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Spiele, die ich vermisse #41: Biing – Sex, Intrigen und Skalpelle

Es gibt Spiele, die so gut sind, dass man sie auch nach Jahren noch vermisst. Und dann gibt es jene Spiele, die man vielleicht nicht aufgrund ihrer spielerischen Qualitäten vermisst, sondern vor allem deshalb, weil sie sich auf die eine oder andere Art in den Kopf gebrannt haben – mit Bildern, Zitaten, Taten … oder, in diesem Fall, plakativer, over the top gestalteter Comic-Erotik. Das sind allerdings jene Spiele, die man nicht regelmäßig vermisst, sondern eher anlassbezogen mal ungebeten im Kopf auftauchen. Und so ist es auch kein Wunder, dass es gerade dieser Titel ist, der mir heute in die Blog-Serie rutscht (tatsächlich findet er sich nämlich nicht in der „Master-Liste“): Ich war nämlich diese Woche ziemlich erkältet, verbrachte deutlich mehr Zeit als sonst mit Fieber im Bett und fühlte mich auch sonst matt und krank – und da kann einem ja nur eine Krankenhaussimulation einfallen. Manche von euch werden an dieser Stelle an Theme Hospital denken (das habe ich aber schon „vermisst“), andere über die Kombination „Erotik“ und „Krankenhaussimulation“ in den vorigen Sätzen nachgrübeln, wieder andere hingegen wissend nicken und sofort wissen, welche Stunde es geschlagen hat. Ich sage nur ein Wort: „Biing!“

Gut, vielleicht ist es an der Zeit, ein paar Leute – nämlich die, die nicht schon wissend nicken – aufzuklären: Biing ist eine deutsche Wirtschaftssimulation aus dem Jahr 1995, die von reLINE Software entwickelt wurde und grob gesagt versuchte, zwei verschiedene Spielertypen zu bedienen: Einerseits war es eine knallharte Wirtschaftssimulation, in der jede falsche Entscheidung (und manche richtige, wenn das Spiel einen dabei nicht unterstützte) Game Over bedeuten konnte. In dieser Hinsicht war Biing wirklich typische alte deutsche WiSim-Schule – richtiggehend gnadenlos und auf gewisse Art und Weise auch recht trocken. Andererseits war es die optische Aufmachung und so mancher Gameplaymechanismus, der das Spiel zu etwas völlig anderem machte: Im Gegensatz zur Konkurrenz war Biing nämlich gnadenlos auf Sex (und damit meine ich nicht qualitativen, sondern eher deutsches Billig-Schmuddelfilmchen-Niveau) gestyled. Das zeigt sich in den plakativen Grafiken (typisch für die damalige Zeit werden die einzelnen Räume durch Standbilder gezeigt, aber beinahe jede von ihnen zeigt die Krankenschwestern in sehr eindeutigen Posen), aber eben auch im Gameplay – die Währung nennt sich „Lümmel“, die Qualifikation der Schwestern ist weniger wichtig als die Oberweite und Ärzte sind natürlich nur so gut wie ihr Golfhandycap. Absolut realistisch, oder? Nicht umsonst nennen moderne Reviews das Spiel ein „satirisches Werk“. Ob die Satire beabsichtigt war oder ob es eher jugendliche Phantasien waren, die die Designer da ausgelebt haben, werden wir wohl nie erfahren. Damals wäre mir das Wort Satire aber definitiv nicht eingefallen – mittlerweile denke ich mir, gut, vielleicht war das tatsächlich so gedacht.

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Genau das machte den Markt für Biing allerdings äußerst schwierig. Mit seiner Aufmachung war es klar für pubertierende männliche Jugendliche gedacht, denen der Wirtschaftsaspekt vermutlich sehr egal, für die die Phantasien hinter dem Spiel allerdings kaufentscheidend waren; sie werden es allerdings wohl kaum geschafft haben, die ersten Tage zu überstehen, aber mehr brauchten sie auch nicht – sie hatten ja schon gesehen, was sie wollten. Der etwas älteren Zielgruppe, die vermutlich die Wirtschaftsaspekte stärker angesprochen haben, war allerdings der Humor doch zu seicht und das Spiel zu peinlich – wobei ich mir kaum vorstellen kann, dass irgendjemand beim Spielen von Biing von der Mutter/Freundin/Ehefrau ertappt werden wollte. Wenn man den Sex ausblendete und die Oberweitenstatistiken als blanke Zahlen annahm, wenn man ignorierte, dass man die Schwester auf Mausklick entkleiden konnte (was den männlichen Patienten die Wartezeit verkürzte), steckte dahinter ein ganz ordentliches – wenn auch keineswegs überragendes – Wirtschaftsspiel. Man musste Personal einstellen, anhand der Qualifikation einteilen – immerhin macht ein Zahnarzt in der Nervenklinik nur begrenzt Sinn – und ihre Gehälter managen; Land besorgen und Gebäude darauf stellen, die man dann für die Behandlung der Patienten nutzen konnte, und dabei immer das Budget im Hinterkopf behalten. Und dabei kam es durchaus zu komplexeren Zusammenhängen, die man erstmal durchschauen musste – oder hättet ihr gedacht, dass das Essen ins Lager wandert und dann nur von der Nachtschwester zur Versorgung der Patienten in der Station genutzt werden kann, wenn auch ein Lagerarbeiter Nächtens anwesend ist (die man übrigens anhand der Leberwerte auswählt)? Eben.

Meine persönliche Geschichte mit Biing begann… verzögert. Ich hatte die Tests gelesen und war – wie wohl die meisten männlichen Jugendlichen – durchaus interessiert (und zwar tatsächlich auch am Krankenhaus-Simulationsaspekt. Man denkt ja schließlich auch in dem Alter nicht nur unterhalb der Gürtellinie). Mangels digitaler Shops (ganz zu schweigen von Kreditkarten) konnten mich allerdings keine zehn Pferde dazu bewegen, mir das Spiel zu kaufen – wer will schließlich mit so einer Packung durch den Softwaremarkt seines Vertrauens stiefeln? Eben. (Das bringt ein ganz anderes Bild von etwas später wieder: Mein Nachbar, der sich ein paar Jahre darauf Wet – A Sexy Empire kaufte. Deutlich anzüglicher. Deutlich eindeutigere Packung. Mann, war der rot im Gesicht bei der Kasse … ). Das Interesse an Krankenhaussimulationen lebte ich inzwischen mit Theme Hospital aus und Biing verschwand für ein, zwei Jahre aus meinen Hinterkopf. Schließlich waren die meisten Wertungen ohnehin nicht so überragend.

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Erst ein wenig älter kaufte ich mir eine der damals typischen Spielesammlungen (könnt ihr euch noch erinnern? Zwanzig Spiele auf genauso vielen CDs in der praktischen Kartonverpackung zum Nice Price? Das waren noch Zeiten …) und fand darauf auch Biing (und das ohne verräterischen Packungsaufdruck, also einfach zu kaufen). Und das hieß: Das Spiel musste natürlich ausprobiert werden. Der erste Lacher, den das Spiel verursachte, hatte allerdings mit dem Titel selbst wenig zu tun – das Intro ist nämlich einfach gesagt seltsam, hat wenig mit dem Spiel zu tun und ist vermutlich das legendärste am ganzen Titel: Prinzessin Rosarot wird entführt und ein Held steigt in sein Raumschiff, um sie zu retten. Was folgt, ist quasi ein 2D-Shoot’em-Up, das schlussendlich im Gefecht gegen den Endboss schlecht ausgeht, denn der Held verglüht in einer Pixelexplosion. Nach den legendären Worten „Kommen wir nun aber zu etwas völlig anderem“ – Monty Python lässt grüßen – startet dann das eigentliche Spiel.

Ich würde unter keinen Umständen behaupten, dass ich in Biing jemals gut war. Der Reiz des Verbotenen, der Reiz der plakativen Erotik … das brachte mich immer wieder zurück, um meist rasch zu scheitern. Als Krankenhaussimulation machte Theme Hospital deutlich mehr richtig (und wandert aus diesem Grund bis heute manchmal auf den Monitor, während Biing nur ein paar Wochen interessant war und seitdem nicht mehr gespielt wurde). Das betrifft das Gameplay, aber auch den Zufallsgenerator, der in Biing notorisch unvorhersehbar ist – selbst wenn man alles richtig macht, bekommt man manchmal den Game Over Screen zu sehen (den erreicht man nämlich sofort, wenn man am Tagesende im Minus ist), einfach, weil die Patienten ausbleiben. Bei den Recherchen zu dem Artikel fand ich Features, die ich bei meinen Testläufen nie gesehen hatte, und erkannte, dass ich zwar manchmal ein paar Tage überlebt habe, aber schlussendlich doch immer wieder gescheitert bin. Oder einfach aufgehört habe zu spielen. Und das führt zu einer Erkenntnis, die eigentlich schon zu meiner abschließenden Frage führt: „Warum vermisse ich Biing“?

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Tatsächlich habe ich mir die traditionellen Antworten auf diese Frage leichter vorgestellt. Tatsache ist: Biing gehört zu jenen Spielen, die ich immer noch, etwa 15 Jahre, nachdem ich es das erste Mal gespielt habe, im Kopf habe. Sei es, weil es das erste ist, was mir beim Satz „Aber nun zu etwas ganz anderem“ einfällt, sei es, weil die Kombination „Sex“ und „Wirtschaftssimulation“ so nicht oft vorkam (und seit WET fallen mir auch kaum noch Spiele ein, die den Mix wagen – wäre vermutlich nicht Mainstream genug). Sind das die Gründe, warum Biing noch immer in meinem Kopf ist? Vermutlich, denn spielerisch gab es deutlich bessere Spiele und die Erotik verpuffte nach einiger Zeit – ich meine, wenn man ständig aufreizende Posen sieht (und zwar dieselben), fällt es einem irgendwann nicht mehr auf, wodurch das Gimmick irgendwann an Wirkung verlor.

Und daher kam ich für mich die Erkenntnis: Biing ist kein Spiel, das ich spielerisch vermisse; es ist ein Spiel, das in meinem Kopf gewachsen ist. Schon damals, schon als ich es das erste Mal spielte, war es eine Fantasie, der das Spiel nicht nachkam. Und diese Fantasie hat die Zeit – und das Gameplay – überdauert. Gut, manche Gags – eben zum Beispiel das Intro – kamen erst durch das Spiel dazu, genauso wie so manches Bild in meinem Kopf. Aber allein die Tatsache, dass ich nur noch einzelne Spielelemente wirklich in Erinnerung hatte und andere Erlebnisse recht abstrakt blieben, beweist, wie wenig mich das Spiel Biing tatsächlich beeindrucken konnte. Es sind einzelne gute Ideen, die das Spiel für mich immer wieder auftauchen lassen.

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Heutzutage würde ich wohl „Alleinstellungsmerkmale“ dazu sagen – jene Dinge, die mir in vielen Spielen der heutigen Tage fehlen, weil sie oft ganze Jahre zu Einheitsbrei machen. Es fehlen mir heute oft die Ecken und Kanten, weil Spiele auf die Masse poliert werden. Und genau deshalb, denke ich, vermisse ich Biing bis heute. Weil es Alleinstellungsmerkmale hat, die dem Spiel ein Profil gaben, das man so heute nicht mehr wiederfindet. Und damit ragt es aus dem Einheitsbrei in meinen Erinnerungen mehr heraus als viele andere. Ob es das verdient hat, ist eine andere Frage (spielerisch vermutlich nämlich nicht) – aber es ist zumindest ein Hinweis darauf, was mir heute bei vielen Spielen fehlt: Dinge, die einen Titel so einzigartig machen, sodass man 15 Jahre später noch sagen kann: „Oh, ja klar, das war DIESES Spiel.“ Und vermutlich sind es diese Dinge, die mich Biing vermissen lassen – so schlecht es in Wahrheit wahr.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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