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Spiele, die ich vermisse #45: Eternal Darkness

Jede Generation bringt Spiele hervor, die man einfach nicht vergessen kann, weil sie einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Oft sind es jene Spiele, mit denen man nicht gerechnet hätte (wenngleich es manchmal auch gerade jene sind, wegen denen man sich von vornherein eine Konsole gekauft hat – aber das gehört hier nicht zum Thema). Und das führt mich – diesmal ausnahmsweise ohne allzu lange Vorrede – gleich zum Thema dieses Blogs. Vielleicht, weil ich die letzten Nächte aus irgendwelchen Gründen nicht gut geschlafen habe und meine Augen manchmal Dinge sehen, die eigentlich nicht da sind, vielleicht weil ein spirituelles Sequel gerade versucht (und das scheinbar vergeblich) auf Kickstarter durchzustarten, erinnere ich mich an mein unerwartetes Highlight der Gamecube-Ära: Eternal Darkness: Sanity’s Requiem.

Eternal Darkness ist ein Survival Horror-Spiel von Silicon Knights, das ursprünglich für den N64 in Entstehung war, schlussendlich aber dann 2002 für den Game Cube erschien und einen ganz besonderen Twist bietet – nämlich eine komplexe, vielschichtige Handlung, die mehrere Zeitebenen und Orte umspannt. In der Rahmenhandlung spielt ihr Alexandra Roivas, die nach der mysteriösen Ermordung ihres Großvaters Edward sein großes Haus erkundet und dabei eine grausige Entdeckung macht – ein Buch, eingebunden in menschliche Haut, names „The Tome of Eternal Darkness“. Als sie darin liest, erlebt sie eine Geschichte, die weit in der Vergangenheit zurück liegt – jene von Pious Augustus, einem römischen Legionär, der in einen unterirdischen Tempel gelangt und eines von drei Artefakten auswählen muss – mit fatalen Konsequenzen: Die Artefakte repräsentieren nämlich drei Gottheiten, und jene, die er ausgewählt hat, macht ihn zu seinem untoten Diener – und damit zu eurem Gegenspieler.

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Nach und nach entdeckt Alexandra weitere Seiten des Buchs in den diversen Räumen des Hauses, die sie mehr und mehr in eine unheimliche Geschichte (und andere Leben) eintauchen lassen, in der dunkle Götter finstere Pläne schmieden, die die Menschheit auslöschen könnten. Sie erfährt aber auch von jenen Menschen, die gegen das Dunkel gekämpft haben und dafür meistens ihr Leben lassen mussten – und was ihre Familie damit zu tun hat. Fähigkeiten, die jene, deren Geschichte sie liest, erworben haben, stehen danach auch Alexandra zur Verfügung, was es ihr ermöglicht, weitere Seiten des Buchs zu finden. Diese Fähigkeiten sind in den meisten Fällen Zaubersprüche, die auf Runenbasis erstellt werden und quasi „Sätze“ bilden. Zum Beispiel besteht der Heilspruch aus den Runen für die Gottheit Chattur’gha, der Rune für „absorbieren“ und der für „selbst“. Würdet ihr denselben Spruch nehmen, aber als Gottheit Xel’lotath auswählen, würde er stattdessen eure geistige Gesundheit regenerieren. Später gibt es darüber hinaus auch noch Sprüche mit fünf oder sieben Runen, wodurch auch schon bekannte Sprüche per „Pargon“-Rune stärker gemacht werden können. Neue Kombinationen gibt es so aber natürlich auch.

Die Gottheiten und die Kraft, die sie repräsentieren – die dritte im Bunde ist übrigens Ulyoath mit Magie, während Mantorok als vierter Gott und neutrale Kraft eine ganz eigene Rolle spielt –, sind ein wichtiges Kernelement des Spiels. Das beginnt mit der schon erwählten Wahl, die ihr als Pious Augustus im ersten Level trefft. Sie bestimmt nämlich, welche Gegner euch begegnen werden und auf welche Art von Attacken sie sich spezialisieren, was auch den Schwierigkeitsgrad mitbestimmt – die Monster von Chattur’gha schlagen größere Wunden in eure Lebensenergie als jene von Xel’lotath. Allerdings ist letzterer ein Meister des Grauens, was uns zu einem der ungewöhnlichsten, dafür aber wichtigsten Features des Spiels bringt: eurer geistigen Gesundheit. Dass man Probleme bekommt, wenn die Health-Bars zu Neige gehen, sind wir ja schon gewohnt. Dass man nicht zaubern kann, wenn das Mana ausgeht, ist auch klar. Aber was zum Geier ist nun geistige Gesundheit? Die kurze Antwort? Ein absolut geniales Feature.

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Wann immer eure Spielfiguren Dinge sehen, die es laut dem gesunden Menschenverstand nicht geben sollte, glaubt der jeweilige Protagonist, den Verstand zu verlieren (sprich: die entsprechende Leiste fällt) – und Eternal Darkness lässt uns das auch vor dem Bildschirm „genießen“. Zunächst verändert sich primär der Kamerawinkel, der sich immer mehr verdreht, dann hören wir unheimliches Flüstern, Stöhnen oder Schmerzensschreie; und das ist erst der Anfang, denn was dann passiert, durchbricht bisweilen die vierte Wand. Die Wahnsinnseffekte können dazu führen, dass eure Figur plötzlich auf der Decke wandert, die Wände bluten, der Kopf eures Protagonisten explodiert oder aber eine mysteriöse Macht euren Gamecube zum Absturz bringt oder die Lautstärke eures Fernsehers auf null dreht. Natürlich passiert all das nicht wirklich, aber wenn man es nicht weiß, sitzt man schon sehr verdutzt auf der Couch und bekommt ein seltsames Gefühl im Nacken. Es soll auch Leute gegeben haben, die die Konsole abgeschaltet haben, bevor die Illusion mit einem lautstarken „This can’t be happening“ eures Protagonisten wieder der „Realität“ weicht.

Diese beiden Features – die verschiedenen Figuren samt verschiedenen (aber wiederkehrenden) Settings und der aufkeimende Wahnsinn sind es wohl, die Eternal Darkness elf Jahre nach Release noch immer im Bewusstsein der Spieler halten. Das heißt aber natürlich nicht, dass das Gameplay nicht gut war. Ja, abgesehen von den besonderen Features war es eher Standardkost, aber wohl durchdacht (und im Gegensatz zu Resident Evil der damaligen Zeit wurde auf die „Panzersteuerung“ verzichtet, was es auch heute noch gut spielbar macht). Die Kombination aus Standardfeatures mit einem interessanten Setting, einer durchdachten Story und herausragenden Ideen macht Eternal Darkness zu einem Spiel, das man mehrfach durchspielen wollte (was auch durchaus Sinn macht, denn wenn man das „geheime“ Extro sehen will, muss man das Spiel dreimal durchspielen und dabei jeweils eine andere Gottheit zu Beginn wählen).

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Ich gebe offen zu, dass ich nicht gerade der Mensch für Horror-Spiele bin. Mein persönliches Grauen ist noch immer mein Test von The Lost Crown, einem eher unbekannten Adventure, das ich regelmäßig unterbrechen musste, weil es so gruselig war. Dabei geht es mir gar nicht so sehr um das, was auf dem Bildschirm zu sehen ist, sondern um das, was nicht gezeigt wird – Filme wie Saw finde ich abstoßend, während The Ring (im Kino, auf dem Fernseher hatte der Streifen keinen Effekt mehr auf mich) bei mir für Albträume gesorgt hat. Wie kommt mir dann ein Spiel wie Eternal Darkness auf meine Liste? Indem es eigentlich jenes Spiel war, das bei mir den Weg für Survival-Horror-Titel bereitet hat. Ja, es gab zuvor kleinere Ausflüge in Alone in the Dark 1+2 oder auch das erste Resident Evil (eine Geschichte, die ich sicher noch erzählen werde), aber wirklich gepackt hatten mich diese Spiele nie. Wenn schon Horror, dann vielleicht noch ein The 7th Guest, aber das ist ja auch eher ein Puzzle-Spiel mit mittlerweile schlecht gealterter Technik.

Doch wie kam es nun dazu, dass Eternal Darkness und ich Bekanntschaft schlossen? Die kurze Antwort darauf: Freundschaftswerbung. Ein Freund meiner damaligen Freundin war leidenschaftlicher Videospielsammler (meine Game Cube-Sammlung konnte man damals zum Beispiel noch an einer Hand abzählen) und war derjenige, der mir Eternal Darkness leidenschaftlich ans Herz legte – und zwar in seiner typischen Art, indem er sich nicht davon abhalten ließ, trotz anwesenden Freunden seine Spiele weiter zu spielen. Was ich sah, war in etwa die Mitte des Spiels, aber etwas, das mein Interesse erweckte. Es war weniger die unheimliche Atmosphäre, sondern eher die interessante Art des Storytellings, die mich anlockte. Knapp darauf war klar: Das Spiel muss ich haben – und so geschah es auch.

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Tatsächlich halten sich die Horror-Effekte auch angenehm zurück, was mir beim Durchspielen sehr gelegen kam. Einzig die diversen Realitäts-Veränderungen konnten manchmal für ein seltsames Gefühl sorgen – und ja, ich wurde zum Beispiel ein Opfer des Blue Screens. Dennoch war Eternal Darkness kein Spiel, das ich im Dunkeln genießen wollte. Aber wenn ein Titel richtig gut ist, braucht es keine „Umgebungseffekte“, um mich ins Spiel eintauchen zu lassen.

Was mich im Endeffekt so richtig fesselte, waren die diversen Charaktere, die man sozusagen von Anfang bis Ende begleiten konnte. Hier gab es nicht nur einen Protagonisten, sondern derartig viele mit unterschiedlichen Eigenheiten – und meist einem tragischen Ende. Auch das ist natürlich eine Erzählform, die man so nicht oft präsentiert bekommt. Ähnliches gilt auch für die Level: Im Endeffekt gibt es ja quasi vier große Erzählstränge über eine Location – eine verbotene Stadt in Persien, einen Tempel in Kambodscha , eine Kathedrale in Frankreich und das Haus der Roivas auf Rhode Island –, sodass man die entsprechenden Gegenden immer wieder besucht. Trotzdem fühlt sich das nicht unnötig repetitiv an – eher im Gegenteil, denn die Entwickler haben es geschafft, dass sich die Levels trotzdem neu anfühlen, alte Tore versperrt und neue Wege offen sind. Addiert man noch das Element hinzu, dass man dann oft merkt, was die „Vorgänger“ bewirkt haben oder tiefer in Mysterien eintaucht, die diese aufgedeckt haben, gewinnt das Spiel merklich (nur in einem Fall, wenn ich mich richtig erinnere, spielen die einzelnen Episoden innerhalb eines Settings nicht chronologisch, was dieses Gefühl aber nicht aufhebt, sondern dann einfach die Frage bringt „wie kam es dazu?“)

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Trotzdem gebe ich ganz offen zu, dass ich nie das Secret Ending freigespielt habe. Die Unterschiede zwischen den diversen Gottheiten gibt es zwar, aber so gewaltig sind sie nun auch wieder nicht, dass es für mich einen weiteren Durchlauf des doch nicht ganz kurzen Spiels gerechtfertigt hätte (nicht, dass ich es nicht versucht hätte …). Vermutlich hätte ET da bessere Chancen bei mir, wenn ich es übers Herz bringen würde, einmal im Jahr einen Durchlauf zu starten und dazwischen die Saved Games aufzuheben, doch da stehe ich mir selbst im Weg – nach zu viel Abstand lösche ich lieber angefangene Spielstände und fange von vorne an (was natürlich meine Entscheidung, vollständige Spielstände immer aufzuheben, irgendwie ad absurdum führt – aber ich würde nie behaupten, in Sachen Videospiele so richtig logisch zu sein …). Und ja, wenn ich so darüber nachdenke, ist Eternal Darkness ein Spiel, das einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, obwohl ich es nur zweimal durchgespielt habe. Mir kommt es öfter vor – da muss wohl mein Kopf „mitgespielt“ haben …

Gut, kommen wir zum abschließenden Punkt: Warum vermisse ich Eternal Darkness? Und die Antwort darauf ist eigentlich simpel: Weil es kein Spiel gab, das ihm gleich kommt. Es gibt immer Titel, bei denen man hofft, dass ein Sequel kommt, und Eternal Darkness stand da immer ganz oben auf meiner Liste. Die Art, wie die Geschichte erzählt wird, aber auch die einzigartigen Ideen – das sind Dinge, die sich bei mir eingebrannt haben und die ich gerne nochmal – aber dann mit neuer Story – erlebt hätte. Leider dauerte es ja nicht mehr allzu lange, bis Silicon Knights an Qualität verlor und schon bald andere Probleme hatte (auch wenn ein Sequel ja im Laufe der Zeit durchaus in Produktion war – ein Teil der Assets hat ja den Weg zu Precursor Games und zu Shadow of the Eternals gefunden). Ach ja, gutes Stichwort: Ja, ich würde mich auch über das momentan auf Kickstarter platzierte Pseudo-Sequel freuen – und gleichzeitig bin ich skeptisch. Auch wenn ich jetzt aus meiner natürlichen Skepsis heraus vieles, was ich über Dyack gehört habe, mit einem Körnchen Salz genieße, glaube ich doch, dass der Erfolg von Eternal Darkness auch an Nintendo lag, die stark mit den Entwicklern zusammenarbeiteten. Würde diese kreative Achse erneut geschmiedet, würde es wohl anders aussehen und ich wäre gar nicht mehr zu halten. So … nun, man kann noch hoffen. Ein wenig Zeit haben sie ja noch, um das Geld aufzutreiben – auch wenn die Uhr natürlich tickt. Bis dahin wird es wohl Zeit, die Wii (oder doch den Game Cube?) mal wieder auszupacken und erneut in die Welt von Eternal Darkness abzutauchen. Immerhin ist es jenes Spiel, wegen dem ich es am meisten bereue, dass die Wii U nicht mehr zum Game Cube abwärtskompatibel ist. Trotzdem wage ich kaum auf einen Virtual Console-Release oder gar ein HD-Remake (man wird ja noch träumen dürfen) zu hoffen …

P.S: Im folgenden Video (das übrigens nicht von mir ist) kann man etliche (alle?) Sanity-Effekte nochmals genießen. Wer das Spiel noch genießen will, sollte also lieber nicht auf Play drücken …

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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