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Spiele, die ich vermisse #22: The Secret of Monkey Island

Es gibt Tage, da weiß ich bei den ersten Zeilen dieses Blogs noch nicht einmal, um welches Spiel sich der Eintrag drehen wird. Und dann gibt es wiederum Tage, an denen ich jenen Blog schreibe, den ich schon vor Wochen für diesen Termin geplant habe. Der heutige Eintrag gehört definitiv in zweitere Kategorie. Der Grund dafür ist auch rasch erklärt: Diesen Dienstag war ich in München, um nicht nur ein Spiel zu sehen, sondern vor allem auch dessen Designer zu treffen; ich will hier aber gar nicht von seinem aktuellen Spiel reden, sondern von seinem wohl berühmtesten, das 22 Jahre nach seiner Veröffentlichung noch immer für viele die absolute Genre-Krone darstellt und so legendär ist, dass es heute noch als Schande gilt, es nicht gespielt zu haben (jene Kollegen, die ich meine, fühlen sich jetzt einfach mal angesprochen 😉 ). Der Mann heißt Ron Gilbert. Das Spiel, von dem ich rede, ist The Secret of Monkey Island.


„Hallo, ich bin Guybrush Threepwood und will Pirat werden.“ Mit diesen Worten stellt sich unser neuer Held vor. Wer sich jetzt einen harten Kerl erwartet, sollte allerdings genauer hinsehen: der gute Guybrush hat nicht nur einen dämlichen Namen (der als Running Gag regelmäßig falsch ausgesprochen wird und im Übrigen daher kommt, dass seine Animationen in Deluxe Paint entstanden, wo sie als Guy.brush gespeichert wurden), sondern auch das adrette Auftreten eines Buchhalters. Bereits in diesem ersten Dialog mit dem Kurzsichtigen Ausguck von Mêlée Island wird klar, dass Monkey Island kein Spiel ist, das sich besonders ernst nimmt, was sich in den nächsten Stunden, die der Titel dauert, noch mehr bestätigen wird. Guybrush meint das mit dem Piratsein nämlich wirklich ernst und da die Freibeuter aus Angst vor dem Geisterpiraten Le Chuck, der die Meere unsicher macht, nur noch in der SCUMM-Bar sitzen und Grog saufen (dessen Rezept durchaus abenteuerlich ist), darf Guybrush die drei Prüfungen ablegen, die ihn zum Piraten machen werden. Was folgt, ist Unterhaltung und Humor vom Allerfeinsten. Denn Guybrush ist kein guter Dieb, schon gar kein Schwertkämpfer und hat nicht mal eine Ahnung, wie er den Schatz von Mêlée Island finden soll. Was für ein Glück, dass wir ihm dabei unter die Arme greifen und sonderbare Abenteuer erleben können.

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Im Zuge dieser ersten Aufgaben treffen wir nicht nur Gouverneurin Elaine Marley – in die sich Guybrush sofort verliebt – sondern lernen auch die hohe Kunst des Beleidigungsfechtens (was bis heute wohl zu den berühmtesten Gameplay-Features des Titels gehört). Denn anders als in den Indiana Jones-Adventures, bei denen beim Faustkampf Timing und ein wenig Taktik gefragt ist, geht es in Monkey Island einfach nur darum, seinem Gegenüber eine Beleidigung um die Ohren zu hauen, die er nicht schlagfertig parieren kann (bzw. umgekehrt eine Beleidigung gekonnt mit einer passenden Bemerkung zu „parieren“.) Das bekannteste Beispiel ist „Du kämpfst wie ein Bauer“, das mit „Wie passend, du kämpfst wie eine Kuh“ gekontert werden kann. All diese Beleidigungen und die Paraden muss sich Guybrush in zahlreichen Duellen „erkämpfen“, bevor er dann endlich gegen die Schwertmeisterin von Mêlée Island antreten kann. Und als wir dann endlich alle drei Prüfungen bestanden haben … passiert etwas Schreckliches: Le Chuck hat Gouverneurin Marley entführt und will sie zu seiner Frau machen. Das kann Guybrush aber natürlich nicht auf sich sitzen lassen, besorgt sich ein Schiff sowie eine Crew und begibt sich auf eine Reise nach Monkey Island, wo der Geisterpirat seinen Stützpunkt haben soll …

Monkey Island lebt zwar auch von seiner Handlung, aber vor allem von den zahlreichen skurrilen Begegnungen und Erfahrungen, die ihr auf eurer Reise habt. Davon sind manche Figuren gar nicht unbedingt für den Fortgang der Handlung notwendig – die berühmte Voodoo-Lady gibt zum Beispiel zwar wertvolle Tipps, ist aber eigentlich nicht notwendig, um das Ende des Spiels zu sehen. Andere Figuren, wie Stan, der gebrauchte Schiffe verkauft (und den typischen amerikanischen Autoverkäufer parodiert), oder die vegetarischen Kannibalen, sind integral für den Fortgang der Handlung, in der ihr erstmals in der Geschichte der LucasArts-Adventures wirkliche Dialoge mit den NPCs führen konntet. Liefen bisher die Gespräche nämlich zuvor automatisch ab, gab es nun endlich Dialog-Bäume, bei denen ihr entscheiden konntet, wie das Gespräch fortgeführt wird. Das war nicht nur fundamental für das schon erwähnte Beleidigungsfechten, sondern erlaubte auch, gezielt nach bestimmten Themen zu fragen. Einen wichtigen Teil des Gesprächs zu verpassen, war dabei allerdings unmöglich – man konnte den Dialog von vorne beginnen und einfach andere Antworten wählen. Und selbst das, was nicht wichtig war, wollte man lesen – immerhin waren die Dialoge von Tim Schafer und Dave Grossman (und sogar die Übersetzung von Boris Schneider – ich wünschte, ich könnte auch in der Gegenwart mal so positiv über eine Übersetzung reden) echte Highlights des Spiels.

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Wie bei allen frühen LucasArts-Adventures war auch hier wieder das SCUMM-System im Einsatz, das im unteren dritten des Bildschirmes Verben einblendete, mittels derer man mit den diversen Hotspots interagieren konnte. Seit Indiana Jones und der letzte Kreuzzug war hier allerdings ein wenig aufgeräumt worden (wenngleich der Schritt auf die neun Verben, die den letzten Evolutionsschritt dieses Systems darstellen sollten, erst mit Monkey Island 2 erfolgen sollte – allerdings gibt es auch eine Version von Monkey 1 mit diesem System). Auffallend war vor allem, dass das „Was ist“-Verb endgültig der Vergangenheit angehörte, das man zuvor angewählt haben musste, um den Hauptbildschirm nach Hotspots abzusuchen. Das erhöhte den Komfort ebenso wie die Entscheidung, das Spiel für jeden Hotspot Vorschläge anzeigen zu lassen. Zeigte der Cursor auf eine Person, war zum Beispiel automatisch „rede mit“ ausgewählt – ein Klick mit der rechten Maustaste führte diese Aktion durch. Wer etwas anderes plante, wählte einfach den normalen Weg über die Verben. All diese Änderungen erhöhten den Komfort gewaltig und machen Monkey Island zum zweiten (nach Loom) LA-Adventure, das man auch heute noch recht angenehm spielen kann.

Einen großen Anteil am Erfolg hatte auch die Grafik. Zwar war die Ur-Version noch EGA-tauglich (also 16 Farben, was die Palette für Hintergründe stark einschränkte und gleichzeitig der Grund ist, warum Guybrush schwarz/weiß trägt), spätestens die VGA-Version ist aber auch heute noch recht ansehnlich (wenn auch aufgrund von 320×200 etwas pixelig). Gemein haben sie allerdings liebenswerte Details. Zum letzten Mal setzte man hier auch noch auf Nahaufnahmen-Portraits, die so manche Gespräche besser illustrierten als die üblichen Gesprächsanimationen, dafür aber auch nur spärlich animiert waren. Bei anderen Figuren – ich erinnere insbesondere an Stan mit seinen ausladend animierten Bewegungen und der unrealistisch gleichbleibenden Textur seines Anzugs – machte aber genau die Fernansicht den Reiz aus und gab den Szenen ihre Dynamik, denn diese Ansicht erlaubte den Figuren, sich auch „schauspielerisch“ zu betätigen. Aus heutiger Sicht waren die Möglichkeiten natürlich primitiv, für die damalige Zeit boten sie aber eine tolle Inszenierung, die uns Guybrush und alle anderen Figuren rasch ans Herz wachsen ließen. Und das sogar ohne Sprachausgabe! (Anders als bei Loom oder Indiana Jones and the Fate of Atlantis kam hier nämlich nie eine Talkie-Versoin der Urversion).

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Meine Geschichte mit Monkey Island begann auf Umwegen – wie so oft in diesem Alter. Als das Spiel erschien, hatte ich nur einen C64 (für den das Spiel nicht veröffentlicht wurde) und las auch noch keine Spielemagazine, sodass das Spiel quasi an mir vorbei lief. Dass ich überhaupt ein Interesse an diesem Spiel entwickelte, ist zwei Faktoren zu verdanken: Erstens meinem Wechsel ins Gymnasium, wo ich in einer Klasse mit zwei Adventure-Verrückten landete und regelmäßig Diskussionen der Art „King’s Quest vs. Monkey Island“ miterlebte. Zweitens erschien Monkey Island 2 knapp bevor ich meinen Amiga bekam (und daraufhin begann, Spielehefte zu lesen), was natürlich einen Hype erzeugte, den ich kaum übersehen konnte und mein Interesse am ersten Teil erweckte (tatsächlich gesehen haben wir hier wieder einen jener Fälle, bei denen eine Komplettlösung (von Monkey 2, nicht von eins) mich erst so richtig für ein Spiel interessierte – aber dazu gibt es sicher in einem späteren Blog ein wenig mehr). Also war mir klar: Ich musste Monkey Island spielen. Und mit dem Amiga war das auch tatsächlich möglich.

Die Amiga-Version hatte noch einen zweiten Vorteil: Sie war von vornherein schöner anzusehen als die alte EGA-PC-Version und profitierte noch dazu von Paula, dem Soundchip, der die schönen Karibik-Klänge von Michael Land so richtig zur Geltung brachte. Außerdem war sie – im Gegensatz zum Sequel – auf nur vier Disketten verteilt, was das Spiel sogar ohne Zweitfloppy durchaus spielbar machte. Ansonsten war – bis auf die Tatsache, dass es nur eine „Feuertaste“ und damit keinen rechten Mausklick gab – das Spiel vollkommen ident zur PC-Fassung, die ich mir später aber natürlich auch zulegte. Und so konnte ich die Geschichte von Guybrush richtig gründlich genießen – und gründlich ist ein gutes Stichwort. Monkey Island war eines meiner ersten Adventures (zumindest das erste, das ich richtig gespielt habe) und nach heutigen Maßstäben eher unnachgiebig. Komfortfunktionen wie Hotspot-Anzeigen? Fehlanzeige (wobei das Spiel wenigstens großräumig auf pixelgroße Objekte verzichtete). Hint-System? Auch nicht vorhanden. Und während man heute jederzeit ins Internet gehen und eine Komplettlösung konsultieren kann, war das (wenn man nicht gerade Magazine sammelte) damals nicht ganz so einfach. Ich habe also geschätzte Monate in dieses Spiel investiert, mir ab und zu einen Tipp von meinen Schulkollegen geholt, immer wieder aufgehört, immer wieder neu angefangen, teilweise dann schon parallel zu Teil zwei gespielt (ich könnte jetzt nicht beschwören, welchen Teil ich zuerst durch hatte) – und dann tatsächlich, irgendwann das Ende gesehen.

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Bei vielen Spielen wäre das das Ende gewesen. Nicht so bei Monkey Island – hier packte nämlich rasch der Ehrgeiz zu. Immer und immer wieder wurde das Spiel durchgespielt, mal auf Zeit (ja, man kann es locker in unter vier Stunden durchspielen – der Knackpunkt ist immer, wie lange man für den Schwertmeister braucht), dann wieder hier ein wenig an der Effektivität geschraubt, wie man die Laufwege verkürzen kann (und davon gibt es einige – Ron Gilbert hat mir verraten, dass er die heutzutage eher langweilig findet und deshalb in seinen neuen Spielen nach Möglichkeiten sucht, die Distanzen unterhaltsamer zu gestalten). Vor allem kam ich aber immer wieder zurück, um die Geschichte von Guybrush wieder und wieder zu erleben. Bis heute versuche ich, regelmäßig Monkey Island durchzuspielen, auch wenn die Distanzen mangels Zeit immer länger werden – zuletzt ist es mir tatsächlich passiert, dass ich mich nicht mehr an jedes Detail erinnern konnte, was für mich zugegebenermaßen ein kleiner Weckruf war, es wieder öfter zu spielen – auch wenn mir ein Blick auf Steam verrät, dass ich diesen Vorsatz nicht ganz durchgehalten habe und mein letzter Durchlauf auch schon wieder zweieinhalb Jahre her ist …

Steam ist auch ein gutes Stichwort für eine abschließende Betrachtung: 2009 entschloss sich LucasArts, ein Remake von Monkey Island (mit dem klingenden Titel „Special Edition“) herauszubringen. Das Ziel war, nahe am Original zu bleiben, aber die Grafik und den Sound zu überarbeiten und eine Sprachausgabe hinzuzufügen. Über das Resultat kann man geteilter Meinung sein: Als Retro-Fan gefällt mir noch immer der klassische Look besser, aber die neue Musik und auch die Sprachausgabe können sich sehen lassen. Nicht ganz so begeistert bin ich von dem neuen Interface, das damit einhergeht und den Titel erstmals wirklich Konsolentauglich machte (obwohl es zuvor schon eine Version für SEGA MegaCD gab). Gut: Per Tastendruck auf F10 kann man einfach von der neuen auf die alte Version wechseln, für die all diese Kritikpunkte nicht gelten. Schlecht: Es gibt keine Möglichkeit, die alte Grafik zu behalten, aber Sprachausgabe und Musik auf neu zu schalten. Das wäre nämlich eine Option, die mir persönlich sehr gut gefallen würde. Dennoch: Spätestens mit dieser Version hat kein Gamer mehr einen Grund, Monkey Island nicht zumindest auszuprobieren und einen weißen Fleck von seiner Landkarte zu tilgen. Nein, es wird wohl nicht jeden Geschmack treffen; aber ja, es ist ein Spiel, das wohl jeder zumindest einmal angespielt haben sollte.

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Also, kommen wir zum Ende: Warum ist Monkey Island ein Spiel, das ich vermisse? Oh, da gibt es eine Menge. Beginnen wir damit, dass es jenes Spiel war, das meine Liebe zu den Adventures erweckte – ohne Monkey Island hätte ich vermutlich viele andere Perlen des Genres ausgelassen; gleichzeitig ist Monkey Island (gemeinsam mit seinem Sequel) aber für mich die Krone des Genres. Bis heute muss sich jedes Adventure die Frage gefallen lassen: „Aber ist es so gut wie Monkey Island?“ Und leider ist die Antwort immer wieder (aber nicht ausschließlich) „nein“. Gut, da hängt natürlich eine ganze Menge Retro-Verklärung mit drinnen, aber dennoch ist es für mich legitim zu behaupten, dass nur wenige Spiele an den Humor, das Rätseldesign oder auch die Production Values von Monkey Island herankommen – über zwanzig Jahre, nachdem das Spiel erschien! (und ja, das ist irgendwie traurig für den Zustand des Genres …). Einen besonderen Platz in meinem Herzen haben auch die Musik (vor allem das Monkey Island-Thema), etliche Puzzles (vom Beleidigungsfechten über die Grog-Staffel, den Diebstahl des Idols bis hin zu der Stelle mit der kleinen Statue für Lemonhead) und die diversen Figuren, von Guybrush über Elaine bis hin zu Stan und Le Chuck. Oh, und hab ich schon das Kopierschutzrad „Dial-a-Pirate“ erwähnt? Und ja, ich erinnere mich auch an zahlreiche Frustmomente, an denen ich einfach nicht weitergekommen bin – aber vielleicht lag das (auch) nur daran, dass ich damals einfach noch nicht so genau wusste, wie das Genre „denkt“. Heute würde ich wohl hoffen, nicht mehr so lang an einer Stelle hängen zu bleiben – aber damals hatte ich noch die Zeit dafür und der Sieg war umso süßer. Die Liste der Dinge, an die mich Monkey Island erinnert und die mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern, ist lang – Grund genug, an dieser Stelle mit dem Blog aufzuhören und endlich wieder die Geheimnisse der Affeninsel zu erkunden. Wir sehen uns auf Monkey Island!

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Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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