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Spiele, die ich vermisse #25: Die Siedler

Na, gut im neuen Jahr angekommen? Ich definitiv. Zwar hatte ich nicht den Luxus eines schönen langen Winterurlaubs, aber ich hatte wenigstens Gelegenheit, die Dinge, die mich an den sonstigen langen Wochen des Jahres beschäftigen, ein wenig zurückzufahren. Geäußert hat sich das darin, dass ich nicht nur endlich wieder privat einige Titel aus meiner langen Liste an „Spielen, die ich noch durchspielen sollte“ (nein, das wird vermutlich keine eigene Blogserie) durchspielen konnte, sondern auch daran, dass ich wieder ein wenig in den Retro-Bereich gegangen bin und etliche meiner GoG-Käufe endlich installiert und gespielt habe. Hat das etwas mit diesem Blog zu tun? Nein, denn die meiste Zeit hat Theme Hospital gefressen, dem ich mich ja schon einmal gewidmet habe. Das Thema des Blogs entstand eher daraus, dass ich ein wenig darüber nachgedacht habe, welche Spiele ich mir 2013 erhoffen würde – und ein kurzer Check ergab, dass wir im Jahr zwei nach ANNO 2070 eigentlich wieder auf ein neues Siedler hoffen dürfen sollten (ja, die Möglichkeitsform ist heftig…). Und das lässt mich an das Jahr 1993 zurückdenken, jenes Jahr, als Die Siedler in mein Leben traten.


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Wir schreiben eines der letzten guten Jahre der Amiga-Ära. Was man heutzutage eigentlich primär von Konsolen-Fans kennt, nämlich einen Plattform-Streit, ist damals noch auf dem Computer Gang und Gäbe, wenngleich schon ein wenig abflauend. Der C64 ist schon so gut wie Geschichte, der Atari ST begibt sich auf den Weg aus den Kinderzimmern in die Tonstudios (wo er noch eine Weile blieb) und auch die Amigas haben ihren Zenit bereits überschritten. Dennoch gibt es da diesen Glaubenskrieg – die PC-Fraktion schon damals mit „wir haben Geräte, auf denen man nicht nur spielen kann, das rechtfertigt den Preis“, die Heimcomputerszene mit einem Argument, das man heute (und damals eben auch schon) bei den Konsolen hören würde: „Ich hab die schönere Grafik und ich leg einfach ein Spiel ein, das läuft dann auch sofort.“ (Damals stimmte dieses Argument auch noch – meine erste Erfahrung mit DOS ein Jahr später war es, den Speicher zu optimieren und Autoexec.bat und Config.sys umzuschreiben – aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden). Und so wie heute gab es schon damals die Spiele, bei denen die eine Fraktion neidvoll auf die andere blickte. Mir fallen da auf der PC-Seite spontan Titel wie Indiana Jones and the Fate of Atlantis ein (das ja dann sehr spät und verflixt umständlich auf den Amiga geportet wurde). Auf Amiga-Systemen war es unter anderem Die Siedler (auch hier folgte allerdings knapp ein Jahr später ein Port). Und glaubt mir, der Neid war berechtigt.

Dabei war das Prinzip von Die Siedler eigentlich recht simpel. Alles dreht sich um den Aufbau einer Siedlung, die einige grundlegende, aber nicht zu unterschätzende Warenkreisläufe benötigt. Bekannt ist zum Beispiel einer der ersten, den man zum Aufbau einer Siedlung benötigt: Der Holzfäller geht in den Wald und schlägt Bäume. Diese Baumstämme müssen dann ins Sägewerk, wo sie zu Brettern (eines von zwei Rohmaterialien für neue Gebäude) werden. Und noch ein dritter Beruf spielt in diesem Kreislauf mit: Der Förster ist nämlich dafür zuständig, wieder neue Bäume anzupflanzen. Spätere Kreisläufe sind noch komplexer: So baut der Bauer auf freien Feldern rund um seinen Hof Getreide an, das entweder in der Mühle zu Mehl gemahlen oder vom Farmer an seine Schweine verfüttert wird. Die Resultate werden beim Bäcker zu Brot und beim Fleischhauer zu Schinken, was gemeinsam mit den Fischen vom Angler als Nahrung für die Bergleute dient, die nur dann, wenn sie was zu essen haben, auch fleißig abbauen … und wie aus den Erzen dann Gold und Eisen werden, erspare ich euch jetzt.

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Gut, das allein war noch nicht das Besondere. Das Besondere an Die Siedler war vielmehr, dass es nicht allein ausreichte, die Gebäude zu bauen, denn es war einiges an Planung vonnöten, um eine effektive Siedlung hinzubekommen. Der Kniff dabei war, dass die Waren nicht einfach nur Zahlen in einer Statistik waren, sondern sich tatsächlich auf den Weg von Gebäude zu Gebäude machten. Dazu diente ein Wegenetz, das im Laufe des Spiels reichlich kompliziert werden konnte. Ausgehend von einer Fahne (wie sie beispielsweise an der Vorderseite jedes Gebäudes zu finden war) musste man also einen Weg anlegen, der bis zu einer weiteren Fahne führte, die einfach frei im Feld stehen konnte. Auf jedem dieser Teilstücke fand ein Siedler Platz, der eine einzige Aufgabe hatte: Alle Waren, die bei einer seiner Fahnen abgelegt wurden, zur jeweils anderen tragen und dort platzieren, wo sie dann vom nächsten Träger weitertransportiert wurden, und so weiter. Das Tragesystem war dabei durchaus intelligent, denn das Spiel nutzte automatisch jene Verbindung zwischen zwei Orten, die die wenigsten Flaggen umfasste (was man natürlich auch zur Lenkung des Warenstroms einsetzen konnte). Das war auch die wahre Herausforderung jedes Siedler-Spielers: Eine Siedlung zusammenzustellen, bei der die Wege möglichst kurz waren, damit alles schnell dorthin gelangt, wo es hingehört, und gleichzeitig Staus vermeiden, denn wenn alle Waren über eine einzige Route müssen, kommt es rasch zu Staus, da der Träger immer nur eine Sache gleichzeitig tragen kann. Kalkuliert man jetzt noch ein, dass die meisten Verarbeitungsbetriebe mehrere Zulieferer benötigten, damit sie sinnvoll ausgelastet waren, und dass der Platz zu Beginn sehr begrenzt ist (weswegen man gut vorausplanen musste), erschließt sich erst, wie komplex das Spiel hinter seiner wuselnden Fassade war.

Wuselnde Fassade ist ein gutes Stichwort, denn es war in Die Siedler durchaus reizvoll, den kleinen Männchen einfach zuzusehen, wie sie Gebäude erstellen (wofür bei größeren Gebäuden erst automatisch planiert wird, bevor der Baumeister kommt und er aus den hoffentlich rasch eintreffenden Rohstoffen zuerst das Gerüst und schließlich das Gebäude zimmert), Waren verarbeiten oder einfach nur Bretter und andere Items über das ganze Wegenetz schleppen. Erste Erfolge gab es schnell, die Komplexität versteckte sich in den Untermenüs, in denen man genau regeln konnte, mit welcher Priorität Waren transportiert werden oder wie genau begehrte Rohstoffe zwischen den Verarbeitungsbetrieben aufgeteilt werden – wenn man es denn wollte. Gerade am Anfang brauchte man diese Menüs eigentlich gar nicht öffnen, es ging auch so.

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Neben dem Aufbaufaktor spielte das Militär zum Glück nur eine kleine Nebenrolle, obwohl die Ritter eigentlich der Gipfel der Warenkreisläufe waren: Waffen vom Schmied machen schließlich einen Soldaten aus, und nur wer genügend Gold gelagert hat, sorgt auch für die nötige Motivation. Zu Beginn benötigt man die Ritter vor allem zur Expansion – die Grenzen verschieben sich nämlich erst, wenn Wachhütten oder sonstige Stationierungspunkte mit unterschiedlicher Kapazität für Soldaten in Grenznähe besetzt werden, was wiederum mehr Bauplatz bringt – zumindest, solange dieser Posten steht. Wird dieser nämlich abgerissen oder gar erobert, wandern die Grenzen wieder zurück – und alle Gebäude, die nicht mehr in eurem Einflussbereich stehen, werden ein Raub der Flammen. Stichwort erobert: Bis zu vier Parteien gab es auf den diversen Maps, die sich um den Sieg (sprich: der letzte mit einem intakten Schloss zu sein) stritten. Kamt ihr also nahe genug an einen Gegner heran, konntet ihr eure „überschüssigen“ Soldaten zum Angriff auf die diversen Wehrgebäude schicken (einer musste nämlich immer zurückbleiben). Was dann geschah, lief automatisch ab: In fairem Zweikampf trat ein Soldat nach dem anderen gegen einen der gegnerischen Partei an, wobei Gold und Ausbildung die Kampfkraft bestimmten (bei den Verteidigern spielte Gold allerdings keine Rolle). Starben alle Gegner, gehörte das Gebäude euch, ansonsten war der Gegenspieler siegreich. Der Haken daran: Mit jedem eroberten Gebäude wurde eure Personaldecke dünner, da ja immer ein Ritter stationiert bleiben musste. Das Nachproduzieren eurer Truppen dauerte hingegen oft zu lange, was das Erobern bisweilen zum Geduldsspiel machte. Aber das war nur ein kleiner Wermutstropfen.

Entwickelt wurde Die Siedler fast im Alleingang von Volker Wertich (heute bei EA Phenomic), der das Spiel – ja, das war damals noch möglich – vollständig in Assembler schrieb. Für all jene, die sich nicht mit Programmieren auskennen und vielleicht nie von Assembler gehört haben (und keine Angst vor ein wenig Programmiererkauderwelsch haben – alle anderen überspringen diesen Absatz mal): Maschinennäher wird es nicht mehr. Jeder Befehl in Assembler ist genau ein Befehl, den die CPU ausübt – nur, dass sie hier „deskriptivere“ Namen statt einfach nur Bytewerte haben (so deskriptiv Befehle a la mov ah,10h eben werden). Nur zum Vergleich: Hochsprachen (also sowas im Stil von C oder Pascal) sind zwar wesentlich leichter lesbar, dort kann allerdings eine simple Instruktion etliche Maschinenbefehle bedeuten (denkt nur drüber nach, was alleine ein Schleifenbefehl der Art „Variable i ist null. Wiederhole die folgenden Befehle solange, bis i 5 ist. Erhöhe nach jedem Schleifendurchlauf i um 1“ alles an kleinen Schritten benötigt, um einen Befehl, den man in einer Hochsprache in einer Zeile schreibt, durchzuführen). Zwar versucht ein guter Compiler beim Übersetzen in Maschinencode zu optimieren, aber das gelingt ihm selten so gut, wie das ein menschlicher Spezialist kann. Deshalb wurden in den 90ern, als Speicher und Prozessorgeschwindigkeit noch mit kleinen Zahlen beschrieben werden konnten, vor allem kritische Teile von guten Programmierern in Assembler geschrieben, um die volle Kontrolle zu behalten und ein optimal ablaufendes Programm zu bekommen – ein klassisches Beispiel waren die damaligen 3D-Engines.

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Gut, genug Programmiererlatein: Die Siedler wurde also vollständig in Assembler geschrieben, was dem Spiel vor allem eines brachte: eine tolle Performance. Nur als Beispiel: Ein Standard-Amiga 500 hatte 7,09 MHz(!) und 512 Kilobyte(!!) RAM. Und in diese Beschränkungen zimmerte Wertich unzählige, detailverliebte Animationen, die Fähigkeit, 65.536 (übrigens der höchste Wert, den eine 16-Bit-Ganzzahl annehmen kann – und immerhin waren die Amigas 16 Bit-Maschinen) Figuren gleichzeitig darzustellen, (damals) atmosphärische Musik und Soundeffekte abzuspielen und eine große Map – beeindruckend! Spaß machte übrigens auch ein Split-Screen-Multiplayer, der nur einen großen Nachteil hatte – man sah einfach zu genau, was der Gegner tat. Für Abwechslung war aber auch so gesorgt: 30 Kampagnenkarten (allerdings ohne eine Story) und zufallsgenerierte weitere Maps sorgten für ständigen Nachschub.

Meine persönliche Geschichte von Die Siedler begann mit jenem schönen Tag, als mir mein Vater das Spiel mitbrachte – wenn ich mich nicht ganz täusche als Belohnung für eine gute Schularbeit. Ich hatte von dem Spiel zuvor in meinem Standard-Spielemagazin gelesen, wo es gute Noten kassiert hatte – und ich brannte darauf, es auszuprobieren. Die erste Disk des Spiels war allein für das schön animierte Intro da, danach konnte man aber auch gleich und ohne viele Voreinstellungen loslegen. Klar dauerte es ein wenig, bis ich in das Spiel hineinfand, aber mit ein wenig Handbuchstudium waren die Basics rasch klar – bis zur Meisterschaft dauerte es aber natürlich länger. Generell war Die Siedler für die damalige Zeit aber äußerst zugänglich – zwar nicht „wir kauen dir jeden Schritt im Spiel vor, du brauchst das Handbuch nicht“-zugänglich, wie wir das heute erwarten würden, aber immerhin „eigentlich ist das logisch“-zugänglich. Gut, zumindest für mich.

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Dennoch gab es natürlich Fallstricke: Die Werkzeuge (fast jeder Spezialist braucht ein Werkzeug, um seiner Arbeit nachgehen zu können) gingen mir mehr als einmal aus, woraufhin dann das Problem entstand, dass ich keinen Werkzeugbauer mehr ausbilden konnte, da dieser einen Hammer benötigte (den aber auch die Bauarbeiter benötigten), den ich aber eben nicht mehr hatte, weil ich ja keinen Werkzeugbauer hatte. Die langsam nachkommenden Soldaten waren auch für jemanden wie mich, der gerne viele expandierte, ein Problem – vor allem, weil es in diesem Teil noch keinen Zeitraffer gab, der die Zeit bis zum nächsten ausgebildeten Soldaten verkürzt hätte. Dennoch habe ich sicher zwei Drittel der Kampagne absolviert – durchgespielt habe ich die Siedler aber leider nie. Dazu wurde es dann doch irgendwann zu eintönig, denn außer schwereren Gegnern, kniffligeren Gegebenheiten und mehr Feinden gab es keine Entwicklung – auf jeder Map begann man von vorne und musste das Beste aus seiner Situation machen.

Trotzdem: Warum vermisse ich Die Siedler? Weil es unglaublich viel Spaß machte, dem Spiel einfach zuzusehen (tatsächlich konnte man auch einfach bis zu vier Computergegner gegeneinander spielen lassen und einfach nur zusehen). Weil für mich das Optimieren des Wegenetzes und die optimale Platzierung der Gebäude eine der besten Ideen in einem Aufbaustrategie überhaupt war (umso enttäuschter war ich, als die Wege in späteren Teilen wegrationalisiert wurden); weil der Wuselfaktor unglaublich ist; weil mich „Yipii!“ noch zwanzig Jahre später zuerst an vor Freude hüpfende Geologen erinnert, die gerade auf einem Berg Metall entdeckt haben; weil es eines der wenigen Aufbaustrategiespiele ist, die mir nicht langweilig wurden (oder zumindest nicht so rasch). Und vor allem aus einer Tatsache heraus: Die Serie wurde von meinem Standpunkt aus immer schlechter bzw. entfernte sich von dem, was ich an den Titeln liebe. Klar, es gibt Siedler bis heute, aber je mehr ich von Die Siedler 7 sehe (oder auch den Vorgängern), desto mehr wünsche ich mir das alte Gameplay zurück, nicht ein Siedler, das man mit Gewalt auf neue Zielgruppen trimmt oder gar immer mehr Richtung ANNO weiterentwickelt. Ich liebe meine Wegenetze. Ich mag meine langen Warenkreisläufe. Kann sein, dass ich hier einer der wenigen bin und dass das International nicht besonders gut funktioniert. Aber ich mag meine Siedler eben so. Und deshalb habe ich zwei Neujahreswünsche an Ubisoft: Entwickelt bitte Siedler 8 statt einfach nur wieder ein neues ANNO, mit dem ich deutlich weniger anfangen kann. Und orientiert euch dabei wieder an Teil eins (oder von mir aus auch am noch recht ähnlichen Teil zwei). Das war einfach noch Siedler, wie es ursprünglich war. Danke.

 

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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