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Review: Kingdom Come: Deliverance

Magische Mittelalter-Simulation ohne Magie

Mit Kingdom Come: Deliverance hat sich das Team der 2011 gegründete Warhorse Studios für sein Erstlingswerk ein wahres Mammutprojekt ausgesucht. Eine Mittelalter-Simulation ganz ohne Drachen und böse Zauberer mit Weltherrschaftsplänen, dafür aber so viel Realismus wie nur irgend möglich und eine offene Spielwelt, die seiner Vorlage aus dem damaligen 15. Jahrhundert zum Verwechseln ähnlich sieht.

Dass nun gut vier Jahre nach der Anfang 2014 erfolgreich abgeschlossenen Crowdfunding-Kampagne tatsächlich das mit großen Worten Versprochene in fast uneingeschränkter Form vorliegt, hatten wohl viele bezweifelt. Doch hier ist es und strahlt voller guter Ansätze und mit jeder Menge Potential, die Zukunft des Genres maßgeblich zu beeinflussen.

Oioioioi, die Kumanen kommen

Das beginnt schon bei der Story. Statt euch wie in klassischen Fantasy-Spielen euren Charakter selbst gestalten zu lassen, schlüpft ihr in die Haut von Heinrich, dem Sohn eines Schmiedes, der wahrlich nichts Besonderes ist. Als plötzlich ein Heer vor eurem Heimatdorf aufmarschiert und beginnt alles niederzubrennen, könnt ihr nichts tun, außer die Beine in die Hand nehmen und zu versuchen, in die nächste Festung zu fliehen.

Ach, König allein ist auch nicht abendfüllend

Als Zeuge der Ereignisse gelingt es euch so, in Kontakt mit entscheidungsträchtigeren Herrschaften zu treten, wodurch ihr in beschränktem Maße Einfluss auf die Geschehnisse des darauffolgenden Krieges habt. Dennoch wird Kingdom Come: Delieverance nicht müde euch vor Augen zu halten, dass ihr nur ein kleines Rädchen in dem großen, politisch verzahnten Getriebe seiner Welt seid.

Hier seid ihr alle zusammen gleich wertlos

Diese Demut äußert sich auch indem vielseitigen Kampfsystem des Spiels. So wird so mancher unvorsichtige Spieler bereits nach seinem ersten Faustkampf im Straßengraben landen. Gegen einen gut ausgebildeten Schwertkämpfer braucht ihr es als unerfahrener Tölpel gar nicht erst versuchen. Interessanterweise liegt dies jedoch nicht nur daran, dass eurem Charakter einfach die Übung, Ausdauer und Kraft fehlt, um einen der nervenaufreibenden Schwertkämpfe durchzustehen, sondern größtenteils auch an der eigenen Unerfahrenheit und Verwöhntheit durch andere Spiele.

Berg statt roter Viper

So verzichtet der Titel gänzlich auf übertrieben choreografierte Ausweichmanöver und getänzelte Angriffe á la The Witcher und verlangt stattdessen unbarmherziges Aufeinanderdreschen, bei dem ein falsch interpretierter Schlag zu einem schnellen, harten Ende führt. So können ausgeholte Schläge in fünf Richtungen gesetzt und ein schneller Stich in der Mitte ausgeführt oder umgekehrt per eigenem Schwert oder effizienter per Schild abgewehrt werden.

Während ein normaler Block in die richtige Richtung eurem Gegenüber jedoch die Möglichkeit bietet, den Schwung des Abprallens gleich in einen deutlich flotteren Folgeschlag zu verwandeln, könnt ihr den Schlag auch mit gutem Timing ablenken und so kurz Raum für einen Gegenangriff schaffen. Alternativ kann auch ein schneller Seitenschritt gemacht werden, der euch falsch ausgeführt aber nur umso angreifbarer macht.

Ich bin unbesiegbar! Nein, ein armer Irrer!

Eure Gegner verfügen jedoch über dieselben Möglichkeiten und nützen diese auch gnadenlose aus, sollte euer Schlagmuster zu vorhersehbar sein. Als wären diese Mechaniken nicht komplex genug, ist es auch noch essentiell, wo ihr euren Gegner trefft. Sämtliche Rüstungsteile des mehrschichtigen Ausrüstungssystems schützen nur die Stelle, an der sie angelegt sind.

Ein mehrfach getroffener Arm macht das Schwertschwingen zuerst kraftraubender und bald unmöglich. Ein angeschlagenes Bein wiederum schränkt eure Beweglichkeit ein und ein Kopftreffer lässt euren Blick verschwimmen. Zusätzlich ist eure Lebensleiste auch mit eurer Ausdauerleiste gekoppelt und wer viel einstecken musste, kann auch kaum mehr austeilen oder parieren.

Der schwarze Ritter triumphiert immer!

Leider haben sich die Entwickler entschieden, den Brutalitätsgrad des Spiels geradezu unpassend einzuschränken. Sind große Wunden und abgetrennte Gliedmaßen in anderen Spielen reine Effekthascherei, hätten sie hier einen praktischen Nutzen gehabt. Aufgerissene Kleidung, klaffende Wunden oder gar gebrochene Knochen sucht man aber vergebens.

Leider ist schlichtes Rot färben gerade bei dunkleren oder gar roten Ausrüstungsgegenständen aber ein eher mäßig gutes Erkennungsmerkmal für den Verletzungsgrad des Gegenübers. Diese irgendwie unpassend wirkende Entschärfung äußert sich leider auch in den Zwischensequenzen und schränkt nicht selten deren sonst deutlich ernstzunehmende Atmosphäre ein.


Dürfen wir die Hexe ein bisschen anzünden?

Dafür gibt es am sonstigen Detailsgrad des Spiels kaum etwas zu bemeckern. Euer Charakter braucht regelmäßigen Schlaf und Nahrungszufuhr. Wunden heilen nur nach entsprechender Verarztung und ausreichende Ruhe. Ihr werdet nur in genau den Dingen begabter, die ihr auch tatsächlich trainiert und freispielbare Perks kommen geradezu immer mit Vor- und Nachteilen. Eure Waffen werden sichtbar unscharf und müssen dann genau an diesen Stellen am selbst angedrehten Schleifstein neu geschliffen werden.

Wer das eingeschränkte Schnellreise-Feature des Spiels verwendet, läuft faktisch unaufmerksam, blindlings den Weg entlang und dadurch auch immer Gefahr, überfallen zu werden. Gespeichert wird nur automatisch vor wichtigen Ereignissen, nach dem ordentlichen Ausruhen im eigenen Bett oder im Bordell oder per teurem Speicher-Schnaps. Einzig warum es die Entwickler bei all dem Realismus dennoch für nötig befunden haben, „magische“ Alchemie-Gebräue wie beispielweise einen Nachtsicht-Trank in das Spiel einzubauen, bleibt ein wenig unverständlich.


Finster wars, der Mond schien helle…

Umso klarer verständlich ist jedoch die auf Basis der ebenfalls sehr realistisch gehaltenen Städte, Wälder und Wege entstehende Atmosphäre. Dichtes Unterholz wird von malerischen Flüssen durchzogen und zeigt seine natürlichen Trampelpfade nur besonders guten Beobachtern. Nachts wird es so dunkel, dass buchstäblich die Hand vor Augen verschwindet, während Fackeln wiederum nur das direkte Umfeld erhellen und einen im Gegenzug auf Kilometern sichtbar machen. Wer sich deswegen dann lieber an den Silhouetten der Bäume vor dem atemberaubenden Sternenhimmel und mithilfe der sich langsam an die Dunkelheit anpassenden Augen orientieren möchte, dem wird auch diese Möglichkeit geboten.

Lasst uns nicht darüber streiten, wer eventuell wen umgebracht haben könnte!

Die Städte und Dörfer sind weitläufig verstreut und belebt mit geschäftig wirkenden NPCs. Diese sind auch nicht immer an denselben Orten anzutreffen und zeigen euch nachts gerne mal den Vogel, solltet ihr versuchen, sie wegen einer Mission oder einem Handel zu wecken. Händler wiederum stellen ihre Waren real aus und jeder trägt bei sich, was er tatsächlich im Angebot hat. Redegewandtheit kann genauso zum Ziel führen, wie Gewalt oder Einschüchterung, während euch Sünden kaum bis gar nicht verziehen werden und nur komplett zeugenlos ohne Bestrafung vonstatten gehen.

Du wirst kein anderes Ziel mehr haben, als die Suche nach dem heiligen Gral!

In all dieser Freiheit und Möglichkeit zur Selbstentfaltung passt Protagonist Heinrich mit seinen klar definierten Moralvorstellungen und oft geradezu naiven Ansichten leider gar nicht. So bietet das Spiel zwar regelmäßig die Möglichkeit, folgenschwere Entscheidungen zu treffen, die dennoch mehr als häufig vordefinierten Aussagen Heinrichs werden aber vielen Spielern sauer aufstoßen.

Auch ist euer Abenteuer trotz allem überraschend linear gehalten. So steht es euch zwar theoretisch frei, hinzugehen wo ihr wollt, allzu viele Handlungsstränge neben der Haupthandlung können aber nicht gefunden werden. Wer sich als Entdecker in ein Abenteuer á la Skyrim stürzen möchte, wird also meistens außer der malerischen Landschaft nicht sehr viel finden. So wie eben auch die Realität nicht an jeder Ecke eine Banditenhöhle hatte.

Bugs

In meiner Erfahrung lief das Spiel seit dem neuesten Patch sowohl auf dem PC als auch auf der PS4 stabil und ohne Abstürze. Gelegentliche Clipping-Fehler, langsam ladende Texturen und nur durch mehrmaliges springen erklimmbare Treppen waren die schlimmsten Fehler, auf die ich gestoßen bin. Das automatische Speichersystem erschien mir außerdem fair genug um selbst unlösbare Quests oder ähnliche (von anderen Testern dokumentierte) Fehler ohne großen Spielzeitverlust ausgleichen zu können.

Fazit

Wertung: - 8.5

8.5

Kingdom Can Deliver

Dieser Wald, diese Nächte, diese Städte, dieses Kampfsystem, dieses Rüstungssystem, diese Atmosphäre … Kingdom Come Deliverance bietet wirklich sehr viel Anlass, es zu lieben. Leider haben die meisten Negativ-Punkte alle einen Namen und dieser ist Heinrich. So beginnt einem der Hauptprotagonist des Spiels zwar mit der Zeit sympathischer zu werden und die Hauptmission weiß durchaus auch dank ausreichend Abwechslung und einer nicht so überzogen schicksalsträchtigen Geschichte zu gefallen, dennoch fühlen sich beide leider nicht selten an wie Fesseln. Diese wunderschöne, detaillierte Welt, lädt einfach zum Erkunden ein und würde motivieren, selbst darin Fuß zu fassen. Statt, dass ich mir aber einfach als Händler, Schmied, Bandit, Soldat oder einfacher Bauer ein Leben aufbauen darf, bin ich entweder dazu verdammt, ziellos durch eine Welt zu wandern, die einfach keinen Platz für mich zu haben scheint, oder mich Heinrichs Racheplänen und dem damit zusammenhängenden Krieg anzuschließen. Dennoch ist Kingdom Come: Deliverance ein umwerfendes Mittelalter-Spiel voller großartiger Ideen, dem vor allem Spieler, die genug von dem ständig gleichen Open-World Fantasy-Games haben, sehr viel abgewinnen können.

Genre: RPG/Simulation
Entwickler: Warhorse Studios
Erscheint: Erhältlich
Preis: ca. 60 Euro
System: PS4, Xbox One, PC

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