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Spiele, die ich vermisse #88: Lionheart

Der gestrige Tag hatte es voll und ganz in sich. Nein, ich spreche jetzt ausnahmsweise nicht vom Eurovision Song Contest und dem (für mich doch ein bisschen überraschenden, aber im Endeffekt durchaus verdienten) Sieg von Conchita Wurst. Ich spreche davon, dass ich am selben Tag eine Musicalpremiere feiern durfte (Werbung: Blondel, noch bis 7. Juni, Theater im Neukloster, Wiener Neustadt). Wie mich das zu einem Videospiel bringt? Via Namen. Ich darf im aktuellen Stück König Richard I, AKA Richard Löwenherz verkörpern – und es gibt tatsächlich ein kleines Spiel namens Lionheart, das mir gegen Ende meiner Amiga-Ära die Spielzeit versüßte. Sagt euch nichts? Lest weiter!

Vor langer Zeit in einer fremden Welt lebte das sagenumwobene Volk der Katzenmenschen. Und wie in jeder Zivilisation gibt es bestimmte Rituale. Zum Beispiel dieses: Jedes Jahr muss der Regent seinem Volk das Juwel „Lionheart“ präsentieren, das seine Macht demonstriert. Dummerweise steht das Ereignis knapp bevor, als Oberbösewicht Norka den Stein entwendet und den König vor ein Dilemma stellt: Schickt er seine Armee, weiß das ganze Land, dass Lionheart weg ist, tut er nichts, steht er in drei Tagen blöd da. Zu seinem Glück schmachtet allerdings ein ganz anderer Lionheart gerade im Kerker: Valdyn, ob seines Mutes eben auch „Lionheart“ genannt, wurde beim Glücksspiel ertappt und eingebuchtet. Was eigentlich eher ein Kavaliersdelikt werden hätte sollen, wird rasch zum Abenteuer: Der König stellt ihn vor die Wahl, den Stein wiederzubeschaffen oder seinen Kopf zu verlieren. Noch mehr Motivation gefällig? Valdyns Freundin Ilène war beim Diebstahl anwesend und fristet ihr Dasein nun als Steinstatue. Also packt unser Held (denn natürlich schlüpfen wir in seine Rolle) seine sieben Sachen und macht sich auf, den Stein wieder zu beschaffen.

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Zugegeben: Im Rennen für „beste Story in einem Videospiel“ würde Lionheart wohl von keinem Land 12 Punkte bekommen. Womit es aber punktete war das, was in dem Spiel steckt: Valdyns Abenteuer war ein gekonnt designter Action-Plattformer, in dem es ebenso wichtig war, geschickt zu springen und die Umgebung auszunutzen, wie es nötig war, die richtige Taktik gegen die diversen Gegner anzuwenden. Unser Held ist nämlich natürlich nicht ohne Waffen ins Gefecht gezogen und hat ein (leider äußerst kurzes) Schwert im Gepäck, mit dem er je nach Kombination von Joystick-Richtung zum Zeitpunkt des Feuertasten-Einsatzes einen passenden Move hinlegt. Und da vor allem spätere Gegner nur mit den richtigen Treffern zum richtigen Zeitpunkt auszuschalten sind, wird der Spieler ganz schön gefordert. Generell gilt Lionheart als äußerst kniffliges, forderndes Spiel: Es gibt zwar drei Schwierigkeitsgrade, aber schon der leichteste ist äußerst knackig – wer das Ende des Spiels sehen will, stirbt sicher mehrfache Tode und muss (es gibt keine unbegrenzten Continues) immer wieder von vorne anfangen.

Mehrere Durchläufe sind allerdings auch nichts Schlechtes, denn man wird dabei immer wieder auf neue Geheimnisse stoßen – und die Extras haben es bisweilen in sich. Nein, ich spreche hier jetzt gar nicht von jenen Thalion-Logos, die einem pro 100 Stück einen permanenten Herzcontainer gaben oder von den verbesserten (sprich: stärkeren, aber deshalb nicht längeren) Schwertern, sondern vor allem von einem recht versteckten Geheimabschnitt mitten im Spiel, der das Ende maßgeblich verändert – immerhin haben wir ja gleich zwei Aufgaben angenommen, eine für das Reich, eine für uns und die Liebe. Ja, man kann das Spiel beenden, indem man nur eines von beiden erledigt – aber wer wirklich das beste Ende sehen will, muss beides schaffen.

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Entwickelt wurde das Spiel 1993 von der deutschen Entwicklerschmiede Thalion, die man heute wohl vor allem für die unvollendete Rollenspieltrilogie Amberstar, Ambermoon und das niemals erschienene Ambersun kennt. Damals waren sie in der Videospielszene allerdings durchaus als kleiner, aber feiner Entwickler bekannt, der immer bereit war, die technischen Limits der Heimcomputer zu pushen. Dabei kam ihnen wohl zugute, dass die Gründungsmitglieder allesamt der Demo-Szene entstammten, also gewohnt waren, mit wenigen Ressourcen viel zu erreichen. Ein kleines Beispiel: Die Entwickler zeigten in einer frühen Ambermoon-Demoversion noch vor Ultima Underworld und Wolfenstein 3D eine texturierte, scrollende Umgebung aus der Ego-Sicht – und das auf dem damals schon technisch angestaubten Amiga (allerdings muss man dazu sagen, dass diese Demo zwar vor den genannten Spielen gezeigt wurde, das eigentliche Spiel dann aber erst nach den beiden Titeln in den Handel kam). Lionheart machte zwar nicht ganz so spektakuläre technische Sprünge, strotzte aber vor liebevollen Details (zum Beispiel bewegten sich die Ranken deutlich, wenn wir uns gekonnt an sie hängten und entlanghangelten) und zeigte anderen Projekten deutlich, dass man die 16-Bit-Plattformen meisterlich beherrschte (z.B. gab es hier mehr Parallax-Scrolling-Ebenen als in vielen anderen, heute noch bekannten Titeln – da musste sich selbst Turrican warm anziehen). Nicht umsonst gilt heute Lionheart als eines der schönsten Action-Spiele auf dem Amiga – auch wenn gerade die Animationen der Hauptfigur aus heutiger Sicht vielleicht nicht ganz so gelungen sind, wie sie sein könnten.

Im Laufe unseres Zockerlebens gibt es immer wieder Firmen, die einen geradezu legendären Namen entwickeln, sodass man automatisch aufpasst, wenn diese ein neues Spiel herausbringen. Thalion gehörte bei mir zu diesen, wobei ich bis heute nicht ganz genau sagen kann, warum dem so ist. Ich liebte ihr Airbus A-320. Ich habe Amberstar und später Ambermoon gespielt. Und noch bevor ich wusste, dass es von ihnen war, auch ein paar Partien Atomix. Aber insgesamt muss ich festhalten, dass Thalion vermutlich bei mir vor allem aufgrund des Medienhypes der (deutschen) Spielemagazine im Bewusstsein blieb, die schon darauf achteten, dass gute deutsche Wertarbeit im allgemeinen Spieledschungel nicht untergeht. So oder so: Ich habe mir Lionheart geholt – nicht zum Launch, aber einfach irgendwann, als die Zeit gerade günstig war.

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Warum genau? Nun, ehrlich gesagt weniger, weil mir das Spiel oder auch das Genre so wichtig war (auch wenn ich definitiv viel Spaß, aber auch jede Menge Gefluche mit dem Spiel hatte). Sondern um ein Statement abzugeben – und das führt auch schon zu einer Geschichte, die dafür sorgt, dass ich dieses Spiel nicht vergessen werde, sondern es immer wieder hervorkrame, um jenen etwas zu beweisen, die der Meinung sind, dass das Gute im Menschen alleine ausreichen wird und man keine drakonischen Schutzmaßnahmen benötigt, um ordentliche Verkaufszahlen zu erreichen (wobei ich jetzt bewusst nicht anfangen möchte darüber zu reden, dass es natürlich auch ein „zu drakonisch“ gibt). Und damit sind wir mitten in einer kleinen Geschichtsstunde:

Als Lionheart erschien, war der Amiga bereits am absteigenden Ast. Das lag weniger daran, dass der weitverbreitete Amiga 500 technisch schon so sehr veraltet war – neuere Amiga-Modelle, die damals noch in den Handel kamen, hätten das Ruder vielleicht mit passender Softwareunterstützung noch herumreißen können. Allerdings galt der Amiga damals als Hort der Raubkopierer, auf dem man noch kaum etwas verkaufen könnte, weil es nur zu leicht war, Spiele zu kopieren (klingt das auch für euch nach heute gängigen PC-Vorurteilen?). Mehr und mehr Entwickler drehten deshalb den Support für die Plattform ab und wandten sich dem PC und den Konsolen zu, wo mehr Geld zu holen war. Thalion mit ihren Wurzeln auf Atari ST und Amiga wollten den Kampf allerdings nicht einfach so aufgeben, sondern wandten sich mit offenen Worten an die Spieler: Lionheart würde gar nicht erst versuchen, Kopierer aufzuhalten –man wolle den Usern vertrauen und auf einen Kopierschutz verzichten. Allerdings verband man das gleich mit einem kleinen Ultimatum: Sollte sich Lionheart nicht verkaufen, aber dennoch massenhaft gespielt werden, weil es einfach so kopiert wird, würde man sich von der Plattform abwenden müssen, um weiter überleben zu können. Inwieweit das Experiment scheiterte, ist bis heute umstritten: Henk Nieborg erklärte, dass die Verkaufszahlen ganz okay gewesen seien, aber Abgänge in der Führungsetage zu Problemen führten, während Erik Simon und andere zu Protokoll gaben, dass es die Softwarepiraterie und schwache Verkäufe von Lionheart waren, die dem Unternehmen das Genick brachen. Fest steht nur eines: Thalion schloss ein Jahr nach dem Release von Lionheart seine Pforten – für immer.

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Vermutlich ist es auch das, was Lionheart für mich immer im Gedächtnis halten wird (was zum dem Punkt „Warum ich das Spiel vermisse“ führt). Ganz klar: Lionheart war ein technisch wirklich gut gemachtes Spiel mit einer tollen Präsentation und toller Spielbarkeit – trotz kleinerer Mängel. Dennoch wäre es vermutlich nicht in die große Geschichte jener Spiele, die meinen Lebensweg als Zocker beeinflusst haben, eingegangen, wäre es nicht die Geschichte eines Scheiterns gewesen – und zwar nicht als Spiel, sondern das Scheitern einer Spielefirma an den Umständen des Marktes. Natürlich kann man nicht alles auf Kopien schieben – wäre Lionheart statt exklusiv für den Amiga für andere Plattformen erschienen, wäre die Geschichte von Thalion vielleicht anders ausgegangen und vielleicht war der Titel einfach der falsche zum falschen Zeitpunkt. Doch so musste man erleben, wie eine Community, die sich geschworen hatte, Lionheart gerade aufgrund des ausgesprochenen Vertrauens nicht zu kopieren, im Endeffekt doch zumindest irgendwie scheiterte, denn auch wenn die Aussagen über das Ende Thalions widersprüchlich sind, weiß ich, dass ich etliche Leute kannte, die sich das Spiel kopiert hatten – oft ohne die Geschichte mit „wir vertrauen euch“ zu kennen. Heute kann man ohne Details zu kennen nur schwer sagen, ob sich der Titel wirklich so schlecht verkaufte und einfach fleißig kopiert wurde oder ob nicht eine Vielzahl an anderen Faktoren zur Schließung führten, aber die Wahrheit liegt vermutlich wie immer irgendwo in der Mitte. Der Mythos von der kleinen Firma, die mit einem echten Anliegen an die Fans herantrat, auf Kopierschutz verzichtete und ein Jahr später zusperrte, ist allerdings geblieben.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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