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Kolumne: Der Mobile-Markt – Alles, nur kein Geld bezahlen

Super Mario Run ist erschienen. Leute sind wütend.

Eine Bewertung von 2,5 Sternen. Für Mario. Nicht, weil das Spiel schlecht ist. Selbst wenn man das Gameplay nicht mag, Qualität kann man Super Mario Run nicht aberkennen. Auch der nervige Onlinezwang ist nicht der Hauptgrund für die negativen Bewertungen. Es ist der Preis. Zehn Euro kostet das Spiel nach drei kostenlosen Leveln.

 

Wer jetzt abwertend den Kopf schüttelt, verkennt die Lage. Zahlungsbereitschaft im weiteren und Videospielkonsum im engeren Sinne sind auf dem Mobile-Markt anders als auf dem traditionellen Videospielmarkt mit seinen 60-Euro-Spielen im Handel. Und genau darum lohnt sich ein Ausflug in die Zahlen* der Mobile-Games-Industrie.

Zahl #1: 8,9
~8,9% aller Android-Apps kosten Geld. Das sind 212.228 von 2.386.912 Apps. Keine 10% aller Apps im größten App Store der Welt kosten auch nur einen Cent. (AppBrain)

Zahl #2: 3
Laut einer Studie aus 2015 benutzt ein US-amerikanischer Smartphone-Nutzer nur drei Apps regelmäßig. Auf Platz 1 ist Facebook. Auf Platz 2 und 3 folgen YouTube und der Facebook Messenger. Natürlich sind alle drei Apps kostenlos. (Fortune)

Zahl #3: 5**
Nur 5% aller Downloads eines kostenlosen Spiels kaufen auch etwas. Mit anderen Worten bezahlen knapp 95% aller Spieler nichts, keinen einzigen Cent. Nur diese 5% generieren sämtliche Erlöse der F2P-Branche. Klingt riskant? Es wird noch viel schlimmer. (Tapjoy)

Zahl #4: 0,5
Von diesen 5% der Downloads generieren 10% der Spieler 70% der Erlöse. Dröseln wir das mal auf.

Wir bieten eine kostenlose App im App Store an. Diese wird 1000 Mal heruntergeladen. Von diesen 1000 Downloads kaufen 950 Spieler nichts. Auch nicht für 79 Cent. Selbst wenn sie es 1000 Stunden spielen und wir Server und Support für sie bezahlen müssen, von ihnen sehen wir keinen einzigen Cent. Bleiben also noch 50 Spieler übrig, die bereit sind, Geld für unser kostenloses Spiel auszugeben. 90% geben nur wenig Geld aus. Diese 45 Spieler generieren mit diesen kleineren Beträgen immerhin 30% unserer Erlöse. Besser als nichts und wichtig. Aber natürlich reicht das nicht.

Die restlichen 70% unserer Erlöse, und damit der größte Batzen, stammen von den restlichen 10% der zahlenden Spielern, also von gerade mal 0,5% aller Downloads. Mit anderen Worten sind gerade mal fünf Spieler dafür verantwortlich, dass wir am Ende des Monats die Miete bezahlen können. Diese Spieler werden in der Branche Wale genannt und geben gerne mal über 300 Euro im Monat für solche Spiele aus. Diese zu fangen und zu halten ist das oberste Ziel jedes F2P-Entwicklers. Wir müssen ihr Spielerlebnis so fantastisch wie möglich gestalten, sie durch ausgetüftelte Psychotricks immer und immer wieder zum Geld ausgeben animieren. Sie sind unsere VIPs und bekommen den besten Service. Sollte auch nur einer dieser fünf Spieler aus irgendeinem Grund aufhören, wird es finanziell eng für uns. Na, wenn das kein beruhigender Gedanke vorm Schlafengehen ist. (Tapjoy)

Zahl #5: 13
Vielleicht könnten uns die nicht zahlenden Spielern doch noch irgendwie Geld bringen. Wie wäre es also mit ein wenig Werbung? Schaue dir diesen kurzen Spot an und du kannst die Wartezeit für das Bauen dieses Hauses überspringen. Dann kaufen die Spieler zwar nichts, dafür werden wir stattdessen von den Werbefirmen bezahlt. 13% aller Spieler verwenden diese Art von Werbung. Werbung ist den Leuten also viel lieber, als Geld ausgeben zu müssen. (Tapjoy)

Zahl #6: 0,55
Ein Spiel im App Store kostet durchschnittlich nur $0,55. (Statista)

Zahl #7: 69,7
69,7% der deutschen App-Nutzer wollen gar kein Geld ausgeben, sei es auch nur eine einzige Zahlung zum Freischalten der kompletten App. Je teurer eine Einmalzahlung ist, desto weniger zahlungsbereit sind die Nutzer. Leuchtet ein, aber der Preis spielt generell eine untergeordnete Rolle. Nur 8,7% sind dazu bereit, zwei oder mehr Euro für eine App auszugeben. Bei einem Preis von 79 Cent sind es immerhin 15,1%. Zudem nimmt die Zahlungsbereitschaft für höhere Preise mit der Zeit auch noch ab, was auch nicht überrascht. Immer mehr Apps sind kostenlos. Konsumenten passen ihre Erwartungen entsprechend ihren Erfahrungen an. (Statista)

*Weder Apple noch Google veröffentlichen ihre eigenen Daten. Diese Zahlen stammen von mehreren Unternehmen, die sich auf Daten des Mobile-Marktes spezialisieren. Diese unterscheiden sich in der Regel voneinander, gehen aber alle in dieselbe Richtung.

**Andere Unternehmen beziffern diese Zahl gerade mal auf 2,2%.

Zusammengefasst:

  • Konsumenten von Mobile-Games sind es nicht gewohnt, für Apps oder Spiele bezahlen zu müssen
  • Die wichtigsten Apps und Services sind umsonst
  • Nur sehr wenige Spieler kaufen auch etwas in F2P-Spielen, noch viel weniger Spieler machen den Großteil der Erlöse aus
  • Spieler dulden lieber Werbung, als auch nur einen Cent für ein Spiel auszugeben
  • Die Zahlungsbereitschaft für Apps geht zurück, Konsumenten passen ihre Erwartungen an ihre Erfahrungen an

Und dann verlangt Nintendo also 10 Euro für Super Mario Run. Ob etwas 10 Euro wert ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Ob 10 Euro viel Geld ist, hängt immer vom Kontext ab. Viele sind dazu bereit, weit mehr als 10 Euro wöchentlich für Kaffee auszugeben, für einen Kinobesuch oder Donuts. Für den App Store sind 10 Euro aber viel Geld, knapp das Zwanzigfache des Durchschnittspreises für Spiele. Auf den traditionellen Videospielmarkt umgemünzt wäre das ein Preis von 1200 Euro für ein Spiel. Natürlich sind 10 nicht gleich 1200 Euro, aber das ist nicht der Punkt. Als die Entwickler des hochgepriesenen Spiels Monument Valley eine Erweiterung für 2 Dollar verkaufen wollten, prasselten die negativen Reaktionen auf das kleine Entwicklerstudio ein. Viele Spieler verschlechterten sogar ihre ursprünglich positive Rezension im App Store. Wegen 2 Dollar. Die Mobile-Games-Kundschaft möchte einfach kein Geld für Apps bezahlen. Das ist der Punkt.

Die Branche hat sich dementsprechend angepasst. Sorgte Real Racing 3 mit dem Wechsel von Premium auf F2P im Jahr 2013 noch für hitzige Diskussionen, ist die Debatte 2016 vorbei. Der Markt hat sich für F2P entschieden. Für Werbung, für Energiebalken, für “Best Value” 99-Euro-Kisten mit 1000 Juwelen. Manche rümpfen hier vielleicht die Nase und spielen einfach nichts auf dem Handy oder Tablet, die Mehrheit hat damit aber keine Probleme. Alles, nur kein Geld ausgeben.

Das passt natürlich so gar nicht in Nintendos Identität. Nintendo steht für Qualität, für sichere Kinderunterhaltung und für Preisstabilität. Wenn auf der Verpackung Mario steht, kann man sicher sein, dass Qualität drin steckt. Das ist das Geld wert. So sieht es Nintendo zumindest und möchte dieses Prinzip auch auf Mobile beibehalten. Um dieses Selbstbild zu beschützen, bricht Nintendo mit sämtlichen Konventionen und stellt die neue Kundschaft vor die Wahl:

Ihr wollt also Mario spielen? Hier bitte, kauft eine Switch mit dem Spiel für 300 Euro. Euch sind 300 Euro zu teuer aber ihr wollt trotzdem Mario spielen? Hier bitte, kauft Super Mario Run für 10 Euro auf dem iPhone. Euch sind 10 Euro zu teuer? Dann spielt was anderes.

Damit gewinnt man keinen Beliebtheitswettbewerb.
Ergebnis: 2,5 Sterne

Seit dem Launch hat Super Mario Run Rekorde gebrochen und ist in vielen Regionen die erfolgreichste App. 10 Euro geben die Allerwenigsten für ein iOS-Spiel aus, diese Top-Platzierung überrascht also nicht. Das erste Fazit nach wenigen Tagen lautet: Genug Leute kaufen Super Mario Run, auch wenn viele anscheinend wütend sind. Den aktuellen Zahlen nach ~4% von 10 Mio. Downloads, was einem Erlös von 4 Millionen Dollar entspricht. Ein guter Einstieg in den Mobile-Markt. Aber es sind halt nur 10 Euro, die auch der größte Mario-Fan ausgeben kann. Wale kann Nintendo mit Super Mario Run nicht fangen und damit dürfte der Titel früher oder später wieder aus den Charts verschwinden. Den Investoren gefällt das natürlich wenig, also fiel der Aktienkurs erwartungsgemäß. Nintendo setzt jedoch auf Synergieeffekte und hofft, ähnlich wie schon bei Pokémon GO und Pokémon Sonne & Mond, eine neue Kundschaft aktivieren zu können. Vielleicht entwickelt sich Super Mario Run zu einem Evergreen-Titel, der immer wieder in den Top-Charts auftaucht. Man könnte mit einer neuen 15-Euro-iTunes-Karte sicherlich Schlechteres kaufen.

Es ist also das erste richtige Nintendo-Spiel für Mobile erschienen. Das Gameplay ist perfekt für die Hardware angepasst. Die gewählte Preisstrategie ist je nach Auge des Betrachters mutige Rebellion gegen den Status quo oder naive Überheblichkeit. Vielleicht auch beides. Kein anderes Unternehmen würde für ein Spiel 10 Euro verlangen. Nintendo hat sich dazu entschlossen, einen eigenen Weg zu gehen. Wieder einmal. (kf)

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