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Spiele, die ich vermisse #179: Life and Death

Herr Doktor! Herr Doktor!

2021, das Jahr der guten Vorsätze, die im Nichts enden. Vollmundig hatte ich mir vorgenommen, an die Frequenz von „ein Eintrag pro Monat“ heranzukommen – und jetzt haben wir fast schon Juli und ich schreibe am erst vierten Post zu „Spiele, die ich vermisse“. Zu meiner Entschuldigung: Momentan tut sich viel in meinem Leben. Endlich sind neue Projekte angelaufen und mein Review-Stapel für SHOCK2 hatte kurz beängstigende Höhe. Aber im Endeffekt war es ein medizinisches Thema aus meinem Umfeld, das mich zu diesem Blog motivierte. Nach Biing! und Theme Hospital (sogar zweimal, einmal als Text und einmal als Video) wird es deshalb wieder Zeit für ein Spiel im Krankenhaus – und diesmal deutlich ernster als in den zwei anderen Spielen. Denn hier ist der Name Programm: Life and Death.

Wolltet ihr schon immer Chirurg werden? Zum Beispiel, weil ihr Menschen helfen wollt, oder aber auch, weil ihr die diversen Ärzte aus den noch viel diverseren Krankenhausserien sympathisch, cool oder gar sexy findet? Dann ist Life and Death das Spiel, mit dem ihr herausfinden könnt, ob ihr wirklich dafür gemacht seid oder lieber bei der TV-Fantasie bleibt. Hier managet ihr kein Krankenhaus, kämpft nicht gegen ominöse Krankheiten oder stellt nach Oberweite bzw. Golfhandycap ein – hier seid ihr ein Chirurg, der dafür zuständig ist, seine Patienten möglichst gesund zu entlassen (und noch viel wichtiger: bei der Behandlung nicht umzubringen). Auf den ersten Blick klingt der Umfang des Spiels gar nicht groß: Euer Spezialgebiet ist ausschließlich der Bauchraum, sodass ihr es mit Krankheiten wie Nierensteinen, Blähungen, Blinddarmentzündung und Aortenaneurysmen zu tun bekommt. Und hier beginnt schon die erste Herausforderung: Wenn ein Patient mit Bauchschmerzen hereinkommt, wie unterscheidet man diese Krankheiten? Hier sind einige Untersuchungen nötig, aufgrund derer ihr euch für eine Operation (oder eben nicht) entscheidet. Und ja, schon hier sollte man entweder in der Schulung gut aufpassen, das Handbuch lesen oder per Trial and Error draufkommen, was welche Symptome bedeuten.

Der wirklich schwierige Teil kommt, wenn eine OP nötig ist, denn hier kämpft man sowohl mit den Limitationen eines Spiels von Anno dazumal als auch mit dem Realismus, der herauskommt, wenn der Designer ein echter Arzt ist. Selbst eine Blinddarm-OP ist eine komplexe, nervenaufreibende Sache (auch wenn man operationstechnisch hier das Alter des Spiels merkt – wir sprechen noch von einer relativ großen OP samt Bauchraumöffnung, weit weg von den heute (soweit ich informiert bin) oft verwendeten Schlüsselloch-Methoden). Dass der Designer wusste, was er tut, merkt man unter anderem schon daran, wie groß die Anzahl der Instrumente ist (die befinden sich auf mehreren Laden, zwischen denen ihr wechseln müsst) und dass man auf viele medizinische Details achten muss (zum Beispiel ist es relevant, die diversen Muskelschichten richtig zu schneiden); andererseits können Fehler vermutlich systembedingt oft nicht korrigiert werden. Nein, ich rede jetzt nicht davon, dass wir ein lebenswichtiges Organ verletzen – dass es hier Probleme gibt, ist klar. Aber wer zum Beispiel seinen Schnitt in den Bauch zu klein macht, kann diesen nicht nachkorrigieren und das Skalpell ein zweites Mal ansetzen. Ihr müsst den Rest der OP mit einem vielleicht zu kleinen Operationsbereich auskommen (wenn die Operation nicht daran überhaupt scheitert). Das ist wohl eine Einschränkung, die – vermute ich – dem Alter des Spiels geschuldet ist.

Wenn es schon so schwer ist, überhaupt in den Bauch zu kommen, wie ist dann der Rest der Operation? Genauso schwierig. Ihr habt zwar eine In-Game-Medizinschule, aber trotzdem stolpert man hier öfter als einem lieb ist in Trial und Error – und da reden wir nur vom ganz normalen Operationsgeschehen, noch gar nicht von abfallendem Blutdruck oder Herzrhythmusstörungen. Bis man die Operation drauf hat, schickt man ziemlich sicher einige Patienten über den Jordan. Zum Glück sieht das Spiel keine Gerichtsverfahren für nachlässige Ärzte vor: Es geht kurz zurück in die Medical School, wo ihr über euren Fehler aufgeklärt werdet (von völlig falschen Schnitten bis hin zur fehlenden Hygiene ist hier alles dabei) und dürft euch von Neuem versuchen. Habt ihr die Blinddarm-OP gemeistert, werdet ihr auch der zweiten OP (dem Aneurysma) begegnen. Habt ihr auch diese Operation geschafft, habt ihr das Spiel auch schon wieder beendet – mehr Inhalte sieht Life and Death einfach nicht vor. Und auch wenn ihr euch nach all der steilen Lernkurve vielleicht wie ein Chirurg fühlt und vermutlich mehr Grundlagen kennt als zuvor, warnt euch das Spiel ausdrücklich davor, diese Prozeduren nachzumachen. Aus gutem Grund.

Ein paar Fakten, auf die ich schon angespielt habe, möchte ich hier noch aufgreifen. Zuerst, der Designer: Wie gesagt, ein richtiger Arzt mit Namen Dr. Myo Thant. Er war ein Onkologe, der sich aber nach drei Jahren Praxis zum Ausgleich ein zweites Feld zulegte. Ausgestattet mit einem Abschluss in Informatik folgten mehrere Spiele, die alle medizinischen Themen folgten: EKG Primer, das hier vorgestellte Life and Death, dessen Sequel Life and Death II (in dem man zum Hirnchirurgen wird) und Virtual Surgeon. Zweitens: das Alter. Wir reden hier ganz klar von den 80ern, denn Life and Death erschien 1988, sein Sequel im Jahr 1990. Dementsprechend sieht auch die Grafik aus, zumindest wenn wir von der PC-Version sprechen: CGA erlaubte genau vier Farben, die hier recht geschickt verwendet wurden, aber dennoch nicht an die „grafische Pracht“ der Amiga- und Atari-ST-Versionen herankam. Dafür war der Sound beeindruckend (für die Zeit): Untersuchungen oder auch OPs ohne Narkose (gut, weiter als zu einem Schnitt werdet ihr nicht kommen, bevor ihr wieder die Schulbank drücken müsst) enden mit hörbaren Schmerzeffekten samt minimaler Sprachausgabe.

Die Kritiker waren sich ziemlich einig, dass man es hier mit einem interessanten, komplexen, wenn auch recht frustrierenden Stück Software zu tun hatte – und mehr als ein Reviewer merkte an, dass er sich wohl nicht zum Arzt ausbilden lassen sollte, weil seine Todesraten zu hoch sind. Auch heute noch wird das Spiel im Rückblick oft dafür gelobt, dass es eine hohe Komplexität hat, es schafft, dass man sich wirklich wie ein Chirurg fühlt und zwischen mechanischem Auswendiglernen und schnellem Reagieren wechseln muss – auch wenn die Inhalte beschränkt sind, muss man sich doch erst weit genug mit den Techniken, Instrumenten und Aufgaben beschäftigen, um überhaupt an den Punkt zu kommen, das Spiel erfolgreich beenden zu können.

Ich persönlich gehöre überhaupt nicht zu den Menschen, für die ein Gesundheitsberuf in Frage gekommen wäre (ich habe höchsten Respekt für jene, die so einen Beruf aushalten, aber ich würde sogar meinen kurzen Ausflug via Zivildienst in diese Branche einfach nur als „traumatisch“ bezeichnen). Aber ich muss zugeben, dass Life and Death ein Spiel war, das mich interessierte, seit ich davon gehört hatte (irgendwann in den frühen 90ern, als ich anfing, Gaming-Magazine zu lesen); trotzdem sollte es noch weitere Jahre dauern, bis ich es überhaupt spielen würde. Und selbst dann gelangte ich nur über jenen Graubereich des Netzes, der auf den Namen „Abandonware“ hört (sprich: Spiele, die von ihren eigentlichen Besitzern nicht mehr aktiv vertrieben werden (sofern es diesen überhaupt noch gibt) und bei denen Copyright-Verstöße durch eigentlich illegale Downloads nicht mehr verfolgt werden), an das Spiel. Wir reden hier nämlich von einer Zeit tief in den 90ern, als die Ärztesimulation schon lange nicht mehr zeitgemäß war, ich aber mit meinem PC eine Zeit lang Klassiker aus den 80ern nachholte. Als ich über Life and Death stolperte war mir klar: Ich muss das Spiel einfach probieren.

Natürlich entging mir dadurch einiges. Die (*ahem*) Download-Fassung musste natürlich auf die Feelies verzichten, die in diesem Fall aus OP-Maske und Gummihandschuhen bestanden, und auch die Handbücher entgingen mir. Das allein hätte schon genügen können, um in diesem Spiel, in dem jeder Handgriff sitzen muss, meinen Bestrebungen ein Ende setzen zu können. Dennoch gab es zwei Dinge, die mir halfen. Erstens: Die im Spiel vorhandene Med School, die wie schon erwähnt viele Details erklärte – für die 80er ein erstaunliches Konzept eines In-Game-Tutorials, auch wenn man hier eher „nach dem Fehler“ lernte als vorher umfangreich ausgebildet zu werden. Zweitens die Lösung aus einem Gaming-Magazin, die Schritt für Schritt durch die OP durchging – mangels dazugehöriger Bilder musste man allerdings raten, welcher Teil des Bauchraums jener war, von dem der Text sprach. Ihr könnt euch schon vorstellen: Mir starben eine Menge Patienten auf dem Weg zu meiner ersten erfolgreichen Blinddarm-OP.

Mein größter Feind auf dem Weg zu einer erfolgreichen OP lag allerdings quasi zwischen PC und mir: die Maus. Erstens war die Maussteuerung an sich schon etwas hakelig (mit Tastatur oder Joystick will ich mir das Spiel aber so gar nicht vorstellen), zweitens half es nicht, dass ich Life and Death noch mit einer mechanischen Maus gespielt habe. Präzise, gerade Schnitte? Glückssache, ebenso wie feines Zielen, sodass das Ziel, den OP-Bereich möglichst groß zu halten, gleichzeitig aber nicht die Außenbereiche (also z.B. die Operationsplane oder auch andere Hautschichten) zu verletzen, schwerer war als gedacht. Wie oft habe ich eine OP nur durch die Maus ruiniert? Definitiv zu oft. Dennoch: Irgendwann hatte ich zumindest den Blinddarm geschafft (was mir nicht besonders beruhigend vorkam, als ich nur wenige Jahre später selbst eine Blinddarm-OP brauchte. Da war mir die Vorstellung dann doch zu bildlich. Danke, Life and Death).

Tatsächlich sollte hier aber auch schon mein Weg mit Life and Death enden. Die „Lösung“, mit der ich arbeitete, umfasste nur die erste OP (warum auch immer), und ich war mit den Nerven schon nach dem Blinddarm eher am Ende. Warum sollte ich mich noch einmal der Kritik meines OP-Personals (hier standen verschiedene Personen zur Auswahl, die sogar miteinander unterschiedlich gut auskamen und als Feedback-Geber dienten) aussetzen? Sollte ich wirklich versuchen, die Aorten-OP anhand der Medical School zu erlernen? Nein, lieber nicht. Da gab es andere Spiele, die mich draußen lockten. Auch Life and Death 2 habe ich gar nicht erst versucht anzurühren. Wenn schon ein simpler Blinddarm mich so überforderte, wollte ich überhaupt dazu ansetzen, in einem fremden Gehirn herumzustochern? Wohl nein.

Trotzdem vermisse ich Life and Death bis heute – wohl vor allem wegen seiner Einzigartigkeit. Wie viele Spiele kennt ihr, in denen ihr zum Chirurgen werdet? Mir fällt spontan nur Trauma Center ein – und das ist ein völlig anderes Spiel, die Arcade-Variante einer Simulation, die Fantasie gegen die „Realität“, sozusagen. Wer „ernsthafte“ OPs in haben will, kommt an Life and Death wohl kaum vorbei. Und das trotz seines Alters – fast wäre ich erschreckt, als ich Screenshots für diesen Eintrag herausgesucht habe, denn in meinem Kopf sah das Spiel immer besser aus, als es im Endeffekt war (und selbst die besser aussehenden Heimcomputer-Versionen sind noch immer nicht aufregend, sondern eher zweckdienlich). Aber im Endeffekt wohl, weil ich aus diesem Spiel sehr viel gelernt habe. Nein, ich würde mich nicht an eine Bilddarm-OP wagen. Aber ich kann immerhin jetzt darüber reden, dass man beim Öffnen des Bauchraums manche Schnitte mit und manche quer zur Faser führen muss. Nein, ein Chirurg wird aus mir wohl nicht mehr, aber Life and Death blieb eine interessante Erfahrung, die ich nicht missen möchte.

Retro-Gaming: Spiele, die ich vermisse… (über 175 Artikel + Specials online!)

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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Notable Replies

  1. Avatar for Jokus Jokus says:

    Nachdem diesmal so gar keine Reaktionen kommen - hat da echt keiner Erinnerungen dran? - schaut mal, was GOG heute auf Facebook in seinen Spiele-Erinnerungen hat:

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