Review: Der letzte Tag des Howard Philipps Lovecraft
“Es ist nicht die Realität, die Sie interessiert… Es sind die Träume.”
Randolph Carter wartet bereits die ganze Nacht im Flur eines Krankenhauses, um einen der wichtigsten Literaten im Genre des phantastischen Horrors zu besuchen: Howard Phillips Lovecraft. Die Schwester lässt Randolph wissen, dass der Autor nicht mehr ansprechbar ist und aufgrund der vielen Schmerzmittel unter Wahnvorstellungen leidet. Unentwegt und mit einem Lächeln schreitet er trotzdem in das Zimmer.
H.P. Lovecraft blickt soeben dem Tod in die Augen. Geplagt von einem Tumor, der erst im Endstadium entdeckt wurde, plagen den Autor Angst, Schmerzen… und Reue. An seinem letzten Tag auf Erden schreitet Randolph Carter in sein Zimmer und möchte genau diese letzten Momente seines Lebens dokumentieren. Howard erkennt den Mann nicht, bis dieser ihm seinen Namen verrät: Es ist sein eigenes Alter Ego, das aus seinen Werken entsprungen ist.
Was folgt, ist eine wunderschöne und groteske Reise durch den sterbenden Verstand H.P. Lovecrafts. Wie in einer kosmischen Horror-Version der Weihnachtsgeschichte besucht ein Gast nach dem anderen den sterbenden Lovecraft und konfrontiert ihn mit seinem Versagen als Ehemann, Künstler und Mensch. Längst vergangene Momente holen Howard ein, doch bevor er diese begreifen kann, schmelzen sie auch schon wieder dahin. Während der Tod unseren Protagonisten Stück für Stück einholt, ringt Howard in seinen letzten Stunden zwischen Sinn und Nihilismus, seiner Person und seinem Vermächtnis. Die Diskrepanz zwischen dem frühzeitig verstorbenen genialen Künstler, als den er sich selbst darstellt, und dem tatsächlichen Menschen voller Zweifel und Ignoranz führt zu einem reißenden Strom aus Konflikten mit Leuten aus seiner Vergangenheit, Gegenwart und jener, die nach seinem Ableben durch seine Werke beeinflusst werden.
Rätselhafte Formen und Gestalten begleiten die von Jakub Rebelka (Illustrator von Cyberpunk 2077 XOXO sowie Mitwirkender bei den Witcher 2 Cutscenes) gemalten und von Romuald Giulivo geschriebenen Seiten. Das Buch ist eine eindrucksvolle Sezierung der Person Lovecraft sowie eine Hommage an seine zu Lebzeiten unpopulären Werke. Form und Text gehen hier Hand in Hand. Wilde, blutige Wasserfarben und eine wilde Linienführung erwarten euch in den intensivsten Momenten von Lovecrafts Halluzinationen. Selbsthass verzerrt seine Visage, während die Realität kalt und oft desinteressiert an seinem Schicksal scheint. Doch ehe ihr euch an diese Zustände gewöhnen könnt, verschwimmen diese genauso schnell wie Howards Geist.
Wir dürfen an dieser epischen und absurden Auseinandersetzung zwischen Leben und Tod teilhaben. Es ist keine lineare Geschichte, die euch hier erwartet, sondern ein Fiebertraum, der versucht, den Verstand eines komplizierten und fehlgeleiteten Mannes darzustellen.
Meinung
Ein großes, kompliziertes und wunderschönes Buch also, welches nicht nur Fans von H.P. Lovecraft ansprechen wird. Inspiriert von seinen letzten Notizen im “Death Diary“, in denen er seine Schmerzen, Leiden und die Geister, welche ihn in seinen letzten Wochen begleiteten, dokumentiert hat, bietet sich hier ein alptraumhafter Strudel an menschlichen Ängsten und kosmischen Einflüssen, welcher bei jedem wiederholten Lesen erneut mitreißt und zum Träumen anregt.
Seiten: 144 Seiten
Preis: ca 25 Euro
Zeichner:Romuald Giulivo
Autor: Romuald Giulivo
Verlag: Splitter Verlagi
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