HighlightNewsVideogame-ReviewVideogames

Review: Assassin’s Creed Mirage

Gesundgeschrumpft?

Es gehört Mut dazu, eine erfolgreiche Formel abzuändern. Assassin’s Creed wagt diesen Schritt nun bereits zum zweiten Mal: So wurde aus dem Stealth-Spiel, dessen Fokus der gezielte, heimliche Meuchelmord in (für die damalige Zeit) detaillierten, verwinkelten und mit zahlreichen Passanten lebendigen Städten war, ein Action-Spiel mit RPG-Elementen, das mit seiner schieren Größe beeindrucken konnte, aber auch dementsprechend viel Zeitaufwand benötigte, wenn man den Abspann erleben wollte. Mit Assassin’s Creed Mirage wagt Ubisoft gerade noch rechtzeitig zum 15jährigen Jubiläum zumindest kurzzeitig eine Trendwende: Die Abenteuer von Basim erinnern nicht nur vom orientalischen Setting her, sondern auch spielerisch und vor allem in Sachen Spieldauer an die Ursprünge der Reihe. Kann ein Rückschritt der richtige Schritt nach vorne sein? Wir haben uns für euch durch Bagdad gemeuchelt.

Nur ein Prequel-DLC?

Trotz der Rückkehr in die orientalische Welt, die das Flair des ersten Assassin’s Creed-Teils ausmachte, ist Mirage eigentlich ein Prequel zu Assassin’s Creed Valhalla. Immerhin spielt man Basim Ibn Ishaq, der eine wichtige Rolle im Plot des Wikinger-Meuchel-Spiels einnahm, und zeigt seinen Werdegang vom kleinen Straßendieb hin zum Mitglied der Verborgenen. Diese Connection ist kein Zufall, da Mirage ursprünglich als weiterer DLC von Valhalla geplant war, aber dann zu einem eigenständigen, wenn auch deutlich kleineren Spiel umgemodelt wurde, das auch den spielerischen Fokus von der Valhalla-Formel in Richtung der Wurzeln der Reihe verschob. Das bringt – um eine Frage vorwegzunehmen – Mirage in eine interessante Situation: Fans der Reihe, die mit dem neuen Gameplay der Titel ab Origins hadern, denen Odyssey oder Valhalla einfach zu groß waren, könnten hier einen neuen Zugang zur Assassinen-Saga finden; gleichzeitig ist Basim natürlich mit dem Valhalla-Narrativ verknüpft – wer Eivors Geschichte gespielt hat, weiß mehr über den Charakter (und das kann euren Zugang zum aktuellen Spielercharakter deutlich färben), obwohl die Platzierung als Prequel auch Neu- und Quereinsteigern ohne Wikinger-Erfahrungen ermöglicht, die Story zu genießen.

Kompakte Assassinen-Erfahrung

Apropos Story: Damit sind wir schon bei der ersten Rückkehr zu alten Tugenden, denn diese stellt ganz klar das Rückgrat der Spielerfahrung dar. Während die Spielwelt wieder ganz im alten Stil vor allem auf eine Stadt (Bagdad) samt Umfeld beschränkt ist, zieht euch die Geschichte von Plotpunkt zu Plotpunkt, lässt euch neue Orte entdecken und setzt auf flottes Pacing. Das heißt aber nicht, dass ihr alle Freiheiten aufgebt: Zwar ist die Hauptstory grundsätzlich linear mit einem sich verzweigenden Mittelteil, aber es gibt trotzdem genügend Gelegenheiten für das Erkunden der Stadt und die Beschäftigung mit Nebenaufgaben oder -quests. Die komprimierte Spielwelt sorgt dafür, dass es nie weit zu neuen Abenteuern ist, beschränkt aber doch auch die Zeit, die ihr mit dem Titel verbringen werdet – die Story kann in zehn bis 15 Stunden beendet werden, selbst wer alles erledigen will, wird wohl niemals an die Spielzeit von Valhalla herankommen.

Zurück in die Schatten

Es steckt eigentlich schon im Namen: Die Verborgenen, also die Vorläufer der späteren Assassinen, operieren aus dem Hinterhalt, aus den Schatten heraus. Dennoch gaben sich die letzten AC-Teile deutlich actionhafter und drängten das heimliche Schleichen oder Lauern auf die richtige Gelegenheit zunehmend an den Rand. Vor allem Eivor wurde im Laufe der Geschichte zu einer richtigen Kampfmaschine, der selbst eine direkte Konfrontation wenig anhaben konnte. Basim ist hingegen aus anderem Holz geschnitzt: Trotz seiner Ausbildung ist er kein Wunderkämpfer, der sich problemlos einer Übermacht stellen kann – eher im Gegenteil. Ja, mit zwei oder vielleicht auch drei normalen Soldaten wird er auch im offenen Konflikt durchaus fertig, sofern sein Spieler die Grundlagen des Kampfgameplays gemeistert hat; dennoch führt uns das Gameplay zurück in die Schatten, wo Altaïr oder Ezio brillierten. Basim sucht (oft mit Unterstützung seines gefiederten Gefährten Enkidu) die optimale heimliche Route zu seinem Ziel, versteckt sich im hohen Gras oder mitten in Menschenmassen und schlägt blitzschnell zu, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Die Suche nach dem optimalen Zugang, die Beobachtung der Wachen mit der bekannten erhöhten Wahrnehmung der Assassinen – all das bringt bei Veteranen wohlige Erinnerungen an damals zurück und alte Reflexe stellen sich rasch wieder ein (was durchaus auch zu falschen Eingaben führen kann – immerhin ist die Steuerung nicht mehr jene der alten Spiele, sondern orientiert sich an den jüngeren Ausgaben). Es sind Momente wie diese, in denen Assassin’s Creed Mirage an ein überarbeitetes Remake der ersten Assassin’s Creed Ausgaben erinnert – und das ist durchaus als Lob zu verstehen.

Leider zeigen sich dabei aber auch alte Schwächen. So befriedigend es sein kann, gezielt Wachen auszuschalten und sich seinen Weg in ein Verlies zu bahnen, so klar zeigt es auch, dass die KI eurer Gegner nicht unbedingt zu den hellsten gehört, sondern Kontrahenten Vorgänge rund um sie eher ignorieren, wenn sie nicht genau in ihrem Blickfeld passieren. Hier hilft selbst ein höherer Schwierigkeitsgrad nur beschränkt für mehr Herausforderung. Dazu kommt noch ein absoluter Über-Skill, mit dem ihr aus den Schatten heraus mehrere Ziele markieren und dann auf Tastendruck gleich hintereinander meucheln könnt. Zwar lädt sich diese Fähigkeit nur durch erfolgreiche Attacken aus den Schatten heraus auf und kann auch so manche knifflige Situation entschärfen, dennoch wirkt sie fast zu mächtig. Wer mehr Herausforderung bevorzugt, sollte diesen Skill meiden. Worauf ihr allerdings achten solltet: Wer vor Passanten oder auch Wachen Untaten begeht, darf sich nicht wundern, wenn er bald in der ganzen Stadt gesucht wird oder sogar extra starke Gegner Jagd auf euch machen. Wie anno dazumal ist aber auch dagegen ein Kraut gewachsen: Fahndungsplakate können entfernt oder Marktschreier bestochen werden (diesmal allerdings mit speziellen, schwerer zu verdienenden Tokens und nicht mit Geld), was euch rasch wieder unbehelligt durch die Städte spazieren lässt.

Meuchler am Dach

Neben dem Kampf aus den Schatten heraus gab es noch einen zweiten Fokus, der Assassin’s Creed berühmt gemacht hat: Die Parcour-artige Fortbewegung unseres Assassinen über Dächer, Vorsprünge, Seile und Balken. Auch hier gibt es ein deutliches Comeback: Mit dem Fokus auf Bagdad mit engen Gassen und dicht bebautem Gebiet ist die Umgebung eine Spielwiese für kreative Fortbewegung abseits der Straßen. Das hilft natürlich einerseits, den schon erwähnten Wachen zu entkommen, erlaubt aber vor allem auch, heimlich in die diversen Locations vorzudringen, an denen wir eigentlich nicht sein sollten. Auch das fühlt sich erfrischend nach einer Rückkehr zu den Wurzeln an, ist aber erneut nicht fehlerfrei. Wenn wir gekonnt von einem Balken zur Mauer springen wollen, Basim aber entscheidet, dass er eigentlich nach unten und im Worst Case mitten unter die Wachen springen will, kann das durchaus mal für Frustschreie sorgen (und aufgrund des manchmal etwas zu weitläufigen Auto-Save-Systems auch für unangenehm lange neue Anläufe). Weniger spektaktulär (und vor allem weniger fatal) gibt es aber auch allerhand andere Fehlleistungen, zum Beispiel, wenn Basim einen Türrahmen hochspringt, weil das Spiel glaubt, dass wir nicht durch die Tür laufen wollen, sondern die Wand hochspringen (was nicht heißt, dass wir dort Halt finden – das Spiel schränkt ein, wo wir klettern können, was auch das Erklimmen der klassischen Türme ein wenig zum Puzzle macht). All das mag ein bisschen Nostalgie verströmen, weil wir diese Fehler seit den Anfängen kennen, aber mittlerweile könnte das automatische Parcour-Laufen doch ein wenig intelligenter sein.

Detective’s Creed

Mirage ist aber mehr als eine Rückkehr von alten Gameplayelementen. Das Spiel wagt den Spagat, auch einige Ideen aus den neueren Titeln zu übernehmen und weiterzuentwickeln, um dort nachzubessern, wo ältere Titel ihre Schwächen hatten. Wo es zum Beispiel im ersten Assassin’s Creed ausreichte, zwei Nebenmissionen zu erledigen, um das Attentat auf den eigentlichen Gegenspieler des aktuellen Kapitels freizuschalten, ist nun etwas mehr Detektivarbeit gefragt, um Hinweisen nachzugehen, die euch schlussendlich über ein paar Ecken zum eigentlichen Ziel eures Auftrags führen. Zugegebenermaßen ist hier keine Kombinationsgabe erforderlich, da das Spiel einfach eine Checkliste abarbeitet, aber es erzählt gelungen, wie ihr euch an eure Gegner herantastet. Gerade beim abschließenden Attentat kommt dann auch das Black Box-System, das wir aus Assassin’s Creed Unity kennen, zum Einsatz, bei dem ihr euer Vorgehen selbst wählen und zum Beispiel mit Söldnern kooperieren könnt oder mit Händlern zusammenarbeitet, um euer Opfer hervorzulocken. Leider bleibt es hier bei einer sehr vereinfachten Umsetzung des Spielprinzips, das nur sehr beschränkte Optionen bietet. Ähnlich beschränkt gibt sich übrigens auch der Skill-Tree, der nur wenige Optionen in seinen drei Teilbäumen bietet. Das ist aber wohl auch der Spiellänge geschuldet, aber da ihr bis zum Ende alles freischalten könnt, ist die Spezialisierung eher kurzzeitig.

Steckt da noch LastGen drin?

Als ehemaliger DLC von Valhalla basiert Mirage auf derselben Technikgrundlage wie das Wikinger-Adventure. Erwartet euch also keinen großen Technik-Sprung und auch nicht unbedingt grafische NextGen-Qualität, da auch Mirage noch für die alte Konsolengeneration erscheint. Ob es diesen geschuldet ist, dass gerade manche NPCs relativ leere Gesichter haben, die Lippensynchronität leidet und manche Animationen unfreiwillig komisch sind (wir trafen zum Beispiel eine Händlerin, die während wir ihre Waren (legal) durchstöberten, seltsame Tanzbewegungen ausführte), wissen wir nicht. Völlig bugfrei ist das Spiel natürlich auch nicht, aber wir blieben während der Testphase von größeren Problemen verschont. Auch die Framerate blieb (auf unserem Testgerät, einer Series X) meist stabil, auch wenn so mancher Zeitlupeneffekt für kurzzeitige Ruckler sorgte. Die LastGen-Versionen sollen hier allerdings (was wir nicht überprüfen konnten) deutlicher unter Slowdowns leiden, obwohl sie weniger Personen auf den Straßen bieten und die Grafikfeatures natürlich reduziert sind.

Fazit

Wertung - 8

8

Zurück ist auch eine gute Richtung

Wer bis hierher durchgehalten hat, hat vermutlich eines schon herausgelesen: Assassin’s Creed Mirage setzt einen Gegentrend zur Entwicklung im Open World-Genre der letzten Jahre. Statt auf immer mehr Größe zu setzen, dampft es das Spiel drastisch ein. Das Resultat ist ein Titel, den man in wenigen Tagen durchspielen kann Das mag für Fans der letzten Teile enttäuschend sein, zeigt aber auch, welches Potenzial darin steckt, im Open World-Sektor Füllmaterial und Fett zu trimmen und sich auf die Grundlagen zu beschränken. Mirage ist kein Titel, der eure Zeit so lange beansprucht, dass es sich wie eine Lebensaufgabe anfühlt, zum Abschluss zu kommen, sondern es ist – trotz seiner Fehler – ein Spiel, bei dem man am Ende eigentlich gerne mehr hätte. Es wäre wohl vermessen zu erwarten, dass wir hier eine Trendwende sehen und in Zukunft Assassin’s Creed ausschließlich zum kleineren Format von früher zurückkehren wird. Aber Mirage ist eine Erinnerung, warum in einem kleineren Spiel (zum günstigeren Preis) ebenfalls viel Potenzial steckt. Und wer weiß, vielleicht sehen wir in Zukunft immer wieder mal ein kleineres Assassin’s Creed zwischen massiveren Titeln. Nach Mirage, das mir persönlich viel Spaß gemacht hat, würde ich mir das für die Reihe (und teilweise auch die Konkurrenz) durchaus wünschen.

Genre: Action-Adventure
Entwickler: Ubisoft
System: PC, Xbox One, Xbox Series, PlayStation 4, PlayStation 5
Erscheint: erhältlich
Preis: ca. 50 Euro

Jetzt bestellen und SHOCK2 direkt unterstützen!

 

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

Ähnliche Artikel

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"