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Review: Live A Live

Ein Rollenspiel quer durch die Geschichte

Die 1990er waren geprägt von einigen fantastischen JRPG-Klassikern. Dabei wurde neben den klassischen Fantasy- und SciFi-Epen, die oft heute noch Legendenstatus haben, auch so manches Experiment gewagt – mit oft zumindest interessanten Resultaten. Die 1990er waren allerdings auch zumindest in Europa davon geprägt, dass viele dieser Spiele nie den Weg zu uns fanden. Von manchen Highlights erfuhren wir vielleicht noch via US-Release; andere Spiele fanden nie den Weg aus Japan hinaus und galten deshalb eher als heimliche Perle für echte Insider. Ein Spiel letzterer Kategorie findet nun als Remake den Weg in den Westen: Live A Live. Hat sich die Wartezeit ausgezahlt?

Geschichtsstunde

Die größte Eigenheit von Live A Live wird dem Spieler gleich zum Start klar: Anstatt einen Charakter beziehungsweise dessen Party durch eine einzige lange Geschichte zu führen, zerfällt das Rollenspiel in lauter kleine Abschnitte. Was in einem „normalen“ JRPG eine kleine Episode in der großen Gesamthandlung ist, wie zum Beispiel die Rettung einer Person aus einer feindlichen Festung, ist hier die gesamte Story eines bestimmten Protagonisten in einer ganz bestimmten Zeitepoche; diese Abschnitte könnt ihr in beliebiger Reihenfolge spielen und sogar frei zwischen den einzelnen Storysträngen wechseln. Das bringt allerdings keine spielerischen Vorteile, da die Protagonisten separat leveln und auch das Inventar getrennt bleibt, sondern ist eher dann nützlich, wenn euch ein bestimmter Abschnitt weniger zusagt und ihr lieber eine andere Epoche mit anderem Setting und Gameplaymechaniken versuchen wollt.

Die Entwickler haben nämlich die einzelnen Storylines durchaus abwechslungsreich gestaltet; auch wenn gewisse Elemente im Gameplay durchgezogen werden, hat jede Episode ihr eigenes Flair, ihre eigene Art zu spielen und ganz spezielle Spielmechanismen. So kann der Protagonist aus der „nahen Zukunft“ Gedanken lesen, im Wilden Westen verteidigt Sundown Kid eine Stadt mit der Hilfe der Einwohner, der Ninja aus Japan dringt mit seinen Stealth-Fähigkeiten in eine feindliche Festung voller Fallen ein und in der Steinzeit gibt es noch keine wirkliche Sprache – hier muss man vor allem mit Bildsprache zurechtkommen (und seinen Geruchssinn nutzen). Generell gilt: Manche Abschnitte sind besser gelungen, andere weniger – und sicherlich wird jeder seine eigenen Favoriten finden. Gleichzeitig sind sie alle recht handliche Häppchen: Länger als drei, vier Stunden werdet ihr kaum mit einem Abschnitt verbringen. Live A Live ist – auch wenn die Geschichte nach den sieben Episoden noch nicht vorbei ist (Tipp: spätestens hier ein Savegame anlegen, um mehrere Varianten durchzuprobieren) – kein Spiel, mit dem ihr viele, viele Stunden verbringen werdet, sondern perfekt für kürzere Sessions. Dennoch ist die Zeit, die ihr damit verbringt, intensiv und abwechslungsreich, weil die JRPG-Formel auf den Kern heruntergebrochen und eingedampft wird.

Retro-Futuristisch

Live A Live wurde ursprünglich 1994 für das Super Nintendo bzw. Super Famicom veröffentlicht – also in einer Zeit, in der die JRPGs gerade eine Hochblüte hatten. Das merkt auch der Neuauflage in vielen Momenten an, weil sich etliche Gameplay-Kleinigkeiten ja nach persönlicher Einstellung „nostalgisch“ oder „altbacken“ anfühlen. Wer ein Faible für Rollenspiele der 90er hat, kann mit Live A Live viel Spaß haben, wer mit klassischem JRPG wenig anfangen kann, wird hier wohl kaum bekehrt werden – auch wenn einzelne Elemente, wie das Kampfsystem, ihre eigenen Wege gehen. Die Kämpfe finden nämlich auf einem Grid-Feld statt, auf dem ihr euch, wenn ihr an der Reihe seid (ein Balken füllt sich im Stil des Final Fantasy-ATBs nach und nach, ist er voll, seid ihr am Zug), neu positionieren könnt. Das kostet euch nicht den Zug (erst nach einer Aktion müsst ihr wieder warten, bis ihr an der Reihe seid). Warum ihr euch bewegen solltet? Weil eure Skills immer nur gewisse Positionen attackieren oder auch eine ganze Gruppe an Gegnern angreifen können. Zusätzliche Ideen, wie die Möglichkeit, größere Kämpfe zu beschleunigen, indem man die Minions ignoriert und sich auf die Anführer konzentriert, helfen ebenfalls dabei, die Gefechte flott zu halten. Addiert man dann noch Feld-Effekte, die einzelne Gegner und Protagonisten hervorrufen können, wird das Kampfsystem erstaunlich abwechslungsreich. Es ist – wie schon bei den Szenarien – schön zu sehen, wie die Entwickler das eigentlich für alle Episoden gleiche Kampfsystem an jedes Szenario anpassen und ihm einen eigenen Spin geben.

Octopath A Live

Ein Bereich, der dann doch deutlich überarbeitet wurde, ist die Präsentation. So wurde die Musik von Yoko Shimomura (Final Fantasy XV, Kingdom Hearts-Serie) neu arrangiert und aufpoliert. Auch wenn Live a Live damals die erste Rollenspielkomposition der Musikerin war, kann sie hier aufgrund der diversen Szenarien mit vielseitigen Untermalungen punkten. Noch auffälliger ist natürlich die überarbeitete Optik: Für das Remake von Live A Live wurde auf die Engine (HD-2D-Grafik ) hinter Octopath Traveller gesetzt, die ja schon zuvor bewiesen hat, dass sie gekonnt eine moderne, aber dennoch an 16-Bit-Zeiten erinnernde Pixeloptik zaubern kann. Der Dioramen-Look kann besonders bei den kleinen, abgeschlossenen Settings – wie dem Western-Dorf – punkten und insgesamt wirkt Live A Live wie eine idealisierte Erinnerung an längst vergangene Retro-Zeiten (wenn auch im direkten Vergleich klar ersichtlich ist, wie viel an den optischen Schrauben gedreht wurde). Und das ist auch irgendwie das richtige Fazit für das gesamte Spiel: Live A Live ist kein neues Spiel. Es ist ein Spiel der 90er, der sich aber trotzdem in diesem Remake modern genug anfühlt, um Nostalgie ohne allzu viele altbackene Fallstricke zu bieten. Und das weiß durchaus zu gefallen.

Fazit

Wertung - 8.5

8.5

gelungenes Retro-Experiment

Live A Live war in den 90ern ganz klar ein spielerisches Experiment, das im Laufe der vergangenen fast drei Jahrzehnte Kultstatus erlangt hat. Doch kann sich der Titel jetzt als Remake, wo er zum ersten Mal im Westen mehr als nur ein paar echten Enthusiasten zugänglich ist, beweisen und diesen Status als Geheimtipp rechtfertigen? Die Antwort darauf lautet glücklicherweise über weite Strecken: „Ja“. Ja, es hat seine Eigenheiten, die sich nicht immer zeitgemäß anfühlen; ja, nicht alle Episoden können völlig überzeugen; und ja, die Gesamtspielzeit ist deutlich kürzer als bei vielen anderen JRPG-Epen. Andererseits wirkt die Aufteilung in Mikro-Abenteuer erstaunlich aktuell für unsere schnelllebige Zeit (und lässt Live A Live auch im Switch-Handheld-Modus glänzen) und die Abwechslung hinter den einzelnen Kapiteln weiß zu gefallen. Fazit: Auch wenn Live A Live Fans des modernen JRPGs zu Retro sein könnte, ist es ein wunderbarer Nostalgietrip für jene, die die Genrevertreter der 90er schätzen und lieben gelernt haben. Wer sich auf das Experiment einlassen will, macht hier nicht viel falsch.

Genre: Rollenspiel
Entwickler: Square Enix, historia inc
System: Switch
Erscheint: erhältlich
Preis: ca. 50 Euro

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Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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