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Review: Wonderland Nights: White Rabbit’s Diary

Zu spät! Zu spät!

Lewis Carrolls Alice im Wunderland gehört nicht nur zu den großen Klassikern der Weltliteratur, sondern es hat auch schon eine Vielzahl an Videospielen inspiriert. Zu diesen Titeln gesellt sich nun mit Wonderland Nights: White Rabbit’s Diary ein durchaus politisches Sequel im Visual Novel-Stil voller Intrigen – und einem armen, überforderten weißen Kaninchen, das mitten drin gefangen ist. Wir haben dem ohnehin ständig seinen Terminen nachlaufenden Langohr geholfen.

Ein Gipfeltreffen mit Sprengkraft

Die Geschichte des Spiels ist rasch erzählt: Wir schreiben die Zeit nach den Besuchen von Alice im Wunderland. Jedes Jahr treffen sich die vier Herrscher der fantastischen Welt – alle benannt nach den bekannten Kartenfarben von Herz bis Pik –, um über die politische Zukunft des Landes abzustimmen. Auch dieses Jahr versammeln sich zwölf Würdenträger – die Könige, Königinnen und „Buben“ – dieser Begriff ist aber durchaus dehnbar zu verstehen, da sich hier auch weibliche Mitglieder des Königshauses finden – im Herzkönigreich, um vier Tage lang wichtige Entscheidungen zu treffen. Und ihr, das weiße Kaninchen, habt die Aufgabe, dieses Treffen zu organisieren. Klingt stressig, ist es auch (für das Kaninchen), aber eigentlich ist es spielerisch simpel. Ihr seid nämlich für das Entertainmentprogramm zuständig und teilt Tag für Tag ein, welche zwei Persönlichkeiten an welchem Event – vom Cricket-Turnier bis zur Teeparty – teilnehmen. Das hat drei Auswirkungen: Erstens findet nicht jede Persönlichkeit jede Tätigkeit gleich attraktiv – und die Herzkönigin hätte gerne ein möglichst perfektes Programm; zweitens führen die aus dem Zusammentreffen resultierenden Gespräche dazu, dass so mancher seine Meinung zu den Abstimmungen ändert (und auch hier hat die Herzkönigin klare Wünsche, welche Resultate zu erzielen sind); und drittens ergeben sich in den richtigen Konstellationen auch ganz neue Entwicklungen: Animositäten und Affären werden ebenso aufgedeckt wie richtig dunkle Geheimnisse. Hier verbirgt sich Sprengkraft, die die Geschichte von Wunderland verändern kann …

Ein ewiger Kreis

Das Problem dabei? Zu Beginn habt ihr – auch aufgrund der mangelnden Vorbereitung des Kaninchens – keine Ahnung, was die Gipfelteilnehmer bewegt. Bis auf einige grundlegende Infos im Intro sind sie unbeschriebene Blätter. Zum Glück hilft euch die Grinsekatze mit einem magischen Notizbuch, das gefundene Erkenntnisse aufzeichnet. Mag die Herzkönigin Cricket oder doch lieber Tennis? Wie ist ihr Verhältnis zum Kreuz-König? Das könnt ihr – sofern ihr die entsprechende Information schon gehört habt – in diesem Buch herausfinden. Darüber hinaus werden hier auch noch Hinweise notiert, die auf gewisse längerfristige Kombinationen von Charakteren hinauslaufen, um die gewünschten Resultate zu erzielen. Manche Dinge brauchen einfach Zeit und die richtige Vorarbeit. Der Clou an der Geschichte ist, dass das Buch sich die Inhalte merkt, selbst wenn ihr das Spiel von vorne startet, sodass ihr beim nächsten Durchlauf (um alle möglichen Enden zu sehen, braucht selbst der Entwickler 16 Anläufe!) mit dem nötigen Vorwissen an die Sache herangehen könnt. Das klingt jetzt aber schlimmer, als es ist: Ein Durchlauf durch das Spiel ist – je nach Tempo bei den Entscheidungen – in einer halben Stunde oder weniger zu bewältigen, was auch daran liegt, dass die Dialoge (die Texte im Spiel sind auch auf deutsch verfügbar) recht kurz und knapp gehalten sind – im positiven Sinne. Weniger positiv: Zwar gibt es eine (englische) Vollvertonung, aber diese schwankt qualitativ zwischen „akzeptabel“ und „im Badezimmer eingesprochen“.

Kann mir jemand das Buch halten, während ich plane?

Die schon erwähnten Entscheidungen, wer mit wem was unternimmt, sind übrigens das einzig „echte“ Gameplayelement im Spiel, das ansonsten nur aus dem Belauschen von Dialogen besteht. Zu Beginn des Tages habt ihr hier zwei Möglichkeiten, eure Kombinationen aus Gesprächspartnern zusammenzustellen. Ein rein textbasiertes Auswahlmenü, bei dem ihr für die aktuelle Tätigkeit einfach die Partner zusammenstellt, scheint auf den ersten Blick die einfachere Lösung zu sein, besser für die Planung (und auch optisch ansprechender) ist allerdings die zweitere Variante, bei der ihr zunächst alle Personen an den passenden Locations platziert und dann alle Gespräche nacheinander auslöst. Dafür, dass es bei der Planung sehr darauf ankommt, was ihr über die Personen herausgefunden habt, ist es bei beiden Modi leider etwas zu umständlich, zum Notizbuch zu wechseln. Das ist zwar (zumindest im zweiteren Modus) eigentlich nur einen Tastendruck auf das passende Portrait entfernt, trotzdem haben wir uns des Öfteren hier einen Splitscreen gewünscht, um die Informationen während der Platzierung offen halten zu können. Hier wäre ein etwas durchdachteres User-Interface wünschenswert gewesen, um gerade diesen zentralen Gameplaymechanismus zugänglicher zu gestalten. So griffen wir beim Test öfter auf unsere Papier-Notizen als auf das In-Game-Buch zu – und das ist wohl nicht der Sinn der Sache, oder?

Fazit

Wertung - 7

7

gute Idee, aber Raum für Verbes-serungen

Die Idee, eine Visual Novel in der Welt von Alice im Wunderland zu machen, ist nicht weltbewegend, aber die Umsetzung in Wonderland Nights ist durchaus gelungen. Zwar fühlt man sich zuerst als weißes Kaninchen viel zu uninformiert, aber das ist im Nachhinein betrachtet durchaus „by design“ und bessert sich im Laufe der diversen Durchläufe. Es dauert nämlich gar nicht so lange, sich für die Personen und deren Geschichten und Geheimnisse zu interessieren und „nur noch einmal“ in die Story abzutauchen, um endlich herauszufinden, was sich hinter den diversen Konstellationen verbirgt – und die durchaus hilfreichen Hinweise sind da sehr nützlich. Ob es Motivationstechnisch dafür reicht, wirklich alle Geheimnisse aufzudecken, ist allerdings fraglich: Gerade das zentrale Gameplayelement, die Zuteilung der Paare zu den Aktivitäten, hätte runder und informativer designed werden können, und selbst wenn die diversen Auswirkungen eurer Taten in den Dialogen interessant sind, bleibt das eigentliche Gameplay irgendwie zu simpel. Für Freunde von Visual Novels, Lewis Carrolls Wunderland und sogar Deduktionsspielen ist Wonderland Nights allerdings (auch aufgrund des niedrigen Preises) dennoch zu empfehlen.

Genre: Visual Novel
Entwickler: Sky Bear Games
System: Switch, Xbox One, Xbox Series, PS4/PS5, PC
Erscheint: erhältlich
Preis: ca. 7 Euro

 

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".
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