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Review: Another Code – Recollection

Haben legendäre Puzzles den Weg auf die Switch gefunden?

Mit Another Code: Doppelte Erinnerung gelang CING (u.a. Hotel Dusk: Room 215) 2005 ein Spiel, das vielleicht nicht die besten Wertungen einheimste, aber aufgrund seiner Ideen ein Geheimtipp wurde: Das Adventure spielte mit den einzigartigen Möglichkeiten des Nintendo DS und zwang den Spieler, ab und an völlig neu über Interaktion mit einem Spiel nachzudenken. 2009 folgte mit Another Code R: Die Suche nach der verborgenen Erinnerung ein Sequel für die Wii, das ebenfalls mit der neuen Hardware spielte und sich im Laufe der Zeit einen Ruf als Titel aufbaute, der weit unter seinem Wert geschlagen wurde. Nun erscheinen beide Spiele als Remake für die Switch unter dem Namen Another Code: Recollection. Wir sind in die Erinnerung abgetaucht. Aber hält diese auch, was sie verspricht?

Das Spiel mit der Vergangenheit – Teil 1

In Another Code: Doppelte Erinnerung spielt ihr Ashley Mizuki Robbins, die von ihrer Tante aufgezogen wurde, nachdem ihre Eltern verschwanden und für tot erklärt wurden. Doch nun, am Vortag ihres 14. Geburtstags, reist sie auf die verlassene Blood Edward Insel, um ihren Vater Richard zu treffen. Im Gepäck hat sie ein mysteriöses Gerät namens DAS (das im Remake nicht mehr wie ein Nintendo DS, sondern wie eine Switch aussieht), nur von ihr bedient werden kann und von Richard gesandt wurde. Doch auf der Insel läuft bald alles schief: Richard steht nicht zur Begrüßung bereit, bald darauf ist auch Jessica verschwunden und Ashley muss allein herausfinden, was es mit der Insel auf sich hat. Das heißt, nicht ganz allein: Bald schließt sich ihr der Geist eines Jungen namens D an, der sein Gedächtnis verloren hat. Können sie gemeinsam herausfinden, warum Richard verschwunden ist, was mit Ashleys Mutter passiert ist, warum D sich an nichts mehr erinnern kann und was das Geheimnis der Insel ist?

Hardware-Wechsel

Wie schon erwähnt, war Another Code: Doppelte Erinnerung zwar sicher nicht das perfekte Spiel, aber eine starke Demonstration dessen, was auf dem Nintendo DS in Sachen Innovation möglich war. Dementsprechend war unsere größte Frage bei diesem Review, ob und wie es bei einem Remake gelingen würde, die Einzigartigkeit des Spiels trotz völlig anderer Hardwaremöglichkeiten zu behalten beziehungsweise mit welchen neuen Ideen Another Code auf der Switch punkten können würde. Hier scheinen die Entwickler die Flucht nach vorne angetreten zu haben, indem sie das wohl größte Alleinstellungsmerkmal des Titels entfernt haben: Innovative Puzzles, die die Hardwarefähigkeiten der Switch ähnlich wie damals jene des DS nutzen (wir erinnern einfach an das Stempelkissen-Rätsel oder die Glastür – wer diese Aufgaben gelöst hat, erinnert sich vermutlich bis heute daran), werdet ihr hier kaum finden. Gerademal die Gyroskope werden – selten, aber doch – eingesetzt.

Re-Fokus

Mehr noch: Man hat die Gelegenheit genutzt, um dem Titel einen deutlich anderen Fokus zu geben. Die Puzzledichte hat deutlich abgenommen und Rätsel wurden umdesigned, aber auch Laufwege wurden drastisch zusammengekürzt und die Erkundung der Blood Edward-Insel und des darauf befindlichen Herrenhauses dadurch deutlich flüssiger gemacht. Vor allem jene, die die optionale Anzeige des nächsten Ziels einschalten, brauchen eigentlich nur dem Pfeil folgen und sich nicht lang mit dem Suchen der nächsten Aufgabe oder des kommenden Plotpunkts aufhalten. Meistens führt euch dieses System sogar von den Puzzles zu den nötigen Hinweisen. Allerdings gibt es hier Aussetzer, bei denen ihr dann doch in der Umgebung suchen müsst – was zugegebenermaßen etwas verwirrend sein kann, wenn man sich zu sehr an das System gewöhnt hat und eigentlich erwartet, dass das Spiel uns darauf hinweist, dass wir hier nicht weiterkommen, bevor wir uns etwas anderes angesehen haben. Doch auch diese Rätsel stellen uns nicht vor unmögliche Aufgaben – die meisten lassen sich wirklich im Vorbeigehen lösen (ein optionales mehrstufiges Hint-System hilft auch hier in Notfällen weiter).

Wo ist mein Adventure hin?

Weniger Innovation, weniger Rätsel und selbst die entschärft – was bleibt dann noch über, fragt ihr? Ein starker Story-Fokus. Die Geschichte von Ashley und D, ihre Erinnerungslücken, die Geschichte der Insel und der früher dort lebenden Familie ebenso wie das Schicksal von Ashleys Eltern rücken so sehr in den Mittelpunkt, dass Another Code nun eher an eine Mischung aus Visual Novel und einer Art 3rd-Person-Walking Simulator mit nicht zu schweren Rätseln erinnert. Denn ja, auch die Bewegung von Ashley hat sich radikal geändert: Statt wie auf dem DS die Umgebung aus der Top-Down-Perspektive zu zeigen und auf dem zweiten Screen passende Standbilder zu präsentieren, steuert ihr nun Ashley auf (natürlich) nur noch einem Bildschirm in einer 3D-Ansicht frei durch Landschaften und Gebäude. Ja, gerade in letzteren ist die Kamera nicht immer so kooperativ, wie wir uns das wünschen würden (und für die Übersicht bisweilen auch einfach zu nahe an Ashley dran), und die Grafik zeigt sich in den Außenbereichen mit rasch wiederholenden Texturen und eingeschränktem Detailgrad selbst für Switch-Verhältnisse nicht gerade von der prachtvollen Seite, aber im Vergleich (wir haben extra unsere DS-Version nochmal herausgekramt) fühlt sich das Ergebnis einfach moderner an. Zu „moderner“ gehört auch die Sprachausgabe, die auf Englisch oder Japanisch verfügbar ist (die Bildschirmtexte gibt es auch auf Deutsch); nein, es ist nicht das gesamte Spiel vertont, aber eine Vielzahl an Dialogen wurde vollständig aufgenommen, andere werden zumindest mit kurzen Wortfetzen untermalt. Das gibt den Visual-Novel-Aspekten eine neue Tiefe und überrascht uns manchmal damit, dass einzelne Story-Abschnitte durchaus emotional bei uns ankommen.

Das Spiel mit der Vergangenheit – Teil 2

Bislang haben wir uns auf den ersten Titel der Reihe konzentriert – und tatsächlich könnte man beim Starten des Spiels denken, dass auch nur der erste Teil enthalten ist: Anders als ihr es vielleicht erwartet, könnt ihr Another Code R: Die Suche nach der verborgenen Erinnerung nicht einfach im Startmenü auswählen und separat starten, denn die beiden Titel wurden nun zu einem Spielerlebnis zusammengepappt – habt ihr den Abspann von Doppelte Erinnerung gesehen, geht es unmittelbar mit dem Intro des Sequels weiter. Diese Entscheidung ist einerseits logisch, weil das Sequel vom ersten Moment an die Handlung des ersten Teils spoilert (weshalb wir auch nicht näher auf die Abenteuer der im zweiten Spiel sechzehnjährigen Ashley rund um Lake Juliet eingehen wollen) und hilft vielleicht auch bei der Kritik an der nicht gerade üppigen Länge der Titel (durch die Vereinfachung der Spiele braucht man nun für beide Spiele zusammen zwischen 10 und 20 Stunden, je nach Lesetempo und ausgewählten Hilfesystemen), ist aber vielleicht für all jene enttäuschend, die aufgrund ihrer Vorkenntnisse oder Präferenzen gleich mit Another Code R beginnen wollen. Dazu kommt, dass das unmittelbare Aneinanderfügen der beiden Titel sich einerseits so anfühlt, als würde man einfach nur ein neues Kapitel beginnen (auch wenn es dazwischen einen Abspann gibt), die Geschichte aber gleichzeitig einen großen Sprung in der Handlung und Entwicklung der Protagonisten macht, den wir erst verdauen müssen. Auch der Tonfall des Abenteuers und sogar das Puzzledesign sind anders. Ein bisschen mehr Abgrenzung – und sei es nur durch das Drücken eines Buttons, dass wir jetzt ein neues Abenteuer starten – hätte hier vielleicht gutgetan. Aber das ist ein minimaler Kritikpunkt.

Ist das ein Roman?

Wie schon gesagt wollen wir bei Teil zwei lieber nichts von der Handlung erzählen. Springen wir deshalb gleich zur Tatsache, dass auch hier gehörig am Spiel rumgefeilt wurde und Laufwege und Puzzles entrümpelt sowie die Bewegung durch die Spielwelt angepasst wurden (wodurch sich nun beide Spiele in einem Guss präsentieren). Auch hier gab es dadurch eine Verschiebung des Gameplay-Fokus. Allerdings sei erwähnt, dass uns bei R: Die Suche nach der Verborgenen Erinnerung die Entwicklung zur Visual Novel mit Laufwegen deutlich passender vorkommt. Immerhin fühlte sich schon das Original deutlich textlastiger an, außerdem passt es zum größeren Personeninventar, mit denen wir Gespräche führen, und der deutlich weitläufigeren Landschaft. Ja, gerade das zweite Spiel leidet manchmal ein wenig am Pacing, sodass spannende Momente zwischen langwierigen Dialogen und gewöhnlichen Aufgaben versteckt wurden, aber gerade dadurch lernt man die Figuren gut kennen und umso emotionaler werden manchmal gerade die kleinen Momente. Und um diese, zwischen Fremden, Freunden und Familie, geht es in diesem Spiel einfach, auch wenn die Story bisweilen mit Technologie und Übersinnlichem etwas anderes vorgaukeln will.

Fazit

Wertung - 7.5

7.5

Refokusiertes Remaster

Man kann Another Code: Recollection viel vorwerfen, aber eines sicher nicht: Den Titel „Remake“ hat es definitiv verdient. Wenn man nicht sogar so weit gehen will, und es als „Neuinterpretation“ bezeichnet. Die Unterschiede im Präsentations-, Gameplay- und Puzzlebereich sind gravierend, wobei man je nach persönlichen Vorlieben die ersten beiden Punkte eher als Gewinn titulieren würde, während zweiteres sicher umstritten ist. Ich selbst konnte mich an die Geschichte von Doppelte Erinnerung nicht mehr genau erinnern, aber die Puzzles waren einfach legendär und werden von mir bis heute zitiert – sie jetzt deutlich abzuwandeln oder sogar zu streichen hat also eigentlich genau das entfernt, was für mich diese Spiele so außergewöhnlich gemacht hat. Was mich überrascht hat, war, was diese Änderung bewirkte: Die Geschichte, vor allem im zweiten Teil, mag etwas langwierig und langsam erzählt sein, hat mich dann aber doch in so manchem Moment sehr berührt. Deshalb ziehe ich hier mein Fazit: Another Code: Recollection ist kein Ersatz für die Vorlagen. Aber es ist ein Ansatz, die Geschichte von Ashley auf neue Art und Weise zu erleben, der deutlich zeitgemäßer ist, als die jetzt doch schon in die Jahre gekommenen Originale. Wer Sympathien für ein vom Schicksal gebeuteltes Teenager-Mädchen entwickeln kann, wer gerne berührende Geschichten erlebt und kein Problem mit (relativ einfachen) Puzzles hat, macht definitiv nichts falsch. Wer allerdings erleben will, warum Another Code bis heute aufgrund seiner Rätsel Kultstatus bei manchen Gamern hat, kommt an den Originalen nicht vorbei.

Genre: Adventure
Entwickler: Arc System Works (Remake)/CING (Original)
System: Switch
Erscheint: 19. Januar 2024
Preis: ca. 60 Euro

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Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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