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Spiele, die ich vermisse #183: Persona 4 (Golden)

Twin Peaks für Jugendliche

Es gibt einen Grund, warum ich mit neuen (Spiele-)Reihen immer vorsichtig bin: Habe ich mich einmal fesseln lassen, kann ich nur schwer aufhören, ohne mich mehr mit den Wurzeln der Serie beschäftigt zu haben – was bei manchen Games einfach, bei anderen schwieriger, bei wieder anderen einfach nur langwieriger ist. Vor einigen Ausgaben (und vor über einem Jahr) habe ich mich mit Persona 5 befasst und damals schon angekündigt, dass ich mich auch weiter mit der (für mich) neuen Reihe beschäftigen möchte (beziehungsweise schon mit Persona 4 angefangen hatte). Ein Vorsatz, der nicht nur aufgrund der Länge des Spiels (auch Teil 4 ist ein ordentlicher Brocken), sondern auch aufgrund der Nebeneffekte des „Rückwärts-Spielens“ länger gedauert hat als gedacht. Aber jetzt bin ich am Ende angekommen – und vermisse Persona 4 bereits jetzt. Dass dieser Post zufällig (dieser Artikel war knapp zwei Monate in Entwicklung und die Spiele-Session dahinter hat noch länger gedauert) auch noch dank der „Nicht-E3“ derart aktuell wurde – immerhin wurde vor kurzem angekündigt, dass Persona 5 Royal, Persona 4 Golden und Persona 3 Portable auf neuen (und zum Teil erstmalig aktuellen Systemen) erscheinen werden – war nicht geplant, ist aber ein willkommener Bonus.

Japan, April 2011: Der Teenager Yu Narukami (so sein kanonischer Name aus späteren Teilen – das Spiel erlaubt euch, den Namen des Protagonisten selbst zu wählen) trifft in Inaba ein, einem kleinen japanischen Städtchen; da seine Eltern einen Job im Ausland angenommen haben, soll er ein Jahr bei seinem Onkel Ryotaro Dojima und seiner Cousine Nanako leben. Inaba ist eigentlich eine klassische, beschauliche Kleinstadt mit typischen Problemen (unter anderem dem Einkaufszentrum Junes, das seit seiner Eröffnung dafür gesorgt hat, dass die Innenstadt zusehends verwaist). Doch dann kommt es zu einer Reihe von mysteriösen Morden: Zuerst wird eine Moderatorin tot aufgefunden, bald darauf jener Schüler, der ihre Leiche entdeckt hat. Für Yu bedeutet das zunächst nur, dass sein Onkel (ein Polizist) noch weniger Zeit für ihn und seine kleine Cousine hat – er muss sich allein in Inaba einleben. Immerhin findet er an der High-School rasch Anschluss und in Yosuke Hanamura, dem Sohn des Managers von Junes, und Chie Satonaka, einer Martial-Arts-verrückten, energetischen Schülerin, rasch erste Freunde; er beginnt, seinen neuen Alltag zwischen Schule, Jobs und Freizeit aufzubauen.

Doch das (abgesehen von den Morden) beschauliche Kleinstadtleben wird rasch komplizierter, als eine Urban Legend sich gewissermaßen als Wahrheit erweist: Unter den Schülern gibt es Gerüchte rund um den Midnight Channel – ein Fernsehprogramm, das man nur um Mitternacht einer Regennacht bei ausgeschaltetem TV-Gerät „empfangen“ kann und angeblich den Seelenverwandten des Zusehers enthüllt. Das müssen auch Yu und seine Freunde ausprobieren – und tatsächlich ist jemand auf der Mattscheibe zu sehen. Knapp darauf wird auch klar, dass die Gruppe durch Fernseher (optimalerweise in der TV-Abteilung von Junes, da große Breitbildfernseher komfortabler zu diesem Zweck sind) in eine andere Welt gelangen können. In dieser TV-Welt treffen sie auf eine mysteriösen Gestalt im Teddybären-Kostüm (beziehungsweise eigentlich eher ein leeres, wanderndes Teddybären-Kostüm) namens Teddie und stellen mit seiner Hilfe rasch fest, dass die Mordopfer vor ihrem Tod in seiner nebelverhangenen Welt festhingen und es auch diese sind, die im Midnight Channel zu sehen sind. Als eine Schulkollegin verschwindet, macht sich die Gruppe auf, um sie hoffentlich rechtzeitig aus der TV-Welt zu holen. Dabei eröffnen sich ihnen völlig neue Kräfte, denn die unterdrückten Seiten ihrer Seele manifestieren sich als Persona und statten sie mit mächtigen Kräften im Kampf gegen die Schatten aus …

Wie schon bei Persona 5 gilt: Zwei Absätze über die Story und ich habe noch kaum an der Oberfläche gekratzt – das Beschriebene ist eigentlich maximal der Prolog der Handlung und damit eher jener Punkt, an dem die Geschichte so richtig losgeht, die euch – vor allem in der Golden-Version – einmal mehr über 80 Stunden beschäftigen kann (ein eventuelles New Game+ nicht eingerechnet). Da die Story aber ein echtes Highlight dieses Spiels darstellt, will ich natürlich gar nicht weiter spoilern – halten wir einfach fest, dass Yu und seine ständig wachsende Zahl an Freunden nach und nach dem Mörder und dem Mysterium hinter der TV-Welt auf die Spur kommen. Und weil das noch nicht genug Probleme sind, schlagen sie sich mit Themen des Erwachsen-Werdens, der Selbstfindung und dem Schulalltag herum. Schließlich ist Persona 4 einmal mehr nicht nur ein Rollenspiel, sondern auch eine Lebenssimulation, in der ihr eure Freizeit gut einteilen müsst, um Schule, soziale Kontakte, eure persönliche Weiterentwicklung und natürlich die Ausflüge in die TV-Welt unter einen Hut zu bringen. All das ist einerseits eine Notwendigkeit, um das Spiel erfolgreich zu beenden, weil die Systeme ineinandergreifen, andererseits ist kein Perfektionismus gefragt: Man kann das Spiel durchaus beenden, ohne zum Beispiel alle Beziehungen zu seinen Mitmenschen zu maximieren. Mehr noch: Ohne Glück oder einen guten Guide wird es wohl kaum möglich sein, alles im ersten Durchlauf zu erreichen. New Game+ macht hier deutlich mehr möglich – allerdings einmal mehr mit dem entsprechenden Zeitaufwand.

Passend zum recht breiten Fokus zerfällt auch das Gameplay grob gesagt in zwei Teile. Einerseits das Leben von Yu als Teenager: Ihr folgt seinem Tagesablauf und entscheidet am Nachmittag und Abend, wie ihr die Zeit verbringt (der Vormittag ist normalerweise mit Schule verplant). Geht ihr mit Freunden ins Kino, verbringt mit euren Mitmenschen Zeit, verdient ihr mit Jobs Geld oder widmet euch eurer persönlichen Weiterentwicklung (ja, auch das ist eine Option, schließlich werden sich manche Beziehungen nicht weiterentwickeln, wenn ihr nicht mutig oder gebildet genug seid)? All das kostet Zeit, die ihr vielleicht lieber für das Kloppen von Monstern verwenden würdet– andererseits gibt es gerade hier viel Gelegenheit, die Figuren kennenzulernen und ihre Hintergründe zu vertiefen. Und tatsächlich haben vor allem jene Charaktere, mit denen ihr eine besonders intensive Beziehung führt, die das Spiel auch trackt (weil ihr hier in Stufen aufsteigt, die wiederum andere Auswirkungen haben) oft eine intensive Hintergrundgeschichte, die sich erst nach und nach offenbart. Und damit ist nicht nur die Party gemeint, auch wenn die Beziehung zu euren Freunden wohl zu den wichtigsten in einem Durchlauf gehört.

Doch dann gibt es auch noch einen zweiten Modus – jenen, den ihr erreicht, wenn ihr in die TV-Welt abtaucht, um jene, die in ihr verschwunden sind, zu retten (oder einfach nur aufzuleven und eure Nebenquests durchzuführen). Hier übernehmt ihr die Kontrolle über eine vier Personen umfassende Party (Yu ist dabei Fixstarter und überlebenswichtig – geht er über den Jordan, ist das Spiel vorbei) und begebt euch in die diversen Teilbereiche des nebelverhangenen, andersweltlichen TV-Studios. Diese Bereiche sind passend zu den Geheimnissen derjenigen, die sich in der Welt verirrt haben, gestaltet (was vom japanischen Dampfbad über ein Schloss bis hin zu einem Strip-Club gehen kann); das Layout der einzelnen Ebenen (man muss mehrere durchschreiten, bis man zum finalen Kampf gelangt) ist allerdings bis auf wenige Ausnahmen (Puzzle-Ebenen, manche Boss-Bereiche) zufallsgeneriert. Auf der Suche nach dem nächsten Auf (oder Ab-)Stieg stoßt ihr nicht nur auf Schatzkisten, sondern auch auf zahlreiche Gegner – die Schatten. Natürlich könnte man ihnen in vielen Fällen davonlaufen oder sie umgehen, aber dies ist oft nicht die beste Wahl: Nur in Kämpfen gegen diese Zufallsgegner werden eure Charaktere und ihre Personas an Stärke gewinnen.

So wie das Dungeon-Erkunden sich noch am ehesten am ganzen Spiel wie ein „normales“ JRPG anfühlt, gilt das auch für die Kämpfe. Es sind nämlich eigentlich ganz normale Rundenkämpfe, bei denen eure Gruppe gegen die Gegner antritt. Allerdings gibt es dabei den typischen Persona-Spin. Einerseits könnt ihr neben physischen Angriffen und einer Verteidigungshaltung (oder auch einem Fluchtversuch) auf die Kräfte eurer Persona zurückgreifen. Zur Verfügung stehen dabei sowohl physische Angriffe (die euch HP kosten) als auch diverse magische Sprüche, die SP verbrauchen. Eure Begleiter haben nur eine Persona mit ganz spezifischen Eigenheiten (sprich vor allem: Elementstärken und -Schwächen sowie passende Zauber), während Yu eine Wildcard ist. Er kann mehrere Persona an sich binden und diese im Kampf wechseln (und im serientypischen Velvet Room, der in diesem Fall eine Luxuslimousine, die in einer Zwischenwelt herumfährt, ist, beim mysteriösen Igor aus bestehenden Persona neue fusionieren). Das ist vor allem deshalb wichtig, weil das Kampfsystem stark auf das Ausnützen von Gegnerschwächen fokussiert. Klar kann man das Gegenüber langsam auf 0 HP herunterschlagen (außer er ist gegen physische Angriffe immun oder kann diese gar absorbieren); aber es geht bedeutend schneller, wenn man herausfindet, welche Angriffe er so gar nicht verträgt und genau damit angreift (das Spiel führt freundlicherweise Buch darüber, was ihr schon herausgefunden habt). Ein Angriff damit bringt den Gegner zu Boden und gibt euch als Belohnung dafür einen Bonuszug – leider funktioniert das für eure Kontrahenten genauso; habt ihr alle Feinde gleichzeitig zu Boden gebracht, könnt ihr die All-out-Attacke nutzen, bei der die gesamte Party einen Zug lang den Gegner mit aller Macht verkloppt. Im Optimalfall können so Trashmob-Kämpfe in Windeseile abgehandelt werden: Ein gut gewählter Elementarspruch (am besten noch (wenn passend) auf alle Gegner gleichzeitig), eine All-Out-Attacke – und das war es auch schon wieder. Dass dies spätestens bei Bosskämpfen nicht mehr ganz so einfach ist, ist wohl klar.

Nach dem Kampf kann es sein, dass ihr noch eine Runde Karten spielen müsst. Dies heißt „Shuffle Time“ und unterscheidet sich im Detail deutlich zwischen den beiden Releases (dazu später mehr) Persona 4 und Persona 4 Golden. Im Endeffekt geht es aber in beiden Fällen um das taktische Auswählen von Karteneffekten je nach eurer Situation. In P4 erfolgt dies über diverse Minispiele – Memory, aber auch Slot-Maschinen, in denen ihr neue Persona gewinnen, aber auch eure erkämpften Boni verlieren könnt. In Golden wird es hier vielseitiger: Normalerweise könnt ihr nur eine Karte aus den ausliegenden wählen – und so zum Beispiel neue Persona für Yu, aber auch mehr XP, Geld oder ein wenig Heilung erhalten; andere Effekte machen euch zum Beispiel für eure Gegner eine Weile unsichtbar. Es gibt aber auch Karten, die euch Geld kosten oder die Erfahrung halbieren. Warum ihr diese auswählen solltet? Weil sie zum Teil bedeuten, dass ihr mehrere weitere Karten wählen könnt oder die ausliegenden ausgetauscht werden, es aber auch einen Bonus gibt, wenn ihr alle ausliegenden Karten aufhebt. Dann könnt ihr nämlich beim nächsten Shuffle-Time-Event von vornherein mehr aufnehmen.

Die Entwicklung von Persona 4 begann unmittelbar nach dem Release von Teil 3 bei Atlus. Schon damals zeichnete sich das Team, das später P-Studios (das spezielle Persona-Team) werden würde, für die Entwicklung verantwortlich. Director Katsura Hashino beschreibt, dass ein großer Teil des Teams von Persona 3 erhalten blieb, man aber auch etliche Neuzugänge – oft Fans des Vorgängers – anheuerte und von vornherein versuchte, sich erneut zu übertreffen. Ein großer Fokus lag auf dem frischen Setting – statt der Großstadt diesmal eben ein „Nirgendwo“, inspiriert von der Gegend rund um den Berg Fuji – und der Story, die dem Spieler ein viel klareres Ziel vorgeben sollte. Deshalb entschied man sich auch für den Krimi-Plot, für den man sich Inspiration bei den Größen des Genres von Arthur Conan Doyle, Agatha Christie und Seishi Yokomizo holte.

Ein weiteres wichtiges Thema in der Entwicklung war das Thema identität, das nicht nur den Persona und den unterdrückten Seiten der Charaktere in der TV-Welt entspringt, sondern sich auch in den Hintergrundgeschichten der Teenager wieder findet. Dies wird in zahlreichen Facetten beleuchtet, von der Suche nach der Berufung über Geschlechtsidentität oder auch „männliche/unmännliche“ Tätigkeiten. Ich will hier gar nicht zu sehr ins Detail gehen, weil dies zu viel über die Figuren verraten würde, aber die Autoren haben sich definitiv Mühe gegeben, den Teenager-Figuren Tiefe zu geben und sie nicht nur den Kampf gegen die Schatten, sondern auch mit sich selbst führen zu lassen. Das betrifft allerdings nicht alle Figuren – manche NPCs (vor allem erwachsene Figuren) kommen deutlich „flacher“ daher. Der Fokus liegt klar auf der jungen Generation.

Das recht klein gehaltene Setting von Inaba und Umgebung schrumpfte die Welt im Vergleich zum Vorgänger ein wenig zusammen, erlaubte aber, in anderen Spielbereichen mehr zu bieten. Gleichzeitig gelang es aber so auch, den Alltag der Figuren besser herauszuarbeiten. Um zu verhindern, dass dieser Teil des Spiels zu langweilig oder gar repetitiv wird, wurden mehrere In-Game-Events eingebaut, die die Routine durchbrechen. Im Endeffekt wurde so viel in das Spiel hineingestopft, dass man befürchtete, man würde mehr als eine DVD benötigen. Dennoch schloss man von vornherein aus, die Route von Persona 3 FES zu gehen, das eine Add-on-Disk mit einem Epilog zu Persona 3 hinzufügte. Auch sonst beachtete man, was das Team an Feedback zu Teil drei bekommen hatte. Zum Beispiel wurde die Tatsache, dass man im Vorgänger nur den Protagonisten direkt steuern konnte, gegen eine Steuerung des ganzen Teams ausgetauscht (eine KI-Steuerung der Party ist allerdings optional). Das funktionierte so gut, dass man sie in die spätere Portable-Version von Teil drei übernahm.

Anders als bei den ersten Teilen war bei Persona 4 bereits etabliert, dass man das zutiefst Japanische bei der Lokalisation nicht verlieren möchte. Trotzdem war der Übersetzungsprozess aufwendig, weil man den Lokalkolorit beibehalten wollte (inklusive zum Beispiel der korrekten Nutzung von Honorifics wie „-san“ und „-senpai“), aber gleichzeitig sicherstellen wollte, dass das Resultat auch für westliche Spieler verständlich bleibt. Deshalb wurde behutsam angepasst, Spitznamen (zum Beispiel von Teddie und dem Teenager-Idol Risette) verändert und auch mehr auf Vornamen gesetzt, als dies die Original-Version korrekterweise tat. Und natürlich musste auch darauf geachtet werden, dass man zwar die japanische Popkultur zelebrieren wollte, aber manche Anspielungen einfach für den westlichen Spieler nicht verständlich gewesen wären.

Als Persona 4 2008 (in Europa erst 2009) für die PS2 erschien, waren die Kritiken sehr positiv, wenn auch nicht ohne einzelne Negativ-Punkte herauszugreifen. Man war sich durchgehend einig, dass man es hier mit einem der besten JRPGs der letzten Jahre zu tun hatte, auch wenn sich nicht alle Reviewer sicher waren, ob sich genug seit dem Vorgänger getan hatte. Das Murder-Mystery-Setting und das Kleinstadtflair fanden Anhänger (inklusive Vergleichen von Twin Peaks bis zu Scooby-Doo), aber es gab Kritik am bisweilen etwas schwachen Pacing der Story, das Durchhänger nicht vermeiden konnte. Durchgehend Lob gab es für den Tiefgang der Charaktere; insbesondere Kanji wurde herausgegriffen, den manche Autoren als einen gelungenen Kommentar auf die Probleme mit Coming-Out in der japanischen Gesellschaft beschrieben (auch wenn kritisiert wurde, dass Atlus seine tatsächliche Orientierung vage beließ). Nur technisch war man nicht ganz so begeistert – abgesehen von den gern kritisierten Ladezeiten erschien das Spiel noch auf der PS2, obwohl die neue Konsolengeneration PS3 und Xbox 360 bereits verfügbar war – und wirkte dementsprechend grafisch angestaubt. Durchgehend gelobt wurde hingegen der Soundtrack. Auch bei den Fans kam das Spiel gut an und führte sowohl die Verkaufscharts in Japan als auch in den USA bei Amazon eine Weile an. Auch einige Awards konnte das Spiel einsammeln.

Der Erfolg führte dazu, dass man sich entschloss, eine weitere Version des Spiels herauszubringen. Der erste Plan war, dem Erfolg von Persona 3 Portable nachzueifern, das Persona 3 (ursprünglich auf der PS2 erschienen) auf die PSP gebracht hatte, dabei aber neben den schon erwähnten Verbesserungen auch einige Abstriche hinnehmen musste, um das Spiel auf den beschränkten Ressourcen des ersten Sony-Handhelds zum Laufen zu bringen (was bis heute zu heftigen Diskussionen unter Fans führt, welches nun eigentlich die definitive und beste Version von P3 ist; da allerdings jetzt im Rahmen der „Nicht-E3“ ein Port der Portable-Version für aktuelle Systeme angekündigt wurde, scheint zumindest Atlus zu wissen, welche sie als definitive Fassung ansehen). Dieses Schicksal blieb P4 allerdings erspart, da die Vita als neue Handheldplattform die nötigen Ressourcen bot, um das Spiel nicht nur umzusetzen, sondern auch zu überarbeiten und auszubauen. So gibt es in der neuen Version namens Persona 4 Golden zwei neue Social Links (Marie, die ihre Zeit im Velvet Room bei Igor verbringt, und der Polizei-Kollege von Dojima-san, Adachi) und vor allem ein deutlich erweitertes Ende, das noch einmal ordentlich Gameplay-Zeit zum ohnehin nicht gerade kurzen Spiel hinzufügt. Persona 4 Golden erschien 2012, erwies sich als System-Seller für die Vita und gilt als die definitive Fassung des Titels (weshalb es hier wohl kaum überrascht, dass diese Version nun auf alle Plattformen gebracht wird, nachdem sie schon 2020 auf Steam erschien).

In aller Kürze – wir sind nämlich bereits in der Überlänge – möchte ich noch darauf eingehen, dass die Geschichte von Persona 4 nicht mit diesem Spiel endet. Es gab zwei Fighting Game-Sequels mit Persona 4 Arena bzw. dem kürzlich re-releasten Persona 4 Arena Ultimax, das so nebenbei Teil 4 deutlicher mit Persona 3 verbindet (dass beide Spiele in derselben Realität spielen, wird im Hauptspiel bereits kurz angedeutet). Beide Teile von Persona Q greifen die Figuren von Persona 4 erneut auf (der erste Teil erneut in Verbindung mit P3, der zweite kombiniert hier sogar alle Spiele von drei bis fünf). Und dann gibt es natürlich noch das Rhythmus-Spiel Persona 4: Dancing all Night. Sie alle spielten während bzw. nach dem Original-Spiel und fügten der Handlung und den Figuren neue Facetten hinzu. Dazu gibt es noch zahlreiche Umsetzungen in andere Medien – eine Manga-Version, eine Anime-Serie, zwei Bühnenshows und eine Romanfassung seien hier erwähnt.

Von all dem hatte ich erschreckend wenig mitbekommen. Persona war an mir vorbeigegangen, abgesehen von ein paar faszinierten Kommentaren von Redaktionskollegen Martin „Schubsi“ Schubert, der das Spiel zu meinen consol.MEDIA-Zeiten gern und ausgiebig positiv erwähnte. Insofern hatte ich mit Persona ausnahmsweise nichts zu tun – wäre sonst ein JRPG einfach auf meinem Schreibtisch gelandet, kümmerte er sich um diesen Titel. Erst Corona sollte dies ändern: Wie schon berichtet, startete ich Persona 5 und kippte völlig in dieses Spiel hinein. Seitdem würde ich mich als Fan bezeichnen – und wie schon eingangs erklärt, heißt das für mich auch, dass ich mich gerne mit den Wurzeln beschäftige und einfach mehr über die Serie wissen will. Nach dem Abspann überlegte ich zwar kurz, Persona 5 einfach von vorne zu beginnen (was ich tatsächlich auch getan habe), entschied mich dann aber doch dafür, meine Vita endlich zu reaktivieren und Persona 4 Golden herunterzuladen (mittlerweile würde ich wohl sagen, dass ich mir die Vita vor über zehn Jahren vor allem gekauft habe, um darauf heute Persona zu spielen – ich glaube, kein Spiel lief länger drauf als dieses).

Allerdings muss ich ehrlich sein: Der Wechsel von P5 auf P4G war keine Liebe auf den ersten Blick. Eher das Gegenteil. Der Umstieg vom modernen, stark stilisierten und überzeichneten, mit etlichen Komfortfunktionen ausgestatteten Nachfolger auf Teil 4 war eher ernüchternd. Klar, das Kleinstadtsetting war interessant, das Mysterium der Mordfälle und die Zusammenhänge mit dem Wetter in Inaba (eine Rettung muss immer beendet sein, bevor der Nebel nach mehreren Regentagen einfällt) spannend. Aber der Funke wollte nicht so ganz überspringen. Die wesentlich simplere, nüchternere grafische Präsentation (zu erwarten, handelt es sich doch um ein PS2-Spiel) war ein Teil davon; den wesentlich größeren Anteil hatte allerdings ausgerechnet der Kampf- und Erkundungsteil. Dazu gehört, dass Features, die die Kämpfe beschleunigten (zum Beispiel der praktische „drück einen Knopf und der richtige Angriff für jene Gegner, wo Schwächen bereits bekannt ist“-Button), fehlten. Mehr noch: Während in P5 die eigentlichen Paläste durchdesigned sind und nur Mementos zufallsgeneriert ist, sind die Dungeons in P4 mit wenigen Ausnahmen algorithmisch designed. Das sorgt für generischere, weniger abwechslungsreich gestaltete Dungeons. Versteht mich nicht falsch, die diversen grafischen Designs der auf den Schatten der einzelnen Personen basierenden Bereiche haben oft interessante Themen (inklusive einem 8-Bit-Videospielbereich, dem schon erwähnten Strip-Club, dem Himmel und einem Schloss), aber im Endeffekt merkt man eben dann doch, dass hier nicht eine gesamte Experience durchdesigned wurde, sondern die einzelnen Ebenen dem Generator entstammen. Dazu machte ich noch den Fehler, eben nicht alles zu erkunden, sondern einfach beim Erreichen der Treppe die nächste Ebene zu wählen – was sich bald rächen sollte, als ich deutlich unterlevelt war und mehr zu kämpfen hatte, als mir lieb war. Kurz gesagt: Die Motivation verließ mich rasch und neue Spiele sollten P4 in einer Ecke landen lassen.

Dort blieb es, bis zwei Dinge eintrafen: Erstens wurde angekündigt, dass der Vita-Store geschlossen wird (wozu es dann ja nicht kam), weshalb ich einige weitere Persona-Spiele nachkaufte. Zweitens fuhr ich Anfang des Jahres in die Berge zum Schifahren und packte dafür die Vita ein, um ein Spielgerät mit dabei zu haben. Und was folgte, war überraschend: Mit fast einem Jahr Abstand und ohne P5 unmittelbar davor konnte Teil 4 endlich zünden und zog mich tiefer und tiefer in seine Story, seine Charaktere (die ich bald wirklich zu schätzen lernte) und das Gameplay hinein. Sogar ein darauffolgendes negatives Ereignis wurde durch Persona 4 fast positiv: Als ich mir unmittelbar nach dem Urlaub eine Corona-Infektion zuzog, hatte ich mehr als eine Woche, um mich (allein wie ich war, um meine Familie zu schützen) intensiv mit dem Game zu beschäftigen. Dabei entstand eine Faszination, die mich – fast – bis zum Ende zog.

Wieso „fast“? Hier muss ich tatsächlich die Golden-Version ein wenig kritisieren. Lasst mich kurz ausholen: Es gibt in Persona 4 von Haus aus ein paar Enden, die man erreichen kann – die meisten erfordern es, den Fall zu lösen (was einige korrekte Dialogentscheidungen erfordert), das True Ending samt dem letzten Dungeon ist (Achtung, minimaler Spoiler) sogar noch weiter versteckt und erfordert es, sogar gegen den Rat des Spiels selbst (wer es gefunden hat, weiß, was ich meine) zu handeln. Dieser Epilog findet sich im Basisspiel nach einem deutlichen Zeitsprung ziemlich gleich nach dem Punkt, an dem sich das Spiel eigentlich „zu Ende“ anfühlt. In Golden wird das ganze allerdings noch einmal gestreckt: Ist euer Social Link zu einer gewissen Figur weit genug, verlängert sich die Spielzeit (damit sind nicht nur die Stunden, die ihr mit dem Spiel verbringt, sondern auch die Tage, in denen ihr euer Leben im Spiel weiterentwickeln könnt) noch einmal deutlich und ein weiterer Dungeon mit eigenen Regeln kommt ins Spiel. Das ist einerseits gut, weil es die Gameplayzeit verlängert. Andererseits führte es bei mir zu dem, was ich den „Herr der Ringe“-Effekt nenne: Das Finale ist geschlagen, der Höhepunkt eigentlich erreicht und schon vorbei, aber die Geschichte dauert einfach noch eine ganze Weile (im Fall von Persona 4 Golden tatsächlich noch etliche Stunden), obwohl der Spannungsbogen bereits deutlich abfällt.

Selbst der letzte Dungeon (der ja schon zum Original gehörte) kann das Niveau des gefühlten Finales nicht erreichen, mit noch einem Abschnitt mehr zwischen dem gefühlten Höhepunkt und dem eigentlichen Ende tat ich mir schwer, die Motivation zu halten. Für mich war hier tatsächlich der Punkt erreicht, wo ich mir fast gewünscht hätte, dass das Spiel schon zu Ende ist. Nicht, weil ich bereit war, Inaba und meine Freunde zu verlassen – im Gegenteil, beim eigentlichen Abspann wurde mir klar, wie sehr mir diese Charaktere ans Herz gewachsen waren, weil mir die Tränen in die Augen stiegen, als sie Abschied nehmen mussten (da sieht man wieder, welche Power eine gut geschriebene Story haben kann!). Aber gleichzeitig war die Luft ein wenig raus, während ich den zusätzlichen Dungeon erkundete, und das zog sich auch in den finalen Abschnitt, weil hier einfach schon Ermüdungsentscheidungen auftraten (wobei das zugegebenermaßen Jammern auf hohem Niveau ist, weil ich zu diesem Zeitpunkt einfach bereits Persona 3 beginnen wollte, um dann schließlich (in noch weiterer Zukunft) in Richtung von Persona Q abbiegen zu können). Belohnt wurde ich allerdings mit dem korrekten und vollständigen Ende (dem sogenannten Golden Ending), das einen runden Abschluss bietet. Die meisten anderen Enden habe ich übrigens ausgelassen – bis auf ein schlechtes Ende, das ich absichtlich provoziert habe (und wo ich danach von einem Speicherpunkt schnell wieder im Hauptspiel zurück war). Hier wäre noch Potenzial für ein New Game+, auch um – ähnlich wie bei Persona 5 – beim zweiten Mal alle Social Links voll zu bekommen.

Das habe ich noch nicht getan (wie gesagt spiele ich gerade P3P) – mit einer klaren Betonung auf „noch“. Denn trotz des schwierigen Anfangs und des Durchhängers am Ende habe ich meine Zeit mit dem Spiel mehr als genossen. Und das führt mich „schon“ (ich glaube, dieser Text bricht gerade alle Längenrekorde der Serie) zur großen Frage, die in dieser Reihe eine zentrale Rolle einnimmt: Warum vermisse ich Persona 4 (Golden)? Weil es mir gezeigt hat, dass Persona 5 keine Eintagsfliege war, sondern eine Reihe, mit der ich mich auf jeden Fall noch weiter beschäftigen möchte. Weil ich die Charaktere zu lieben gelernt habe und gerne eine Weile in Inaba (gut, ohne Morde) verbringen hätte wollen. Weil ich die Storylines, nicht unbedingt nur die großen, sondern auch die kleinen, persönlich gelungen fand und die Probleme im Teenagerleben (selbst nach all den Jahren) wieder erkannte. Und das macht Persona 4 für mich zu einem gelungenen Spiel, an das ich noch öfter zurückdenken werde. Mit Freude und wohligen Erinnerungen. Und das ich vielleicht auch noch einmal durchspielen werde. Mit ein wenig Abstand – und falls ich jemals die Zeit dafür finden sollte. Und jetzt mit der neuen Bonus-Frage, auf welchem System – obwohl ich glaube ich bei der Vita bleiben werde. Erstens wegen Handheld, und zweitens, weil ich hier mit einem New Game+ noch ein wenig weiter in diverse Storylines eintauchen können werde …

Retro-Gaming: Spiele, die ich vermisse… (Über 180 Artikel + Specials online!)

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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