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Review: Civilization VI

Vor 25 Jahren startete Sid Meier eine Spielereihe, die wahrlich dem Zahn der Zeit widerstehen sollte: Civilization. Zum Jubiläum schickt Entwickler Firaxis den sechsten Teil der Serie ins Rennen – kann das Spiel in die großen Fußstapfen der Vorgänger treten?

Altbekannt …
Bevor wir diese Frage in ihrer Gesamtheit beantworten, lasst uns über Details sprechen. Vorweg gleich eine Entwarnung: Civilization bleibt Civilization. Ihr entscheidet euch zu Beginn des Spiels, wie die Welt aussieht (kleine Karte, größere Karte, einige Parameter, die das Aussehen der Map formen), wählt einen Anführer und damit ein Volk (samt jeweils eigenen Boni und Einheiten) aus und beginnt die lange Reise eurer Zivilisation vom Beginn der Sesshaftigkeit in die nicht allzu weit entfernte Zukunft. Runde für Runde kümmert ihr euch um euer Reich, strebt danach, es wachsen und gedeihen zu lassen, euch gegen die anderen Zivilisationen durchzusetzen und schlussendlich eine der Siegbedingungen zu erreichen, bevor dies einer anderen Macht gelingt. Auf dieser Ebene ist das Spiel für jeden, der Civilization schon kennt, also leicht zu durchschauen – schließlich bleiben die Grundprinzipien unverändert. Siedler gründen neue Städte, Gebäude werden in den Städten errichtet, Einheiten gebaut und neue Technologien erforscht. Aber Civilization hat sich noch nie auf seinen Lorbeeren ausgeruht. Wer also glaubt, einfach nur eine technisch verbesserte und geringfügig überarbeitete Neuauflage zu bekommen, irrt sich gewaltig. Klar, etliche Eigenheiten, die sich im Laufe der Zeit ergeben haben (z.B. Hexfelder und die „nur eine Einheit pro Feld“-Regel aus dem Vorgänger), wurden übernommen. Doch an vielen Details wurde kräftig gefeilt.

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… und doch ordentlich anders
Zum Beispiel: Natürlich gibt es nach wie vor Arbeiter, die rund um unsere Städte allerhand Verbesserungen bauen können, die unseren Städten dabei helfen, zu wachsen und gedeihen. Wer sich allerdings nach all den Jahren daran gewöhnt hat, diese praktischen Helferlein einfach zu bauen und die Automatisierung einzuschalten, um sein Reich nach und nach auszubauen, erlebt sein blaues Wunder: Nicht nur können die Arbeiter nur noch drei Verbesserungen bauen (spätere Upgrades verbessern diesen Wert), bevor sie für immer verschwinden, sondern können auch nicht mehr automatisiert werden – das erfordert von euch, gut nachzudenken, wann ihr Arbeiter benötigt und wofür ihr sie einsetzt. Auch eine vormals wichtige Funktion haben sie verloren – den Straßenbau. Die Wege zwischen euren Siedlungen entstehen nämlich jetzt automatisch entlang der Handelsrouten – ein Grund, ab und an eine nicht ganz so profitable Route zu wählen, um den Straßenbonus in Zukunft nutzen zu können. Auch das Bauen von Städten hat an Komplexität gewonnen. Während es nicht mehr wie im Vorgänger rigoros bestraft wird, viele Ortschaften zu bauen (im Gegenteil, es ist diesmal eine durchaus valide Strategie), ist das Planen der Ansiedlungen deutlich komplizierter geworden. Es ist nämlich nicht mehr möglich, alle Gebäude und Weltwunder in dem Hexfeld unterzubringen, das bei der Gründung eurer Ortschaft ausgewählt wurde. Stattdessen müsst ihr euch genau überlegen, wohin sich die Siedlung entwickeln soll und eine Balance zwischen den Rohstoffen aus dem Umfeld und euren Bedürfnissen an Erweiterungen finden. Etliche Gebäude lassen sich nämlich nur in speziellen Bezirken errichten, die jeweils ihr eigenes Feld belegen (und die natürlichen Rohstoffe und Boni des freien Feldes verschwinden lassen), und auch jedes Weltwunder belegt nun einen eigenen Ort im Umfeld der Stadt. Das Problem dabei ist allerdings nicht nur der Platz: Wunder und Bezirke haben oft spezielle Baubedingungen, die nicht überall zu finden sind oder vielleicht schon anderwärtig belegt sind. Statt einfach alle wichtigen Gebäude in allen Städten zu errichten, ist diesmal Spezialisierung vonnöten, was auch von versierten Civilization-Spielern ein wenig Umgewöhnung erfordert.

Forscherdrang
Wer den Forschungsbaum öffnet, wird sich ebenfalls wundern, denn dieser ist diesmal signifikant kürzer geworden. Tatsächlich gibt es allerdings nun eigentlich zwei Forschungsbäume – einen naturwissenschaftlichen, der von den primitiven Anfängen rund um Bronze- und Eisenberarbeitung bis zur Raketenwissenschaft führt, und einen geisteswissenschaftlichen, der unsere Zivilisation ideologisch nach vorne bringt und uns unsere Regierung verbessern lässt. Beiden Bäumen gemeinsam ist ein System, das die Forschung beschleunigt, wenn ihr bestimmte Bedingungen erfüllt. Zum Beispiel erforscht sich das Segeln schneller, wenn ihr eine Stadt an der Küste habt. Nicht jede Erfindung ist nötig, um euer Ziel zu erreichen, auch wenn natürlich die diversen Techniken oftmals aufeinander aufbauen – einfach von Anfang an an der Computertechnologie zu arbeiten, ist also nach wie vor keine Option. Das Studieren der beiden Bäume wirkt hier durchaus Wunder und lässt euch euren Weg nach oben optimieren. Optimieren lässt sich übrigens auch eure Staatsform, die nach dem vorläufigen Aus in Civ V nun wieder ins Spiel zurückkehrt. Habt ihr eine passende Regierungsform erforscht, könnt ihr zu dieser wechseln, was beim ersten Versuch mit dieser Form problemlos geht, bei einer eventuellen Rückkehr dorthin allerdings zu kurzzeitiger Anarchie führt. Jede Regierungsform hat ihre eigenen Boni, eröffnet aber vor allem eine gewisse Anzahl von Slots, in die ihr passende Politiken ablegen könnt. So kämpfen eure Krieger plötzlich besser gegen Barbaren, Handelsrouten bringen mehr Kultur oder euer Verhältnis zu den Stadtstaaten wird optimiert. Dieser Bereich des Spiels erinnert stark an ein Brettspiel, bei dem die Komplexität zu Beginn noch recht gering ist – immerhin hat man nur wenige Politiken und Slots -, aber im Laufe des Spiels nach mehr und mehr Forschung und damit Möglichkeiten zunehmend anzieht.

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Komplexitätsschraube: Angezogen!
Und damit sind wir auch schon bei einem gewissen Problem, das Civ VI für Einsteiger hat: War Civ V im Vergleich zum vierten Teil (zu?) stark entschlackt und wurde erst durch die Erweiterungen relativ komplex, setzt die neueste Ausgabe in Sachen Komplexität ungefähr dort an, wo der letzte nach den Add-ons aufgehört hat. Veteranen kennen zumindest die Grundkonzepte (werden aber bei den veränderten Mechaniken zumindest ein wenig ihre Taktik ändern müssen), Neueinsteiger plagen sich ein wenig mehr – vor allem deshalb, weil es das Spiel nicht immer schafft, all seine Features ausreichend zu erklären. Zunächst ist es also oft Glück und erst später dann Erfahrung, wenn man nach mehreren hundert Zügen noch immer den richtigen Platz hat, um ein Wunder bauen oder einen Bezirk optimal platzieren zu können; auch die Planung eures Landes, das Forschen und das Managen eurer Staatsform benötigen ein wenig Übung, bis man auch wirklich alles optimal auf die persönliche Art zu spielen und die äußeren Umstände zuschneiden kann. Andererseits hat Civilization VI nach dieser Eingewöhnungsphase das Potenzial, uns viele Partien und mehrere hundert Stunden zu unterhalten – da stört es auch nicht, wenn man nicht alles beim ersten Mal durchschaut hat, sondern in späteren Partien noch immer Raum für Optimierungen hat.

Veni, Vidi, Vici …

Aber wie kann man denn nun gewinnen? Dafür gibt es fünf Möglichkeiten: Für den Kultursieg müsst ihr darauf achten, möglichst viele Kunstwerke und Artefakte in eurem Reich zu haben, um Tourismus zu generieren; für den religiösen Sieg ist es erforderlich, eure Religion zur Hauptreligion in jedem Reich zu machen; der Wissenschaftssieg bringt euch diesmal nicht bis Alpha Centauri, sondern erfordert „nur“ einen Satellitenstart, eine Mondmission und eine Marskolonie; und wie schon seit jeher könnt ihr natürlich alle Konkurrenten ausschalten oder hoffen, dass ihr bei Zeitablauf die meisten Punkte habt. Auf dem Weg dorthin müsst ihr allerdings nicht nur hart daran arbeiten, die nötigen Bedingungen zu erfüllen, sondern auch mit euren Nachbarn gut auskommen. Deren KI wurde stark verbessert und folgt nun einer für den jeweiligen Anführer „typischen“ Agenda sowie einer zweiten, zunächst versteckten Denkweise. So werden euch manche Völker dafür verachten, wenn ihr ein zu kleines Heer habt (und euch umgekehrt bewundern, wenn eure militärische Macht größer ist als ihre), während andere erst aggressiv werden, wenn ihr Luxusgüter besitzt, die sie nicht haben. Ganz ohne Probleme funktioniert die KI allerdings nicht, denn bei manchen Völkern ist die Grenze zwischen „wir verachten euch“ und „wir bewundern euch“ allzu nahe beieinander, um wirklich glaubwürdig zu sein – ganz nach dem Motto „in einem Zug wird applaudiert, im nächsten verächtlich auf euch herabgeblickt“. Dennoch ist es eine gute Richtlinie, an die ihr euch halten könnt, wenn ihr im Frieden mit euren Nachbarn auskommen wollt.

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Augen und Ohren
Civilization war noch nie ein Wunder der Technik, für das man ein hochgezüchtetes Spielgerät sein Eigen nennen musste. Auch diesmal reicht ein halbwegs aktueller PC problemlos, um das Spiel genießen zu können. Wer allerdings schon mit dem Vorgänger Probleme hatte, sollte jetzt dringend aufrüsten, denn natürlich haben sich die Voraussetzungen der heutigen Zeit angepasst. Dennoch reicht ein Mittelklasserechner locker aus. Optisch gibt sich Civ VI diesmal in einem (bei den Fans relativ umstrittenen) cartoonigeren Look als der Vorgänger, der vielleicht den Anführern ein wenig die staatstragende Würde nimmt, aber im Gesamtpaket dann doch stimmig ist. Nett ist auch die Idee, Bereiche der Karte, die schon erkundet wurden, aber jetzt nicht gesehen werden können, in einen Fog of War im Kartenlook zu kleiden. Gelungen ist auf jeden Fall die Sounduntermalung, die ein wenig weniger als der Vorgänger auf Ethno-Trommel-Sound mit Stammesgesang setzt, sondern zum Großteil bekannte Musik der diversen Zivilisationen nutzt. Und für all jene, die das Spiel auf Englisch spielen, gibt es noch ein kleines Highlight: Sean Bean gibt den Erzähler. Achtung, Spoiler: Diesmal stirbt er nicht.

Review Overview

Wertung - 9

9

Dieses Spiel besteht den Test der Zeit

Ich bin Civilization-Spieler der ersten Stunde – und als solcher habe ich bereits ein Muster entdeckt: Jene Spiele der Reihe mit einer ungeraden Zahl im Titel werden von mir deutlich besser angenommen als jene mit einer geraden. Das hat mehrere (nämlich sowohl spielerische als auch persönliche) Gründe, soll uns aber hier nicht weiter beschäftigen. Die viel wichtigere Frage ist nämlich: Schafft es Civilization VI, diesen Fluch zu durchbrechen? Mit absoluter Sicherheit kann ich das auch nach mehreren Partien noch nicht sagen. Das liegt aber vor allem daran, dass Civ V (vor allem mit sämtlichen Erweiterungen) die Messlatte sehr hoch gelegt und mich immer und immer wieder zu einer weiteren Partie gebracht hat. Was ich hingegen sagen kann: Von Teil fünf auf sechs zu wechseln, war zunächst ein großer Kulturschock – so verloren habe ich mich schon lange nicht mehr in einer Partie Civilization gefühlt. Erst gegen Ende meiner ersten Runde hatte ich das Gefühl, ich verstehe die Grundlagen weit genug und weiß halbwegs, wie das Spiel tickt – und wollte sofort wieder von vorne beginnen, um vorherige Fehler gutzumachen und weiter zu lernen. Denn auch, wenn sich vieles verändert hat, gelten zwei Dinge: Erstens: Civilization ist Civilization – an den Grundfesten der Reihe wurde nicht gerüttelt. Zweitens: Hier wurde nicht mutwillig um der Verbesserung willen verbessert, sondern wirklich nachgedacht, wie man das Gameplay zum Positiven verändern und Civ VI sein eigenes Feeling verpassen könnte. Natürlich gefällt nicht jede Änderung jedem, aber gerade jene, denen Civ V zu „weichgespült“ war, werden an diesem Teil wohl durchaus ihren Gefallen finden. Ich würde nicht behaupten, dass ich Civ VI nach mehreren Partien mittlerweile gemeistert habe, aber der Mix aus Veränderungen, alten Tugenden und dem zeitlosen Civilization-Spielprinzip funktioniert noch immer – „One more turn“ ist wieder ein echtes Schlagwort vor meinem PC.

Genre: Strategie
System:
PC
Entwickler: Firaxis
Erscheint: Erhältlich
Preis: ca. 70 Euro

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Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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