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Review: The Witness

The Witness mag auf den ersten Blick wie eine banale Ansammlung von Linienrätseln auf einer hübschen, im Endeffekt aber zwecklosen Insel erscheinen. Man kann sich die Frage nicht verkneifen, warum es überhaupt auf Konsole und PC erscheint und knapp 40 Euro kostet. Irgendwie sieht es doch wie ein Handyspiel aus. 600 Puzzles für iOS/Android, 5 Euro, fertig.

The Witness ist so viel mehr als das.

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Durch eine unscheinbare Röhre betritt der namenlose Hauptcharakter die Insel. Keine Erklärung, kein “Hier lang bitte”-Schild, keine Handlung. Durch natürliche Neugier trifft man nach wenigen Schritten auf Monitore. Warum die da stehen? Keine Ahnung. Wer sie aufgestellt hat? Keine Ahnung. Schnell verfliegen diese Fragen und der Blick wandert auf den Bildschirm. Ein Labyrinth, dessen Ein- und Ausgang durch eine Linie verbunden werden muss, wobei sich die Linie nicht selbst berühren darf. Umgehend wandern die Gedanken an die Labyrinthrätsel der Micky Maus-Hefte der Vergangenheit, in denen man nicht selten einfach am Ausgang ansetzte und sich bis zum Eingang durchzeichnete. So genial dieser Trick damals schien, hier für diesen Monitor ist er wertlos. Entweder das Rätsel wird richtig gelöst, oder es passiert nichts. Auch nach fünf Stunden, 1000 Fehlversuchen passiert nichts. Erbarmungslos ertönt der “Du bist zu doof”-Ton, den man zuerst ganz witzig findet, später hasst und schlussendlich resignierend akzeptiert.

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Die Rätsel selbst sind bekannt, überraschend, einfach, schwer, motivierend, frustrierend, simpel und kompliziert. Viel mehr kann man auch nicht sagen, ohne auf die Lösungswege einzugehen. Und falls das noch nicht klar sein sollte: Bloß keine Lösungen im Internet nachschauen, such wenn man zwei Stunden an einem Rätsel hängen sollte, genau das ist der Punkt des Spiels. Darum existiert dieses Spiel und darum spielt man es auch. The Witness ist auch einer dieser Selbsttests, den man in der Schule ablegen musste, um zu sehen, welcher Beruf zu einem passen könnte. So stellt das Spiel immer wieder die gleiche Frage: “Na, kann du das hier lösen? Wie leicht oder schwer fällt dir das?”. Und da jeder Mensch eigene Stärken und Schwächen hat, ist The Witness auch ein wunderbares Spiel für Paare oder Gruppen, die gemeinsam auf der Couch tüfteln und so Stärken und Schwächen der Mitspieler ausgleichen. Ehe man sich versieht, entbrennen hitzige Diskussionen, Zeichnungen werden getätigt und plötzlich sind drei Stunden vergangen. Vielleicht konnte man 30 Rätsel zusammen lösen, vielleicht auch keines.

Es hat vielleicht eine Stunde gebraucht und ich begriff, was The Witness so besonders macht.

The Witness ist wie Mathe.

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Damals im Schulunterricht barg die Mathematik das Potential für die beste Motivation und den größten Frust in sich. Beispiel Differentialrechnung. Es beginnt alles ganz einfach. Was ist eine Steigung, wie kann ich sie ablesen? Nächster Schritt: Ableiten. Wie leite ich x^2 ab? Nächster Schritt: Kettenregel. Wann benötige ich sie und wie setze ich sie ein? So wird ein ursprünglich simples Problem Schritt für Schritt komplizierter. So erlernt man das nötige Werkzeug, um die schwersten Gleichungen zu lösen. Ohne dieses Werkzeug kommt man nicht weit.

Dieses Prinzip setzt die offene Spielwelt The Witness gnadenlos um. So kann es durchaus passieren, dass man als Schüler der Klasse 7 plötzlich vor einer Statistik-Vorlesung an der Uni steht. Natürlich versteht man da nichts. Natürlich ist es da vollkommen aussichtslos, an die Lösung zu kommen. Und trotzdem steht man eine halbe Stunde da und versucht es. Denn man möchte nicht umdrehen. Man möchte nicht einsehen, dass es zwecklos ist. Man möchte sich nicht dumm fühlen.

Am Ende dreht man sich aber doch um, findet im Wald neue Rätsel und freut sich darüber, wie schlau man doch ist.

Ein Spiel wie The Witness erscheint nicht oft. Jahrelang arbeitete der Entwickler Jonathan Blow mit seinem Team und offenbart ein Teil seiner Psyche mit diesem Werk. Gleichzeitig fragt er den Spieler: “Was für ein Charakter bist du?”. Ob man die Konsole oder den PC alle 20 Minuten frustriert ausschaltet oder ganz entspannt die Tatsache akzeptiert, dass man dieses eine Rätsel eben jetzt gerade nicht lösen kann, das wird das Spielen von The Witness zeigen. Das liegt an den tollen Rätseln. Das liegt auch an der Einfachheit der Rätsel. Eingang, Ausgang, Linie durch, fertig. In anderen Spielen soll man irgendwelche Kisten verschieben oder über Abgründe springen. All das ignoriert The Witness und kombiniert diese Trockenheit der Rätsel mit der Farbenpracht der mysteriösen Insel, deren Geheimnisse vielleicht erst in ein paar Jahren gelüftet werden.

Review Overview

Wertung - 8

8

Mal hasst man es, mal raubt es einem den Schlaf. Genau darum sollte man The Witness unbedingt gespielt haben. (kf)

Genre: Puzzlespiel
System: PS4, PC
Entwickler: Thekla, Inc.
Erscheint: erhältlich
Preis: ca. 40 Euro

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