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Review: Weird West

Wild West Horror-Sim mit Fallout-Einschlag

In bester John Woo-Manier springe ich in Zeitlupe seitlich vom Balkon des naheliegenden Saloons und zerschieße die Öl-Laterne des fiesen Bastards, der mich gerade “Schweine-Schnauze” genannte hat. Gut, ich habe zwar wirklich eine Schweine-Schnauze, aber dennoch war das unhöflich und so sehe ich genüsslich dabei zu, wie das ölgetränkte Schandmaul nun lichterloh in Flammen aufgeht. Doch was ist das? Seine Frau ist in Wirklichkeit ein Werwolf und schwört mir nun ewige Rache? Willkommen im seltsamen Westen.

The Power of the Wolf

Zwar ist Weird West das Erstlingswerk der 2019 unter Devolver Digital neu ins Leben gerufenen WolfEye Studios, doch die Gründer Raphaël Colantonio und Julien Roby sind wahre Industrie-Veteranen, die sich vor allem durch Titel der ebenfalls von Colantonio gegründeten Arkane Studios wie Dishonored und Prey einen Namen gemacht haben. Während hier zwar Dank isometrischer Perspektive und düsterem Wild West-Setting neue Wege beschritten wurden, bleiben die Entwickler ihrer Lieblingsgameplay-Säule aber treu: Der kreativen Freiheit.

Parkour-boy

So werden Spieler in einen düsteren Wild West-Spielplatz entlassen, der einem kaum Grenzen auferlegt. Faktisch jedes Hausdach darf in dynamischer Kletter-Action erklommen, jeder Safe geknackt und jeder NPC mit einer Kugel durchs Nasenbein bestückt werden, mitsamt allen damit zusammenhängenden Konsequenzen. Und davon gibt es einige.

Hey, du hast mich nicht getötet. Lass uns Freunde sein!

Wer einem Verbrecher das Leben rettet, anstatt ihn zu erschießen, schafft sich einen Freund fürs Leben der den Gefallen dynamisch erwidern kann, sollte es einmal brenzlig werden. Wer jedoch wiederum für eine Hand voll Dollar eine ganze Farm abschlachtet, sollte besser schauen, dass kein Familienmitglied entkommt, das später und vielleicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt bittere Rache sucht.

A Country for Dead Man

Doch die Dynamik dieser Systeme greift noch viel tiefer. Je nach Ansehen spendieren Händler Rabatte oder NPCs neue Quests, es werden Kopfgelder auf den Spieler oder alte Bekannte ausgesetzt und nahezu jeder NPC ist austauschbar. So können ganze Städte abgeschlachtet und anschließend von Banditen-Banden oder eben neuen Siedlern übernommen werden, während tatsächlich für jeden Toten ein Grab mit dazu passenden Namen am lokalen Friedhof geschaufelt wird. In einer Welt in der auch die ein oder andere Zombie-Horde aufmarschiert, ist das natürlich ein interessantes Feature.

Jane got Auto-Aim

Für das Kampfsystem haben sich die Entwickler ein ganz eigenes Konzept ausgedacht und so darf wie in einem Twin-Stick Shooter gezielt werden, wobei das Spiel selbständig potentielle Ziele anpeilt um Schüsse auf höher liegende Balkone oder von Hausdächern zu ermöglichen. Das ganze funktioniert nach einer kurzen Eingewöhnungsphase sowohl mit Maus als auch Controller erstaunlich präzise und kombiniert sich wunderbar mit den dynamischen Bewegungs-Systemen des Titels. Nur Nahkämpfe arten hier leider oft in wildes Herumgefuchtel aus und gestalten sich so deutlich unbefriedigender als die klassischen Schusswechsel.

Django Chained

In Bezug auf die Spielwelt ist Weird West trotz all der Freiheit leider kein wirkliches Open World-Spiel. Statdessen kann der Spieler nach belieben abgesteckte Szenarien über eine etwas schmucklose Weltkarte ansteuern. Während der Reisen treten dann immer wieder zufällige und mehr oder minder abwechslungsreichen Ereignisse auf. Mal greifen einen willkürlich Geister oder Bären an, mal vollziehen Kultisten mitten auf dem Weg ihre seltsamen Rituale und manchmal bieten Händler ganz besondere Waren feil. Hin und wieder wird dann sogar die Haupt-Story weitergetrieben.

The Hateful Five

Weird West lässt einen dabei jedoch nicht die Geschichte eines selbst erstellten Charakters erleben, sondern folgt stattdessen nach und nach denen von fünf unterschiedlichen Charakteren, die jeweils ihre eigenen Beweggründe haben und über eine sich verdichtende, übernatürliche Rahmenhandlung miteinander verbunden sind. Dieses System stellt dabei sowohl eine Stärke als auch leider eine der größten Schwächen des Titels dar. So sind die Hintergrundgeschichten, Dialoge und Quests der jeweiligen Protagonisten zwar nicht vertont aber stets gut geschrieben und oft mit jeder Menge schwarzem Humor versehen. Dafür unterscheiden sich die jeweiligen Charaktere allerdings Gameplay-technisch leider nur sehr wenig, weswegen das ständige Neuanfangen leider mit der Zeit etwas zu nerven beginnt.

Im Zweifelsfall: Bullet-Time

So können zwar alle Fünf je vier unterschiedlichen Spezialfähigkeiten vorweisen, die von Tornados bis Teleportationen schon das ein oder andere Highlight bereithalten, diese reihen sich allerdings zu den 15 immer gleichen Waffen-Fähigkeiten aller Charaktere ein, die jedoch ebenfalls immer wieder neu freigeschalten werden müssen. Erschwerend kommt dann noch hinzu, dass der extrem cineastisch inszenierte Zeitlupen-Sprung leider dieselben Aktionspunkte verbraucht, die auch von den Spezialfähigkeiten benötigt werden, weswegen je nach Situation die Entscheidung leider häufig zu deren Ungunsten ausfällt.

Ich hab ein Ass gefunden und jetzt bin ich auch eines

Zwar lassen sich bis zu zwei der vorher gespielten Charaktere, später in die eigene Gang rekrutieren, hier verhalten sie sich allerdings im Grunde genauso wie die diversen Deputys und Bodyguards, die ohnehin in jeder größeren Ortschaft nur darauf warten zu eurem bis zu dreiköpfigen Trupp stoßen zu dürfen. Besagte Begleiter sind zwar praktisch und zum Glück betont hilfreich und sogar auf Kosten der Immersion wenig belastend gestaltet (können also z.B. beim Schleichen nicht entdeckt werden), tragen ansonsten aber meistens auch nur wenig zum eigentlichen Gameplay bei. Neben den Spezialfähigkeiten gibt es außerdem noch eine Reihe von passiven Perks, die von Charakter zu Charakter übertragen werden können und beispielsweise die Sprung-Höhe oder den Schleichangriffs-Schaden erhöhen. Sämtliche Fähigkeiten, egal ob aktiv oder passiv, werden dabei nicht durch Level-Ups oder Erfahrungspunkte, sondern mittels überall in der Welt verstreuten Gegenständen freigeschalten.

Neue Waffe? Ich hab Schnüre und Gabeln.

Dieses System ist auch bitter nötig, da die Welt von Weird West zwar bis oben hin mit diversen Gegenständen gefüllt ist, diese aber in den wenigsten Fällen wirklich sinnvoll sind. Aufsammelbare Dosen, Uhren und Co. sorgen zwar für Atmosphäre verdeutlichen aber leider auch, dass es dem Titel etwas an Rollenspiel-Tiefgang fehlt. Gewehre, Schrotflinten, Pistolen und Bögen teilen sich jeweils nur in zwei Variationen auf, deren Schaden dann noch jeweils per Kupfer-, Eisen-, Silber- und Gold-Erzen erhöht werden kann. Zusätzlich gibt es noch Westen, die den genommenen Schaden reduzieren und Amulette, die passive Fähigkeiten mit sich bringen.

Wow, mehr Munition…

Nichts davon wirkt sich jedoch optisch auf den Charakter aus und auch Gameplay-technisch wird einem selten das Gefühl vermittelt, nun wirklich einen merklichen Fortschritt gemacht zu haben. Da Schalldämpfer sowie diverse Munitionstypen seltsamerweise ebenfalls mit Spezialfähigkeiten gekoppelt wurden, beschränkt sich so die Freude des Sammelns ab der Hälfte des Spiels hauptsächlich auf das Auffüllen von Verbrauchsgegenständen wie Dynamit, Verbandszeug und Tränke.

Horror Sudoku im Seltsamen Westen

Zum Glück bleibt das Spiel jedoch dank seiner abwechslungsreichen und vielfältig lösbaren Kampf-Puzzles und Rätseleinlagen dennoch stets interessant, während seine düstere Welt voller Kannibalen, Hexen, Schweinemenschen und Sirenen trotz minimalistischer Optik und vielfältig wiederverwendeter Assets eine Dichte und den Forscherdrang belebende Atmosphäre erzeugt.

Fazit:

Wertung: - 8

8

Weird West präsentiert sich mit seinem makabren Humor, der düsteren Spielwelt und den vielfältig verflochtenen und zum Ausprobieren einladenden Gameplay-Systemen wie eine Art Wild West-Mix aus Fallout und Divinity, dem es allerdings im Rollenspielbereich ein wenig an Tiefgang fehlt. Während das wohl dem kleinen Entwickler-Team, vor allem aber dem etwas aufgesetzt wirkenden Konzept mit den fünf Protagonisten geschuldet ist, wurde so aus Weird West ein mehr als solides, wenn auch leider nicht unbedingt weltbewegendes Spiel, dass mich aber jedenfalls mit Spannung auf die nächsten Projekte von Colantonio und seinem Team blicken lässt.

Genre: Action-RPG
Entwickler: WolfEye Studios
System: PS4, Xbox One, PC
Erscheint: erschienen
Preis: ab ca. 40 Euro

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