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Review: Der Mann meines Bruders, Bd. 1

Der Mann meines Bruders ist eine mit Bedacht erzählte Geschichte über das Zusammenwachsen einer etwas anderen Familie und handelt nebenbei vom Umgang mit Homosexualität in Japan. Dass dies in einem ruhigen Ton ohne Effekthascherei möglich ist, beweist Gengoroh Tagame hier auf eindrucksvolle Weise.

Gengoroh Tagame hat sich mit der vierteiligen Manga-Reihe in ein für ihn neues Gebiet vorgewagt, ist er doch vor allem dafür bekannt, erotische Schwulen-Mangas mit BDSM-Thematik und expliziten Szenen zu zeichnen. Der Mann meines Bruders hingegen ist eine familienfreundliche Erzählung für jedes Alter, die sich um den Umgang mit Homosexualität in der japanischen Gesellschaft dreht.

Die Situation ist zunächst doch sehr angespannt | © Carlsen Manga

Unerwarteter Besuch

Der alleinerziehende Yaichi führt mit seiner Tochter Kana ein beschauliches Leben, als plötzlich Mike aus Kanada vor seiner Tür auftaucht. Dieser ist der Ehemann seines verstorbenen Zwillingsbruders Ryoji. Vor allem bei Kana sorgt dies für Verwirrung, die noch nie etwas von dem Bruder ihres Vaters gehört hat und auch nicht, dass zwei Männer heiraten können. Für die Dauer seines Besuches wohnt Mike bei der kleinen Familie und muss dabei nicht nur mit seiner eigenen Trauer klarkommen, sondern wirft auch Fragen und verschüttete Erinnerungen auf.

Trauer ist auch die Thematik, die sich subtil durch den ersten Band zieht. Beim ersten Auftreten von Mike schießen ihm Tränen in die Augen als er Yaichi sieht und die Ähnlichkeit zu seinem verstorbenen Ehemann erkennt. Mit diesem einen Bild drückt Tagame eine tiefgehende Traurigkeit aus, die sofort auf die Leser:innen überschwappt. Diese wird ausgeglichen durch den Charakter der Kana, die mit ihrer arglosen Herangehensweise, einfach jede Frage zu stellen, die ihr in den Sinn kommt und keinerlei Berührungsängste zu haben scheint, die Geschichte auflockert.

Die Kindererziehung kann stressig sein | © Carlsen Manga

Anstand trifft auf Unbehagen

Mittendrin steckt Yaichi, der wohl am ehesten als die Verkörperung der japanischen Gesellschaft gelesen werden kann. Er hat den Kontakt zu seinem Zwillingsbruder verloren, wusste zwar von dessen Ehe und auch Tod, hat aber Mike vor seinem Auftauchen noch nie getroffen. Sein Höflichkeitssinn und eine euphorisierte Kana gebieten es ihm, gewisse Konventionen einzuhalten, wie dass er Mike einlädt, bei ihnen zu wohnen. Er gesteht sich selbst ein, dass wenn Mike eine Frau wäre, seine Reaktion anders wäre.

Die Frau meines Bruders hätte mich weniger verwirrt. Und es wäre selbstverständlich gewesen, dass sie bei uns übernachtet. Ich hätte es wahrscheinlich sogar vorgeschlagen. Es liegt nicht daran, dass er nicht von hier kommt oder ihm noch nie zuvor begegnet bin. Mein Bruder war mit diesem Mann verheiratet … und ich weiss immer noch nicht … wie ich mit ihm umgehen soll.

(Zitat: Yaichi)

Zu Beginn werden uns durch Gedankenblasen Yaichis eigentliche Reaktionen zu manchen Situationen mitgeteilt, die er aber für sich behält und nicht äußert. In diesen extremen Reaktionen ist eine Homofeindlichkeit erkennbar, die von starker Verunsicherung herrührt. Dies ebbt im Laufe des ersten Bandes ab, der uns eine Entwicklung von Yaichi im Umgang mit dem Thema Homosexualität präsentiert. Anhand seiner Gedanken nimmt er die Leser:innen in dieser Entwicklung mit, bei der hervorsticht, dass Tagame keine unangenehmen Tabus gescheut hat. Besonders spannend ist hier auch, als Yaichi und Mike über Ryojis Coming Out sprechen – Yaichi hat nicht negativ reagiert, ist dem Thema danach jedoch aus dem Weg gegangen. Dieses fiktionale Element deckt sich mit tatsächlichen Erfahrungen, wie die der japanischen Politikerin Kanako Otsuji, die mit ihren Kollegen ähnliche Erlebnisse gemacht hat.

Ein weiteres, gut gelungenes Stilmittel ist die Sprache von Mike. Diese wirkt manchmal sehr einfach, was wohl daran liegt, dass er im japanischen Original eine Fremdsprache spricht. Zwischendurch streut er englische Begriffe ein, die Yaichi dann übersetzen muss. Dieser stilistische Kniff wurde in der von Sakura Ilgert übersetzten deutschen Ausgabe so belassen. Auch der kulturelle Unterschied, dass Körperkontakt für Mike eine Selbstverständlichkeit ist, während Yaichi damit nicht gut umgehen kann, wird schön herausgearbeitet.

Auf diese drei Charaktere konzentriert sich die Geschichte | © Carlsen Manga

Lehrreich ohne belehrend zu sein

Zwischen manchen Kapiteln gibt es dann noch „Mike’s Gay Culture Kurs“. Hier wird unter anderem die gleichgeschlechtliche Ehe und in welchen Ländern sie erlaubt ist oder was das rosa Dreieck bedeutet, behandelt. Diese Zwei-Seiter richten sich dabei an ein wirklich unwissendes Publikum und sind sehr rudimentäre Einführungen, jedoch nett gemacht.

Der Zeichenstil legt besonderen Wert auf die drei Charaktere, Hintergründe sind nicht herausgearbeitet, was aber durchaus zu dem Erzählten passt und deswegen nicht stört. Die beiden Männer sind mit ihren jeweiligen äußerlichen Eigenschaften schön herausgearbeitet und Tagame schafft es, die Emotionen in ihren Gesichtern sprechen zu lassen. Kana hingegen wirkt einfacher gezeichnet, was wohl auch ihre Kindlichkeit als Kontrast herausheben soll. Ein paar Szenen gibt es dann doch, in denen Tagame seine Zeichen-Wurzeln nicht verleugnen kann, wenn er zum Beispiel wohldefinierte Männerkörper unter der Dusche präsentiert. Es befindet sich jedoch alles im jugendfreien Rahmen, so dass der Manga auch gerne jüngeren Leser:innen in die Hand gedrückt werden kann.

Das Cover des ersten Bandes | © by Carlsen Manga

Fazit

Der Mann meines Bruders ist eine liebevoll erzählte Familiengeschichte einer etwas anderen Familie, die dabei sensibel mit dem Thema Homosexualität in der japanischen Gesellschaft umgeht. Eine absolute Leseempfehlung!

Infos:

Verlag: Carlsen Verlag
Seiten: 180
 Softcover
Manga-Artist/Mangaka: Gengoroh Tagame
Preis: 10 Euro

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