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Spiele, die ich vermisse #62: Fahrenheit

Diese Woche gehört für mich ganz klar einem Spiel: Beyond: Two Souls, das ich – wohl zurecht – als den letzten für mich interessanten Exklusiv-Titel dieser Gen bezeichne. Ich hatte leider bislang nicht die Gelegenheit, übermäßig in den neuen Titel hinein zu schnuppern (nur gestern etwa eine Stunde), aber ich gehöre zu jenen, die genau wissen, was sie sich von David Cage erwarten: Verworrene Storys, tiefgehende Emotionen, immersives Gameplay, aber vor allem: eine Art interaktiven Film, in dem man mehr sein darf, als ein Zuseher, aber dennoch nicht erwarten darf, so aktiv zu sein, wie man das vielleicht in „gewöhnlichen“ Spielen ist. Eine kurze Runde Beyond reichte allerdings auch, um meine Erinnerung an das erste Cage-Spiel, das ich gespielt habe, zu triggern – also an eine Zeit, in der ich nicht wusste, was mich erwarten würde, wodurch mich sein Werk so richtig umwerfen konnte. Dieses Spiel trug den Namen Fahrenheit – und ich vermisse es bis heute.
Also, was ist Fahrenheit? Schon hier wird es ein wenig knifflig, denn Fahrenheit kann man nicht so einfach in eine Genre-Schublade stecken. Kann man bei Beyond immerhin sagen, es gehört in dieselbe Kategorie wie Heavy Rain oder eben Fahrenheit (was aber auch voraussetzt, dass man eines dieser Spiele schon kennt), muss man beim ersten Titel dieser Art (ich ignoriere dabei Omikron: The Nomad Soul, das ich nie gespielt habe) schon ein wenig mehr erklären. Für mich ist Fahrenheit vor allem eines: ein interaktives Drama (die Entwickler von Quantic Dream bevorzugen „Interaktiver Film“, aber da für mich dieses Genre aufgrund der miesen Machwerke der 90er eher negativ konnotiert ist, bevorzuge ich (persönlich, man darf mir gerne widersprechen) „Drama“). Der Fokus des Spiels liegt auf seiner Story und der Immersion des Spielers in die Spielfiguren. Alles andere ist diesem Blickwinkel untergeordnet. Kritiker können (und haben) das ausführlich kritisiert, da es natürlich die Gameplay-Erfahrung verwässert – hier gibt es keine Mechaniken, die nur da sind, um den Spielfaktor zu steigern, den Sammeltrieb zu befriedigen oder einfach „cool“ zu sein. Das heißt zwar nicht, dass man nicht allerhand Schnickschnack anstellen kann, der nicht unbedingt mit dem Plot zu tun hat – aber dann sind sie für die Immersion zuständig.

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Aber nachdem wir schon etabliert haben, dass es in Fahrenheit vor allem um die Story geht, sollten wir uns kurz um die Geschichte kümmern. Auch wenn sich der Titel auch hier nur schwer einteilen lässt, schwankt er genremäßig irgendwo zwischen Krimi, Horror, Mystery und Sci-Fi. Ihr beginnt das Spiel als Lucas Kane, der gerade auf der Toilette eines Diners einen Mord begangen hat. Warum? Das weiß er selbst nicht – nach einem Blackout und düsteren Visionen liegt der Mann tot auf dem Boden. Lucas‘ Ziel ist damit rasch klar: Herausfinden, was passiert ist, und sich auf dem Weg dorthin nicht von der Polizei schnappen lassen. Aber er ist nicht der einzige spielbare Charakter: Carla Valenti und Tyler Miles gehören zum NYPD und ermitteln im Fall des Mordes (in einigen Szenen ist darüber hinaus auch Lucas‘ Bruder Marcus spielbar). Während sich die Schlinge um Lucas immer weiter zuzieht, entdeckt er, dass zwei geheime Gruppierungen nach dem „Indigo Child“ suchen, das das Schicksal der Welt beeinflussen wird …

Mehr möchte ich an dieser Stelle aber noch gar nicht verraten – wer Fahrenheit nicht gespielt hat, sollte das schließlich noch nachholen können. Halten wir fest, dass der Titel gekonnt ein Katz- und Mausspiel abbildet, bei dem wir einerseits einen Flüchtigen spielen, andererseits aber seine Verfolger. Dabei vermeidet Fahrenheit einige Fallen, die typisch für solche Settings sind: Wie können wir zum Beispiel Beweise suchen, die wir selbst versteckt haben? Ganz klar – indem wir Lucas nur das Kommando geben, die Hinweise zu verbergen, wir aber nicht sehen, wo er sie verstaut. Generell vermeidet das Spiel allerdings im Laufe der Zeit durch seine Kapitelhaftigkeit solche Probleme weitgehend. Man sollte aus „wo verstauen wir die Hinweise“ allerdings nicht zu stark ableiten, dass sich Fahrenheit wie ein Adventure spielt, bei dem man alle Aufgaben lösen muss, bevor das Spiel weitergeht. Im Gegenteil, viele Geschehnisse sind zeitabhängig – gleich zu Beginn hat man beispielsweise nur eine gewisse Zeitspanne, bis sich ein Wachmann aus der Bar auf die Toilette begibt und die Leiche (und eventuelle Spuren) entdecken wird. Bis dahin müssen wir also möglichst viele Hinweise vernichtet, den Körper verstaut und uns aus dem Staub gemacht haben – oder eben nicht. Das Spieldesign vermittelt die Illusion von Freiheit, aber auch das Gefühl von „was habe ich diesmal übersehen?“. Tatsächlich beschreiben die Designer ihre Idee als „Gummiband-Design“. Das ganze Spiel reagiert auf Aktionen, die ihr gesetzt oder nicht gesetzt habt, bleibt dabei aber dem grundsätzlichen Story-Faden treu und lässt sich nicht davon abbringen. Zumindest, solange Lucas nicht geschnappt wird oder einer der Charaktere stirbt.

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Das war aber nicht die einzige interessante Idee, die Fahrenheit umsetzte. Zum Beispiel setzte das Spiel stark auf Splitscreen-Effekte, durch die man beispielsweise genau sah, wer hier an die Tür klopfte oder wie lange die Wache noch auf dem Sessel bleiben wird. Generell spielte der Titel mit Zeitdruck – auch in den Gesprächen hatte man nur eine gewisse Zeit, bis man eine Antwort geben musste, sonst wurde ein Default gewählt oder sogar der Dialog beendet. Die Steuerung fußte übrigens Großteils auf den Analogsticks – zum Teil musste man den passenden Stick einfach in die richtige Richtung bewegen, zum Teil aber auch – gerade wenn es sich um physische Tätigkeiten handelte – komplexere Bewegungen durchführen, die allerdings immer irgendwie mit dem tatsächlichen Handgriff zusammenhängen (PC-Spieler mussten hier auf Maus- oder Tastatur zurückgreifen, wenn sie kein Gamepad hatten, was sich meiner Meinung nach nicht ganz so gut spielte). Das war die eine Seite, die sich tatsächlich vom üblichen Steuerungsbrei unterschied.

Die anderer Steuerungsmöglichkeit fand sich in den zahlreichen Action-Sequenzen, bei denen zwei große Kreuze über das Geschehen gelegt wurden, die anzeigten, wie man die Sticks bewegen musste, um die Szene erfolgreich zu überstehen. Das Resultat waren fast klassische Quick-Time-Events mit einem großen Manko: Man musste sich fast zu sehr auf die Kreuze konzentrieren, um tatsächlich mitzubekommen, was im Hintergrund ablief. Aber das ist nur ein kleiner Minuspunkt. Zwei weitere möchte ich auch noch kurz erwähnen. Erstens: Das Storytelling war zwar für ein Spiel revolutionär, aber so manche Wendung und vor allem das Ende waren zu unvorbereitet. Ja, natürlich gab es dezente Hinweise und Fans von „ich reim mir die Story zusammen“ wurden glücklich, aber ein wenig besser hätte das Spiel dramaturgisch schon aufbereitet werden können. Zweitens: In einem Spiel voller Entscheidungen war es nicht das gesamte Spiel, sondern einfach der Ausgang der Schlussszene, der bestimmte, welches der drei Enden man sah. Kommt das noch jemandem bekannt vor? Richtig, so im Nachhinein muss ich da auch an Mass Effect 3 denken …

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Im Gegensatz zu Beyond, das ich schon seit der Ankündigung auf meinem Radar hatte, wurde ich auf Fahrenheit erst knapp ein Monat vor der Veröffentlichung aufmerksam. Wie? Tja, da kommt mein heutiger Arbeitsplatz ins Spiel – durch ein Preview in der damals aktuellen consol.AT. Ich glaube, Alex Amon schrieb damals den Artikel dazu. Was mich besonders ansprach? Der Aspekt, gleichzeitig Täter und Detektiv zu sein, stach für mich besonders heraus, die anderen Qualitäten erkannte ich erst später selbst. Ich war nämlich zum Glück nicht nur Leser, sondern damals schon News-Autor und Gelegenheits-Artikelschreiber für das Magazin. Und als ich knapp zwei Wochen nach der Ausgabe in der Redaktion vorbeischaute (übrigens damals noch im Hinterzimmer eines Videospielladens – ja, diese kleinen Anfänge …) wurde mir angeboten, den Test zu Fahrenheit mit zu verfassen (was im Endeffekt bedeutete, das Spiel auch durchzuspielen und die zweite Meinung, die damals noch öfter auftauchte, zu schreiben). Und ich nahm den Auftrag an.

Es gibt viel zu viele Geschichten, die mit „und ich war von der ersten Sekunde an gefesselt“ beginnen, aber bei Fahrenheit stimmte das. Trotzdem lag meine Sympathie – vielleicht am Anfang zu sehr – bei Lucas, und ich wollte wissen, wie seine Geschichte weiterging, während mich Carla und Tyler irgendwie weniger ansprachen und ich hoffte, dass ihre Episoden rasch vorrübergehen. Über kurz oder lang packten aber auch die beiden mich. Angesprochen haben mich aber auch ihre moralischen Entscheidungen, die vor allem bei Lucas durch die Geschichte großes Gewicht bekamen. Rettet er ein eingebrochenes Kind, obwohl ein Polizist in der Nähe ist, um Buße für seine Taten zu tun? Fragen wie diese bekommt man immer wieder gestellt. Nicht immer ist es dabei relevant, was man tut, keine Frage – bisweilen zieht einen das Spiel quasi automatisch wieder auf die richtige Bahn. Aber zumindest beim ersten Durchlauf bekommt man eine Illusion von Freiheit, ohne dabei auf Dramaturgie verzichten zu müssen. Das packte zu, und selbst wenn die Xbox (auf der ich es damals spielte) ausgeschaltet werden musste, wollte ich nur rasch zurück, um weiter zu spielen.

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Ein wenig anders war es allerdings, als ich das Spiel einige Zeit später noch einmal spielen wollte – das Gesamtpaket Fahrenheit konnte nicht mehr so zünden, wie es das beim ersten Mal getan hat. Das lag nicht nur daran, dass das schon zu PS3-Zeiten war und Heavy Rain vor der Tür stand, sondern wohl daran, dass ich die Geschichte schon kannte und mich zum Teil versuchte, anders zu entscheiden, ohne gravierende Änderungen zu bemerken. Wie ein guter Krimi, den man sich nur einmal ansehen kann, weil man dann weiß, was passiert (und vielleicht noch ein zweites Mal, wenn man sich den Spaß macht, nach Hinweisen zu suchen) ist Fahrenheit (wie im übrigen für mich auch Heavy Rain) ein Spiel, das beim ersten Mal punktet, aber das sich nur schwer wiederholen lässt.

Das ist wohl auch der Grund, warum ich Fahrenheit vermisse. Ich liebe das Gameplay, ich finde das Storytelling genial und die Charaktere konnten über weite Strecken punkten. Wäre die Story auch wirklich so frei, wie das Spiel uns vorgibt zu sein, würde ich vermutlich oft versuchen, eine neue Wendung auszulösen (hier hat Heavy Rain dann doch die Nase dadurch vorn, dass einzelne Charaktere aus der Story ausscheiden können), aber so kann ich immer wieder nur auf neue Geschichten mit ähnlichen Qualitäten hoffen. Aber auch in Sachen Interaktivität bin ich mit Fahrenheit noch deutlich glücklicher, als ich das nach meiner ersten Stunde Beyond bin, wo ich mich ein wenig eingeschränkt fühle (auch wenn ich mir hier noch kein finales Urteil erlaube – vielleicht kommt das ja noch). Aber im Endeffekt vermisse ich Fahrenheit, weil es eine Art von Spiel ist, die ich selten bekomme, für mich als Story-Fanatiker aber eigentlich eine fast optimale Kombo darstellt: Spiel mit extrem viel, packend inszenierter Geschichte. Dass dazwischen ab und an das Gameplay schwächelt – Stichwort QTEs und die Schleichpassagen im Militärcamp – kann ich da einfach verzeihen.

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Zum Abschluss noch eine kleine Anekdote, die das Spiel für mich ebenfalls unvergesslich macht und sogar mit unserer Community zu tun hat: In jenen alten Tagen, in denen man die Testmuster auch noch wirklich einen Monat vor Release bekam, konnte ich damals der Versuchung nicht widerstehen und habe mich in die Foren-Diskussion zu dem Spiel eingemischt und ein wenig erklärt, wie das Spiel so ist – sozusagen zwischen Erscheinen des Hefts mit dem Test und dem Release des Spiels. Warum mir das in Erinnerung geblieben ist? Ganz einfach: Damals hatte ich gerade meine langhaarige Phase und im Redaktionsfoto waren sie noch dazu (was ich so eigentlich eher selten machte) offen. Prompt war ich im Forum „die Schnitte, die die zweite Meinung geschrieben hat.“ Der Hinweis, doch mal kurz ins Impressum zu schauen, was mein Kürzel bedeutet, endete in eher peinlichem Schweigen. Naja, mittlerweile sind die Haare kürzer – jetzt werde ich nicht mehr so einfach verwechselt und schmunzle nur noch ab und zu über diese Episode …

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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