Review: Dragon Age: The Veilguard
BioWares rettender Anker oder doch letzter Flop?
Als Urgestein des Genres galten BioWares RPGs für Jahrzehnte zu den absoluten Größen der Branche und doch sah die treue Fan-Gemeinde nach gefloppten Hoffnungsträgern wie Mass Effect: Andromeda und Anthem mehr besorgt als vorfreudig auf den Release-Tag von Dragon Age: The Veilguard. Viel hängt somit an dem Titel, den so mancher wohl als “Biowares letzte Chance” bezeichnen würde, und entsprechend geladen sind auch die Diskussionen seit Release. Ob das Studio zu alter Größe zurückgefunden hat oder diese letzte Chance ungenutzt ließ, lest ihr in den folgenden Zeilen.
Dragon Age: The Reboot?
Gute 10 Jahre nach Dragon Age: Inquisition war zuerst mal nicht klar, ob BioWare mit dem Nachfolger eine Art Reboot der Reihe anstrebt oder die Geschichte des Vorgängers weiterführen möchte. Die Antwort ist hier ein klares “Jein”. Technisch gesehen setzt The Veilguard tatsächlich direkt nach den Geschehnissen von Inquistion an und viele der Hauptcharaktere, inklusive des Spielercharakters selbst, tragen hier mehr oder minder wichtige Rollen. Beim Erstellen des Charakters dürfen sogar vorangegangene Entscheidungen aus Inquisition eingetragen werden, obwohl diese weniger Einfluss auf das tatsächliche Geschehen haben.
Dragon Age? Bist du das?
Dennoch ist es auch nicht völlig falsch, The Veilguard als Soft-Reboot zu bezeichnen. So wurde hier alles vom allgemeinen Gameplay, über das Kampfsystem bis hin zu Ton und Worldbuilding so drastisch verändert, dass Ähnlichkeiten schon mit der Lupe zu suchen sind.
Hoppauf, weiter gehts!
An dieser Stelle scheiden sich entsprechend bereits die Geister, denn das neue Dragon Age ist ein rasantes Action-RPG ohne echte offene Spielwelt, mit Reflex-fokussierten Kämpfen und stromlinienförmigen Arealen, die einen ohne große Verschnaufpausen von einem Event zum nächsten jagen. Tiefe RPG-Systeme glänzen hier also eher mit Abwesenheit und auch die Auswahl eurer beiden Begleiter hat letztendlich keine allzu große Auswirkung auf das Gameplay.
Dragon Age: Wählguard
Die drei auswählbaren Spieler-Klassen unterscheiden sich dafür durchaus. So wechselt der Krieger fließend zwischen einer flotten Schwert & Schild-Kombo sowie einer weitausholenden Zweihand-Waffe, der Magier teleportiert sich über das Feld und teilt entweder mit Elementarkugeln und einem Dolch, oder einem etwas langsameren magischen Stab aus, während sich der Rogue mit zwei Schwertern, einem Bogen und jeder Menge Akrobatik ins Getümmel stürzt.
Kein Schubladendenken
Auch wenn sich alle drei Klassen sehr unterschiedlich spielen, lassen sie sich aber nicht direkt in die typischen Schubladen stecken. So wirft der Krieger sein Schild gerne einmal im Captain America-Stil über das Schlachtfeld, der Magier kann per Skilltree zu einem Nahkampf-orientierten Spellblade umfunktioniert werden und der Rogue weiß mit gut gesetzten Konter-Attacken auch in der Defensive zu behaupten.
Keine Liebe für Edge-Lords
Etwas seltsam ist dabei jedoch die Entscheidung, dem Rogue per se kein alternatives Waffenset zur Verfügung zu stellen. Denn sowohl Magier als auch Krieger verfügen ebenso über eine Fernkampf-Option, können aber jederzeit per Knopfdruck zwischen einer schnellen, gezielten und einer langsamen, weitreichenden Waffe wechseln. Eine Option, die dem Rogue leider nicht gegeben wurde.
Lasst den Tanz beginnen.
Insgesamt fühlt sich das Kampfsystem aber tatsächlich sehr befriedigend an. Flüssige Animationen fügen sich hier mit wuchtigem Treffer-Feedback und einem wahren Dauerfeuer an spektakulären magischen Effekten zu einer stimmigen Gesamt-Erfahrung zusammen, die durchaus für den etwa 50-60 stündigen Spielverlauf durchwegs zu begeistern weiß. Ein gut verzweigter Skill-Tree spielt außerdem immer wieder neue Fähigkeiten frei und eröffnet zumindest ein gewisses Maß an Freiheit.
Kommt halt irgendwer mit bitte!
Welche beiden der insgesamt 7 freispielbaren Kumpanen den Spieler begleiten, hat dabei aber wiederum wenig Auswirkung. So kloppen diese zwar munter mit und lassen sich per Tastendruck in angehaltener Zeit Befehle für zum Beispiel besonders starke Kombinations-Angriffe oder Heil-Zauber geben, einen wirklichen Unterschied, wer genau diesen Anweisungen nun nachgeht, macht es aber kaum.
Na wen magst du denn am liebsten?
Da eure Begleiter außerdem untersterblich sind, ist deren Ausrüstung wohl vorwiegend ästhetischer Natur und auch die für gewisse Rätsel gebrauchten charakterspezifischen Fähigkeiten lassen sich relativ bald nach Spielbeginn einfach durch einen magischen Gegenstand herbeibeschwören. Die Wahl der Begleiter kann somit rein emotional getroffen werden.
Quality Time
Ausnahme sind dabei natürlich die persönlichen Quest-Reihen der jeweiligen Charaktere, die zeitgleich argumentierbar zu den stärksten des Spiels zählen. Der Versuch, hier tatsächlichen emotionalen Tiefgang zu erzeugen, gelingt zwar nicht immer, die netten kleinen Quips zwischen den Charakteren schaffen es einem aber doch immer wieder, ein Lächeln zu entlocken. Die tatsächlichen Aktivitäten gestalten sich dabei stets abwechslungsreich.
Captain America in Schild und Sprache
Dies gilt auch für die Story von Veilguard allgemein. So ist die Geschichte rund um verratene Freunde, elfische Götter, Assassinen und politische Intrigen durchaus mitreißend und lässt keine Langeweile aufkommen. Bei den Konversationen schwankt die Qualität aber heftig und während manche durchaus Tiefgang beweisen, sind andere schlichtweg peinlich oder versuchen ausgelaugten Marvel-Klischees nachzulaufen. Ebenso schwankt das Voice-Acting und so ist z.B. der Hauptcharakter (zumindest im englischen) sehr stimmig eingesprochen, während die magische Privat-Detektivin Nell derart emotionslos spricht, als ob sie auf Antidepressiva wäre.
High Fantasy for Low Power
Wenig zu kritisieren gibt es dafür bei der visuellen Präsentation des Spiels. Wurde EAs Marketing-Team zwar nicht Müde die aufwändige Haar-Physik des Spiels in den ständigen Fokus zu stellen, ist diese durchaus beeindruckend und verlangt dafür überraschend wenig Rechenleistung. Allgemein ist das Spiel sehr performant, bietet eine Vielzahl an Optionen und dürfte auf jedem Gerät befriedigend und vor allem stabil zum Laufen gebracht werden können.
Nicht die Größe zählt
Ist der etwas Cartoon-artige Stil der Charaktere ansonsten Geschmacks-Sache, bietet ein durchaus detaillierter Editor vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, die einen einerseits sinnvoll motivieren, in halbwegs ästhetischem Rahmen zu bleiben, andererseits aber auch nicht zu sehr einschränken. Dass sich ein so erstellter pummeliger Zwerg in den actionreichen Cutscenes dank stimmiger Mimik und lippensynchroner Dialoge genauso glaubwürdig präsentiert, wie ein hünenhafter Qunari, ist dann durchaus eine beeindruckende Leistung.
Epilepsiewarnung
Noch beeindruckender ist aber die visuelle Abwechslung, mit denen BioWare seine Spieler hier in den Dutzenden, stellenweise vor lauter Magie fast schon Scifi-artigen High-Fantasy-Szenarien zuballert. Egal ob malerische Elfenwälder, orientalische Märkte, Atlantis-artige Unterwassergefängnisse oder das sogenannte “Nichts”, welches als dimensionsloses Hub-Areal dient, alles leuchtet voller Magie und Farbenpracht, sieht Schwerkraft nur als loses Konzept und wird gerne mal im Dauerfeuer gewechselt, wenn die Handlung gerade wieder Fahrt aufnimmt.
Glas-Käfig
Das Gefühl, weitreichende, fantastische Länder zu erkunden, überlagert dabei oft das ansonsten größtenteils geradlinige Level-Design und lässt einen beeindruckt in die Ferne blicken, ohne die sinnvoll gesetzten Levelgrenzen wirklich wahrzunehmen. Kleine Rätsel im Stil von God of War runden dabei die sich ansonsten größtenteils abwechselnden Kampf- und Story-Einlagen ab.
Dragon Age: The Wokeguard?
Kurz möchte ich auch meine zwei Cent zu dem “Woke”-Thema geben, da dieses in Zusammenhang mit Veilguard aktuell viele Diskussionen überlagert. So wird dem Spieler eine Dialog-Option beim Betrachten eines Spiegels gegeben, um sich an eine Vergangenheit im “falschen Körper” zu erinnern. Außerdem gibt es mit der Drachenjagenden Taash den ersten Non-binary Charakter der Serie, dessen Identitätsfindung in deren persönlichen Nebengeschichte in den Fokus gestellt wird.
Beides ist jedoch rein optional und Taash Charakter-Quest zählt sogar zu den Einzigen, die keine größeren Auswirkungen auf das Ende des Spiels nehmen können. Kurz gesagt werden hier wie seit jeher bei BioWare einige integrative Optionen zur Selbstverwirklichung in einem Fantasy-Rollenspiel geboten, die jeder Spieler nutzen oder eben ignorieren kann. Ob einen das jetzt trotzdem stört, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Fazit:
Wertung: - 8
8
High Fantasy High Action
Im Gegensatz zu dem, was einem so manch aufgeladene Online-Diskussion vermuten lassen könnte, ist Dragon Age: The Veilguard weder das beste RPG aller Zeiten (oder auch nur des Jahres) noch eine Katastrophe. Im Gegenteil hat BioWare hier eine interessante Nische gefunden, die sie von mir aus gerne auch in Zukunft so befüllen dürfen. Veilguard ist ein solides Spiel mit befriedigendem Kampfsystem, spektakulärer Optik und interessanten Charakteren, das den Tiefgang der Vorgänger gegen ein stromlinienförmiges Design getauscht hat. Dieses versteht es aber, einen ohne große Längen oder einer zwangsgefüllten Open World für gute 60 Stunden bei der Stange zu halten und macht dabei durchwegs Spaß. Abstriche in der inkonsistenten Qualität der Dialoge und des Voice-Actings nerven etwas, sind aber verkraftbar. So bleibt Veilguard eine durchwegs runde Erfahrung, bei der Fantasy-Fans durchaus zugreifen dürfen.
Entwickler: BioWare
System: PC, PS5, Xbox Series S/X
Erscheint: 31. Oktober 2024
Preis: ca. 60€
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