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Review: Xenoblade Chronicles 3

Der Kreislauf von Tod und Leben

Als 2010 (hierzulande erst 2011) Xenoblade Chronicles erschien, war das ein Meilenstein für Entwickler Monolith Soft und Publisher Nintendo: Für Nintendo, weil man mit dem Wii-RPG einen waschechten Hardcore-Rollenspielhit landete, für den der Konsolenhersteller sogar auf die damals so wichtige Bewegungssteuerung verzichtete. Und für den Entwickler, weil der Hersteller nach den von Fans zurecht als Kultklassiker verehrten, aber nie so richtig wirtschaftlich erfolgreichen Xeno-Vorgängern Xenogears und Xenosaga 1 bis 3 nun endlich auch mit einem Xeno-Spiel wirtschaftlichen Erfolg einheimsen konnte. Dabei hätte Xenoblade Chronicles eigentlich gar nicht Teil der (außerhalb der Subserien ohnehin nicht verbundenen) Xeno-Metareihe sein sollen, da die Macher den Fokus weg von einer Konzentration auf das Storytelling – lange Cutscenes inklusive – hin zu einer offenen Welt, Erkundung und mehr Gameplay legen und deshalb auch auf einen neuen Titel setzen wollten. Satoru Iwata plädierte aber dafür, das Spiel von „Monado“ auf „Xenoblade Chronicles“ umzubenennen, um der Geschichte des Entwicklers im Allgemeinen und Autors Tetsuya Takahasi im Speziellen Ehre zu erweisen. Der Rest ist Geschichte, denn die Xenoblade Chronicles-Reihe kann mittlerweile mit zwei Portierungen des Originals (3DS und Switch), einem Spin-Off (Xenoblade Chronicles X auf der Wii U) und einem auf den ersten Blick nicht mit dem ersten Teil zusammenhängenden Sequel aufwarten. Nun endlich erscheint der dritte Teil – kann er der Xeno-Legende gerecht werden?

Alles Leben ist Sterben

Die Welt von Xenoblade Chronicles 3 ist eine düstere: Die Welt Aionos kennt nur den ewigen Krieg zwischen den beiden Nationen Keves und Agnus, die sich voll und ganz auf den Konflikt ausgerichtet haben – ein ewiger Kampf um die Lebensenergie selbst. Auf Aionos werden Kinder nicht einfach geboren, sie werden mit jener Energie erschaffen, die man vor allem im Gefecht getöteten Feinden raubt. Mehr noch: Die resultierenden Lebewesen sind für ein Leben als Soldaten gemacht, mehr als zehn Jahre sind ihnen nicht zugestanden. Entweder sterben sie zuvor auf dem Schlachtfeld oder sie geben in einer von den Beteiligten ersehnten Zeremonie ihre Lebensenergie nach Ablauf der Zeit freiwillig zurück. In dieser Welt folgen wir dem Schicksal unserer Helden – allen voran Noah, ein Keves-Soldat, der mit seinem Flötenspiel auch die Seelen der Verstorbenen ins Jenseits schicken kann. Sein Leben und das seiner Freunde wird allerdings bald von einem Ereignis erschüttert, bei dem aus (manchen) Feinden Verbündete und aus Verbündeten Feinde werden und das, was man für die Wahrheit gehalten hat, rasch in Zweifel gezogen werden muss. Mit neuer Freiheit ausgestattet versucht die  zusammengewürfelte Truppe, die Wahrheit hinter dem ewigen Konflikt und eine Zukunft für sich selbst zu finden …

Alles hat zwei Seiten

An diesem Punkt – der kaum an der Oberfläche gekratzt hat – wollen wir die Einführung in die Story allerdings auch wieder beenden und einfach festhalten: Die Story von Xenoblade Chronicles 3 ist düster, komplex und nimmt auch einiges an Spielzeit ein, da Dialoge und zum Teil sehr lange Cutscenes die Geschichte weiterführen. Je nach eurer persönlichen Einstellung kann sich das wie eine willkommene Rückkehr zur alten Form vom Monolith Soft oder ein viel zu langes Ausbremsen des Gameplays anfühlen. Was der Story aber auf jeden Fall gelingt: Sie fesselt und schafft eine einzigartige Stimmung, die an das erste Xenoblade Chronicles erinnert. Erwartet euch vor allem zu Beginn eine eher bedrückende Atmosphäre und eine gedämpfte Farbpalette, die die vom Krieg zerfressene Welt repräsentiert. Das soll allerdings nicht heißen, dass es nicht auch leichtere, beschauliche Momente oder gar Humor gibt. Aber wir sind Teil einer umkämpften Welt – und vor allem Noah und später auch eine weitere Figur namens Mio schaffen es, mit ihrem Blickwinkel eine gute Perspektive für uns Spieler auf die Spielwelt zu bieten. Aber auch die übrigen vier Partymitglieder (ein siebter Slot bleibt für nicht steuerbare Gastauftritte durch sogenannte Heldencharaktere offen) sind echte Persönlichkeiten, die mit dieser komplexen Welt auf ihre eigene Art umgehen. Gerade aufgrund der spannenden Zusammenstellung der Persönlichkeiten der Grundparty bleiben hier Spannungen nicht aus.

Party of Six

Wenn wir von insgesamt sechs (beziehungsweise sieben) Partymitgliedern hören, denkt der geneigte JRPG-Spieler wohl, dass er eine Auswahl treffen muss, wer ihn in den Kampf begleitet. Dem ist allerdings nicht so – tatsächlich sind (soweit vom Spiel zu dem Zeitpunkt so vorgesehen) alle Partymitglieder an den Gefechten und Ausflügen beteiligt. Die Kämpfe laufen Xenoblade Chronicles-typisch in der Art eines MMORPGs ab: Habt ihr die Waffe gezogen und werdet angegriffen, gibt es grundsätzlich in Echtzeit Auto-Angriffe auf den ausgewählten Gegner, sofern ihr in Reichweite seid. Zusätzlich könnt ihr per Buttondruck eure Skills auslösen, die teilweise von bestimmten Vorbedingungen (zum Beispiel einem bereits ohnmächtigen Gegner oder einer gewissen Positionierung zu eurem Kontrahenten) profitieren und besonders stark werden, wenn sie zu anderen Angriffen getimed werden. Noch eine Stufe darüber sind noch stärkere Fähigkeiten, die sich aber nur langsam aufladen. Zu Beginn laufen die Gefechte (wie eigentlich das ganze Spiel) noch recht gemächlich ab und fast würde man die Kämpfe als eintönig bezeichnen, weil es eine gefühlte Ewigkeit dauert, bis die Skills nach Ablauf ihres Cooldowns wieder einsetzbar sind. Allerdings gewinnt das Kampfsystem mit wachsender Partygröße und steigender Spieldauer rasch an Komplexität und ihr müsst die Gameplaymechanismen stärker nutzen, um gerade gegen stärke Feinde eine Chance zu haben. Auch die Zusammenarbeit im Team ist wichtig – und das nicht nur, weil ihr zwar nur eine Figur aktiv steuern könnt (für die anderen gibt es grobe Taktikvorgaben), aber diese jederzeit wechseln könnt: Erstens gibt es (auch hier trifft der MMORPG-Vergleich zu) die klassische Kombination von Tank, Damage Dealer und Support (wobei hier später ein Klassensystem mit noch detaillierteren Anpassungsmöglichkeiten dazukommt), zweitens könnt ihr im wahrsten Sinne des Wortes mit einzelnen Partymitgliedern fusionieren und euch in die starke Ouroboros-Form verwandeln, die optisch an einen Mech erinnert und im Kampf einen gewaltigen Unterschied machen kann. Ja, das alles klingt kompliziert, aber das Spiel nimmt sich Zeit, euch alles beizubringen, ohne euch mit zu langen Tutorials zu erschlagen. Und wer gar nicht damit zurecht kommt, kann immer noch auf den einfachen Schwierigkeitsgrad wechseln, der vielen Herausforderungen die Zähne zieht.

Ein wenig Sightseeing?

Natürlich wird in Xenoblade Chronicles nicht nur gequatscht oder gekämpft. Es gibt auch wunderschön anzusehende Landschaften, die es zu erkunden gilt. Die Umgebungen sind weitläufig, schön anzusehen und abwechslungsreich designed, wenn auch manchmal etwas zu leer. Um nicht völlig darin verloren zu gehen gibt es ein optionales Navigationssystem, das euch per Linie auf dem Boden den Weg zu eurem Ziel (egal ob Nebenquest oder nächster „großer“ Storypunkt) weist. Das heißt allerdings nicht unbedingt, dass das die beste Route ist – sie könnte auch durch viel zu starke Gegner führen, die euch zu einem Umweg zwingen; trotzdem ist es ein gutes System, um euch nicht zu oft zu verlaufen. Aber auch Ausflüge abseits des Weges zahlen sich aus: Hier gibt es Nebenaufgaben zu entdecken, Loot einzusammeln und neue Rast- und Wegpunkte zu entdecken, zu denen ihr euch statt zu laufen auch komfortabel teleportieren könnt, wenn ihr sie einmal freigeschaltet habt. Zum Glück übertreiben es die Entwickler dabei nicht mit Icons auf der Minimap – wichtige Locations werden markiert, sonst bleibt die Karte angenehm leer. Grafisch gelingt es außerdem einmal mehr, viel aus der Switch herauszuholen: Bis auf gelegentliche Slowdowns oder einige steife Animationen in Cutscenes sieht Xenoblade Chronicles 3 wunderschön aus – auch wenn man sich bisweilen bei dem Gedanken ertappt, wieviel mehr wohl auf einer stärkeren Konsole möglich gewesen wäre. Auch beim Sound kann man nicht klagen: Angefangen vom Mitsuda-Soundtrack, der unsere Ohren umschmeichelt und die Atmosphäre gekonnt einfängt, bis zur (englischen oder japanischen) Sprachausgabe weiß das Spiel zu gefallen. Einzig die diversen Sprachschnippsel während der Kämpfe wiederholen sich einfach viel zu oft und nerven nach kurzer Zeit. Hier wäre mehr tatsächlich mehr Material mehr gewesen …

Von Vorgängern und Erweiterungen

Zum Abschluss wollen wir uns noch kurz einer Frage stellen, die wohl vor allem für Neueinsteiger in die Serie relevant sein wird: Ist es nötig, vor Xenoblade Chronicles 3 die Vorgänger gespielt zu haben? Die Antwort darauf lautet: „Nein, aber …“. „Nein“, weil Xenoblade Chronicles 3 eine neue Geschichte in einer neuen Welt mit neuen Charakteren erzählt. „Aber“, weil es im Laufe des Spiels dann doch einige Punkte gibt, die vor allem bei jenen, die die Vorgänger kennen, für Aufsehen sorgen werden. Für den vollen Genuss des Spiels hilft es, die beiden anderen nummerierten Xenoblade Chronicles-Teile gespielt zu haben, doch auch wer mit Teil drei einsteigt – der unserer Meinung nach der zugänglichste der Serie ist – wird seinen Spaß mit dem Spiel haben. Und wer weiß, vielleicht seid ihr nachher motiviert, die anderen Teile nachzuholen – oder euch zumindest das Erweiterungspaket für dieses Spiel zu kaufen? Dieses ist ab dem Launch erhältlich und soll laut Ankündigung Inhalte in vier verschiedenen Wellen ins Spiel liefern. Leider wurde es uns für den Test noch nicht zur Verfügung gestellt, dennoch können wir aus der Liste der geplanten Inhalte ableiten, dass ihr euch vor allem zu Beginn nicht zu viel erwarten solltet: Zum Launch gibt es gerade mal „nützliche Items“ und Farbvariationen für Kostüme; im Laufe der nächsten eineinhalb Jahre sollen aber ein Challenge Battle-Modus, neue Heldencharaktere und dann zum Abschluss (bis Ende nächsten Jahres) ein neues Story-Szenario folgen. Ob all das den Preis des Pakets wert ist, können wir noch nicht beurteilen.

Fazit

Wertung - 9

9

Das vielleicht beste Xenoblade Chronicles

Wer mich kennt, weiß, dass mein Herz noch immer eher für die erste Hälfte der Xeno-Meta-Reihe schlägt. Ich sage das allerdings nicht, um jetzt mit einem „früher war alles besser“ zu nerven, sondern um meine Überraschung auszudrücken, als Xenoblade Chronicles 3 gleich zu Beginn gewaltig an den Storyschrauben drehte und deutlich an alte (und neue!) Qualitäten anschließen konnte. Schon zu diesem Punkt war mir klar, dass dieses Spiel mich mehr als all seine Xenoblade-Vorgänger fesseln können würde. Ja, manche werden vielleicht von einer Menge Cutscenes und Dialogen abgeschreckt sein, aber hier zeigt sich für mich, dass der Drahtseilakt möglich ist und die Xeno-Metareihe nicht entweder/oder sein muss, sondern eine dichte Geschichte erzählen und trotzdem auf seine Spielmechaniken und offene Welt setzen kann. Mehr noch: Dieser Mix macht meiner Meinung nach den dritten Teil zugänglicher als zuvor. Ja, es gibt im Laufe der Zeit etliche Gameplaymechanismen, die gemeistert werden wollen, aber die Lernkurve ist okay; ja, ich hätte mir manchmal persönlich weniger Erkundung gewünscht, aber im Endeffekt kann man hier auch einfach stur dem roten Faden folgen und sich zur nächsten Storywendung hinarbeiten – was ich nicht dauerhaft empfehlen würde, da auch dann einiges entgehen würde und ihr in Gefahr lauft, irgendwann unterlevelt zu sein. Gesamt muss man einfach sagen: Xenoblade Chronicles 3 ist ein rundes, modernes JRPG. Nein, nicht ohne Fehler und es wird auch nicht meinen Lieblingsteil der Xeno-Metaserie ablösen. Aber ein Platz im Spitzenfeld geht sich problemlos aus.

Genre: Rollenspiel
Entwickler: Monolith Soft
System: Switch
Erscheint: 29. Juli 22
Preis: ca. 60 Euro

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Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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