Review: Ultimate Spider-Man (01) Familienvater
Was genau hat sich geändert, und warum konzentriert sich Marvel diesmal auf einen verheirateten Peter Parker mittleren Alters?
Im September 2000 erschien nicht nur die erste Ausgabe von consol.AT sondern mit Ultimate Spider-Man startetet in der USA ein komplett neues Marvel-Universum (1610). Der erste Run von Ultimate Spider-Man umfasste beeindruckende 160 Ausgaben, wobei der ursprüngliche Zeichner, Mark Bagley, für die ersten 111 Ausgaben blieb und Brian Michael Bendis alle Ausgaben schrieb. Peter Parkers Nachfolger, Miles Morales, ist hier entstanden 2011 in das 616-Universum umgezogen und umfasst nun auch eine Reihe hervorragender Animationsfilme in unserem Universum. Und sogar der ultimative Peter Parker ist nach der Zerstörung des gesamten Universums in Secret Wars (3) (2015) zurückgekehrt.
Doch Vorsicht: Dieses neue ultimative Marvel-Universum (6160) hat nur noch wenig mit dem Original zu tun. Der neue Ultimate Spider-Man ist keine Fortsetzung des alten, sondern ein brandneuer Versuch, Peter Parker und seine Nebenfiguren für ein modernes Publikum neu zu erfinden. Die Zeiten, in denen Spidey ein Teenager war, der die Schule und seine Superheldenkarriere unter einen Hut bringen musste, sind längst vorbei. Ultimate Spider-Man ist eine ernsthafte Abkehr vom traditionellen Spidey-Format.
Achtung Spoiler: Für das Review berichten wir über einige Story-Elemente ausschließlich aus dem ersten Kapitel (von 6) von Ultimate Spider-Man (01) Familienvater
Die unmittelbarste und offensichtlichste Veränderung im neuen Ultimate Spider-Man ist auch eine, von der wir schon wussten, dass sie kommen würde. Während der ursprüngliche Ultimate Spider-Man-Comic im Jahr 2000 dem Beispiel der klassischen Amazing Spider-Man-Comics folgte und sich auf einen Peter Parker im Teenageralter konzentrierte, schlägt der neue Band eine völlig andere Richtung ein.
Diese Version von Peter ist ein glücklich verheirateter Vater von zwei Kindern mittleren Alters mit zurückweichendem Haaransatz. Seine Frau ist niemand anderes als Mary Jane, und seine beiden Kinder heißen Richard und May. Und trotz seines höheren Alters ist dieser Peter noch nicht zu Spider-Man geworden.
Dafür gibt es einen guten Grund. Marvels neue Ultimate-Reihe baut auf dem Fundament der Ultimate Invasion von 2023 auf. In dieser Serie reiste der Maker (eine böse Version von Reed Richards aus dem klassischen Ultimate-Universum) zur Erde 6160 und machte sich daran, das Auftauchen der Helden der Welt systematisch zu verhindern. Er verhinderte, dass Peter als Teenager von der radioaktiven Spinne gebissen wurde. Das Ziel des Makers war es, eine globale Gesellschaft zu schaffen, die er kontrollieren konnte, und eine Zeit lang funktionierte das auch. Aber jetzt, da der Maker außer Gefecht gesetzt ist, haben die Helden der Erde nun eine zweite Chance auf das Leben, das ihnen gestohlen wurde.
Noch bedeutsamer als die Tatsache, dass Peter ein verheirateter Vater von zwei Kindern ist, ist die Tatsache, dass die neue Serie in einer Welt spielt, in der Onkel Ben noch am Leben ist. Da Peter als Teenager nie zu Spidey wurde, hat sich die Abfolge der Ereignisse, die zur Ermordung von Onkel Ben führten, auch nie abgespielt. Peters Adoptivvater ist auch Jahrzehnte später noch am Leben und gesund. Darüber hinaus wird Ben Parker als hochrangiger Redakteur des Daily Bugle gezeigt, der die Zeitung zusammen mit J. Jonah Jameson leitet. JJJ selbst zeigt eine starke väterliche Zuneigung zu Peter, der eine Karriere als Journalist gemacht hat, anstatt sich mit dem Verkauf von Fotos von Spider-Man durchzuschlagen.
In diesem Universum ist Tante May diejenige, die erst kürzlich verstorben ist. Manhattan wurde von einer verheerenden Explosion heimgesucht, als Iron Man (der versucht, den vom Maker verursachten Schaden rückgängig zu machen) vom Rat des Makers angegriffen wurde. Tausende kamen bei der Explosion ums Leben, die in den Medien als ein von Iron Man selbst verursachter Terroranschlag dargestellt wurde. Tante May war unter den Toten, und sowohl Peter als auch Ben nehmen an einer öffentlichen Trauerrede teil, die von keinem Geringeren als dem katholischen Priester Matthew Murdock gehalten wird.
Die Dinge nehmen ihren Lauf…
Eines ist auf Erde 1610 genauso wahr wie in der realen Welt – es ist schwer, ein Journalist der alten Schule in einer Welt zu sein, in der die Wahrheit keine Rolle mehr zu spielen scheint. Ben und JJJ werden an diese Tatsache erinnert, als sie zu einem Treffen mit dem Vorstand des Bugle gerufen werden. Den Verantwortlichen – darunter der reiche Geschäftsmann Wilson Fisk – gefällt es nicht, dass die Zeitung unermüdlich nach der ganzen Geschichte hinter der Explosion in Manhattan sucht. Sie wollen sicherere, lukrativere Geschichten, was beide Männer dazu veranlasst, lieber zu kündigen, als ihre journalistischen Ideale aufzugeben. Ben und JJJ beschließen kurzerhand, ihr eigenes journalistisches Unternehmen zu gründen. Peter hingegen entscheidet sich dafür, beim Bugle zu bleiben, der nun von Robbie Robertson geleitet wird. Für Peter steht seine Familie an erster Stelle, und das bedeutet, dass ein regelmäßiger Gehaltsscheck alles andere übertrifft.
Diese Nebenhandlung spricht die beiden wohl wichtigsten Themen der Serie an. Zum einen hat Peter in jeder Inkarnation des Spider-Man-Mythos immer mit dem Verhältnis zwischen großer Macht und großer Verantwortung gerungen. Aber Verantwortung bedeutet für einen alternden Familienvater und Angestellten etwas ganz anderes, als für einen Teenager mit großen Augen und übermenschlichen Kräften.
Zum anderen scheint das neue Ultimative Universum ganz auf die Bedeutung von Freiheit und Wahrheit in einem von Lügen beherrschten Zeitalter ausgerichtet zu sein. Die Machthaber erzählen eine Geschichte über die Welt und warum sie so ist, wie sie ist, aber die Realität sieht ganz anders aus. Peter hat den sicheren Weg gewählt, indem er beim Bugle geblieben ist, aber was passiert, wenn er die Wahrheit über den Angriff auf New York herausfindet? Setzt er die Sicherheit seiner Familie aufs Spiel, um den Rat des Makers zu entlarven?
Jeder Spider-Man ist nur so gut wie seine Schurken, und die neue Serie verschwendet keine Zeit mit der Einführung des wichtigsten Spidey-Schurken von allen. Der Grüne Kobold gibt sein Debüt nach wenigen Seiten und startet einen Überraschungsangriff auf Fisk, nachdem der Kingpin das Treffen beim Daily Bugle verlassen hat. Diese Version des Grünen Kobolds scheint visuell vom Spider-Man-Film aus dem Jahr 2002 inspiriert zu sein, denn er trägt einen gepanzerten Anzug anstelle des traditionellen Koboldkostüms. Welcher Charakter sich unter der Maske verbirgt, ist zunächst noch nicht bekannt.
Die Sache mit der Spinne
Natürlich wird im ersten Band des neuen Ultimate Spider-Man auch der neue Ursprung von Spidey in diesem Universum gezeigt. Während des gesamten ersten Kapitel (Erste US-Ausgabe) spielt Peter auf etwas an, das ihn in der vergangenen Nacht wachgehalten hat. Außerdem hat er Jahre seines Lebens mit dem Gefühl verbracht, dass sein Leben eigentlich anders sein sollte. Dann sagt er zu MJ: „Ich muss mich ändern.“ Wir erfahren dass Peter ein Paket von Iron Man erhalten hat, das geschickt wurde, bevor Tony Stark in die sichere Zukunft gereist ist. Das Paket enthält Informationen über das Leben, das Peter vor dem Eingreifen des Makers hätte führen sollen, sowie die radioaktive Spinne. Peter begibt sich auf das Dach seines Wohnhauses und befreit die Spinne, wobei er sich selbst beißen lässt.
Für die Zeichnungen ist Marco Checchetto bzw. David Messina verantwortlich und ihre Atworks wirken so wunderbar und vertraut wie Hickmans Story. Vor allem Checchettos Stil ist von einer hoffnungsvollen Aura erfüllt, wobei die hellen Tinten die fotorealistischen Bleistiftzeichnungen noch verstärken. Matthew Wilsons Farben bei der Kolorierung sind perfekt gewählt.
Meinung:
Was für ein frischer und auch gesellschaftspolitisch interessanter Ansatz! Im Gegensatz zu so vielen Versionen der traditionellen Spider-Man-Ursprungsgeschichte ist die Entscheidung, Spidey zu werden, eine, die Peter Parker freiwillig trifft. Er ist sich der potenziellen Konsequenzen bewusst, die es mit sich bringt, ein Superheld zu werden, und macht trotzdem weiter. Auch hier ist er ein Held, der seine Verantwortung für die Welt mit der Notwendigkeit, seine Familie zu schützen, abwägen muss. Mit Ultimate Spider-Man ist Jonathan Hickman ein ganz großer Wurf gelungen, hier erwartet euch ein erwachsener Peter Parker für erwachsen gewordene Leser!
Seiten:Â 164 Seiten
Preis: ab 19 Euro
Zeichner: Marco Checchetto, David Messina
Autor: Jonathan Hickman
Verlag: Marvel/Panini
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