Review: Doctor Who Staffel 2 – Lux
Doctor Who stellt die richtigen Fragen zur richtigen Zeit
Endlich die Folge mit dem lustigen Cartoon Charakter!
Obwohl „Der Teufelsakkord“ definitiv nicht die beste Folge der neuen Doctor Who-Ära ist, war sie zumindest diejenige, die tatsächlich frischen Wind in die Struktur der Show gebracht hat. Hier wurde ein Doctor Who abgeliefert, das sich nach über 60 Jahren alles erlauben durfte. Lux setzt diese Idee fort und bietet uns gleichermaßen nicht nur strukturell und technisch -nicht nur für Who- Einzigartiges, sondern auch eine in sich befriedigende und gedankenanregende Handlung.
Direkt anschließend an die letzte Folge „Die Revolution der Roboter“ versucht der Doctor, seine neue beste Freundin Belinda Chandra nach Hause zu bringen: zurück zum 24. Mai 2025 um 7:30 Uhr (Belinda will unbedingt rechtzeitig das Staffelfinale erwischen). Doch die TARDIS wird stets zurückgeschleudert – irgendetwas verhindert eine Landung, und der Doctor kann es sich nicht erklären. Wir landen also zusammen mit dem Doctor und Belinda stattdessen in Miami 1952. Und natürlich, weil es Doctor Who ist, wartet direkt vor der Tür auch schon ein weiteres Abenteuer auf uns: ein verbarrikadiertes Kino, ein verrückt gewordener Projektionist und 15 verschwundene Personen…
Wir alle haben unsere Wunschvorstellungen davon, wo wir die TARDIS parken würden. Ein Kino in den 50ern ist ein Setting, das fast schon zu gut ist, um wahr zu sein. Vor allem bei diesem Doctor, der nicht im Pyjama aus seiner blauen Box marschiert, sondern sich und seine Weggefährtin hübsch her macht. Doctor Who im schicken TARDIS-blauen Anzug zusammen mit seiner historisch akkurat gekleideten Kollegin auf den neonerleuchteten Straßen Miamis. Das Produktionsteam hält sich wieder einmal nicht zurück und liefert uns eine Folge, die sich visuell ganz klar abhebt. Es ist schön und gut, wenn uns erzählt wird, dass wir in den 1920ern gelandet sind oder mitten im Blitz von London – wenn sich die ganze Folge in Innenräumen abspielt, haben wir nicht viel davon. Aber in Lux wird uns pure Fernsehmagie geboten. Und das für eine Show, die wöchentlich ihr gesamtes Setting ändert und kaum etwas wiederverwerten kann.
Das fantastische Set- und Kostümdesign wird an dieser Stelle hervorgehoben, weil natürlich ein ganz anderer Punkt die ganze Aufmerksamkeit stiehlt. Doctor Who-Monster sind zusammen mit dem Doctor und seiner TARDIS der wichtigste Aspekt der Show, und man könnte argumentieren, dass es die Daleks in der zweiten Who-Geschichte überhaupt waren, welche die Show erst zu einem Massenphänomen gemacht haben. Neil Patrick Harris‘ Interpretation des Himmlischen Spielzeugmachers, Maestro, das Miep, systemischer Rassismus in „Dot and Bubble“, die „Nicht-Dinge“ aus „Wild Blue Yonder“… man kann Russell T. Davies‘ zweiter Doctor Who-Ära einiges vorwerfen, aber mit den Monstern der Woche landet er regelmäßig Volltreffer.
In Lux bekommen wir mit „Mr. Ring-A-Ding“ einen Charakter, der in den Doctor Who-Geschichtsbüchern stehen wird. Dieser ist nämlich eine zweidimensionale Cartoonfigur, welche aus der Leinwand springt. Der handanimierte und von Alan Cumming gesprochene Cartoon ist schon im Vorfeld der Staffel für viele zu dem Highlight der Previews geworden. In der ganzen Folge ist Mr. Ring-A-Ding zum Glück nicht nur ein kurzer Nebengag, sondern ein Widersacher, welcher uns durch die ganze Folge begleitet. Seine schelmische Art und Tendenz zu regelmäßigen Ausbrüchen in Gesang liefert den Charme kultiger Animations-Shorts, während seine Existenz außerhalb seines Mediums zunächst amüsant wirkt, aber schnell verstörend wird. Lux nutzt die Möglichkeiten eines Cartoon-Bösewichts voll aus; der Charakter selbst ist nahezu perfekt animiert und interagiert überzeugend mit der Welt des Doctors. An Falsches Spiel mit Roger Rabbit kommt die Folge nicht heran – aber was tut das schon? Der Doctor ist seinerseits natürlich fasziniert von Mr. Ring-A-Ding – nach 60 Jahren an Abenteuern trifft er noch immer auf Kreaturen, die er sich selbst nicht hätte erträumen können. Diese Faszination schwindet jedoch schnell, sobald der schweinsnasige kleine Mann seine wahre Natur offenbart. Wenn der Klang von Stepptanz einem Gänsehaut bereitet weiß man: Hier wird was besonderes geboten.
Mr. Ring-A-Ding sorgt gerade für einige virale Videos und Memes in sozialen Medien – Russell T. Davies und dem gesamten Team bei Bad Wolf Studios ist es tatsächlich (wieder einmal) gelungen, Doctor Who zumindest für einen Moment wieder in den Mainstream zu rücken und komplett neue Zielgruppen anzusprechen. Lux ist aber auch abseits von Mr. Ring-A-Ding eine faszinierende Episode, welche sich nicht davor scheut, den schwierigen Spagat zwischen Familienunterhaltung, sozialer Kritik und philosophischen Ansätzen zu wagen.
Genau wie „Der Teufelsakkord“ präsentiert uns Russell T. Davies und Co. hier eine laute Antwort auf die Frage, ob Doctor Who überhaupt noch einen Platz in unserem Fernsehen hat. An gewissen Punkten der Folge tritt Lux praktisch direkt in den Dialog mit uns, was Doctor Who betrifft. Fans wissen, dass sie abseits des Bildschirms jede Menge Doctor Who-Geschichten genießen können, dank Audio-Abenteuern, Büchern und Comics. Aber eine Musical-Folge mit Tanzeinlage kriegen wir nur im Fernsehen, einen klassisch animierten Cartoon-Bösewicht kriegen wir nur im Fernsehen. Aktuell ist der Bildschirm noch die Heimat des Doctors – wir können nur hoffen, dass uns noch für lange Zeit mehr absurde und herausfordernde Episoden wie Lux erwarten.
Ein kurzes Spoiler-Segment
Am Anfang von Lux fragt sich ein Nachrichtensprecher, ob die Atombombe der Höhepunkt des menschlichen Entdeckergeistes ist. Mr. Ring-A-Ding ist überzeugt davon, dass er, wenn er seine Finger an die Bomben kriegt, die ganze Erde in seinem Licht bedecken kann – im Endeffekt ist es aber Film, der ihm zum Verhängnis wird. Was will uns die Show damit sagen – ist das bewegte Bild die wichtigste Erfindung der Menschheit? Ist es Kunst? Oder ist es gar ganz explizit: Doctor Who?
Doctor Who flirtete schon seit Hartnells Zeiten mit der vierten Wand, McCoys Doctor verpasste 1963 nur kurz die Premiere der Show, und Capaldis Doctor schien sowieso immer mit einem Blick in Richtung Publikum herumzurennen. Wenn es in einer Show möglich sein darf, dass der Protagonist seine Fans trifft, dann ist es definitiv Doctor Who. Das Segment, das aktuell für viele Debatten sorgt, könnte als völlig forciert gelesen werden, wenn es sich nicht nahtlos in die vielen anderen Fragen und Themen der Folge einreihen würde. Abhängig davon, wie emotional investiert ihr in „Doctor Who“ als Konzept und als Serie seid, wird euch die Umarmung zwischen Fan und dem Doctor entweder kalt lassen oder euer inneres Kind inklusive der einen oder anderen Träne hervorholen. Es ist jedenfalls nicht nur ein lustiger kleiner Meta-Joke, sondern eine Bereicherung für die Folge – und die Show. Der Doctor als gute Kraft in einem chaotischen Universum ist eine Fantasie, aus der man gewinnen kann, was man möchte.
Als der Doctor mit Belinda und seiner TARDIS in Miami ankommt, schöpft eine Mutter Hoffnung, ihren Sohn wiederzusehen. Am Ende der Folge besiegt der Doctor den Gott Lux nicht mit einer Waffe, sondern mit dem Licht der aufgehenden Sonne. „Hoffnung kann die Welt verändern“, sagt der Doctor früh in der Folge. Und zumindest für die Laufzeit dieser Folge, welche in sich komplett hinter diesem Ethos steht, möchten wir auch daran glauben.
Meinung
„Lux“ lässt Doctor Who Staffel 2 ordentlich an Fahrt aufnehmen. Wir kriegen hier nicht nur einen unterhaltsamen Antagonisten geboten – in einer für Who spektakulär einzigartigen Form –, sondern auch ein einfühlsames kleines Abenteuer, das uns beweist, dass Doctor Who keine Grenzen gesetzt werden können. „Lux“ ist komplett anders und trotzdem Doctor Who bis zum Kern. Die übergreifenden Handlungsstränge werden elegant weitergetrieben, und trotzdem ist die Folge komplett isoliert genießbar und in sich geschlossen.
Russell T. Davies‘ Rückkehr als Showrunner haben wir nach der letzten Staffel zunächst als Fehler angesehen – zu oft wanderte die Show in vertrautes Territorium, zu viele seiner klassischen Patzer hat er auch dieses Mal mitgenommen. Mit Lux beweist er, dass er doch noch einiges über unsere Welt durch Doctor Who ausdrücken kann und einiges über Doctor Who mit Doctor Who ausdrücken kann. Aber vor allem schafft er es in Lux scheinbar mühelos, tolle Charakter-Momente an jeder Ecke seines Drehbuchs zu finden. Lux ist voller Energie, Kreativität und Mut – diese Folge funktioniert nur, weil sie in dieser Show stattfindet.
Wenn ihr ehemalige Fans seid und vielleicht schon einige Jahre keine Folge mehr gesehen habt:
Das ist die Story, die euch wieder ins Boot holen könnte.
Nächste Woche legen wir wieder Genre-Technisch einen komplett neuen Gang ein – genauso wie es sich für Doctor Who gehört. In „The Well“ scheint uns ein Abstecher in Space-Horror zu erwarten. Ein Genre in dem einige der besten Who Episoden zugehörig sind. „Midnight“ lässt grüßen…
Sehr ans Herz legen wir allen die Behind-The-Scenes-Einblicke in die Entwicklung dieser Folge: