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Review: Games – auf den Spuren der Flüchtenden aus Afghanistan

Das Thema „Flucht und Asyl“ ist, nicht zuletzt seit dem Jahr 2015 sowie nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, allgegenwärtig. In den Medien richten sich Politiker*innen gegenseitig aus, wie flüchtende Menschen möglichst effektiv aus dem eigenen Land ferngehalten oder schleunigst wieder von hier abgeschoben werden können. Wohin? Es scheint als wäre das den meisten egal. Hauptsache, sie sind nicht mehr hier. Diese „Fremden“ werden hingegen selten gehört. Kaum dürfen sie medial als Individuum in Erscheinung treten und von ihrem Schicksal und den lebensgefährlichen Strapazen berichten, die sie auf der Suche nach einem sicheren und glücklicheren Leben auf sich genommen haben. Sie werden hingegen als einheitliche, bedrohliche Masse skizziert.

Der Schweizer Illustrator Patrick Oberholzer möchte dem bewusst entgegentreten und veröffentlichte vor einigen Wochen im Splitter Verlag den Sachcomic Games – auf den Spuren der Flüchtenden aus Afghanistan, in dem fünf geflüchtete Personen aus Afghanistan „ihre“ Geschichte erzählen dürfen.

Fünf Schicksale, ein Ziel: Europa

Zu Beginn wird ein geschichtlicher Abriss über den Afghanistan-Konflikt von der britischen Grenzziehung des Landes 1919 über 9/11 bis hin zur Taliban-Rückeroberung des Landes nach dem Rückzug der US-amerikanischen Truppen 2021 gegeben. Anschließend werden fünf unterschiedliche reale Biografien vorgestellt: Hamid, Muhammed, Ziya, Afsaneh und Nima. Vor allem die Geschichte der jungen Afsaneh bewegte uns beim Lesen des Comics zutiefst. Diese wurde mit 14 Jahren mit einem erwachsenen Mann zwangsverheiratet, daraufhin von ihrer Familie getrennt und in den Iran gebracht. Als sie schwanger wurde, konnte sie ihren Mann schließlich davon überzeugen, mit ihr nach Europa zu fliehen.

„Games“

Aber auch die anderen vier Geschichten sind mitreißend und vermitteln eindrucksvoll, welche Gefahren und Anstrengungen Menschen auf der Flucht ausgesetzt sind. Dies beginnt allein schon damit, dass diese sehr teuer ist. Eine Flucht mittels Schlepper (legale Fluchtrouten gibt es bekanntlich nicht) nach Europa kostet zwischen 4.000 und 6.000 US-Dollar. Zum Vergleich: Das Jahresbruttoeinkommen in Afghanistan beträgt zwischen 300-500 US-Dollar. Dies führt dazu, dass häufig nur eine Person aus der Familie die Flucht antreten „darf“. Die zuweilen sehr jungen Personen werden daraufhin von ihrer Familie getrennt und in die Obhut dutzender Schlepper übergeben – ohne die Gewissheit, dass sie die eigene Familie je wieder sehen werden. Anschließend beginnt die gefährliche Reise über Land oder über’s Meer. Misshandlungen und Vergewaltigungen durch die Schlepper sind hierbei nicht unüblich. Ebenso wie das Gefühl von Hunger und Durst. An der Grenze des Iran und der Türkei setzen Grenzwachen zudem Schusswaffen gegen unbewaffnete Flüchtlinge ein, um diese fernzuhalten. Haben die Flüchtenden den Weg an die europäische Grenze schließlich geschafft und überlebt, beginnen die sogenannten „Games“. So werden die zahlreichen Versuche genannt, über die Grenze nach Europa zu kommen. Viele brauchen zwanzig bis vierzig solcher Games, ehe sie es schaffen – wenn sie es überhaupt schaffen.

Fazit

Games ist kein Superhelden-Comic für zwischendurch. Nein, vielmehr stellt er einen Versuch dar, die beschwerliche und lebensbedrohliche Flucht aus Afghanistan nach Europa illustriert zu erklären und den Betroffenen eine Stimme, welche ihnen (in der medialen Berichterstattung) allzu oft verwehrt wird, zu geben. Hierfür benötigen Leser*innen Zeit und Aufmerksamkeit. Sie werden dafür mit fünf interessanten und emotional aufwühlenden Einzelschicksalen „belohnt“, welche repräsentativ für so viele Menschen stehen und diverse, einfach dahergeredete Stammtisch-Parolen zu dem Thema Flucht und Asyl rasch entzaubern.

Infos:

Autor und Zeichner: Patrick Oberholzer
Verlag: Splitter Verlag
Seiten: 96 Seiten
Preis: ca. 22 Euro

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