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Review: Shin Megami Tensei V

Apokalypse Now!

Wenn der Protagonist aus dem modernen Tokyo in eine unwirtliche Welt der Dämonen geworfen wird, wenn sich Himmel und Hölle messen und wir dazwischen geraten, wenn eine unbekannte Welt voller Gefahren auf unseren Helden wartet – dann können wir fast nur von einer Serie sprechen: Shin Megami Tensei. Die altehrwürdige Rollenspielreihe bekommt nach etlichen Jahren endlich eine Fortsetzung – exklusiv für die Switch. Doch schafft der jüngste Sprössling der Serie den Spagat zwischen Traditionen und Moderne? Kommt mit uns nach Da’at und findet es heraus!

Wenn die Apokalypse uns überholt …

Shin Megami Tensei V braucht nur wenige Minuten, um die Story in Gang und uns mitten in die Action zu setzen: Wir spielen einen selbst benannten Schüler einer Schule in Tokyo, der auf dem Weg zum Schlafsaal gemeinsam mit einigen Mitschülern aus unserer bekannten Welt herausgerissen wird und sich in einer Zeit nach der Apokalypse wieder findet. Der große Endkampf zwischen Engeln und Dämonen hat bereits stattgefunden – doch wer war der Sieger dieser Konfrontation? Was wurde aus unseren Gefährten? Und wie sollen wir diese neue, feindliche Umgebung überleben? Nur auf letzte Frage gibt es recht rasch eine Antwort: Wir fusionieren mit einem Dämonen, der uns seine Hilfe anbietet, und werden zum Nahobino – einem Dämonen/Menschenhybriden mit großem Potenzial. Was trotzdem nicht heißt, dass eure Reise dadurch leichter wird.

Veteranen der Serie werden viele Ideen dieser Story durchaus bekannt vorkommen. Das heißt aber nicht, dass Shin Megami Tensei V nicht etliche eigene Ideen mitbringt, die die altbekannte Formel durcheinanderwürfeln und dem Gameplay einen eigenen Stempel aufdrücken. Was man aber auch betonen muss: Die Story ist weder der Fokus des Spiels noch seine größte Stärke. Die Geschichte bleibt in einigen Punkten dünn, Charaktere unterentwickelt und das Story-Pacing muss sich dem Gameplay unterordnen, weshalb oft lange Strecken vergehen, bis sich die Geschichte weiterentwickelt. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute? Das restliche Game funktioniert so gut, dass das nur wenig ausmacht.

Shin Megami Tensei vs. Persona

Auch wenn Shin Megami Tensei-Fans es nicht gerne hören, hat dessen Spin-Off Persona spätestens mit Teil 5 hierzulande der Mutterserie den Popularitätsrang abgelaufen. Es ist deshalb durchaus zu erwarten, dass einige von euch den Weg von Persona zu Shin Megami Tensei finden und sich – vielleicht – erwarten, ein ähnliches Spiel vorzufinden. Deshalb wollen wir hier ganz klar sagen: Auch wenn sich die gemeinsamen Wurzeln nicht verleugnen lassen – die Namen von Zaubern sind gleich, gewisse Grundideen findet man in beiden Spielen und auch die Monsterdesigns kommen euch sicher bekannt vor –, handelt es sich um zwei sehr verschiedene Gameplay-Erfahrungen. Persona fokussiert sich auf Charaktere und die Story und kombiniert Rollenspiel mit Lebenssimulation, dem Alltag eines Teenagers. Shin Megami Tensei rückt die Geschichte hingegen deutlich in den Hintergrund, bietet weniger Charakterarbeit und stellt das Erkunden und Kämpfen, das Erleben einer fremden, feindlichen Welt in den Vordergrund – da bleibt keine Zeit für Schulromanzen und Teilzeitjobs. Auch das UI und die Welt an sich wirken nüchterner und weniger überzeichnet. Das soll nicht heißen, dass Shin Megami Tensei V ein schlechteres Spiel wäre, aber ihr solltet euch bewusst sein, dass es nicht Persona ist. Was einem besser gefällt, ist Geschmackssache – und es zeigt auch, dass die Aufsplittung in zwei Reihen durchaus seine Berechtigung hat.

Der Tod lauert überall

Eine der größten Neuerungen von Shin Megami Tensei V ist, dass man nun auf ein Open World-artiges Gameplay setzt, ohne es dabei mit riesigen Gebieten zu übertreiben. Eure Reise führt euch in mehrere Gegenden, die sich deutlich weitläufiger anfühlen als die eher Dungeon-basierten Abschnitte aus den Vorgängern und euch jeweils mehrere Stunden beschäftigen werden. Natürlich könnte man einfach der Markierung nachlaufen, die die Hauptquest weiterführt, aber es gibt viel zu entdecken, Nebenquests zu absolvieren, Gegner zu bekämpfen (die übrigens diesmal direkt in der Welt zu sehen sind – Random Encounter gibt es nicht mehr), Ressourcen zu sammeln und „Abszesse“ genannte Knoten dämonischer Energie zu bekämpfen, sodass der direkte Weg definitiv nicht der optimale ist. Ganz davon abgesehen, dass ihr auf diese Art und Weise rasch Probleme mit einem zu niedrigen Level bekommen würdet. Diese weitläufige Welt ist ein deutlicher Bruch mit den Vorgängern, der mithilfe der bewährten Unreal Engine 4 möglich wurde. Das Resultat ist eine interessante, vielseitige und auch in Sachen Größe meist gut portionierte Welt (einzelne Abschnitte lassen dann doch die Abwechslung vermissen), die die Switch hardwaremäßig nicht oder zumindest nur selten überfordern. Ja, es gibt einige seltsame Effekte, wenn Objekte oder gerade Dämonen etwas zu weit entfernt sind, es gibt Pop-Ups, und man könnte sich auch zurecht fragen, wie viel besser das Spiel auf einer PS5 oder Xbox Series aussehen hätte können, aber das Gesamtbild ist stimmig und gerade in Kombination mit dem atmosphärischen Soundtrack gelungen.

Solltet ihr euch auf der Karte verlaufen, kann es sich durchaus auszahlen, zunächst das nächste blaue Licht zu suchen, denn praktischerweise hat Atlus nicht auf den Komfort vergessen und regelmäßig Speicherpunkte platziert, die in Personalunion auch als Shop, Heilstätte, Teleporter und noch so einiges mehr dienen. Speichern solltet ihr übrigens regelmäßig, denn Shin Megami Tensei V ist ein Spiel, in dem der Tod überall lauert. Wir sprechen gar nicht unbedingt von jenen übermächtigen Monstern, wegen derer ihr Stunden (und viele Level) später wieder in frühere Gebiete zurückkehren könnt; wir sprechen vielmehr von Quests, die plötzlich in einem Kampf enden, der euch und eure Party gerade völlig überfordert, von Story-Bossen, die eure Party mit einem Schlag auslöschen, und sogar Kämpfen gegen Trash Mobs, die aus diversen Gründen plötzlich schief gehen können. Gerade zu Beginn haben wir sehr oft die Game Over-Sequenz gesehen und uns auch öfter verflucht, warum wir nicht früher zu einem Speicherpunkt zurückgepilgert sind. So etwas wie Autosaves gibt es nämlich nicht, sondern nur ein genaues Abwägen, ob das Risiko des weiteren Erkundens die Belohnung wert ist. Und ja, das heißt auch, dass Grinden irgendwie zum Spielprinzip gehört – oder sollen wir es „erkunden und gegen die dabei getroffenen Gegner kämpfen“ nennen? Wer einfach nur durch das Spiel durchrushen will, wird es definitiv schwerer haben als jemand, der sich Zeit nimmt und dabei auch die dazugehörigen Kämpfe in Kauf nimmt. Und dennoch kann es vorkommen, dass ihr an Roadblocks geratet und an gewissen Gefechten lange scheitern werdet, bis ihr die richtige Taktik, Teamzusammensetzung und auch Fähigkeiten mitbringt. Oder einfach derart überpowered seid, dass die Gefechte ein Kinderspiel werden.

Dämonisches Pokémon

Teamzusammensetzung? Ja, zum Glück müsst ihr euch den dämonenbesetzten Ruinen von Tokyo nicht allein stellen: Nach und nach könnt ihr Dämonen und Engelswesen überreden, euch auf der Reise zu begleiten. Das System dahinter wird Shin Megami Tensei– und Persona-Spielern bekannt vorkommen: Statt auf einen Gegner einzuschlagen oder ihn mit Magie zu bewerfen, könnt ihr auch mit ihm verhandeln. Das kann manchmal einfach bedeuten, die richtigen Antworten auf seine Fragen zu geben, das kann euch MP, Items, Hitpoints oder auch Macca (die Währung des Spiels) kosten und ihr solltet dabei auch die Mondphasen beachten. Aber wenn ihr geschickt seid, habt ihr bald einen neuen Mitstreiter gefunden, von denen ihr bis zu drei gleichzeitig am Schlachtfeld haben könnt (und noch einige in Reserve) und die neben passenden Sprüchen und Skills zum Teil auch ganz eigene Spezialaktionen mitbringen. Ganz zu schweigen natürlich davon, dass gemeinsam die Kampfkraft eures Teams steigt.

Leider ist das Wachstum eurer Mitstreiter begrenzt, weshalb ein weiteres wichtiges System aus den Vorgängern zum Tragen kommt: Das Fusionieren eurer Begleiter zu neuen, stärkeren Wesenheiten. Diese erben dabei einen Teil der Skills des „Ausgangsmaterials“, was sie zu mächtigeren und vielleicht runderen Versionen jener Monster macht, die ihr in freier Wildbahn fangen könnt. Solltet ihr hingegen mit eurem Begleiter eigentlich zufrieden sein, aber einen bestimmten Skill suchen oder die Resistenzen verändern wollen, helfen auch kurzfristig gefundene Monster-Essenzen. Eurem Protagonisten ist ein weiterer Wachstumspfad vorenthalten: Mit Glorie könnt ihr Wunder erlernen, die man am ehesten als permanente Buffs bezeichnen könnte. Sie geben euch zum Beispiel mehr Slots für Begleiter, steigern euren Elementarschaden oder lassen euch andere nützliche Dinge erlernen. Da Glorie aber nur begrenzt zu finden ist, solltet ihr euch gut überlegen, für was ihr es ausgebt.

Ein tödliches Spiel

Shin Megami Tensei V setzt einmal mehr auf das rundenbasierte „Press Turn“-System, das euch für das Ausnutzen von Schwächen belohnt. Jedes „Team“ kommt abwechselnd an die Reihe und hat eine gewisse Anzahl an Zügen, die sich allerdings im Lauf der Runde verändern kann. So bekommt ihr Bonuszüge, wenn ihr einen Gegner mit einem Zauber trefft, auf den er anfällig ist, aber verliert Angriffe, wenn ihr ihn mit einem Element attackiert, auf das er immun ist. Leider geht das Spiel auch umgekehrt: Treffen die Gegner eure Schwachstellen, wird aus einem kleinen Angriff vielleicht ein furioser Angriffshagel, den euer Trupp nicht überlebt. Die richtige Teamzusammensetzung und natürlich das Wissen, welcher Gegner auf welche Skills anfällig ist (das Spiel vermerkt dies dankenswerterweise, wenn ihr es herausgefunden habt), können im Kampf einen sehr großen Unterschied machen. Genauso wie der Einsatz von Magatsuhi, das in einer eigenen Leiste in den Kämpfen gesammelt wird und schließlich für diverse Effekte eingesetzet werden kann. Das macht die Kämpfe in Shin Megami Tensei V aber auch so spannend: Macht ihr alles richtig, könnt ihr selbst mächtige Gegner – eine passend gelevelte Party vorausgesetzt – in wenigen Zügen vernichten. Aber selbst harmlose Gegner können mit euch den Boden aufwischen, wenn ihr Fehler macht oder einfach das falsche Team am falschen Ort seid. Aber das ist einfach die Welt von Shin Megami Tensei – wer zu schwach ist, wird von ihr verschlungen.

Fazit

Wertung - 8.5

8.5

Ein dämonisches Vergnügen

Aufmerksame Leser oder Podcast-Hörer wissen es wohl bereits: Ich bin nach langer Abstinenz gerade rechtzeitig für dieses Spiel wieder zurück in die Welt von Shin Megami Tensei zurückkehrt. Wobei, das stimmt nicht ganz: Der Ausgangspunkt für meine Rückkehr war nicht die Ur-Reihe, sondern Persona 5, das mich neugierig auf Shin Megami Tensei V gemacht hat. Deshalb muss die erste Frage fast lauten: Fand ich in diesem Spiel das vor, was ich nach Persona erhofft hatte? Nun: nein. Aber ich muss gleich hinzufügen: Das macht nichts. Shin Megami Tensei V macht seine Sache richtig gut, die Frage ist nur die Erwartungshaltung und welcher Spielfokus einem besser liegt. Und selbst ich, dem die Story oft wichtiger ist als das Gameplay, konnte mich dem Spielspaß, der sich hinter dem Spielprinzip versteckt, nicht entziehen. Ja, ich hatte meine Momente, in denen mich das Spiel einfach nur gefrustet hat: Wenn eine Quest plötzlich in einem zu schweren Kampf endet oder ein Boss ohne größere Vorwarnung (weil man ja nicht weiß, welche Stufe er haben wird) den Boden mit uns aufwischt und wir so nebenbei auch noch einiges an Fortschritt verlieren, ist das kein gutes Gefühl. Aber das gehört zur Atmosphäre und unterstreicht, wie tödlich diese fremde apokalyptische Welt ist – und es spricht für das Spiel, dass das nie langfristig meine Motivation gestört hat. Nein, ich wollte wissen, wo die Geschichte viele Stunden später hinführt, stärker werden und neue Dämonen sammeln und aufleveln. Auch wenn Shin Megami Tensei für mich persönlich nicht Persona den Rang ablaufen wird, habe ich auch die Mutterreihe nun endgültig für ihre Stärken schätzen gelernt. Welcher Fokus einem mehr liegt, ist wirklich einfach Geschmackssache.

Genre: Rollenspiel
Entwickler: Atlus
System: Switch
Erscheint: 11. November 2021
Preis: ca. 60  Euro

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Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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