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Review: Marvel Midnight Suns

Wolltet ihr schon immer mit Blade in einem Buchclub sein?

Wenn Hydra mit dämonischen Kräften gemeinsame Sache macht, sind die Marvel Superhelden gefragt! Wir sind mit den Avengers & Co. in die Schlacht gegen die dunklen Mächte gezogen und haben herausgefunden, ob Midnight Suns mehr als nur ein XCOM mit Marvel-Anstrich ist.

Bisher bei den Midnight Suns

Die Welt steht am Abgrund: Der berüchtigten Organisation Hydra ist es durch Doctor Faustus gelungen, Lilith, die Mutter der Dämonen, zu erwecken. Gemeinsam destabilisieren sie das Gefüge der Magie und bedrohen die gesamte Welt. Tony Stark und Doctor Strange fliehen nach einem Angriff auf das Sanctum Sanctorum in die „Abtei“, die in einer Taschendimension Sicherheit verspricht. Diese ist auch die Basis der Midnight Suns – einer anderen Superheldentruppe unter der Führung von Caretaker, Liliths Schwester. Um die Dämonenmutter aufzuhalten, erweckt sie jene Waffe, die sie schon einmal unter mysteriösen Umständen schlagen konnte: Hunter, Liliths Kind. Kann Hunter die bunte Truppe mit zu vielen Interessen zusammenschweißen und die Bedrohung aufhalten?

Wieviel XCOM steckt in meinen Comics?

Schon bei der Ankündigung von Midnight Suns gab es – auch aufgrund der Tatsache, dass an dem Spiel etliche Schlüsselfiguren der jüngeren XCOM-Spiele arbeiteten – Spekulationen, dass es sich bei Midnight Suns um eine Art Comic-Version des bekannten Alien-Abwehrkampfes handeln könnte. Doch ist es tatsächlich so? Die Antwort darauf ist nicht einfach mit einem Ja oder Nein zu beantworten, lässt sich aber wohl auf folgendes herunterbrechen: Ja, Midnight Suns ähnelt XCOM insofern, als das Gameplay in zwei Teile – jenen im Gefecht und jenen außerhalb – zerfällt. Aber nein, im Detail haben diese beiden großen Gameplayelemente dann doch andere Ideen und Schwerpunktsetzungen, sodass sie sich deutlich anders anfühlen. Dadurch wird sich Midnight Suns für XCOM-Veteranen einerseits vertraut anfühlen, ist aber andererseits doch genug eigenständig, um eigene Herausforderungen zu bieten. Und eines sei schon gesagt: Auch wenn es auf dem Papier so wirkt, als würden hier Teile zusammengefügt, die nicht zusammenpassen können, gefällt der Mix dann doch außerordentlich gut.

Deckbuilding-Strategie

Beginnen wir dort, wo die eigentliche Action stattfindet: In den Kampfarenen. Ihr führt normalerweise drei Helden in ein Gefecht, das sich – und hier schon der erste Unterschied zu XCOM – nicht lange mit Schleichen und Deckung aufhält. Ihr steht in den abgeschlossenen Räumlichkeiten euren Gegenspielern unmittelbar gegenüber und seid direkt im Konflikt. Auch die Züge an sich funktionieren anders: Zwar seid zuerst ihr am Zug und dann der Gegner, aber statt euren Charakteren nur eine Aktion und eine Bewegung zuzugestehen, gibt es hier Rundenressourcen für die gesamte Gruppe. Dreh- und Angelpunkt sind dabei die Aktionen, von denen ihr normalerweise drei habt. Mit diesen sind wir wohl beim wichtigsten Unterschied zu XCOM: Eure Aktionen werden von Karten bestimmt, die ihr auf der Hand habt und aus Midnight Suns ein Deckbuilding-System machen. Genau acht Karten dürft ihr pro Charakter auswählen und habt dabei recht bald die Qual der Wahl: Mächtige Angriffe gegen Heilung austauschen? Provoziert ihr lieber den Gegner, habt Kettenattacken oder bufft ihr eure Kartenhand? Die Möglichkeiten sind vielseitig und ihr könnt an eurem eigenen Spielstil basteln.

Die Qual der Wahl

Natürlich gehört etwas Glück dazu, die richtigen Karten in der richtigen Kampfsituation auch auf der Hand zu haben (man kann allerdings zweimal pro Zug eine Karte abwerfen und eine neue nachziehen); aber das macht auch den Reiz und die Strategie aus, eventuell gewisse Karten zurückzuhalten und in besseren Situationen einzusetzen. So können „zurückwerfen“-Angriffe gut gegen leichte Gegner helfen, da man damit Feinde gegeneinander schleudern kann, wodurch beide Schaden nehmen, während „schnelle“ Attacken keine Aktion verbrauchen, wenn das Ziel dadurch K.O. geht. Und dann gibt es da noch Heldenkarten (die auch dazugehörige Heldenpunkte verbrauchen, die man erst durch andere Karten generiert), die mächtige Spezial- oder Comboangriffe der Mavel-Helden auslösen. Ganz ohne Karten könnt ihr auch Fässer zum Explodieren bringen, Kisten werfen und vieles mehr. Gerade in Kämpfen mit vielen Gegnern können diese Kleinigkeiten der Schlüssel zum Erfolg werden. Zu Beginn erfordern diese Möglichkeiten ein wenig Eingewöhnung (und das Movement eine ordentliche Umstellung für XCOM-Veteranen), aber im Laufe der Zeit gewinnt man den Überblick und stellt vor allem eines fest: Diese Gefechte machen auch nach Stunden noch kurzweiligen Spaß, auch wenn sich die Umgebungen etwas zu oft wiederholen (erst nach einer ganzen Weile öffnet sich die Spielwelt, wodurch auch neue Locations ins Spiel kommen) und auch die Missionstypen nicht gerade abwechslungsreich sind. Gastauftritte von bekannten Marvel-Gegenspielern wie Venom oder Crossbones, die oft unerwartet die Gegner verstärken, sorgen aber für zusätzliche Spannung. Allerdings braucht ihr nicht befürchten, dass diese Begegnungen einen wichtigen Helden für immer ausschalten: Permadeath ist nicht Teil des Spiels; schlimmer als ein K.O (je nach Schwierigkeitsgrad könnt ihr Helden begrenzt oft per Karte wiederbeleben) und Verletzungen (die ihr besser heilen lassen solltet, da es sonst im nächsten Kampf Abzüge gibt), wird es nicht.

Ein wenig Lagerstimmung

Vor und nach den Einsätzen verbringt ihr eure Zeit in der Abtei. Wenn ihr glaubt, dass dies analog zu XCOM ausschließlich für Forschung und Verbesserung eurer Fähigkeiten da ist (das geht selbstverständlich auch) und ihr vor allem dort seid, um die nächste Mission auszuwählen, habt ihr euch allerdings getäuscht: Ihr werdet hier nämlich mehr Zeit als in Gefechten verbringen. In der Abtei steuert ihr Hunter (dessen Aussehen und Geschlecht ihr übrigens frei wählen könnt) aus der Third Person-Sicht durch das Gebäude und das umliegende Gelände. So interagiert mit der ständig wachsenden Riege an Marvel-Charakteren (neben dem Mainstream bekannten Figuren wie u.a. Blade, Captain Marvel oder Spider-Man finden sich hier auch etwas unbekanntere Figuren wie Nico Minoru oder Magik), was ein wenig Jugendlageratmosphäre aufkommen lässt, da sich rasch Fraktionen unter ihren bilden, alte Rivalitäten erneut zum Tragen kommen und neue Freundschaften geschlossen werden. Und ihr seid mittendrin, da ihr nicht nur mit den Helden plaudern könnt, sondern auch diverse Freizeitaktivtäten auf euch warten. Wolltet ihr schon immer mit Captain America und Blade in einem Buchclub sein, mit Tony Stark Videospiele spielen oder mit Captain Marvel im Pool abhängen? Hier ist eure Gelegenheit. All das verbessert eure Beziehung zu diesen Charakteren (was positive Auswirkungen auf die Zusammenarbeit haben kann), die ihr allerdings durch „falsche“ Antworten in Gesprächen wieder verschlechtern könnt. Zusätzlich bestimmt ihr durch diese Dialoge (und auch die Wahl eurer Skills im Kampf), ob Hunter sich eher der hellen oder dunklen Seite seiner Kräfte zuwendet. Und falls das immer noch nicht genug ist: Vergesst nicht, euch um eure Dämonenhündin Charlie zu kümmern, die euch ebenfalls in spezielle Missionen begleiten wird. Ein paar Streicheleinheiten können hier Wunder bewirken.

Auch Superhelden brauchen Routine

Ihr hört vermutlich schon raus: Midnight Suns bietet euch viele Systeme außerhalb der Kämpfe, die alle ineinander greifen und euch wichtige Vorteile in den Gefechten liefern. Es führt aber leider auch ein wenig dazu, dass man zwischen den Missionen in eine kleine Checkliste verfällt: Vor dem Einsatz in die Schmiede zu Doctor Strange und Iron Man, um neue Forschungen in Auftrag zu geben und neue Karten zu generieren, dann zu Captain Marvel für die Heldenmissionen, im Anschluss zu Blade für eine Trainingseinheit und Verbesserungen eurer Skills durch Fusionieren von Karten; dann rasch ein paar Gespräche oder mit einer Figur abhängen, bevor ihr euch für einen Einsatz entscheidet. Hier habt ihr im Normalfall die Qual der Wahl zwischen Storymissionen, die die Handlung weiterführen, und Nebeneinsätzen, die neue Ressourcen bringen. Wen ihr auf diese Einsätze mitnehmt, bleibt übrigens Großteiles euch überlassen: Abgesehen von einer von der Mission vorgegebenen Figur und der Auflage, dass Hunter bei Storymissionen dabei sein muss, könnt ihr das Team in den meisten Fällen nach euren Vorlieben zusammenstellen. Habt ihr den Einsatz überstanden, könnt ihr mit den Avengers noch ein wenig abhängen und eure Freundschaften vertiefen; die Nacht ist aber auch jener Zeitpunkt, an dem ihr im Auftrag von Agatha Harkness die Umgebung erkundet und nach verborgenen Orten sucht. Gerade in letzteres könnt ihr einiges an Zeit investieren (aber keine Angst, wenn ihr nicht gleich fündig werdet – Agatha beziehungsweise ein Buch in der Bibliothek versorgen euch nach und nach mit Hinweisen); gesamt wäre in der Abtei aber ein wenig Optimierungspotenzial möglich gewesen. Klar macht es Spaß, von Raum zu Raum zu laufen, aber die wirklich regelmäßigen Tasks zu automatisieren oder zumindest per Menü abkürzen zu können, statt immer dieselben Laufwege einzuschlagen, hätte sicherlich geholfen. Eventuell hätte dafür Superlink dienen können, eine Art Social Media-System für Superhelden, in dem ihr zum Teil Fluff-Meldungen samt Kommentaren finden könnt, aber auch Nachrichten von jenen eurer Co-Helden, die gerne mehr Zeit mit euch verbringen würden. Ein witzig zu lesender Zeitvertreib!

Ein Heldenleben

Das Zusammenleben mit den Helden führt uns zu noch einem Punkt, der Midnight Suns gravierend von XCOM unterscheidet: In der Comic-Welt wird deutlich mehr auf Story gesetzt. Klar, es gibt auch jene Missionen, die nur da sind, um euch Ressourcen zu bringen, aber eigentlich arbeitet ihr konstant auf den nächsten Story-Punkt hin, der die Handlung fortführt. Das mag für die Replayability nicht optimal sein, gibt dem Gesamterlebnis zumindest beim ersten Mal deutlich Zug – abgesehen vielleicht vom Anfang, der nach einem explosiven Prolog/Tutorial euch vielleicht ein wenig zu lange mit Erklärungen und Dialogen in der Abtei festhält (wobei viele Dialogoptionen dort auch dazu dienen, dem Spieler eventuell unbekanntere Charaktere näherzubringen). Das zeigt aber auch, dass eure Mitstreiter eben keine Zufallscharaktere sind, die euch nur durch das Gameplay ans Herz wachsen, sondern eben Comic-Figuren mit den dazugehörigen Charakterzügen, den passenden Rivalitäten und natürlich einer ordentlichen Portion One-Linern. Denn bei aller Ernsthaftigkeit der eigentlichen Handlung bleibt der Humor nur selten auf der Strecke – gerade unter Freunden fliegen die Kalauer bisweilen tief (auch wenn sich manche Meldungen im Kampf dann doch zu schnell wiederholen). Aber auch sonst vergisst man nie, dass man Teil eines Comic-Universums ist – das geht sogar so weit, dass das Spiel automatisch Comic-Cover für eure jeweiligen Einsätze generiert. Firaxis beweist hier einmal mehr, dass sie durchaus detailverliebt an ihre Arbeit gegangen sind und auch, wenn die Story im gesamten wohl keinen Preis für die beste Videospiel- (oder Comic-) Handlung gewinnen wird, bleibt doch der gelungene Eindruck eines Marvel-Comics zum Selbstspielen.

Wer hat den Comic gezeichnet?

Verstärkt wird dies auch durch die Präsentation. Ja, natürlich könnten die Umgebungen schöner aussehen, aber die Figuren haben Persönlichkeit (auch wenn für manche sicherlich gewöhnungsbedürftig sein wird, dass sie eben nicht nach den MCU-Schauspielern aussehen). Der Soundtrack verspricht Comic-Epik, auch wenn es Momente gibt, wo man das Gefühl nicht loswird, dass der Komponist gerne die Avengers-Fanfare zitiert hätte, aber das eben nicht durfte. Und auch die Sprecher machen ihren Job gut – gerade im englischen Original gibt es hier sogar ein Widerhören mit Lyrica Okano (die ihre Rolle aus der Runaways–Serie hier erneut aufgreift) – und in einem späteren DLC soll Nolan North erneut als Deadpool zu hören sein. Apropos DLC: Ein Season Pass ist bereits angekündigt, der vier Helden (neben Deadpool auch Venom, Morbius und Storm) samt dazugehörigen Missionen hinzufügen soll. Zusätzlich gibt es noch Skins zu erwerben, die allerdings keine Gameplay-Vorteile bieten. Skins (und Verschönerungen für euer Zimmer in der Abtei) gibt es aber auch für InGame-Währung, die ihr vor allem durch gutes Abschneiden in den Missionen bekommt. Wer seine Helden verschönern will, muss also nicht unbedingt zur Geldbörse greifen.

Fazit

Wertung - 8.5

8.5

Das Superhelden-Spiel des Jahres!

Midnight Suns ist mehr als nur ein XCOM mit Comic-Anstrich – auch wenn es die Alien-Serie als Ideengeber wohl kaum verleugnen kann. Vor allem der Split in zwei eigenständige Gameplayteile, die ineinandergreifen, ist ein klares Giveaway. Aber dennoch schafft das Marvel-Spiel seine Eigenständigkeit: Mit einem „Mehr“ an Story, einem Fokus auf Freundschaft mit den Marvel-Helden, deutlich flotterem Kampfsystem inklusive Deckbuilding-Kniff und einer Menge One-Linern, mit einer frei erkundbaren Abtei und dem Gefühl, zu einer großen Comic-Welt zu gehören. Trotzdem muss es sich dem Vergleich mit XCOM stellen – und ob es diesen gewinnt, liegt vor allem am jeweiligen Spieler. Klar sind die Gefechte in Midnight Suns flotter (und punkten mit Helden-Aktionen) und verlangen vor allem in höheren Schwierigkeitsgraden einiges an Taktik, die allerdings hier deutlich aggressiver sein sollte als in XCOM, wo Deckung oft die oberste Priorität war; dennoch hat XCOM hier wohl als Taktik-Spiel die Nase vorn. Dafür setzt das Comic-Spiel auf deutlich mehr Story inklusive Zwischensequenzen und einer Menge Dialogen, verzichtet dafür aber Großteils auf jenes Storytelling aus der Ufo-Saga, bei der oft das Geschehen und Erlebte im Kopf seine ganz eigene Geschichte kreierte – fast ohne vorgegebene Story-Missionen und Zwischensequenzen. Auch der Fokus innerhalb des Spiels hat sich damit in wenig mehr in Richtung der Interaktion mit den Helden verschoben – gerade zu Beginn wünscht man sich fast, dass die Geschichte etwas knapper erzählt würde und man wieder in den Kampf zurückkehren könnte. Ganz persönlich möchte ich aber sagen: Mir hat Marvel Midnight Suns sehr, sehr viel Spaß gemacht und das „nur noch eine Mission“, das schon XCOM ausgezeichnet hat, kam auch hier nach kurzer Zeit auf. Und damit ist es definitiv mein Superheldenspiel des Jahres.

Genre: Taktik
Entwickler: Firaxis
System: PC, Xbox Series, PS5
Erscheint: 2. Dezember
Preis: ca. 65 Euro

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Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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