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Review: Anthem

BioWer?

Anthem sollte EA’s Antwort auf Destiny und The Division werden. Bungie und Ubisoft hatten mit diesen beiden Titeln vor fünf beziehungsweise drei Jahren ein neues Genre geboren: den Loot Shooter. Da kann es sich EA, einer der größten Videospielpublisher der Welt natürlich nicht nehmen, selbst in den Ring zu steigen. Und dann auch noch mit BioWare, das legendäre Rollenspiel-Studio, als Entwicklerteam. Was kann da schon schiefgehen? Vieles.

Hymne der Verwirrung

Die Welt in Anthem ist unvollständig. Die Erschaffer haben sie nicht fertiggestellt und so wüten gefährliche Stürme und feindselige Kreaturen über sie. Um zu überleben, hat sich die Menschheit in Städten zurückgezogen. Nur eine Gruppe traut sich, die Mauern dieser Festungen zu verlassen: die Freelancer.Freelancer tragen Anzüge, sogenannte Javelins, wenn sie sich auf ihre Missionen begeben. Ständig mit ihnen verbunden sind die sogenannten Cypher. Das sind Menschen, die eine besondere Begabung haben und die Hymne (Anthem auf Englisch) der Kreation, die Urenergie dieser Welt, hören können. Doch sollten sie zu lange dieser Hymne ausgesetzt sein, könnten sie dem Wahnsinn verfallen.Denn die Hymne der Kreation lässt sich nicht kontrollieren. Sagen zumindest die einen. Die Dominion stattdessen glauben fest daran, diese unvorstellbare Energie kontrollieren zu können und so die Macht über die Welt an sich zu reißen.So ungefähr funktioniert die Welt von Anthem. Leider ist der Einstieg in dieser Welt sehr abrupt und die Entwickler gehen einfach davon aus, dass man entweder alles sofort begreift oder sich die ganzen optionalen Codex-Einträge durchliest, die überall in der Stadt herumliegen.Wer sich an Mass Effects eleganten Einstieg in das faszinierende Universum zurückerinnert, wird hier auf ganzer Linie enttäuscht. Lange Zeit passiert nicht viel in der Geschichte. Man bekommt nicht wirklich das Gefühl, eine große Rolle in dieser Welt zu spielen. Und was die Charaktere angeht, kommt keiner an den charmanten Cast aus Mass Effect heran.Vielleicht ist der Vergleich mit Mass Effect etwas unfair. Immerhin ist Anthem “nur” ein Loot Shooter und kein “normales” RPG. Hier geht es hauptsächlich um Loot, daher spielt man manche Missionen gerne auch mehrmals. Trotzdem, BioWare- oder Mass Effect-Fans möchten Anthem sicherlich eher eine Chance als Destiny geben. Diese Hoffnung ist aber fehl am Platze. Ob nun BioWare auf der Spielepackung steht oder nicht, es macht leider keinen großen Unterschied.

Wo ist der Loot?

“Macht ja nix”, kann man jetzt ja vielleicht sagen. “Ist halt ein Loot Shooter. Also wie gut ist der Loot?” Der ist erschreckend langweilig. Die Waffen sehen allesamt fast identisch aus, das Aufsammeln von Loot ist unnötig kompliziert und man kann seine Ausrüstung nicht während einer Mission wechseln.Man stelle sich mal ein Diablo vor, bei dem man nicht “on-the-fly” den neuen Loot anlegen kann, den man gerade gesammelt hat. Anthem macht die Sache noch einen Tacken schlimmer, indem es erst am Ende der Mission zeigt, was für Loot man denn überhaupt aufgesammelt hat. Das nimmt dem “Loot”-Teil eines Loot Shooters komplett den Wind aus den Segeln und lässt einen wundern, ob EA/BioWare Destiny und oder The Division überhaupt gespielt haben.Ein zweischneidiges Schwert sind die Anzüge selbst. Bei ihnen lassen sich zwar nach Belieben Farben und Materialien für die einzelnen Komponenten anpassen, allerdings gibt es aus diesem Grund auch kaum Loot fürs Aussehen. Stattdessen muss man sich mit Ressourcen fürs Crafting zufriedengeben oder man bezahlt echtes Geld für besonders coole Muster. Selbst diesen Aspekt hat Mass Effect besser hinbekommen.Wer Destiny gespielt hat, kennt dieses Gefühl der Euphorie, wenn man urplötzlich eine besonders seltene Waffe gefunden hat. Dieses Gefühl kommt bei Anthem anfangs überhaupt nicht auf, da die Seltenheitsstufen des Loots mit dem eigenen Spielerlevel skalieren. Somit bekommt man später zwar eher besseren Loot, überraschende Momente der Euphorie bleiben aber leider aus.

Kombos fürs Papier

Vielleicht ist es schon aufgefallen, dass in diesem Test zu Anthem das Wort Destiny oft fällt. Destiny war zum Launch auch eher eine Enttäuschung. Es gab aber eine Sache, die das Spiel am Leben hielt: das Schießen. Also selbst wenn die Story dünn und die Inhalte zu wenig sind, macht das Schießen immer noch Spaß. Anthem kann dies leider nicht von sich behaupten.Vielen Waffen und Gegnern fehlt es an Feedback, sie sind sich zu ähnlich und die zusätzlichen Fähigkeiten machen das kaum besser. Das Schießen ist Mittel zum Zweck, um eine Mission zu beenden. Am Ende der Mission erhält man dann enttäuschenden Loot und der Kreis geht von vorne los. Man bekommt auch nicht das Gefühl, dass sich etwas großartig verändert nach einigen Stunden.Dabei haben die Entwickler sogar an ein System gedacht, um das Problem zu umgehen: Kombos. Zuerst einen Gegner einfrieren, dann mit einer Schrotflinte erledigen. Das macht durchaus Spaß, ist aber selbst auf der höchsten Schwierigkeitsstufe nicht notwendig, da das Spiel schlicht zu einfach ist. Vielleicht werden genaue Kombos mit einem zukünftigen Update (Raids sollen kommen) Pflicht. Vielleicht vielleicht vielleicht…

Vier Javelins zur Auswahl

In Anthem gibt es vier “Klassen” zur Auswahl. Der Ranger ist die Allround-Klasse, mit dem man auch das Tutorial bestreitet. Der Colossos ist fürs Grobe gemacht und kann viel Schaden einstecken und austeilen. Der Storm ist quasi die Magier-Klasse und sorgt für Element-Angriffe, um Kombos auszulösen. Der Interceptor hingegen ist der schnellste Javelin und besonders im Nahkampf effektiv.Im Verlaufe des Spiels schaltet man alle vier Javelins frei. Leider spielen sich die vier Anzüge zu ähnlich, um wirklich einen großen Unterschied zu machen. Gekoppelt mit dem zu niedrigen Schwierigkeitsgrad ist es daher eigentlich ziemlich egal, welchen Javelin man nun verwendet. Viel wichtiger hingegen ist die Auswahl der Waffen, die man in eine Mission mitnimmt. Und da man die Waffen nicht während einer Mission wechseln kann… tja.Auch hier könnten zukünftige ultraharte Raids die genau Abstimmung der ier Anzügr aufeinander fordern. Vielleicht sind für manche Raids vier “Magier” vorteilhaft, währende andere Gruppen lieber mit vier wuchtigen Colossi spielen. Zu Zeiten des Launches ist das aber alles nur Wunschdenken.

Endlich ein gutes Iron Man-Spiel

Der absolut beste Aspekt an Anthem ist das Tragegefühl der Anzüge. Man kann förmlich spüren, wie schwer diese Wunderwerke der Technik sind. Wenn man von weit oben herab auf den Boden kracht, hört und sieht man ein zufriedenstellendes “WUMMS”.Dieses gute Gefühl überträgt sich auch auf die Fortbewegung. Beim Sprint gehen Turbinen im Anzug an und man bekommt das Gefühl, einen hochmodernen Panzer zu steuern. Das Highlight des Spiels ist das Fliegen. Im Gegensatz zu Destiny oder The Division ist die Welt von Anthem sehr vertikal aufgebaut und lässt sich mit einem simplen Tastendruck aus der Luft heraus erkundigen. Auch der Sturzflug ins Wasser ist möglich, um Unterwasser-Sektionen zu erkunden. Wer sich schon immer wie Iron Man fühlen wollte, ist hier genau richtig.Allerdings kann man nicht ewig lang fliegen und auch das Schießen während des Fliegens funktioniert nicht. Man kann zwar in der Luft schweben bleiben und dann schießen, das ist aber gerade bei späteren Missionen unvorteilhaft. Da sollten hochmoderne Roboteranzüge auch lieber nach klassischer Deckung auf dem Boden suchen.

Licht und Schatten bei der Technik

Anthem ist ein schönes Spiel und läuft überraschend gut auf einer PS4 (nicht Pro). Weniger schön sind aber die Ladezeiten. Davon gibt es schlicht zu viele und sie dauern zu lange. Manchmal führen die Missionen in abgeschlossene Gebiete (Dungeons), aber zuerst muss geladen werden. Nach jeder Mission soll man zur Stadt zurückkehren. Hier erwarten einen neue Missionen und kurze Plaudereien mit den Charakteren. Auch hier muss geladen werden. Ihr wollt eure Ausrüstung oder euer Aussehen verändern? Auch hier gibt s Ladezeiten.Frei von Bugs ist Anthem leider auch nicht. Während meiner Spielzeit stürzte es einmal komplett ab, ein anderes Mal verschwanden plötzlich die Soundeffekte aus einer (durchaus schönen) Zwischensequenz. Man merkt, dass Anthem noch unfertig ist. Auch der 10GB große Patch, der wenige Tage nach dem Day-1-Patch erschien, zeugt davon.

Fazit

Wertung - 6.5

6.5

Anthem will viel, erreicht aber wenig. Es soll ein neues Universum etablieren, bietet aber keine interessante Handlung und größtenteils langweilige Charaktere. Es trägt den Namen BioWare, spannende Entscheidungen und eine inspirierende neue Welt sucht man hier aber vergebens. Es soll EA’s Antwort auf das junge Genre Loot Shooter sein, setzt den Loot dabei aber fast komplett in den Sand.

Anthem sieht hübsch aus. Die Welt ist mit ihrem vertikalen Design erfrischend anders und zu viert übers Internet kann man durchaus Spaß machen. Das lässt sich aber über so ziemlich jedes Spiel sagen. Das haben wir damals schon über Destiny 1 und The Division gesagt, die beide mit massiven Problemen erschienen und ihre Fehler über Jahre und viele Patches erst berichtigen konnten.

Vielleicht schafft Anthem das ja auch. Vielleicht ist es in einem oder zwei Jahren ein Must-Have. Vielleicht erscheinen bald schon Updates für den Loot, für die Ladezeiten, für die Raids. Das ist aber alles nur vielleicht. Wie auch immer die Zukunft von Anthem und BioWare aussieht, zum Launch ist Anthem eine unausgegorene Mischung aus einzelnen Elementen, die irgendwie nicht ineinandergreifen wollen oder können. Wer seine Zeit in einen Loot Shooter investieren möchte, ist mit Destiny 2 oder dem (bald erscheinenden) The Division 2 besser beraten.

Genre: Shooter
Entwickler: Bioware
System: PS4, Xbox One, PC
Erscheint: erhältlich
Preis: ca.  60 Euro

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