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Game-Review: GTA V

Ich habe es geschafft. Nach einem Gaming-Marathon der Sonderklasse lege ich mein Pad nieder, atme ein paar Mal tief durch und tausche den Controller in meiner Hand gegen die Tastatur aus; versuche, meine Gedanken in lesbare Form zu bringen.

Die Eindrücke, die in den letzten Stunden auf mich eingestürmt sind, haben beinahe sämtliche Verbindungen zur Außenwelt gekappt und mich mit einem Universum verschmelzen lassen, das an Umfang wohl mit das größte ist, was uns in Videospielen bisher geboten wurde. Aber genug des Einstiegsgeschwafels: Auf den nächsten Seiten sollt ihr erfahren, warum GTA V ein beinahe perfektes Spiel ist, das nur knapp an der ultimativen Höchstwertung vorbeischießt. Schießen. GTA. Ihr versteht?

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Welcome to Los Santos
„Alles hätte so gut werden können.” Ein berühmter Satz unter Bankräubern, gerne auch noch verbunden mit einem „Wenn”. Und auch der Start von GTA V schlägt in diese Kerbe, denn entgegen der Erwartungen zeigt er uns eine Bank in einem verschneiten Kaff im Norden der USA. In dieser Bank: Die drei Bankräuber Michael, Trevor und Brad sind mitten in einem Job und streifen gerade die Beute ein, als jemand den Alarm auslöst. Von hier an geht es mit der vorher ruhigen Situation schnell bergab: Sicherheitsleute beseitigen, aus der Bank flüchten, Cops zurückschlagen … Nach einigen Minuten ist klar, dass das nicht gut ausgehen kann – und so kommt es natürlich auch. Einige kurze Cutscenes später, die ich an dieser Stelle nicht vorwegnehmen will, haben wir einen Zeitsprung von neun Jahren hinter uns gebracht und finden Michael bei seinem Psychotherapeuten wieder. Deprimiert und desillusioniert schüttet der im Zeugenschutzprogramm des FIB untergekommene Ex-Bankräuber dem Doktor sein Herz aus. Doch nicht mal der will Michael ordentlich zuhören, weswegen sich dieser nach der Sitzung geknickt an den Strand von Los Santos verzieht. Dort läuft er zwei jungen Geldeintreibern über den Weg, die nicht abbezahlte Autos für einen windigen Autohändler„zurückholen”. Einer der beiden ist Franklin, Hauptcharakter Nr. 2 in diesem Spiel, der andere sein Freund Lamar. Und auch, wenn die beiden Eintreiber Michael nur nach dem Weg fragen, merkt man als Spieler, dass hier soeben eine wichtige Begegnung stattgefunden hat.

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Das GTA-Gefühl
Kurz darauf geht auch schon das los, was man gern als das reine GTA-Gefühlbeschreibt: Missionen annehmen, Autos stehlen, Autos fahren, in Schießereien geraten, die Welt als einen unglaublich großen Sandkasten erleben. Im Vergleich zu GTA IVwurde hier noch einmal kräftig an allen Stellschrauben gedreht, die Rockstar nur so bieten konnte. Das beginnt schon bei der Landschaftsauswahl: Statt wie im  Vorgänger nur eine große Stadt in drei Teilbereichen zu bieten, hat man sich für den neuesten Serienteil von GTA San Andreas inspirieren lassen, was die Abwechslung der Landschaft angeht. So könnt ihr nun die unterschiedlichen Regionen von Los Santos erkunden (Innenstadt, Vororte, Strandgegenden, Luxus-Bereiche), und wenn euch die Stadt zu eng wird, dann bleibt noch das komplette Hinterland zum Erkunden. Abgesehen von ewig langen Highways sind dort die sandigen Areale von Sandy Beaches zu finden, komplett bevölkert mit leicht hinterwäldlerisch angehauchten Rednecks, Drogenküchen und anderen feinen Dingen, die das Leben lebenswert machen. Malerische Seen, verwinkelte Berge und reißende Flüsse runden das Gesamtbild ab, das auf ungefähr 49 Quadratmeilen (126 Quadratkilometer im verständlichen Zahlensystem) alle Voraussetzungen für so ziemlich jede Aktivität bietet, die man sich in einer digitalen Welt nur vorstellen kann. Ihr wollt Fallschirmspringen von einer Staumauer? Jagen im dichten Wald? Quad-Rennen über Sand-Dünen bestreiten? Oder einfach nur auf einen Berg klettern und dort den unfassbar schönen Sonnenaufgang genießen? All das wird euch vom Spiel vor die Füße gelegt. Ihr braucht nur noch zugreifen.

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So schön hier
Der Sonnenaufgang ist ein gutes Stichwort dafür, was euch in Los Santos erwartet, nämlich die schönste Open World auf dieser Konsolengeneration. Was hier an Lichteffekten, Reflexionen, Detaildarstellungen und allgemeiner grafischer Opulenz aufgefahren wird, ist einfach sensationell – und gleichzeitig auch einer der ganz wenigen Kritikpunkte, dem man GTA V ankreiden kann. Denn so schön es auch aussieht, die extreme Weitsicht und der Detailgrad bringen unsere aktuellen Konsolen nun einmal an den Rand ihrer Kapazitäten, was sich gerade bei schnellen Autofahrten unangenehm in Framerate-Einbrüchen und leichtem Tearing bemerkbar macht – ganz konnte man die Fehlerchen des Vorgängers also nicht ablegen. In beinahe allen anderen Punkten hat man dafür riesige Schritte nach vorne gemacht. Vor allem die Autofahrten sind nun im Gegensatz zum in diesem Punkt furchtbaren Vorgänger wieder unterhaltsam und fühlen sich ein wenig an wie das alte Need for Speed: Underground, nur nicht ganz so direkt. Um Bastler zufriedenzustellen, hat man sich ein weiteres System aus Underground ausgeborgt: Bei Los Santos Customs darf man dieses Mal seine Autos nicht nur zufällig umlackieren lassen, sondern kann richtig Geld investieren. Neue Federung, neuer Motor, stärkere Bremsen, fette Felgen? Alles möglich. Mit dem notwendigen Kleingeld wird aus der lahmen Ente ein Supersportwagen. Mit dem kann man dann auch folgerichtig bei illegalen Straßenrennen antreten und wieder Geld hereinholen. Oder soll man ihn doch lieber als Fluchtwagen verwenden?

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The Heist feat. You!
Ein integraler Teil, um den sich immer wieder große Teile der Story drehen, sind die sogenannten Heists, also Raub-Coups, die von langer Hand geplant werden. Von der grundlegenden Idee („Wie wäre es mit der bestbewachten Bank in Gegend?”) bis hin zum Anstoßen auf den gelungenen Raubzug können da schon einmal leicht eineinhalb Stunden vergehen, denn die Vorbereitungen sind meist umfangreich und vertrackt. Ein Beispiel dafür: Um in ein stark gesichertes Gebäude einzudringen, in dem sensible Daten gelagert werden, müssen zuerst einmal die Blaupausen des Hochhauses von einem Architekten gestohlen werden. Danach kann der grundlegende Plan entwickelt werden: Soll man sich als Reinigungspersonal verkleidet nachts ins Gebäude schleichen? Dann müsste man die entsprechenden Verkleidungen besorgen und IDs organisieren. Oder soll es doch der offensive Ansatz werden? Dann muss man sich einen Hubschrauber besorgen und mit dem Fallschirm durch das Dach kommen. Dass es dabei ein wenig wilder zugeht, versteht sich von selbst. Allgemein kann bei jedem Heist zwischen zwei Vorgehensweisen entschieden werden, die sich in den Vorbereitungsmissionen und im Überfallsablauf zum Teil stark unterscheiden. Außerdem sind meistens drei Leute für einen Coup nicht genug, weswegen man auch noch weitere Crew-Mitglieder rekrutieren kann und muss, die je nach Qualifikation dann auch einen entsprechend großen Schnitt von den erbeuteten Reichtümern haben wollen. Eingesetzte Kollegen werden mit absolvierten Überfällen besser (ohne mehr Geld zu verlangen), können aber auch ins Gras beißen. Wählt weise, um eure Crew und die Dollar-Bündel heimzubringen.

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They call me Trinity
Die Heists werden durch ein besonderes Feature noch schmackhafter gemacht, das sich durch das gesamte Spiel zieht: den fliegenden Charakterwechsel. Nach wenigen Spielstunden darf zu fast jeder Zeit zwischen den drei Herren gewechselt und das Spiel aus der jeweiligen Perspektive erlebt werden. Das macht insofern Sinn, als jeder der drei eine Spezialfähigkeit hat, die man für begrenzte Zeit nutzen kann: Michael aktiviert eine Art Max Payne-Bullet Time, Franklin fährt präziser mit dem Auto und Trevor steckt mehr Schaden ein und teilt noch mehr davon aus. Eine interessante Idee, die man im Spiel aber relativ selten zwingend einsetzen muss – meist ist man stark und schnell genug, um sich sämtlicher Gefahren zu erwehren. Wichtiger ist, dass jeder Charakter einen eigenen Bezugsbereich und Freundeskreis hat, denn dadurch erlebt man neben der Haupt-Storyline, die von den dreien halbwegs zielstrebig verfolgt wird, auch noch drei andere Nebenstorys, die sich manchmal überlappen, meist aber radikal unterschiedliche Ansichten aus möglichen Leben in Los Santos zeigen. Während sich Trevor im Crystal Meth-Labor mit der Konkurrenz herumschlagen muss, sehen wir das harte Suburb- und Gangleben aus der Perspektive von Franklin. Michael hingegen versucht sich die Langeweile des Vorruhestands als Filmproduzent zu vetreiben und auch seine Familie versorgt ihn immer wieder mit kleineren und größeren Anliegen. Kurz gesagt: Statt einer einzelnen Story bekommt man drei geboten, zusätzlich noch ergänzt von einer Unzahl an Nebenmissionen und zufälligen Events wie auf der Straße stattfindenden Raubüberfällen, die man optional erledigen kann. Doch auch, wenn manGTA V als reines Story-Spiel verstehen will (wer tut das?), wird man mehr als ausreichend bedient. In meinem Testlauf war ich ungefähr 30 Stunden lang mit der Hauptstory beschäftigt.

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Schreibt hier Tarantino?
Mit Spielen aus dem Hause Rockstar verbindet man meistens zwei Dinge: Starke Charakterdarstellungen und einen guten Soundtrack. Und wie nicht anders zu erwarten, finden sich beide auch in GTA V wieder. Musikmäßig sind da natürlich einerseits die wie immer großartigen Radiosender zu nennen, die eine feine Auswahl beinahe aller Genres bieten. Rock, HipHop, Punk – sie alle haben einen eigenen Sender mit bekannten und weniger bekannten (aber mindestens genauso guten) Perlen der jeweiligen Stilrichtung, und auch ein Talk-Radio mit Laszlo ist wieder am Start. Auffällig ist nur, dass ein Sender mit klassischer Musik diesmal nicht in die Auswahl gekommen ist – wahrscheinlich wegen zu geringer Beliebtheit bei den Spielern. Ganz ehrlich: Das fällt aber auch nicht wirklich auf, denn durch die Straßen von Los Santos fährt es sich am besten mit voll aufgedrehtem Soundsystem und „Still D.R.E.” von Dr. Dre und Snoop Dogg. Stimmung pur. Und weil wir schon bei Stimmung sind: Ähnlich wie bei Quentin Tarantino im Regiebereich merkt man auch bei Dan Houser, dem Chef-Schreiber vonGTA V, stark, dass er sich intensiv mit Filmen beschäftigt. Dementsprechend weiß er, wie er Charaktere wie Michael, Trevor und Franklin glaubhaft aufbauen und entwickeln muss, um den Spieler immer weiter in den Bann zu ziehen. Nebenbei zitiert er die Vorbilder auf Zelluloid auch sehr gekonnt, und somit ist es keine große Überraschung, wenn man sich bei manchen Überfällen plötzlich in einer spielerischen Umsetzung von „Heat” oder „Oceans 11” wähnt. Und auch dem weiter oben erwähnten Tarantino wird mehrfach Tribut gezollt – ein “Mexican Standoff” muss schon sein. Diese Inszenierung wird aber dann an einigen wenigen Stellen fast zu weit getrieben, und um der genaueren Darstellung des Charakters willen gibt es dann auch Szenen mit Trevor, die ich eigentlich nicht spielen wollte – aber musste. Ob das sein muss und wo die eigenen Grenzen dessen liegen, was man in der Haut seines Alter Egos tun will, muss jeder für sich selbst entscheiden.

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Info
ENTWICKLER: Rockstar Games
PUBLISHER: 2K Games
SYSTEM: PS3, Xbox 360

Review Overview

Wertung - 9.5

9.5

Sandbox-Königsklasse!

Ihr merkt es schon am Tonfall dieses Reviews: GTA V hat mich begeistert. Das liegt einerseits daran, dass Rockstar mit diesem Opus wirklich das umfangreichste Ding abgeliefert hat, das man im Bereich der Sandbox Games bisher gesehen hat. Obwohl ich gerade erst sehr viel Zeit in Los Santos verbracht habe (und das auch noch unter Zeitdruck), werde ich wohl bald dorthin zurückkehren und herausfinden, was es noch zu entdecken gibt. Andererseits ist auch die Storyseite der Medaille außergewöhnlich gut und der Ansatz mit den drei Perspektiven wird erzählerisch extrem gut umgesetzt. Die unglaubliche Detailarbeit, die Rockstar in das Spiel fließen hat lassen, ist an jeder Ecke sichtbar – gleichzeitig sind es aber auch Details, die GTA V ganz knapp an der Höchstwertung vorbeischrammen lassen. Und wer wirklich mit der Lupe danach sucht, wird auch noch mehr finden, das ihm persönlich nicht gefällt. Das ist nun mal das Risiko von Sandbox-Games. Nichtsdestotrotz traue ich mich an dieser Stelle eine fast allgemeingültige Empfehlung abgeben: Wer auch nur irgendwie eine geringe Sympathie für Sandbox-Games oder Action-Games hat, sollte dieses Spiel gespielt haben. Wir sehen uns dann in Los Santos. (Alexander Schuh)

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