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Spiele, die ich vermisse #70: The Dig

Diese Woche habe ich meinen typischen Blog-Tag verpasst. Die Gründe dafür sind vielfältig, haben aber vor allem mit zwei Dingen zu tun: Erstens: Wie jedes Jahr begann letzte Woche eine harte Theater-Woche, die mir nicht nur elf Aufführungen in sechs Tagen beschert, sondern auch einiges an Vorbereitung benötigt. Zweitens – und das hat mit der Motivation für diesen Blog deutlich mehr zu tun – habe ich dieses Wochenende Geburtstag gefeiert. Und genau das brachte mich zum Grübeln: Welche Spiele habe ich im Laufe meines Lebens zum Geburtstag geschenkt bekommen? Einen Titel möchte ich herausgreifen – ein kleines Meisterwerk von LucasArts, das aber dennoch ein wenig in der Versenkung der Geschichte verschwunden ist. Sein Name? The Dig.

Für alle, die es nicht kennen, hier eine kurze Einleitung: The Dig ist ein Spiel der späteren Adventurephase von LucasArts, gilt als das Adventure des Studios mit der längsten Entwicklungszeit, kam aber mit seinem Release 1995 immerhin noch vor dem Sprung auf 3D-Adventures heraus. Zum Einsatz kam dementsprechend auch die berühmte SCUMM-Engine, der allerdings schon seit Sam & Max zwei Jahre zuvor die Verben fehlten. Das war aber nicht das Einzige, was The Dig von einer Vielzahl seiner auch heutzutage wesentlich bekannteren Brüder unterschied: Dieses Adventure war anders – atmosphärisch, düster, ein wenig Sci-Fi, ein Schuss verlassener Ort, viel Mystery, ein wenig Forschung und das Ganze mit einer ordentlichen Portion Rätselgehalt abgeschmeckt. Das Resultat war ein Titel, den man in dieser Form wohl nicht erwartet hatte – den Humor von Monkey Island oder das Augenzwinkern der Indiana Jones-Adventures suchte man hier vergeblich.

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Das hat aber vielleicht auch damit zu tun, dass The Dig eigentlich nicht als Adventure ersonnen wurde, sondern als Episode der Serie „Unglaubliche Geschichten“, die von Steven Spielberg produziert wurde. Aus Kostengründen wurde die Geschichte nicht auf die Mattscheibe gebannt, auch ein Filmprojekt scheiterte am Budget. Also wurde beschlossen, ein Spiel daraus zu machen – und eine weitere Odyssee begann: Zwischen dem ersten Treffen des Designteams (übrigens am Tag des großen Erdbebens in San Francisco im Jahr 1989) und dem Release vergingen nicht nur sechs Jahre, sondern man verbrauchte auch vier Designer – Noah Falstein (Indiana Jones and the Fate of Atlantis), Brian Moriarty (Loom), Dave Grossman (Monkey Island 1+2) und zuletzt Sean Clarke (Sam & Max: Hit the Road). Dass dabei mehrfach von vorne begonnen wurde, selten ein Stein auf dem anderen blieb und immer wieder mal viel Arbeit verworfen wurde, erklärt sich von selbst.

Beginnen wir dennoch mal mit dem Endergebnis: In einer nicht weit entfernten Zukunft entdecken Astronomen einen Asteroiden, der sich auf Kollisionskurs mit der Erde befindet. Um ihn aufzuhalten, wird ein fünfköpfiges Team von Astronauten ins All geschickt, um den Gesteinsbrocken mit dem passenden Namen „Attila“ vom Kurs abzubringen. Das Manöver gelingt, doch bei der Erkundung entdeckt das dreiköpfige Außenteam, dass der tödliche Himmelskörper hohl ist, und befindet sich bald darauf auf einem fremden, außerirdischen Planeten, der zwar Ruinen einer fremden Zivilisation aufweist, die allerdings ausgelöscht scheint. Überleben ist also die oberste Maxime für Commander Low, den Archäologen und Geologen Dr. Ludger Brink und Linguistin Maggie Robins. Doch um den Weg nach Hause zu finden, müssen sie herausfinden, was mit den Bewohnern des Himmelskörpers geschehen ist – und sich den Gefahren des Planeten stellen, darunter mysteriöse Kristalle, die heilen und sogar das Leben zurückgeben können, aber gefährliche Nebenwirkungen aufweisen …

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Bei so vielen Designern ist natürlich immer ein wenig fraglich, wer was beigesteuert hat, allerdings kann man die Entwicklung des Spiels anhand mehrerer Interviews ableiten. Spielbergs Idee drehte sich vor allem um zwei archäologische Teams, die auf einem fremden Planeten Ruinen erforschen (deshalb auch „The Dig“). Noah Falstein erschuf zunächst eine Version, die sich sehr stark an diesem Konzept anlehnte: In seiner Version gelangten die Astronauten in einer fernen Zukunft aus eigener Kraft auf den Planeten und die Außerirdischen waren noch nicht ausgestorben, sondern als Primitive zurück in den Dschungel gegangen. Außerdem fügte er Rollenspielelemente hinzu – so musste die Spielfigur (die man sich zu Beginn aus zwei Möglichkeiten aussuchen konnte, was unterschiedliche Fertigkeiten und damit Möglichkeiten mit sich brachte) um Nahrung und Energie kümmern. Moriarty hingegen schrieb die Handlung um (laut eigenen Aussagen entspricht seine Fassung zu etwa 80 Prozent der Endversion) und erschuf aus dem Material ein echtes Adventure. Der große Unterschied zur finalen Version war ein vierter Charakter, ein Japaner namens Toshi Olema, der das Projekt finanziell unterstützt hatte und deshalb an Bord gehen durfte (der Roman zum Spiel von Alan Dean Foster hatte deshalb auch eine Version des Covermotivs mit vier Astronauten). Auch die Quintessenz des Spiels, warum die Aliens verschwunden waren und was der Komet sowie der Planet darstellten, unterschieden sich bei Moriarty noch deutlich – ganz abgesehen davon, dass The Dig in dieser Fassung sehr erwachsen und blutig war, was Spielberg zuerst gut fand, da er mit solchen Szenen in „Der weiße Hai“ oder „Indiana Jones“ gute Erfahrungen gemacht hatte, aber nach dem Release von Jurassic Park (wo er für zu viel Gewalt von Elternverbänden kritisiert worden war) dann doch ablehnte.

Generell erwies sich der Name „Spielberg“ übrigens als Segen und problematisch zugleich. Der berühmte Regisseur sorgte für unerwartete Publicity und das Spiel rückte in den Fokus der Medien, wie es kaum ein LucasArts-Spiel zuvor geschafft hatte. Gleichzeitig bedeutete es aber, dass das Spiel ständig in Beobachtung war, dass jeder wissen wollte, wie es vorangeht. Moriarty soll genau an diesem Druck gescheitert sein und das Spiel deshalb zurückgelassen haben. Stattdessen übernahm es Grossman für wenige Monate (er versuchte vor allem, Moriartys Fassung zu einem Ende zu bringen), bevor Clarke mit Vereinfachungen und Rewrites das Projekt zu Ende führen konnte. Dabei wurden nicht nur wissenschaftliche Zusammenhänge, sondern auch die Geschichte der Aliens deutlich überarbeitet – angeblich sehr zur Erleichterung des Marketings.

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Vereinfacht trifft übrigens auch auf das Interface zu, denn bei The Dig haben wir es mit der einfachsten Steuerung der LucasArts-Geschichte zu tun. Die Verben sind – wie schon gesagt – Geschichte, aber selbst die Steuerungsmünzen a la Full Throttle fehlen. Stattdessen gibt es hier einen intelligenten Mauscursor, der automatisch die richtige Aktion anwählt. Bevor hier aber jetzt alle laut „buh, Casualisierung!“ schreien, solltet ihr allerdings eines wissen: The Dig zählt dennoch zu den schwersten LucasArts-Titeln aller Zeiten. Zwar ist Ableben durch Fehler nach wie vor keine Option, aber die Puzzles sind knackig und schwer zu durchschauen – oder, und das könnte man dem Spiel durchaus unterstellen, auch einfach schlecht designed. Manche Kritiker bezeichneten die Puzzle aus The Dig als „50 Prozent Trial and Error und 50 Prozent Raten“ – keine besonders erstrebenswerten Eigenschaften für ein Adventure. Allerdings muss man aus heutiger Sicht auch sagen, dass The Dig unter seinem Wert geschlagen wurde und die Erwartungshaltung sicher ausschlaggebend war. LucasArts stand für eine gewisse Art von Spiel – und The Dig war in vielen Belangen einfach das Gegenteil davon und wurde atmosphärisch eher mit dem kühlen Myst verglichen. Auch die Technik kam nicht gut weg – kein Wunder, denn aufgrund der langen Entwicklungszeit war die Grafik schon veraltet, als das Spiel in den Handel kam. Dafür wurde die Musik (und teilweise auch die Sprachausgabe) gelobt.

Einen eher kühlen Empfang hatte The Dig auch in meiner Spielesammlung – und auch bei mir war die Erwartungshaltung daran schuld. Da ich – wie ihr euch mittlerweile wohl ausgerechnet habt – recht nahe an Weihnachten Geburtstag habe, waren meine Wunschlisten oft gefüllt mit Dingen für beide Anlässe. Und 1995 wünschte ich mir zwei Spiele: The Dig und Rebel Assault 2. Leider ging ich ins Auspacken meiner Geburtstagsgeschenke mit der Erwartung, zweiteres zuerst zu bekommen, weshalb ich dann irgendwie ein wenig enttäuscht war (was zugegebenermaßen ein wenig undankbar war, schließlich hatte ich beide Titel auf die Liste geschrieben). Gut, das hätte das Spiel ja noch ausbügeln können, aber dann war da noch der Schwierigkeitsgrad, der mich notorisch abschreckte – wir spielten das Spiel zum Teil zu zweit, zu dritt und blieben dennoch gnadenlos stecken. Logik hatte bisweilen mit der Lösung viel zu wenig zu tun, sodass mich auch die dichte Atmosphäre und die eigentlich interessante Story nicht völlig halten konnten. Tatsächlich habe ich The Dig im dritten Anlauf durchgespielt – nachdem ich es einem Schulkollegen, meinem ultimativen Adventureexperten, geborgt hatte, der mir immerhin in einer Woche bewies, dass man den Titel überhaupt durchspielen kann. So groß die Vorfreude auf ein neues LucasArts-Spiel auch war (und wir reden hier immerhin von jenem Jahr, in dem auch Full Throttle in den Handel gekommen war – auf Entzug war ich also ganz und gar nicht) – The Dig war damals eher ein Pflichtsieg als ein Spiel, das mir Spaß machte.

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Heute, immerhin doch 18 Jahre später, sehe ich das doch ein wenig anders. Mit dem Abstand wurde mir klar, was für eine Perle ich hier spielte, die zugegebenermaßen nicht perfekt, aber dennoch erinnerungswürdig war. Immerhin kann ich mich selbst heute noch an Szenen erinnern, die das Spiel in mich hineingebrannt hat. Warum vermisse ich also The Dig? Weil es ein ungewohnt erwachsenes Spiel war, mit einer unglaublich dichten Atmosphäre. Weil die Story so völlig anders war, als man es auf den ersten Blick erwartete, und es jede Erwartungshaltung (im Guten wie leider auch bisweilen im Schlechten) sprengte. Aber auch, weil es eines der letzten Adventures war, die ich kooperativ mit meiner Adventure-Runde gespielt habe, weil es den Running Gag „Wie zählt ein Kind eines NASA-Mitarbeiters?“ – „Fünf, vier, Zündung, zwei, eins“ in meinem Freundeskreis begründet hat. Vor allem aber, weil es ein Adventure einer Art war, wie man es danach selten bis gar nicht mehr zu Gesicht bekam. Und das ist, wenn man mich fragt, Grund genug, The Dig zu vermissen – auch, wenn man den Titel natürlich jederzeit auf Steam für wenig Geld erwerben und noch immer spielen kann.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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