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Bericht: Grundsätzliche Änderungen bei Marvels TV-Produktionen

Gestern tauchten Berichte auf, dass Daredevil: Born Again in großen Problemen steckt. In einem auf weiteren Gerüchten, aber auch Aussagen von Marvels Head of Streaming Brad Winderbaum, aufbauenden Artikel des Hollywood Reporter finden sich noch einige weitere Informationen, die auf eine grundsätzliche Änderung, wie Marvel TV-Material produziert, hindeuten. Das ganz grundsätzliche Problem mit den TV-Inhalten sei die Herangehensweise, die sich völlig von anderen Fernsehprojekten unterscheidet. Typischerweise haben TV-Serien Showrunner, die meist nicht nur Chefautoren sind, sondern auch dafür zuständig sind, dass das ganze Projekt eine Vision verfolgt und beibehält; dazu kommt, dass normalerweise eine Pilotfolge gedreht wird, anhand derer überhaupt entschieden wird, ob die Serie realisiert wird, und auch normalerweise zumindest noch an Ton und Casting gefeilt wird. Marvel hingegen hat sein Film-Modell auf die TV-Serien ausgedehnt: Es werden keine Pilots gedreht, sondern die – schon längst angekündigten Serien – einfach im Ganzen gedreht (und das bei Serien mit relativ hohen Budgets); es gibt keine Showrunner, sondern Film Executives, die sich um den Dreh kümmern; und wie bei den Filmen setzt man darauf, alle Probleme mit den Serien in der Postproduktion und mit Nachdrehs zu fixen.

Wie problematisch diese Arbeitsweise ist, zeigt sich nun bei Daredevil: Disney hat die Serie aufgrund des Pitches der (bisherigen) Chefautoren Matt Corman und Chris Ord die Produktion genehmigt, aber erst jetzt nach dem Dreh mehrerer Episoden festgestellt, dass die Richtung nicht funktioniert. Corman und Ord hätten ein Procedural geschrieben, das sich stark von der Netflix-Serie, die für Action und Gewalt bekannt war, unterscheidet – erst in der vierten Folge sei Charlie Cox überhaupt im Superheldenoutfit zu sehen gewesen.

Generell berichtet der Hollywood Reporter davon, dass das nicht das erste Mal ist, dass solche Probleme auftreten – was auch daran läge, dass es bei den TV-Projekten keine zentrale Vision gäbe und – anders als bei typischen Serien – es nicht mit dem Showrunner einen Autor als Zentrum der Produktion gäbe. Sowohl bei Moon Knight, wo Serien-Erfinder und Autor Jeremy Slater ausstieg und Regisseur Mohamed Diab von da an die Zügel in der Hand hatte, als auch bei She-Hulk (Jessica Gao wurde als Autorin an den Rand gerückt und Regisseurin Kat Coiro hatte die Verantwortung für die Serie; allerdings wurde Gao in der Postproduction zurückgeholt) traten ähnliche Probleme auf. Aber auch die Regisseure sollen nicht glücklich sein. Eine Quelle des Hollywood Reporter wird mit: „Die ganze ‚Fix it in post‘-Einstellung fühlt sich an, als würde der Regisseur nicht zählen“ zitiert.

Eines der Probleme soll dabei sein, dass Disney während der Pandemie begann, externe Executives hinzuzuziehen, anstatt wie zuvor interne Creatives, die den Marvel-Ansatz verstanden hatten. Das sei auch eines der Probleme mit Secret Invasion gewesen. Kyle Bradstreet (Mr. Robot) hatte die Serie über ein Jahr entwickelt, wurde dann aber durch Autor Brian Tucker und die Regisseure Thomas Bezucha und Ali Selim ersetzt. Soweit, so (relativ) normal, doch während der Präproduktion im Sommer 2022 kam es zu Grabenkämpfen zwischen verschiedenen Faktionen innerhalb des Teams, die alle ihre Vision durchsetzen wollten. Als Resultat schickte Marvel Jonathan Schwartz, ein Senior Executive und Mitglied von Marvels kreativem Steuerungskomittee („The Parliament“), als die Produktion hinter den Zeitplan zurückfiel und einige Schauspieler aufgrund der Verzögerungen auszusteigen drohten. Das Resultat: Anfang September war ein Großteil des Teams ersetzt worden – neue Line Producer, Unit Production Manager und Assistant Directors. Auch Bezucha verließ die Serie, und Marvel Producer Chris Gary wurde abgesetzt.

Aus all diesen Vorfällen will Marvel nun Konsequenzen ziehen: Gaos Mitarbeit an der Postproduction zeigte, wie nützlich es sein kann, eine zentrale kreative Kraft die ganze Serie an Bord zu haben. Deshalb soll es in Zukunft klassische Showrunner geben; dazu kommen TV Executives, die nicht sowohl Kino- als auch Filmprojekte mitdenken müssen, sondern sich auf das TV-Business konzentrieren sollen, da man endgültig erkannt habe, dass beide Arten von Projekten eine andere Herangehensweise brauchen. In Zukunft sollen Showrunner auch Piloten abliefern und Show Bibles schreiben müssen. Der Ansatz, eine Serie zu drehen und erst dann festzustellen, was nicht funktioniert, soll abgelöst werden. Außerdem will man vermehrt auf echte Serien mit mehreren Staffeln (Stichwort Loki) setzen, statt auf Miniserien. Hoffen wir, dass der Plan aufgeht.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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