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Spiele, die ich vermisse #31: Das Schwarze Auge: Die Schicksalsklinge

Dieser Blog ist ein Abschied. Nein, keine Angst, keiner für immer (hoffe ich). Aber wenn ihr diese Zeilen lest, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass ich mich bereits etliche Kilometer westlich der Redaktion und damit zumindest auf den Weg zu einer Woche auf schneebedeckten Hängen befinde. Richtig: Eine Woche auf Skiern zum Ausgleich des stressigen Redaktionsalltags ist angesagt. Deshalb möchte ich auch ausnahmsweise ein zukünftiges Ereignis als Auslöser für meine Erinnerungen wählen: Mit in den Urlaub nehme ich nämlich nicht nur die berühmten zwei Brettln, sondern auch ein halbes Kilo Regelwerk in mehreren Büchern und eine ordentliche Menge an Würfeln der sechs- aber auch zwanzigseitigen Art. Schließlich will man sich auch am Abend beschäftigen – und was liegt da näher als ein zünftiges Abenteuer in der Welt des Schwarzen Auges (zumindest angesichts der Tatsache, dass der Großteil meiner typischen Pen&Paper-Runde mit uns den Urlaub verbringt)? Eben. Und diese Erinnerung führt mich zurück zu einer Zeit, als ich das Rollenspielsystem für mich entdeckte – und mit der Nordlandtrilogie die dazugehörigen Spiele gleich mit.


An diesem Punkt vielleicht ein kurzer Exkurs für all jene, die nicht wissen, um was es sich bei Das Schwarze Auge (in Zukunft schreibe ich immer DSA und hoffe, dass mir die Autokorrektur nicht allzuviele Ausbesserungen auf DAS durchführt) handelt: DSA ist ein deutsches Pen & Paper-Rollenspielsystem, lässt sich also grundsätzlich mit anderen bekannten Systemen wie Dungeons & Dragons oder Shadowrun vergleichen. Traditionellerweise spielt man diese Spiele in der Gruppe, wobei (fast) jeder Spieler einen selbst ausgedachten und anhand des Regelwerk erstellten Charakter spielt. Dieser besteht nicht nur aus jeder Menge Zahlenwerten, wie sie wohl jeder, der einmal ein West-Rollenspiel am Computer gespielt hat, gesehen hat, sondern vor allem auch aus einer Persönlichkeit, die mehr ist, als blanke Werte sagen können. So ist nach der Erstellung beispielsweise klar, dass man ein Krieger aus einer Adelsfamilie ist und vielleicht eine gewisse Portion Arroganz mitbekommen hat, aber die Ausgestaltung dieser Eigenschaften obliegen dem Spieler, der diesen Charakter durch seine Aussagen und Beschreibungen zum Leben erweckt. Und dann gibt es da noch die Ausnahme von der Regel: den Meister. Er ist der Geschichtenerzähler, der, der alle anderen Figuren spielt, und gleichzeitig die oberste Regelinstanz. Er ist der einzige, der weiß, wohin das Abenteuer geht und auf die Ideen und Handlungen der Spieler reagieren muss. Manche Meister legen es sehr darauf an, sich als Gegenspieler der Gruppe zu sehen. Andere sehen das Spiel als kollektive Erfahrung, bei der ein „mit den Spielern spielen“ genauso wichtig ist wie das „gegen die Spieler spielen“. DSA bietet darüber hinaus jede Menge Hintergrundinfos zur Welt, die das Spiel ziemlich einzigartig machen. Immerhin gibt es eine umfassende Geschichte des Kontinents Aventurien, ausführliche Beschreibungen der diversen Regionen und nicht zuletzt über bald schon dreißig Jahre im Spiel erzählte Geschichte, denn die Welt des Schwarzen Auges bleibt niemals stehen. Ständig wird intrigiert, Krieg geführt oder mal eben die politische Landkarte durch ein weltbewegendes Ereignis verändert. Das ist, was DSA für mich einzigartig macht – auf der anderen Seite macht es das schwer, auf Stand zu bleiben und neben immer wieder erscheinenden Regelupdates (aktuell ist 4.5) sind auch diverse Regionalinfos irgendwann wieder veraltet. Oder, umgekehrt gesagt (das Problem haben wir gerade, da wir deutlich in der Vergangenheit spielen) auch manchmal zu aktuell.

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So, jetzt aber genug vom Exkurs. Spätestens seit den beiden Drakensang-Teilen oder Daedalics Adventure Satinavs Ketten ist auch den meisten Computerspielern DSA wieder ein Begriff. Wer wie ich allerdings seine spielerischen Wurzeln in den frühen 90ern hat, kennt DSA noch aus einem anderen Grund – und der heißt „Die Nordlandtrilogie“ und ist eine deutsche Rollenspiel-Serie aus den frühen bis mittleren 90ern. Ich werde mich heute allerdings nicht auf die ganze Serie, sondern nur auf ihren ersten Teil, genannt „Die Schicksalsklinge“, konzentrieren.

Bevor ihr ins Abenteuer startet, müsst ihr zunächst eure sechsköpfige Heldengruppe generieren. Die Nordlandtrilogie basiert noch auf dem Regelwerk der dritten Edition, was heißt, dass die Charaktererstellung eigentlich recht kurz und schmerzfrei ist (und wer es noch einfacher braucht, kann den Anfängermodus nehmen, in dem man noch weniger erledigen muss): Man wählt Namen, Geschlecht und lässt dann das System die Eigenschaftswerte auswürfeln. Sieben gute und sieben schlechte Eigenschaften wollen nämlich mit Zahlen bestückt werden, weshalb euch das Spiel fragt, welches Würfelresultat welchem Wert zugeordnet werden soll. Leider ist es – anders als im eigentlichen Pen & Paper-Regelwerk – nicht vorgesehen, zuerst alle Werte zu sehen und diese dann passend zu verteilen, sondern man erfährt nur, dass man jetzt eine 13 hat (wer‘s genau wissen will: W6+7 gilt für die guten Eigenschaften) und wird gefragt, welchem Wert (also Mut, Klugheit, Körperkraft, etc) man sie zuordnen will. Eine nachträgliche Korrektur (abgesehen vom regeltechnisch erlaubten Erhöhen von guten Eigenschaften durch gleichzeitige Veränderung zweier schlechter Attribute) ist nicht vorgesehen – wer schlecht verteilt hat, muss von vorne anfangen. Das ist insofern bitter, als die Werte bestimmen, welche Klasse man spielen kann und man deshalb besser vorsorglich im Handbuch nachschauen sollte, welche Werte man als z.B. Krieger besonders hoch ansetzen sollte – schließlich soll die Party ja einen guten Mix aus diversen Klassen darstellen.

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DSA 3 setzte noch nicht auf das Baukastensystem, das die vierte Edition auszeichnet (es gibt also z.B. nur einen Krieger, aber nicht die Option „ich bin ein Krieger, der im Süden geboren wurde, aber dann bei Elfen aufgewachsen ist – übrigens für mich der größte Fehler von Drakensang, dieses System nicht umzusetzen). Wer einen Charakter im Pen & Paper-System erstellte, musste also nach dem Würfeln vor allem eines tun: eine lange Liste an Talentwerten abschreiben, denn eine Tabelle gab genau Auskunft darüber, wie gut zum Beispiel ein Elf nach dem Ende seiner Ausbildung mit Schwertern umgehen konnte oder wie viel er über Magie wusste. Diese Aufgabe blieb euch in den Spielen der Nordlandtrilogie erspart, denn das übernahm das System genauso wie das berühmte Ausrechnen der abgeleiteten Werte (Nichteingeweihte mussten beim ersten Mal, als sie die Formel MR=(MU+KL+KK)/2-2xAG hörten, meist deutlich schlucken – kein Wunder, dass Rollenspieler als Nerds verschrien sind!). Nicht erspart blieb euch hingegen das Steigern der Charakterwerte, womit ihr endlich eure Figur an eure Vorlieben anpassen konntet. Auch hier spielte allerdings in der dritten Edition noch der Zufall ein wenig mit, weshalb die 20 Steigerungsversuche auf die Talentwerte oft nicht hundertprozentig ausgenutzt werden konnten. Sobald ihr das alles sechs Mal durchgestanden hattet, um eine fertige Party zusammenzustellen, konnte es auch wirklich losgehen – verdient hattet ihr euch das dann nämlich definitiv!

An diesem Punkt ein kurzer Überblick, worum es in die Schicksalsklinge überhaupt geht: Ihr folgt dem Aufruf von Hetman Tronde, der weiß, dass die Stadt Thorwal in großer Gefahr steckt: Die Orks rotten sich zusammen und sollen einen gemeinsamen Führer haben, was die Schwarzpelze noch gefährlicher als sonst macht. Um einen Krieg zu verhindern, will er die Orks beeindrucken – und was wäre besser als eine legendäre Waffe, mit der ihr Anführer im Zweikampf besiegt wird? Eben. Das Problem ist nur: Grimring, das Schwert des legendären Hyggelik, ist im Orkland verschollen und wohl mit ihm begraben worden. So weit, so unklar – und soweit auch alle Informationen, die ihr zu Beginn bekommt. Gut, abgesehen von dem kleinen Hinweis, dass ein Nachfahre von Hyggelik in einem nahen Dorf wohnt. Und an diesem Punkt werdet ihr euch selbst überlassen.

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Das ist auch die Spezialität dieses ersten Teils der Nordlandtrilogie: So sperrig die Grafik ist, so viele aus heutiger Sicht veraltete Gameplayideen es auch gibt, so viel Freiheit gibt euch das Spiel – was auch ein gewisses Hindernis ist. Es gibt ein klares Zeitlimit – binnen zweieinhalb Jahren müsst ihr Grimring gefunden und den Orkanführer überrumpelt haben, sonst bricht der Krieg aus und ihr habt verloren. Wie ihr das Abenteuer vorher zuende bringt, ist allerdings eure Sache: Ihr könnt einfach den diversen Hinweisen nachgehen, die euch zur Karte führen, aber auch damit wenig zusammenhängenden Sidequests nachgehen, mit Gegnern kämpfen und noch vieles mehr.

Grundsätzlich gab es drei verschiedene Teile des Gameplays: In Städten oder Dungeons erkundetet ihr die Welt aus der Ego-Perspektive, wobei hier noch schrittweise umgeklappt wurde und freies Drehen nicht möglich war. Besonders die Städte litten unter den technischen Beschränkungen des (schon zum Release 1992 durchaus veralteten) Spiels: Sie waren zwar zahlreich und auch groß, aber grafisch eintönig, was das Erkunden unübersichtlich machte. Wenn man ein bestimmtes Haus finden musste, kam man sich manchmal vor wie in Asterix bei den Briten, da man sie kaum voneinander unterscheiden konnte. Außerdem musste man in die Schicksalsklinge noch Städte durchlaufen, um eine Reise fortsetzen zu können – wollte man von A nach B gelangen und führte der Weg durch Siedlung C, musste man die Reise bei C unterbrechen, in der Siedlung den richtigen Wegpunkt für eine Abreise zum gewünschten Ort finden und aufbrechen. Umständlich? Ja, definitiv.

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Damit sind wir auch schon beim zweiten Teil des Spiels, den Reisen. Zwischen den Ortschaften wurde per Überlandkarte gereist, wobei die Zeit schnell vergeht, wenn nicht größere Ereignisse eintreten (bei denen ihr oft per Multiple Choice entscheiden könnt, was ihr tun wollt) oder es Zeit wird für ein Nachtlager, bei dem es dann noch zusätzliche Optionen gibt – schließlich wollen Wachen aufgestellt, aber auch Kräuter gesucht und Wild erlegt werden. Und dann wäre da natürlich auch noch der wichtige Schlaf, schließlich regeneriert man nur hier langsam die Lebens- und Astralenergie.

Der dritte Teil waren die Kämpfe, die aus der Iso-Perspektive ausgetragen wurden. Eine Figur nach der anderen kam an die Reihe und durfte ihre Bewegungspunkte verbrauchen (ein Konzept, das es so in den DSA-Regeln nicht gibt), die für diverse Aktionen, von Bewegen bis Angreifen, ausgegeben werden konnten. Diese Kämpfe waren gar nicht mal leicht, gerade auf den niedrigen Stufen konnte man auch bei Gleichstand leicht sein Leben aushauchen. Heute wäre das Balancing sicher userfreundlicher – aber gleichzeitig würde damit eine große Menge des Flairs verloren gehen. Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass in diesem ersten Teil jedes Speichern Erfahrungspunkte kostet, was meist bedeutete, dass man weniger oft speicherte – was ein Ableben nach langem Spieltag umso unangenehmer machte.

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Entwickelt wurde Die Schicksalsklinge von Attic gemeinsam mit den damaligen Lizenzhabern Fantasy Productions, was neben Guido Henkel (der spätestens mit seinem späteren Projekten Planescape zu den bekannteren deutschsprachigen Entwicklern gehört) auch DSA-Ikone Thomas Römer an Bord brachte. Die Urversion erschien neben dem PC auch für den Amiga und auf Disketten; eine zum Release des Sequels herausgebrachte CD-ROM-Version enthielt auch den wunderschönen Soundtrack als Audiotracks, die heute noch gern gesehene Untermalung in DSA-Runden darstellen.

Und damit bin ich auch schon bei meinen persönlichen Erinnerungen an das Spiel. Als Die Schicksalsklinge erschien, hatte ich noch kein Interesse an der Welt des Schwarzen Auges und das Spiel blieb deshalb unbeachtet. Das änderte sich erst im Sommer 1994, als ein Nachhilfeschüler sich unerwartet zu meinem besten Freund entwickeln sollte und er in meinen Freundeskreis seine Begeisterung für DSA mitbrachte. Aber auch dann entdeckte ich Aventurien eher vom Pen&Paper-Standpunkt aus. Die Nordlandtrilogie lernte ich erst im Winter 1994 kennen – und zwar mit dem mittleren Teil Sternenschweif, den ich rasch ins Herz schloss. Als Komplettist (und aufgrund der Tatsache, dass man die Party aus dem ersten Teil übernehmen konnte) wollte ich aber natürlich die Schicksalsklinge nachholen. Was folgte, war ein Kulturschock: Sternenschweif hatte schon viele Verbesserungen und ein deutlich überarbeitetes Spielsystem, das der Schicksalsklinge fehlte. Deshalb dauerte es ein wenig, bis das Spiel dann umso heftiger zupackte: Ich wollte Grimring finden, bevor die Orks in Thorwal einfielen. Ich wollte alle Schatzkartenteile finden. Das offene Gameplay war dabei Abschreckung und Ansporn zugleich: Eigentlich bin ich jemand, der gerne weiß, wo man hingehen muss, während Hinweise wie „Ja, die Händlerin segelt hier die Küste auf und ab, viel Glück, am richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein“ für mich meist eher unangenehm sind. Auf der anderen Seite gab es so viele Möglichkeiten, die vor allem dem DSA-System geschuldet waren, das nicht auf die Notwendigkeiten eines Computerrollenspiels heruntergestutzt wurde, sondern diese erweiterte. Ja, es gab Talente, die man kaum brauchte. Aber wenn man Geld brauchte, konnte man auch seine Laute auspacken oder in der Taverne tanzen, und auch manche exotische Magiertypen fanden den Weg ins Spiel. Und das war gut für das Flair.

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Also, warum vermisse ich Die Schicksalsklinge? Weil es eine umfassende Umsetzung meines Lieblings-Pen&Paper-Systems ist; weil es eines der wenigen offenen Rollenspiele war, mit denen ich etwas anfangen konnte; wegen der Musik, die ich bis heute in Spielesessions einsetze; wegen der Möglichkeiten, meinte Party durch eine ganze Trilogie an Abenteuern zu führen; weil die Überlandreisen für mich einen besonderen Reiz darstellten. Weil das Flair von Aventurien gut umgesetzt wurde; und, nicht zuletzt, weil es aufgrund der vielen Texte nahe an das Gefühl herankam, mit einem Meister an einem Tisch zu sitzen.

Zum Abschluss noch eine spielerische und eine persönliche Fußnote: Auch wenn es zu diesem Zeitpunkt noch kein DSA in den USA gab (das kam erst mit der vierten Edition unter dem Namen The Dark Eye) wurde das Spiel nach Übersee gebracht – allerdings unter dem Namen Realms of Arkania. Dafür wurden allerdings die Abenteuerpunkte verzehnfacht (aber auch die Levelgrenzen, sodass das Balancing gleich blieb) – Amis lieben scheinbar große Zahlen.

Und die persönliche Fußnote? Habt viel Spaß mit diesem Blog – er wird euch etwas länger bleiben als sonst. Urlaub sei Dank werde ich nächste Woche auslassen und hoffe, dann in zwei Wochen wieder ein neues Spiel vermissen zu können. Zumindest, wenn mich nicht die Arbeit mit den Spielen von heute nach meiner Rückkehr erschlägt. Wir lesen uns!

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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