiert, beschäftigen.

Wenn wir schon bei Ideen sind: Was Toonstruck so unvergesslich macht, sind vor allem die Charaktere. Bis heute werden die Kuh Marga Trine und das Schaf Polly-Esther gerne in meinem Freundeskreis zitiert, die zuerst friedlich im Stall stehen, aber nach einer Behandlung mit dem Bösheitsstrahl zu Maso-Marga und Peitschen-Polly (inklusive einer passenden Inneneinrichtung im Stall) werden. Ebenso legendär ist bis heute der Geizer Käse, ein Käse, der sich als Barmann verdingt und sich nicht entscheiden kann, ob er seine Sätze mit schottischem oder schweizerischem Akzent spricht (er wechselt tatsächlich bei fast jeder Zeile). Ja, auch hier fliegen die Zitate bisweilen tief, so wie wir es sonst nur von Monkey Island und Konsorten gewohnt sind.

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An diesem Punkt muss ich Toonstruck in einer Sache Lob aussprechen, bei der ich das fast nie tue: bei der Lokalisation. Viel zu viele Spiele leiden unter lustlosen Synchronsprechern oder Übersetzungen, die einfach nicht den Punkt treffen (oder Wortwitze nicht übersetzen, die Spiel-relevant sind – ja, ich blicke auf dich, Hand of Fate!). Das hätte gerade bei Toonstruck wirklich ins Auge gehen können, denn um die schon angesprochene Maschine zu bauen, muss man Items finden, die das Gegenteil zu jenen darstellen, die man in ihrem bösen Gegenstück findet. Dass man diese Gegensätze nicht immer wörtlich nehmen darf, ist klar – und gerade deshalb ist es so schwierig, hier die richtige Übersetzung zu finden. Deshalb haben sich die Übersetzer einen kleinen Trick ausgedacht, um die Wortspiele korrekt ins Deutsche zu bringen: Da man die Rätsel (und damit die Gegenstände, die man dort bekommt), kaum abändern kann, wurden einfach die Ursprungsitems ein klein wenig angepasst, um sicherzustellen, dass das Gegenstück logisch dazu passt.

Übrigens ist der Bau der Maschine nur ein Teil des Spiels – aber bei weitem der größte. Das zweite Kapitel (das sich praktischerweise auf der zweiten CD befindet) ist deutlich kürzer, und worum es hier geht, will ich gar nicht spoilern. Aber die Tatsache, dass es ein kürzeres, zweites Kapitel gibt, stellt eine gute Überleitung zu einem eigentlich traurigen Thema dar: Die Handlung von Toonstruck ist eigentlich nicht vollständig, auch wenn es auf den ersten Blick so erscheint. Eigentlich hätte Toonstruck ein deutlich längeres Spiel sein sollen, aber knapp vor dem Erreichen der Beta-Phase wurde der Inhalt halbiert und ein neues Ende eingezogen, unter anderem, weil klar wurde, dass das Spiel nicht rechtzeitig fertig werden würde und die Kosten für mehr Datenträger zu hoch waren. Damit die bereits erledigte Arbeit (immerhin waren Animationen, Hintergründe und Planungen schon fertiggestellt) nicht umsonst war, hätte ein Sequel die übrigen Inhalte nachreichen und die Geschichte fertig erzählen sollen. Wie so oft sind Pläne allerdings nur Pläne – mangels Erfolg wurde das Sequel nie veröffentlicht, weshalb das Ende von Toonstruck bis heute ein wenig überhastet wird.

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Woran Toonstruck gescheitert ist? Wohl an der allgemeinen Adventure-Müdigkeit, die das Genre Ende der 90er an den Rand des Untergangs brachte. 2D war out, 3D war in – und das Adventure-Genre konnte mit dieser Entwicklung gesamt gesehen einfach nicht mithalten. An den Kritiken konnte es nicht liegen, denn die waren durchwegs positiv – wenngleich so mancher die insgesamt doch nicht allzu lange Spielzeit (was, wenn man die schon erwähnten Hintergründe kennt, nicht verwundert) und einige uninspirierte Puzzles anprangerte.

Ich selbst habe mir Toonstruck vor allem aus zwei Gründen gekauft: Erstens, weil es ein Adventure war, zweitens, weil ich Christopher Lloyd für einen großartigen Schauspieler hielt (und halte). Ich bin zwar generell in meinen Teenager-Jahren aus Cartoons hinausgewachsen, aber ich kannte mich genug in den diversen Ideen und Stereotypen aus, um mit Toonstruck viel Spaß zu haben. Ja, als Adventure hatte das Spiel einige Schwächen und eines der nützlichsten Items (ein schwarzes Loch, mit dem man zwischen den drei Bereichen der Spielwelt reisen konnte) war hinter einem dämlichen Schiebepuzzle versteckt, aber der Humor des Spiels, die schrägen Charaktere und der Charme, den Christopher Lloyd als Drew ausstrahlten, reichten, um mich immer wieder zurückzuholen – selbst als das Spiel schon durchgespielt war.

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Und das bringt mich schon zu meinem finalen Abschnitt: Warum vermisse ich Toonstruck? Ich vermisse die Atmosphäre der verrückten Comic-Welt, in der eine heile Welt oft nur Fassade ist. Ich vermisse den irren Mix aus Cartoon-Hintergründen und –Figuren mit einem real gefilmten Christopher Lloyd. Ich vermisse die schrägen Figuren, die mich einfach durch ihre Präsenz (der Barkeeper) oder ihre verqueren bösen Persönlichkeiten (Peitschen-Polly und Maso-Marga) zum Lachen brachten. Ich gehöre ja zu denen, die der Meinung sind, dass niemand so gute Comic-Adventures ablieferte wie LucasArts – aber bei Toonstruck ist der Humor (wenn auch nicht die Rätselqualität) ähnlich gut gelungen, wenn man mich fragt. Grund genug, die Hoffnung, dass ein Sequel doch noch erscheint (ja, es gibt tatsächlich noch Bestrebungen, allerdings heißt es immer wieder, dass es an der Finanzierung scheitert, weil die Geldgeber nicht überzeugt sind, dass ein Sequel zu diesem Spiel aufgrund des Misserfolges des Originals und des Nischen-Appeals des Adventure-Genres an sich genug Geld einbringt). Bis dahin bleibt mir aber immerhin noch das Original …

 

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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