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Review: Gungrave G.O.R.E

Das Grab ist zurück aus dem Grab

Als der beliebte Mangaka Yasuhiro Naitō Anfang des Jahrtausends ankündigte, er arbeite zusammen mit dem japanischen Entwickler Red Entertainment an einem Videospiel, waren Erwartungen und Vorfreude der Fans groß. Kein Wunder, wird Naitōs Mange/Anime-Serie Trigun bis heute weit oben in so mancher Besten-Liste angeführt, vor allem bei Animes der 90ern. Als der Gungrave genannte Titel dann 2002 für die PS2 erschien, zeigte sich der das Spiel als Action-überladener Third-Person Shooter mit Anlehnungen an Devil May Cry, aber auch simplen Schießbuden-Spielen. Highlight waren die stilsichere Präsentation und die stellenweise in hübsch-gezeichneten Anime-Sequenzen erzählten Cutscenes. Aufgrund des abwechslungsarmen Gameplays und der mit nur gut 2 Stunden sehr dürftigen angesetzten Spielzeit, erhielt der Titel dennoch lediglich durchwachsene Kritiken, konnte sich aber trotzdem eine Schar teils bis heute loyaler Anhängern anlachen.

Gungrave Edgerunners

Von dem emotionalen Tiefgang und der durchdachten Charakterentwicklung eines Trigun war die sehr ominös erzählte Geschichte von Gungrave dennoch weit entfernt. Ein Fakt, der jedoch sehr bald darauf durch eine dazu passende Anime Prequel-Serie ausgeglichen wurde, die im Gegensatz zu dem Spiel selbst, von Fans und Kritikern weltweit gleichermaßen gefeiert wurde. Die dann 2004 erschienene Fortsetzung des Videospiels Gungrave Overdose konnte leider trotzdem nicht an den Erfolg des Animes anknüpfen, weswegen das Franchise kurz darauf in der Versenkung verschwand.

Zurück aus dem Grab

Nun meldete sich Naitō jedoch zusammen mit dem koreanischen Studio Iggymob zurück, brachte 2019 überraschend eine VR-Version von Gungrave auf den Markt und hat nun mit Gungrave G.O.R.E einen Reboot-Versuch des Franchise in den Startlöchern, der es zumindest verdient beachtet zu werden.

Zeit zu Expandieren

G.O.R.E setzt dabei in einer nicht näher definierten Zukunft nach den Ereignissen der Vorgänger ein, und stellt mit dem Raven-Klan nach Millenion eine neue mafiöse Gruppe in den Fokus, die sich teils aus neuen, teils aus altbekannten Mitgliedern zusammensetzt. Diese wollen wieder mit der gefährlichen Droge Seed Geld scheffeln, die Operation aber diesmal sogar auf ein globales Level heben. Protagonisten Beyond the Grave (Jenseits des Grabes) oder kurz Grave wird entsprechend erneut von Dr. Aso zurückgeholt, und beginnt mit seinen beiden Riesen-Revolvern und seinem mit Waffen voll gestopften Metall-Sarg unter den Ganoven aufzuräumen.

Zum Spielen bitte Zeigefinger einwerfen

Zusammen mit den anderen Seed Huntern Mika und Quatz wird Grave also nach einer kurzen (nicht gezeichneten, aber zumindest stimmig animierten) Zwischensequenz direkt ins Geschehen geworfen, beginnt zu ballern und hört im besten Fall nie wieder auf damit. Denn dies ist die Essenz von Gungraves Gameplay. Wer an Karpaltunnel-Syndrom leidet oder dieses in Zukunft vermeiden will, macht um das Spiel einen großen Bogen, denn hier wird von Levelanfang bis Ende auf den Trigger gehämmert, als ob es kein Morgen gäbe. Grave bewegt sich nämlich passenderweise langsam wie eine wandelnde Leiche durch die Levels, ballert dabei aber mit einer Frequenz und Akrobatik auf die unaufhörlich anstürmenden Gegnerwellen, wie eine Kreuzung aus John Woo und einer Gatling-Gun.

Hellsing lässt grüßen

Das Gameplay verhält sich entsprechend anders als in den meisten Third-Person-Shootern. Grave richtet seine Waffen automatisch auf die Gegner und es reicht, wage in deren richtige Richtung zu zielen, um hunderte Cyberpunks, Mafiosi und Mutanten zu Kugelsieben zu degradieren. Auch verfügt der untote Pistolero über ein sehr potentes Energieschild, das die meisten Kugeln, aber sogar Raketen- und Schwert-Treffer, problemlos wegsteckt und sich schnell wieder regeneriert, wenn kurze Zeit kein Schaden genommen wird.

Kollateralschäden erwünscht

Der Fokus liegt hier also mehr darauf zu entscheiden, wann sich Grave bewegen sollte und wann er lieber stehen bleibt. Im Stand darf nämlich fast doppelt so schnell geschossen werden, während aber so manche Gegner ganze Giftgas- oder Brand-Bombenteppiche ausrollen oder Grave in so großer Zahl auf den Leib rücken, dass es selbst mit Schild ungemütlich wird. Außerdem will der mit jedem Treffer, egal ob gegen einen der diversen zerstörbaren Gegenstände oder einen Gegner, steigende Beat-Zähler stets oben gehalten werden, um noch mächtigere Angriffe wie ein heftiges Nahkampf Sperrfeuer starten zu können.

Retour-Salve

Soweit so bekannt, wurde das Gameplay im Vergleich zu den Vorgängen um einige taktische Kniffe erweitert. Per aus seinem Waffen-Sarg abgefeuerten Enterhaken, kann sich Grave beispielsweise zu Gegnern ziehen und diese anschließend ála Doom mit einer Art Glory Kill ausschalten, um sein Schutzschild zu restaurieren. Der Effekt-geladene Todesspeer-Angriff ist wiederum ein aufladbarer Schuss, der eine Schneise durch die Feinde reißt und selbst mit Schildträgern kurzen Prozess macht, während ein im Stand ausgeführter Nahkampf-Angriff Raketensalven zurück zum Absender schickt.

El Goreiachi

Um kurz das eigene Schild zu schonen, kann Grave auch Gegner per besagtem Enterhaken zu sich ziehen und sie in den Kugelhagel halten oder als Geschoss in die Menge werfen. Die aus den Vorgängern bekannten Demolition Shots (zu dt. Zerstörungschüsse) feiern auch ihre Wiederkehr und lassen Grave einige übertriebene Attacken austeilen, die ihn kurz unverwundbar machen und seine Leben heilen. Diese sind oft nicht von irgendwoher an die waffengeladenen Gitarrenkoffer aus Robert Rodriguez Kult-Western Desperado angelehnt, gab doch Naitō selbst den Film als Inspirationsquelle an. Neben Maschinengewehrfeuer, Flammen- und Raketenwerfer, können die per Treffern aufladbaren Demolition Points diesmal aber auch für kurze Zeitlupen und Schadensboni genutzt werden.

Grave International

All das fügt sich zu einem stimmig fließenden Gesamtbild zusammen, das einen bald in einem tranceartigen Zustand durch die diversen Levels rauschen lässt. Hin und wieder werden aber zum Glück auch neue Gegnertypen eingefügt, die zumindest ein wenig taktisches Umdenken verlangen und den monotonisierten Geist aufwecken. Auch reist Grave diesmal quer durch Asien und kämpft sich neben verwinkelten Gassen, Hochhäusern und Industriegebieten auch mal durch den Dschungel von Vietnam oder ein Cyberpunk-artiges Hongkong, um den diversen Mitgliedern des Raven-Klans den Garaus zu machen.

Wenn Unsterbliche stolpern

Die Spielzeit wurde außerdem im Vergleich zu den Vorgängern merklich verlängert, und so lassen sich in jedem der in mehrere Levels aufgeteilten Gebiete gut 2-3 Stunden verbringen. Das tut dem Spiel aber nicht nur gut, denn auch wenn die Areale stellenweise ganz hübsch, oft aber auch etwas lieblos gestaltet sind, verschwimmen die schlauchigen Levels dennoch bald zum immergleichen Brei mit wenigen erinnerungswürdigen Highlights. Da bei den Versuchen mit Zug- oder Plattform-Passagen etwas Abwechslung in das Geschehen zu bringen, leider ausgerechnet die Schwerkraft zu Graves frustrierendstem Feind wird, wäre hier insgesamt weniger definitiv mehr gewesen.

Entspanntes Töten

Erwähnenswert ist auch das Sound-Design, das von Branchen-Veteran Tetsuya Shibata mitkomponiert wurde, dessen beeindruckende Arbeit schon in diversen Franchise-Ablegern von Devil May Cry, Monster Hunter, Resident Evil, Final Fantasy und sogar Super Smash Bros. zu hören war. Während so einige Songs wunderbar mitreißen und die Stimmung des Titels mit elektronisch unterlegten Rock-Passagen perfekt untermauern, wirken andere jedoch seltsamerweise relativ fehl am Platz. So werden manche der actiongeladenen Levels mit einer Dauerschleife nichts sagender Lounge-Musik untermalt, was eher demotiviert und dazu verleitet, sich nebenher den Doom-Soundtrack oder ähnliches als Alternative aufzudrehen.

Aufgewacht, jetzt wirds ernst

Highlights sind dafür jeweils die Kämpfe gegen die Mitglieder des Raven-Klans am Ende jedes Gebiets. Diese sind quer durch die Bank charismatisch designt und wischen mit Grave selbst auf normalen Schwierigkeitsgrad schnell den Boden, wenn dieser seine Aktionen nicht zu jedem Zeitpunkt präzise und überlegt einsetzt. Positiv erwähnt sei auch noch die gute Integration des Controllers bei der PS5-Version, der beim Schießen per Dualsense-Rumble und Lautsprecher wirklich befriedigendes Feedback gibt, welches das so schon stimmige Gameplay nochmal aufwertet.

Fazit:

Wertung: - 7

7

Nur für Grab-Fans

Gungrave G.O.R.E ist definitiv ein Nischenprodukt und zielt direkt auf Fans der Vorgänger oder zumindest des Spielgefühls von Rail-Shootern ab. Während ich durchaus Spaß mit dem Titel hatte, wurde jeder positive Moment von einem eher fahlen Nachgeschmack begleitet. So ist das allgemeine Gameplay actiongeladen und befriedigend, bringt mich aber immer wieder in Szenarien, für die die Steuerung merklich einfach nicht ausgelegt ist und unterbricht meine Allmacht-Fantasie, indem ich etwa einfach von einem Zug gestupst werde. Die Gebiete haben zwar mehr Abwechslung als die Vorgänger und vor allem die nun deutlich stärkeren Cyberpunk-Einflüsse fügen sich wunderbar ein, der generische vietnamesische Dschungel passt aber wiederum etwa so gut zur Stimmung wie Gore auf eine Cocktailparty. Optisch beißen sich bombastische Lichteffekte mit kargen Hintergründen und Explosionen, die wirken, als ob sie direkt vom PS2-Vorgänger übernommen wurden. Das Sound-Design wechselt wiederum fließend von bahnbrechend zu langweilig und die Story von mitreißend zu willkürlich. Schade ist auch, dass kein Switch-Release für den Titel geplant scheint, da die kurzweiligen Levels und das gedankenlos spielbare Gameplay sich ideal für die Plattform eigenen würden. Zumindest die Bosse des Raven-Klan sind aber herausfordernde Highlights und wer Lust hat ohne viel Nachdenken einfach ein wenig Dampf abzulassen, darf zumindest einen Blick riskieren, während Fans der Vorgänger bedenkenlos zugreifen.

Genre: Third Person Shooter
Entwickler: Iggymob
System: PS4, PS5, Xbox Series S/X, Xbox One, PC
Erscheint: erhältlich
Preis: circa 50 Euro
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