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Kolumne: Adpocalypse – YouTube auf dem Scheideweg

YouTuber sind in Aufruhr. Ihre Videos zu Videospielen mit Gewalt, wie die zu Call of Duty WWII, werden demonetarisiert. Es wird keine Werbung mehr geschaltet. Ohne Werbung kein Geld. YouTuber haben schon viel Drama auf ihrer Plattform erlebt. Die “Adpocalypse”, eine Kombination der englischen Begriffe für Werbung und Apokalypse, zeigt jedoch, mit welchen fundamentalen Problemen YouTube zu kämpfen hat. Und warum es sich hierbei nicht um einfaches Drama handelt.

Was genau ist YouTube eigentlich? Für die einen ist YouTube nur ein Tool. Ein Werkzeug, um seine Ideen, Kreativität, Arbeit oder Gedanken mit der Welt in Videoform zu teilen. Seien es Schneider, Maler, Sänger oder einfach nur Vlogger, die ihren letzten Supermarkteinkauf mit der Welt teilen möchten. YouTube ist Mittel zum Zweck. Google übernimmt die Kosten fürs Hosting und den Traffic der Videos und ist gleichzeitig eine riesige Community. Wer einfach nur witzige Katzenvideos sehen oder Highlights vom letzten Overwatch-Match teilen möchte, für den ist YouTube perfekt.

Für die anderen ist YouTube ein Job. Google übernimmt die Kosten für das Hosting und den Traffic, erreicht Millionen Menschen weltweit und erlaubt gleichzeitig Monetarisierung durch Werbung und schüttet so einen gewissen Teil der Erlöse an die “Creators”, YouTubes eigener Titel für Videoersteller, aus. Es ist eine Beziehung, von der beide Seiten profitieren. Hauptberufliche YouTuber investieren ihr Geld und ihre Zeit in ihren Kanal und damit in die Plattform. Im besten Fall werden sie zu Stars und Millionären, im guten Fall können sie ihren Lebensunterhalt verdienen, im schlechten Fall geben sie schnell auf. Google baut sich mit seinen Creators ein eigenes Mediennetzwerk auf, fast ohne eigenes Involvement beim kreativen Prozess. Die eine Seite ist also für das Technische zuständig und bezahlt die Rechnungen, die andere Seite liefert das Kreative, den Content. Auf dem Papier also wirklich eine perfekte Beziehung. Aber nur auf dem Papier. Denn wo Geld eine Rolle spielt, wird es schnell kompliziert.

Die Richtlinien für „Advertiser-friendly content“.

Ohne Monetarisierung wäre YouTube nicht das, was es heute ist. Doch woher kommt dieses Geld eigentlich?

Medien lassen oft zweiseitige Märkte entstehen. Das sind Märkte, auf denen zwei Interessengruppen agieren. Für eine Zeitung sind dies der Konsumentenmarkt, der die Zeitung kauft und der Werbemarkt, der Werbeplatz in der Zeitung kauft. Hierbei greifen auch die sogenannten Netzwerkeffekte, die den Wert eines Gutes steigen lassen, je weiter es sich verbreiten kann. Sprich: Je mehr Leute eine Zeitung kaufen, desto attraktiver ist die Zeitung für Werbekunden. Für den Großteil der Nutzer ist YouTube komplett kostenlos. Seit 2014 experimentiert YouTube mit Bezahlmethoden. Das aktuelle Programm nennt sich YouTube Red und ist noch nicht weit verbreitet. Bleibt also der Werbemarkt.

Aus Sicht der Werbekunden ist YouTube ein Segen. Ein Segen, weil sie ihre Produkte gezielt bewerben können. Werbung im passenden Kanal für die gewünschte Zielgruppe positionieren zu können, das macht YouTube so beliebt bei Unternehmen. Besonders bei Unternehmen mit Fokus auf Jugendlichen, da diese dem traditionellen Fernsehen immer mehr den Rücken zukehren. YouTube ist für US-Teens die coolste Marke der Welt und auf Platz 2 der größten Webseiten des Internets im Alexa-Ranking. Es leuchtet also ein, auf YouTube zu werben.

Ein Werbekunde möchte vor allem eines: Sicherheit. Ein Werbekunde möchte zu 100% sicher sein, dass das beworbene Produkt gut positioniert ist. Es geht ja schließlich um Werbung. Das Produkt soll gut dastehen, die Werbung zum Kauf animieren. Da passen gewaltverherrlichende Inhalte oder fluchende YouTuber überhaupt nicht ins perfekt konstruierte Markenbild. So ein Verhalten zieht Konsequenzen nach sich. Natürlich auch bei den traditionellen Medien, wie jüngst erst beim US-Sender FOX News, der seinen prominenten Moderator Bill O’Reilly gefeuert hat, nachdem ein Skandal Werbekunden abschreckte und die Sendung trotz hoher Quoten finanziell nicht mehr tragbar machte.

Spätestens seit Disney den Vertrag mit PewDiePie, dem größten YouTube-Star, auflöste und der Plattform somit viel Geld über Nacht entzog, ist die Branche vorsichtig geworden. Hinter den Kulissen wird gerade die Werbung komplett zurückgezogen und alles neu evaluiert. Wie viel Geld sollte man in YouTube-Werbung stecken? Welche Kanäle sind sicher für welche Produkte? Wie kann man sich sicher sein, dass der nächste YouTuber nicht für einen weiteren Eklat sorgen wird? Dabei agieren einige Unternehmen aktuell vielleicht zu vorsichtig. So werden Kanäle demonetarisiert, die über Call of Duty WWII berichten. Natürlich handelt es sich hierbei nicht um echte Gewalt. Videos nutzen Tags, Stichwörter, mit denen sie auf YouTube kategorisiert werden. Da reicht der Begriff “Krieg” aus, um Werbekunden abzuschrecken, auch wenn es sich nur um einen virtuellen Krieg handelt. Im Falle von Call of Duty WWII dürfte es zu einer Übereinstimmung zwischen YouTube und Activision kommen. Der Publisher ist sicherlich ebenso erbost über die Situation, wie die YouTuber. Für den Publisher geht es ja schließlich um Werbung, die in den meisten Fällen komplett umsonst ist.

PewDiePie: Disney trennte sich vom größten YouTube-Star.

Stellt sich langfristig die Frage: Wie kann man diese fehlende Sicherheit auf YouTube etablieren?

Pressekodex für YouTuber? Hinter vielen Kanälen steht häufig eine einzige Person, kein Unternehmen mit Medien- oder Marketingabteilung. Das Gefühl, man interagiere mit den eigenen Stars auf einer persönlichen Ebene, das Verschwimmen der Grenze zwischen spaßigen Videos und Werbung, das macht YouTube ja so erfolgreich.

Moderation? Eigens ein Team zum Überprüfen von Videos zu engagieren, würde sehr viel Geld kosten und bei der schieren Masse an Videos womöglich unmöglich sein. YouTube versucht es trotzdem. Nicht mit engagierten Moderatoren, sondern mit einem automatischen KI-Filter und Community-Moderation. Unter dem “YouTube Heroes”-Programm kann jeder Nutzer unangemessene Videos melden. Das sorgte für Entrüstung bei den großen Kanälen, die sich vor koordinierten Trollen fürchteten.

Professionalisierung? Da wird die Reise früher oder später wohl hinführen müssen, wenn Google YouTube als Mediennetzwerk positionieren möchte. Und das möchte Google. Mit YouTube Red wird erstmals exklusiver Content geschaffen und mit YouTube TV wirkt das “Fernsehen 2.0” plötzlich ziemlich stark dem “Fernsehen 1.0”.

Auch die Creators suchen neue Wege zu einem sicheren Einkommen. Nicht aus dem Werbemarkt, sondern aus dem Konsumentenmarkt. Eine Lücke, die YouTube nicht schließen kann oder möchte, also reagiert der Markt. Patreon und andere Plattformen werden immer beliebter und sollen diesen “Fehler” ausgleichen. So lassen sich die Videoersteller direkt bezahlen. Ohne irgendwelche Werbekunden, die jederzeit abspringen und ohne YouTube, das jederzeit seine Algorithmen ändern könnte.

Also, was genau ist YouTube eigentlich? YouTube ist vieles gleichzeitig. Ein Tool, die größte Video-Community des Internets, das coole Fernsehen 2.0, irgendwie aber auch das alte Fernsehen 1.0, kreativer Spielplatz für Individuen und frei von irgendwelchen Marketingabteilungen, durchkalkulierter Werbeplatz für Marketingabteilungen, eine Plattform für Amateure und für Millionäre zugleich. YouTube ist ein schlechter Marktplatz, weil er unsicher ist. Werbekunden können sich nicht sicher sein, dass die Videoersteller den Ruf ihrer Produkte nicht schaden könnten und Videoersteller können sich nicht sicher sein, dass YouTube als Plattform nicht von heute auf morgen Veränderungen einführt, die ihren Lebensunterhalt gefährden könnten. Eines steht aber fest: Das YouTube von heute kann so nicht auf ewig existieren. Trotz aller Rekorde, die YouTube immer wieder bricht, für Google rentiert sich die Plattform immer noch nicht. Irgendwann wird YouTube Geld machen müssen. Dafür muss es sich professionalisieren und Entscheidungen treffen, die nicht jedem Akteur dieses Marktes passen werden.

Also, YouTube, wo soll die Reise hingehen?

(kf)

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