Spiele, die ich vermisse #17: Loom
Diese Woche war unglaublich stressig – und gleichzeitig in mancherlei Hinsicht echt schockierend. Und beides hat mir die Wahl des heutigen Blogthemas maßgeblich erleichtert. Warum stressig? Eigentlich aus zwei Gründen: Am Freitag wurde die vorletzte Gamers-Ausgabe des Jahres abgegeben, was aus Prinzip einiges an Stress bedeutet – nicht nur müssen alle Artikel rechtzeitig fertig werden, sondern auch Seiten korrekturgelesen und finalisiert werden. Allein mit den diversen Arbeitsschritten, die hinter einem finalen Heft stecken, könnte man einen eigenen Blog füllen (mach ich vielleicht auch mal). Das ist aber nicht der Stress, der mich auf mein heutiges Thema bringt; dieser war eher die klassische Kategorie „Freizeitstress“: Ich habe letzten Sonntag und den darauffolgenden Donnerstag zum bereits fünften Mal im Studio verbracht, um eine eigene Partitur mit Sängern auf CD zu bannen. Es ging also ganz schön musikalisch zu – Inspiration Nummer eins. Schockiert hat mich hingegen diese Woche die Meldung, dass George Lucas sein Imperium an Disney verkauft. Dabei geht es mir weniger darum, dass wir eine Episode VII bekommen (ich gehöre zu den Menschen, die Episode I bis III durchaus mögen), sondern dass ich eher Angst um einen meiner Lieblingsentwickler habe: LucasArts. Die kommende Ausrichtung auf „Mobile“ und „Social“ Games zerstört meine Hoffnung auf ein Neuaufflammen der Adventures aus dem dortigen Hause. Und die Kombination lässt mich ein ganz bestimmtes Spiel vermissen. Ahnt ihr es schon? Musik + Adventure … genau: Loom.
Falls euch das Spiel nichts sagt, macht das auch nichts – es handelt sich immerhin um einen jener Titel, der immer im Schatten der anderen Spiele stand. Loom ist nicht Monkey Island, nicht Indiana Jones, auch nicht Day of the Tentacle oder Sam & Max. Außerdem entstand es genau in der Phase, als LucasArts das Adventure gerade perfektionierte und auch für moderne Spieler spielbar machte. Wirkt ein Indiana Jones and the Last Crusade noch ein wenig veraltet (Stichwort: Texte über der Grafik, das „Was ist“-Verb, um Hotspots anzeigen zu lassen), hat Monkey Island trotz angestaubter Optik bereits ein relativ modernes Interface, das auch heute noch funktioniert. Loom lag nicht nur genau zwischen diesen beiden Spielen, sondern war auch das einzige LucasArts-Adventure dieser Ära, das auf das traditionelle Verben-Interface vollkommen verzichtete. Dazu aber gleich mehr.
Die Geschichte von Loom entführt euch in ein wahres Märchen. Wir schreiben die Ära der großen Gilden. Menschen derselben Profession schließen sich zu Stadtstaaten zusammen, die die Perfektion ihres Handwerks anstreben. Die Gilde der Weber nimmt dabei eine ganz besondere Stellung ein: Mit ihrem magischen Webstuhl begannen sie einst, Einfluss auf das Gewebe der Realität zu nehmen – was sie zu Ausgestoßenen machte. Eines Tages bat Lady Cygna Threadbare die Älteren, die Qualen der Weber mit dem Webstuhl zu beenden, was abgelehnt wurde. Deshalb griff sie selbst ein und platzierte einen grauen Faden im Gewebe – mit unvorhergesehenen Konsequenzen: Ein Kind taucht auf und Cygna wird für ihre Taten bestraft und in einen Schwan verwandelt. Doch der Eingriff in das Gewebe sollte noch viel gravierendere Auswirkungen haben, denn das Muster der Welt war nun gestört und das Chaos im Anmarsch.
All diese Dinge geschehen bereits, bevor das Spiel überhaupt losging. Wer nun erwartet, dass Loom euch eine lange Einleitung lesen ließ oder die Story im Handbuch verpackte, hat nur teilweise recht: Tatsächlich gab es ein Hörspiel, das in gut einer halben Stunde diese Geschichte verpackte. Die Urversion bot dieses auf einer Musikkassette, späteren Fassungen lag sie auf CD bei.
Aber auch ohne Hörspiel blieb die Handlung, die 17 Jahre nach diesen Ereignissen einsetzte, verständlich. Ihr schlüpft in die Rolle von Bobbin Threadbare, eben jenem Kind, das damals aus dem Webstuhl gezogen wurde und dementsprechend ein Ausgestoßener in der Gilde der Weber ist. Nur seine Ziehmutter Hetchel brachte ihm – verbotenerweise – die Grundlagen der Webkunst bei, wofür sie in einen Schwan verwandelt wird. Womit die Älteren nicht rechnen ist allerdings, dass ein weiterer Schwan – Bobbins „Mutter“ – auftaucht und die gesamte Gilde gleich mit verwandelt und sie durch einen Riss im Himmel führt. Nur Bobbin bleibt ein Mensch und macht sich auf, seine Gildenkollegen wieder zu finden.
Soweit, so typisch Adventure – aber was Loom völlig anders machte, war die Art, wie man in diesem Spiel die Puzzles löste. Bobbin übernahm nämlich den magischen Stab eines Gildenmeisters, mit dem er sogenannte Drafts wirken konnte. Drafts sind sozusagen „Zaubersprüche“, die immer aus vier Noten bestehen. Einer der ersten ist beispielsweise der Song für „Öffnen“, der zum Beispiel aus der Tonfolge c-d-e-c bestand. Wenn ihr zum Beispiel eine Muschel anwählt und diesen Song mit dem Keyboard spielt, wird sich diese öffnen. Spielt ihr daraufhin die Melodie rückwärts (also c-e-d-c) schließt sich das Objekt wieder. Neue Drafts bekommt man von den verschiedensten Objekten und sollte man rasch notieren, da das Spiel keine Aufzeichnungen erstellt (im Handbuch war aber Platz, die Sprüche aufzuschreiben). Diese Melodien ersetzen die typischen LucasArts-Verben. Interessant war in diesem Zusammenhang auch der Schwierigkeitsgrad des Spiels, der nicht die Puzzles schwieriger machte, sondern das Spiel an eure musikalischen Fähigkeiten anpasste: Im einfachsten Modus bekamt ihr nicht nur angezeigt, welcher Ton gespielt wurde, sondern auch, wie der Ton heißt, während ihr im dritten und höchsten Schwierigkeitsgrad ohne Hilfsmittel nur mit eurem Gehör die Drafts heraushören musstet. Für mich eine Herausforderung, der ich mich gerne stellte. Nach und nach wächst der Tonumfang, den ihr beherrscht, von drei Tönen auf eine ganze Oktave an, wobei der höchste Ton nur für den allerletzten Spruch benötigt wird. Das macht das Heraushören mancher Drafts zusätzlich schwierig, wenn dafür schon Noten benötigt, die ihr noch gar nicht weben könnt.
Generell war das Thema Musik und Sound in Loom sehr präsent: Der Soundtrack setzte auf jede Menge Klassik, genauer gesagt auf Ausschnitte aus Schwanensee, die in damals wunderbar anzuhörendem MIDI wiedergegeben wurden. Besonders interessant ist aber, dass bereits 1992 eine Neuauflage für CD-ROM erschien, die als erstes SCUMM-Adventure Sprachausgabe bot. Diese wurde als CD-Track abgespielt, was einige Kürzungen erforderte, da man natürlich nur 80 Minuten in dieser Form speichern konnte. Aus diesem Grund sind sich die Fans auch nicht ganz einig, welches man als die definitive Fassung bezeichnen sollte – die CD-Version mit verbesserter Grafik und Sprachausgabe? Oder doch die VGA-Version von 1991 mit VGA-Grafik, aber ohne Cuts? Wer sich das Spiel heute holt, steht ohnehin nicht vor dieser Entscheidung: Via Steam bekommt ihr nämlich nur die CD-ROM-Version. Übrigens gibt es auch eine Konsolenversion – aber nur für die PC Engine.
Meine persönliche Geschichte mit Loom begann verhältnismäßig spät. Ich hatte meine Adventure-Karriere erst mit Monkey Island begonnen und von da an kein LucasArts-Adventure mehr ausgelassen. Die Zeit zwischen den Releases füllte ich sukzessive mit Altlasten – von Maniac Mansion über Zak McKracken (die ich zwar beide schon früher gespielt hatte, aber für die ich erst recht spät die Geduld fand, mich an das „alte“ Interface zu gewöhnen und sie durchzuspielen) – und erst ganz am Schluss folgten Indiana Jones and the Last Crusade und Loom. Es war aber auch zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr so einfach, an diese Spiele zu kommen – gelegentliche Heft-CDs halfen, aber Loom war hier ein selten gesehener Gast. Also tauchte ich erst mit dem Kauf meiner ersten LucasArts-Compilation in die Welt von Bobbin Threadbare ein, irgendwann Mitte der 90er. Und ich war froh, dass ich es doch noch gefunden hatte. Während ich die anderen frühen LucasArts-Adventures eher aus Pflichtbewusstsein einmal durchspielte und danach nicht mehr angriff, wurde Loom zu einem gern gesehenen Gast auf meinem Monitor, das vielleicht nicht so oft wie Monkey Island, aber doch regelmäßig durchgespielt werden wollte. Schade nur, dass das Ende ein wenig offen gestaltet ist – die beiden geplanten Sequels wurden nämlich niemals realisiert.
Das führt mich gleich zu den Punkten, warum Loom ein Spiel ist, das ich vermisse. Da wäre zunächst einmal die Story: Die Geschichte von Loom hat etwas Märchenhaftes, das mich sehr angesprochen hat. Die diversen Gilden, die verschiedenen Locations, Drachen, ein großes Böses und die Verwandlung in Schwäne – LucasArts hat sich nie wieder so reichhaltig bei Märchen bedient. Dann wäre da Held Bobbin Threadbare selbst. Bobbin ist kein Antiheld wie Guybrush, kein Abenteurer wie Indy. Aber er geht mit Optimismus und gleichzeitig Melancholie an seine Aufgaben heran und schafft so obwohl wir sein Gesicht nie sehen (nur seine Augen funkeln unter der grauen Robe hervor) eine Bindung an den Charakter. Und dann wäre da noch das Interface: Nie zuvor wurde Musik so genial in einem Adventure eingesetzt – zumindest meiner Meinung nach. Die Idee, mit simplen Melodien Befehle zu geben, die dann oft auch noch rückwärts gespielt den gegenteiligen Effekt haben, ist einfach genial und für mich als Musik-interessierten Menschen brillant. Natürlich kann ich nicht sagen, wie das bei jenen ankam, die weniger mit Musik am Hut hatten, aber dafür gab es ja die leichteren Modi. Schade, dass meines Wissens nie wieder jemand etwas Ähnliches versucht hat. Ich würde nämlich sofort zuschlagen.