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Spiele, die ich vermisse #54: The Legend of Kyrandia Book 2: Hand of Fate

Die Woche war – man darf es ehrlich sagen – mehr als nur stressig. Sowohl beruflich, wo wir uns der nächsten Gamers- und consol-Abgabe sowie der gamescom mit Riesenschritten nähern, aber auch privat, weil ich mich momentan wieder sehr auf meine Musik konzentriere und dafür viel Freizeit „draufgeht“. Beides gemeinsam – die Spiele, die ich zum Beruf gemacht habe, und die Musik, die ein wichtiges Hobby darstellt – laufen in einem Punkt zusammen: mein PC. Und genau diesen habe ich letzte Woche endlich ersetzt – nicht, weil mein fünf Jahre alter PC zu schwach war, um aktuelle Spiele darauf spielen zu können, sondern schlicht und ergreifend, weil sich langsam Alterserscheinungen bemerkbar machten und er zeitweise total ausfiel. Letztes Wochenende wurde der Neuzugang fertig eingerichtet. Was das mit diesem Blog zu tun hat? Das erinnerte mich an meinen ersten PC – und mein erstes PC-Spiel namens The Legend of Kyrandia Book Two: Hand of Fate.

Wenn ich heute „Westwood“ sage, antworten die meisten darauf mit „Command & Conquer“. Es ist schade, dass dieses berühmte Studio auf diese eine Marke reduziert wird, denn neben den Echtzeitstrategiespielen, die sie zugegebenermaßen mit Dune II und vor allem C&C in den Mainstream gebracht haben, zeichnete das Studio für viele Spiele verschiedenster Genres verantwortlich – von denen einige noch auf meiner Master-Liste für diesen Blog stehen. Wer hat denn noch nie von Eye of the Beholder gehört? Oder von Lands of Lore? Wie wäre es mit Blade Runner? Oder eben auch die The Book of Kyrandia-Trilogie, mit deren Mittelstück ich mich heute beschäftigen möchte.

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Für all jene, die bei Kyrandia nicht wissen, wovon ich rede, hier eine kurze Erklärung: The Legend of Kyrandia ist eine Adventure-Trilogie, die im dafür eigens erschaffenen Universum Fables & Fiends spielt (ob das Universum nur für diese Trilogie genutzt wurde, ist ein wenig umstritten – einige Hinweise in den Lands of Lore-Titeln bzw. in Kyrandia könnte man so deuten, dass die Spiele ein Universum teilen. Klar gesagt wurde das nie, deshalb kann es sich auch um Easter Eggs handeln). Die drei Teile spielen chronologisch nacheinander und die Ereignisse des Vorgängers werden durchaus referenziert, dennoch ist es nicht unbedingt nötig, alle Spiele der Reihe gespielt zu haben. Warum? Weil das Spiel mit jedem Teil die Perspektive wechselt und andere Probleme und Aufgaben in den Fokus rückt. Besonders gilt dies meiner Meinung nach für den zweiten Teil: Protagonistin Zanthia, die jüngste der königlichen Mystikerinnen, hatte zwar einen kurzen (und nicht unwichtigen) Auftritt in Teil eins, im zweiten Teil darf sie allerdings die Welt retten – und Brandon, der Held aus dem Vorgänger, darf inzwischen das Land regieren und nur kurz auftauchen. Kein schlechter Tausch, eigentlich.

Wir müssen uns inzwischen mit größeren Problemen herumschlagen: Kyrandia verschwindet Stück für Stück und keiner weiß, warum das so ist oder was man dagegen tun kann. Das heißt, doch: Eine überdimensionale weiße Hand (oder doch nur ein Handschuh? Ich war mir nie ganz sicher), eigentlich nur der Diener von Marko (einem etwas tollpatschigen Scharlatan, der in Zanthia verliebt ist), weiß Rat: Ein magischer Ankerstein aus der Mitte der Welt kann Kyrandia helfen. Zanthia wird ausgewählt, diesen zu beschaffen. Und dass das eine lange Reise mit vielen Hindernissen wird, kann man sich bereits vorstellen. Tatsächlich führt Zanthias Weg über viele verschiedene Locations, die jeweils mit ihren ganz eigenen Problemen locken, bevor sie die Reise fortführen, einen unerwarteten Feind bekämpfen und irgendwann den glücklichen Ausgang des Abenteuers erleben kann.

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Westwood verstand sich schon 1993 als fortschrittliche Firma. Sprachausgabe im Intro? Klar! Tolle Grafiken, bei denen man sich fragt, wie sie mit nur 256 Farben zustande kamen? Auch check. Heute kann man vermutlich gar nicht mehr nachvollziehen, was hier technisch geleistet wurde, aber für die damalige Zeit sah Kyrandia einfach fantastisch aus. Fortschritt heißt aber manchmal auch mit Konventionen brechen. Und auch hier tat Kyrandia einen Schritt, der bei weitem nicht allen Genrefans schmeckte, aber bis heute zu spüren ist: Sie setzten auf den intelligenten Mauszeiger. Wenn ihr euch an die Adventures des Jahres 1992 erinnert, gibt es zu diesem Zeitpunkt zwei „Schulen“ – LucasArts setzt seit einigen Jahren auf ihre Verben-Steuerung, die das untere Drittel des Bildschirms ausfüllt und euch wählen lässt, was ihr mit Hotspots anstellt (dass sie diese Steuerung knapp darauf bei Sam & Max verwerfen sollten, steht auf einem anderen Blatt). Sierra hat sich hingegen gerade von der Parser-Steuerung (also der Eingabe von Befehlen via Tastatur) wegentwickelt und setzt auf eine Icon-Steuerung. Was sie gemeinsam haben? Man wählt den Befehl aus, den man mit einem Gegenstand durchführen will. Eventuell gibt es Standard-Befehle (in Monkey Island wird eine Tür durch Klick der rechten Maustaste geöffnet bzw. geschlossen, weil es einfach das ist, was man mit einer Tür macht), aber ein großer Teil des Tüftelspaßes ergibt sich nicht nur aus „welche Items kann man kombinieren“, sondern auch durch „was, das Ding kann man öffnen?“ Seit dem heiteren Verbenraten aus Text-Adventure-Zeiten war es Standard, die richtigen Wörter zu finden. Und Westwood? Sie ignorierten diese Konvention. In ihren Adventures gab es keine Verben, keine Icons. Der Mauszeiger wusste einfach, was zu tun ist, wenn man einen Hotspot anklickt oder zwei Items kombiniert. Zugegebenermaßen, die Hotspots musste man erst finden (an dem Punkt, wo wir heute sind und man sich diese anzeigen lassen kann, sind wir nämlich noch nicht), aber es war eine Entscheidung, die das Genre umkrempelte (heute ist ein intelligenter Mauszeiger eigentlich eher Standard) – und dem Spiel viele Feinde einbrachte. Wer glaubt, dass wütende Spieler, die jede Vereinfachung verdammen, eine Erfindung der jüngeren Zeit ist, hat die Reaktionen auf Kyrandia nie erlebt. Von „Verdummung“ eines Genres war da zu lesen, von „unnötiger Vereinfachung“. Vermutlich ist das mit ein Grund, dass Kyrandia lange Jahre um seine Anerkennung kämpfen musste.

Dabei gab es einen anderen Mechanismus, der sich durchaus an die alten Textadventure-Zeiten anlehnte: Zanthia hatte nur begrenzten Platz in ihrem Inventar, aber immer viel mitzuschleppen. Also was tun? Ganz einfach: fallen lassen! Ein Klick ins Inventar, ein Klick ins Hauptfenster, und schon fiel der Gegenstand auf den Boden und wartete dort darauf, wieder aufgehoben zu werden. Klar, wir reden hier nicht von physikalisch korrekten Fallanimationen (das wäre für das viele Obst und die zahlreichen Glasphiolen auch nicht gut ausgegangen), aber es war etwas, das man in dem Genre noch nicht kannte (und was man auch für Rätsel einsetzen konnte). Bis hierhin hatten wir aber noch nichts, was Brandon nicht auch konnte – aber Zanthia war nicht umsonst eine Mystikerin: Hatte sie erst ihren Kessel und ihr Zauberbuch gefunden, konnte sie nämlich magische Tränke brauen. Darum drehten sich auch viele Rätsel im Spiel: Woher bekomme ich die Zutaten? Und: Woher das Rezept? Zanthias Buch, das zu Beginn des Spieles geraubt wurde, hatte sich nämlich ziemlich aufgelöst – aber praktischerweise tauchten die Seiten mit den Tränken meist da auf, wo man sie auch brauchte … hatte man erst die Zutaten (wofür man durchaus Kreativität einsetzen musste) im Kessel versenkt (wer daneben lag, musste die Schnur ziehen, woraufhin der Kessel eine wunderbare Imitation einer Klospülung hinlegte. Das Problem dabei? Nicht alle Zutaten waren unendlich vorhanden, wer zu viele Fehler machte, endete potenziell in einer Sackgasse …), entstand ein mächtiger magischer Trank mit besonderer Wirkung, den man oft genug selbst testen musste …

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Doch beenden wir diesen allgemeineren Ausflug und wenden wir uns der Geschichte zu, die Hand of Fate für mich so besonders macht. Wir schreiben Ostern 1993, ich bin in der dritten Klasse Gymnasium und habe den klaren Plan, mit der fünften in den Informatikzweig zu wechseln. Das heißt aber eines: Ich brauche endlich einen „richtigen“ Computer, einen PC. Auch wenn der Amiga mir noch immer als Spielgerät reicht (obwohl er sich gerade am absteigenden Ast befindet – aber da war er schon, als ich ihn bekam), sind die Dinge, die ich in der Schule lernen werde, nur mit einem DOS-Rechner zu bewerkstelligen (gut, Windows 3.11 darf auch drauf). Der Rechner (übrigens ein 486 SX mit 40 MHz, 4 MB RAM und 200 MB Festplatte (aber ohne CD-ROM) – nur mal zum Vergleich, wie sehr sich hier alles entwickelt hat) kostet damals gut 14.000 Schilling, obwohl er nicht State of the Art war (das wären Kisten im Kaliber eines 486DX2 66 – die Pentium-Prozessoren erblickten aber auch gerade das Licht der Welt). Bekommen habe ich ihn zu Ostern, was mir aber nicht viel nutzte: Ostern hieß Familientreffen zwei Stunden von zuhause weg, die Reise machte der PC nicht mit. Aber hey, ich bekam das Handbuch und hatte somit zwei Tage Zeit, mich in die Bedienung der Kiste einzulesen (und ich war froh darüber!). Beim Heimfahren gab‘s dann noch einen Zwischenstopp und das erste Spiel für den PC. Ich wusste damals schon, dass Kyrandia eine Adventure-Serie war. Ich kannte den ersten Teil zwar nicht, aber die Packung mit den Tarot-Karten und das Genre an sich sprachen mich an, Westwood kannte ich von Dune II – also wurde Kyrandia mein erstes Spiel für die neue Kiste.

Was jetzt kommt, ist eine Geschichte, die ich immer gerne erzähle, wenn mir jemand sagt, dass PCs als Spielemaschinen viel zu kompliziert sind und man so viel umkonfigurieren muss, damit die Spiele ordentlich laufen. Glaubt mir. HEUTE muss man das nicht. DAMALS schon. Kaum hatte ich Hand of Fate installiert (für mich auch ein neues Konzept, das war meine erste Festplatte) startete ich voller Vorfreude das Programm – und bekam eine Fehlermeldung. Die benötigte Speicherart stand nicht zur Verfügung. Zur Erklärung (Achtung, es wird technisch): DOS unterschied verschiedene Arten von Speicherberreichen. Getreu dem Spruch „640 KB sollten für jeden genug sein“ gab es 640 KB konventionellen Speicher, dann folgten die Upper Memory Blocks (bis 1 MB), alles darüber war erweiterter Speicher, der noch dazu auf verschiedene Arten und Weisen verwendet werden konnte – zum Beispiel als EMS oder XMS. Die Kunst für einen guten Spiele-PC war, alle nötigen Treiber zu laden (schließlich wollte man ja Sound, Maus und Co. haben – ersteres hatte ich damals übrigens auch noch nicht) und dennoch genug konventionellen Speicher zu haben (sonst liefen die Programme einfach nicht) – und dann noch den richtigen erweiterten Speicher für das jeweilige Spiel gewählt zu haben, denn einig war man sich hier ganz und gar nicht. Langer Rede kurzer Sinn: Man musste seinen Speicher regelmäßig optimieren. DOS 6.2 (mit dem ich einstieg) hatte dafür ein nettes kleines Tool namens memmaker, dem man einfach erklärte, was für einen erweiterten Speicher (eben EMS oder XMS) man haben wollte, und der sich um das Optimieren des Speichers kümmerte (z.B., indem er Treiber aus dem konventionellen Speicher in die höheren Bereiche verschob). Das waren die richtigen Hardcore-Zeiten, mit Kommandozeile und Speicheroptimierung, zum Teil mit der Hand, um noch ein paar Kilobyte mehr rauszukitzeln. Dass das nicht jedem zusagte, kann ich verstehen, und auch mir wäre das heute wohl zu umständlich. Langer Rede kurzer Sinn: Danach lief das Programm – und ich hatte die Lektion gelernt, dass DOS mehr Finesse erforderte, als einfach eine Diskette ins Laufwerk zu schieben.

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Zum Zeitpunkt, als ich Kyrandia spielte, war ich kein kompletter Adventure-Neuling mehr – Fate of Atlantis, Monkey Island 1+2, aber auch Larry 1,Willy Beamish und die Lure of the Temptress-Reihe waren mir zu diesem Zeitpunkt zum Opfer gefallen. Aber Kyrandia war anders. Es hatte zum Beispiel eine ganz andere Philosophie, was Rätsel anging. Stolperte man in anderen Spielen ständig über Puzzles und musste nachgrübeln, wie man das Problem lösen konnte, ging es hier mehr um das Entdecken, Einsammeln und richtige Verwenden (und Ablegen) von Gegenständen. Und natürlich das Brauen von Zaubertränken, aber das habe ich schon erwähnt. Das heißt aber nicht, dass das Spiel leicht war – ich bin einige Male ziemlich hängen geblieben und war ein paar Mal knapp am Griff an die Komplettlösung. Im Endeffekt hat es aber doch funktioniert und der Abspann (der sehr gekonnt Teil eins aufgriff und Teil drei vorbereitete) flimmerte über den Bildschirm.

Ein Grund, warum ich mir so schwer tat, war übrigens die deutsche Übersetzung – die ist nämlich schlicht und ergreifend berüchtigt schlecht. Ich weiß nicht, wer das Spiel ins Deutsche übertragen hat, aber er hatte kein besonderes Gespür für Redewendungen und Doppelbödigkeiten. Wenn Zanthia „Ein Stück Kuchen“ sagt, muss man erst draufkommen, dass sie „Piece of Cake“ meint, und wer „you’re welcome“ mit „du bist willkommen“ übersetzt, beweist ein tolles Gespür für die englische Sprache. Besonders katastrophal war das allerdings wegen eines Rätsels, das mich das Spiel fast aufgeben lassen hätte: Zanthia braucht für ihren allerersten Trank laut Rezeptbuch einen Giftpilz. Den gibt es aber nicht. Nirgends. Das Item, das man benötigt, ist der Schemel einer Kröte. Klingelt’s? Genau. Das Wortspiel basiert im Original auf der Doppelbödigkeit von „Toadstool“ und „Toad’s stool“, in der Übersetzung geht der Witz natürlich komplett verloren.

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Damit sind wir aber auch schon am Ende angelangt, denn ihr habt vielleicht schon bemerkt, dass Kyrandia für mich vor allem aus vielen kleinen Erinnerungen besteht – an die große Handlung und die vielen verschiedenen Orte kann ich mich kaum erinnern. Aber an Übersetzungsfehler. An den liebenswerten Humor, der dem Spiel das Flair einer witzigen Reise (trotz der epischen Ausgangslage) gab. An meinen ersten PC, der sogar kurze Zeit auf unserem Esstisch stand (dort wurde Kyrandia angespielt, bevor er dann in mein Zimmer wanderte und dafür sorgte, dass ich keinen Schreibtisch mehr hatte, denn den Amiga wollte ich nicht wegräumen). An Zanthia, die immer einen witzigen Spruch auf den Lippen hatte und sogar dem Klischee entgegentrat, dass sich Spielfiguren niemals umziehen – Zanthia tat das für jede neue Umgebung. An Items, die man fallen lassen konnte, an das Brauen von Tränken … und an Speicheroptimierungen und die Zeit, als man noch ernsthaft überlegen musste „installiere ich Windows oder ein Spiel?“ Ich habe mich (meistens) für ein Spiel entschieden.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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