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Spiele, die ich vermisse #141: Yie Ar Kung Fu

Treue Leser dieser Reihe kennen mein alljährliches Dilemma schon: Weihnachten ist für mich immer eine schwierige Zeit – zumindest aus Gaming-Rückblenden-Sicht. Spiele mit Weihnachtsthema sind fast Mangelware; Videospiele lagen eher eingeschränkt unter dem Weihnachtsbaum – und nicht alle davon sind derart, dass man sie unbedingt vermissen sollte. Dennoch dachte ich mir, ich lasse euch nicht länger im Stich, sondern greife erneut auf meinen alten Kniff zurück, um doch noch einen Weihnachtsbogen zu spannen: Weihnachten ist jener Tag, an dem ich meinen C64 bekam, mit dem ich viele, viele frühe Gaming-Erinnerungen verbinde. Und denke ich an diese ersten Spiele, die auf den etwa 30 Discs, die ich zum Rechner bekam, zu finden waren, lande ich ohne große Probleme bei einem (gar nicht weihnachtlichen) frühen Beat-em’up, das mich zwar nicht zum absoluten Fan des Genres machte, aber sich dennoch eingebrannt hat: Yie Ar Kung Fu.

Yie Ar Kung Fu erzählt die Geschichte von Oolong (ja, genau, wie der Tee), der seine Ausbildung zum Kung-Fu-Meister abschließen und dafür alle Martial Arts-Meister im Spiel besiegen muss. Nur so kann er seinen Vater ehren. Die Geschichte gewinnt – wie so oft in dieser Zeit – garantiert keine Preise, erfüllt aber immerhin die Anforderung, zu erklären, warum wir uns gegen diverse Gegner in den Ring werfen. Mehr will man ja fast nicht verlangen.

Die diversen Gegner sind allerdings nicht einfach 1:1 Klone, die zunehmend schneller und aggressiver werden, sondern tatsächlich ausgefeilter (manche sprechen sogar davon, dass Yie Ar Kung Fu das erste Spiel seines Genres war, dass diese Art der Kampagne implementierte). Jeder kommt mit eigenen Waffen (bzw. einem unbewaffneten Kampfstil) und dementsprechend eigenen Animationen daher. Klar, das klingt heute nach nicht viel, aber wir reden hier vom Jahr 1985, wo das schon aus speicherplatztechnischen Gründen eine Herausforderung war. Sie alle stellten uns deshalb vor neue Herausforderungen, vom eher behäbigen Sumoringer Buchu bis hinauf zum obersten Boss, genannt Blues (was eigentlich eine chinesische Aussprache und damit Hommage an Bruce (Lee) war), der ein schnellerer Klon von uns selbst war. Haben wir auch ihn besiegt, beginnt das ganze Turnier von vorne – immerhin wollen wir ja (Arcade-typisch) den Highscore knacken.

Aus heutiger Sicht würden wir Yie Ar Kung Fu wohl als ziemlich klassisches Beat-em’up bezeichnen – man kämpft in einer Stage (entweder vor einem Wasserfall oder vor einem Palast) gegen einen einzelnen Gegner, wobei ein Energiebalken anzeigt, wie oft wir bzw. der Gegner noch bis zum KO getroffen werden dürfen/müssen. Geht ihm zuerst die Energie aus, kommen wir zum nächsten Kontrahenten; wird unser Balken leer, ist ein Leben fort und wir müssen nochmal ran – oder ganz von vorne, wenn alle Leben verbraucht sind. Auch absolut typisch: Verschiedene Kombinationen aus Button-Druck und Joystick-Bewegungen lösen diverse Schläge, Tritte oder Sprünge aus. Besonders letztere liegen unserem Charakter besonders, denn hier ist er (abgesehen von Blues) unschlagbar, dafür haben unsere Gegner ihre jeweils ganz eigenen Vorteile, die uns das Leben schwer machen können, woran oft deren Waffen schuld sind: Chain hat mit seinem Morgenstern eine riesige Reichweiter, Fans Kampffächer sind ziemlich unberechenbar, Pole kann böse Kombos mit seinem Stab ausführen, und so weiter und so weiter.

Das klingt jetzt eigentlich für heutige Ohren nach nichts Besonderem. Aber so einfach darf man sich die Sache mit einem 1985 erschienenen Spiel natürlich nicht machen, denn Yie Ar Kung Fu gehört zu den frühen Vertretern seines Genres. Und auch, wenn ich zu der Aussage, dass es sogar das erste Beat-em’Up mit Stamina-Balken im 1 vs 1 Gameplay war, nur eine Quelle (der ich alleine nicht Glauben schenken möchte) gefunden habe, muss man dennoch sagen, dass das Spiel sicher ein Urvater ist, der vielleicht nicht alle Konventionen des Genres erfunden, aber doch zumindest dabei geholfen hat, sie klarer zu definieren.

Auch typisch für die Zeit ist natürlich, dass es mehr als nur eine Version des Spiels gibt. Die Urversion entwickelte Konami für die Arcadehallen, mit der Popularität des Titels entstanden mehr und mehr Ports, die sich aus technischen Gründen, aber auch aufgrund anderer Umstände vom Original unterschieden. Vor allem betrifft das die Gegner (so fehlt z.B. Feedle unter anderem in der C64-Fassung, da seine Fähigkeit, sich zu klonen, die Hardware überfordert hätte), aber auch die Musik – die C64-Fassung nutzt z.B. Jarres Magnetic Fields IV in einer Chip Tunes-Fassung als Intro-Musik. Auch für den Konsolenrelease (NES/MSX) wurde ordentlich umgestaltet – Oolong heißt nicht nur plötzlich Lee, sondern stellt sich nur noch fünf Gegnern, die noch dazu anders heißen und sich zum Teil nicht 100%ig mit ihren Vorlagen decken. Doch auch in der Moderne gab es noch einige Portierungen – für den GBA, die 360 (via Game Room), PS3 (via PlayStation Home) und Windows Store (hier wurde die MSX-Version verwendet). Allein die Tatsache, dass das Spiel immer wieder neu aufgelegt wurde, beweist wohl, dass der Titel sich nicht nur in mein Gedächtnis eingebrannt hat – es mag nicht das bekannteste Spiel der 80er sein, aber es wurde auch nie vergessen.

Aber schon damals war der Erfolg groß genug, um einen zweiten Teil zu rechtfertigen, den ich an dieser Stelle aber nur kurz anreißen möchte: Interessanterweise erschien Yie Ar Kung Fu II nicht mehr als Arcade-Automat, sondern nur noch für die damals handelsüblichen Heimcomputer und Konsolen. Darüber hinaus wurde aber auch das Gameplay stark verändert: Diesmal ging es Screen um Screen durch die Levels, bis man vor einem Boss stand, der den Abschnitt abschloss. Die normalen Gegner waren meist mit einem Treffer erledigt, die Bosse natürlich ein ganz eigenes Kaliber und am ehesten mit dem Vorgänger zu vergleichen. Apropos vergleichen: Wenn man das Spiel als Kenner des Originals ansieht, wundert man sich vielleicht, was der Titel mit dem Vorgänger zu tun hat. Interessanterweise entschied man sich, statt ans Original an die NES-/MSX-Fassung mit all ihren Änderungen anzuschließen, sodass der Held aus Teil II (Lee Young) ein Sohn von Lee ist, der China vor der Chop Suey Gang gerettet hat, aber sich jetzt dem letzten Mitglied der Bande stellen muss, der sich zum Kaiser ausgerufen hat. Eine kleine Referenz an den Original-Helden Oolong gibt es aber dennoch: Oolong-Tee kann als Heil-Item eingesammelt werden.

Doch damit genug vom Sequel, lasst mich zum Original zurückkehren – und damit tief in meine Kindheit. Wie bei so vielen Titeln dieser Zeit kann ich nicht genau sagen, wann ich Yie Ar Kung Fu zum ersten Mal gespielt habe – es könnte schon bei meinem Onkel gewesen sein, bei dem ich Anfang der 80er den C64 ausprobieren durfte (siehe z.B. meine Erinnerungen an Super Pipeline), oder es war, wie eingangs erwähnt, erst mit den Disks, die ich mit meinem C64 Weihnachten 1987 bekam. So oder so – ich war ebenso fasziniert wie überfordert mit dem Spiel.

Damit meine ich gar nicht die Steuerung – die war hinreichend simpel, um sie rasch zu begreifen (das Kombo-Konzept gab es hier noch nicht). Das Problem war eher, dass Yie Ar Kung Fu heute noch als durchaus schwierig gilt und für mich damals damit ganz klar zu schwierig war. Wir sprechen hier immerhin nicht nur von einem Zeitalter, in dem nicht fast jedes Spiel gnadenlos auf Zugänglichkeit getrimmt wurde, sondern auch von einer Zeit, in der „Herausfordernd“ durchaus „zeigen wir dem Spieler seine Grenzen auf“ hieß. Der Schwierigkeitsgrad stieg rapide an, und waren die ersten Gegner noch leicht, war oft schon bei Nummer drei oder vier Endstation – außer ich hatte Glück und kam plötzlich viel weiter, ohne dass ich meine „Taktik“ großartig umgestellt hätte. Die Grenze zwischen Sieg und Niederlage war oft schmal und hatte damals bei mir wohl weniger mit Skill als mit einer ganzen Portion Zufallstreffern zu tun. Das soll allerdings nicht das Spiel schmälern, sondern einfach nur in Perspektive setzen, dass ich meine Fähigkeiten damals einfach auch nicht genug ausbildete, um hier wirklich mit Taktik anzufangen. Wobei, wenn ich genau bin, gilt das wohl für meine gesamte Beat-em’Up-Karriere – ich vertraue selbst heute vor allem den Göttern des Buttonmashings …

Trotzdem kehrte ich immer wieder zu Yie Ar Kung Fu zurück – und selbst heute, sicher zwanzig Jahre, nachdem ich das Spiel zuletzt gespielt habe, erinnere ich mich gerne an den Titel zurück. Ich denke an knackige Gegner, deren Fähigkeiten (oder Waffen) ich verflucht habe; an den Triumph, wenn ich sie besiegen konnte. An die (damals) atmosphärischen Hintergründe; an das Glücksgefühl, endlich mal die zweite Stage (nach mehreren Gegnern gibt es einen anderen Hintergrund) zu erreichen. An verzweifeltes Buttonmashing. Und vor allem denke ich daran, dass hier meine (zwar begrenzte, aber immerhin) Liebe zu den Beat’em-Ups begonnen hat. Und allein das ist Grund genug, Yie Ar Kung Fu trotz seines martialischen Hintergrunds in mein Weihnachtsalbum zu kleben – immerhin ist es eine Liebe, die zwar vielleicht nicht zu Weihnachten begonnen hat, aber zumindest mit einem Weihnachtsgeschenk so richtig aufflammen konnte.

In diesem Sinne wünsche ich euch jetzt mit diesem letzten „Spiele, die ich vermisse“-Artikel 2016 nicht nur nachträglich „Frohe Weihnachten“, sondern auch ein schönes neues Jahr. Von meiner Seite folgt (vielleicht noch dieses, aber eher nächstes) Jahr noch der traditionelle, wenn auch dieses Jahr allzu kurze Blick auf jene Artikel, die in den letzten 366 Tagen erschienen sind. Und dann starte ich in das nächste Retro-Jahr … mit hoffentlich mehr Gelegenheiten für Rückblicke. Die Ideen sind schon da, mal sehen, ob es 2017 mit der Umsetzung besser klappt …

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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