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Review: Cyberpunk 2077

Da ist es nun. Mehr als acht Jahre (oder knapp 417 Wochen oder 2920 Tage) nach seiner Ankündigung hat das polnische Entwicklerstudio CD Projekt RED mit Cyberpunk 2077 ihren nächsten großen Blockbuster veröffentlicht. 

Und was für einen! Cyberpunk 2077 soll alles bislang Dagewesene in den Schatten stellen. Es soll das Rollenspiel-Genre revolutionieren, soll als Action-Spiel Spaß machen, eine geistreiche und zum Teilen philosophische und gesellschaftskritische Geschichte erzählen, mit Hollywood-Stars á la Keanu Reeves aufwarten und verzaubern und und und… zumindest dann, wenn man dem gigantisch großen Hype, der die Industrie im Zuge der Veröffentlichung vereinnahmt hat, Glauben schenken mag. Vielleicht ist das Alles aber etwas viel verlangt von nur einem einzigen Videospiel?

Warnung: Die PlayStation 4- und Xbox One-Versionen von Cyberpunk 2077 leiden aktuell unter erheblichen technischen Schwierigkeiten, die für viele wohl zurecht als game-breaking bezeichnet werden können. Wir konnten ebenfalls grobe technische Gebrechen feststellen – und das, obwohl wir die Xbox One-Fassung auf einer Xbox Series X testen konnten. Diese technischen Unzulänglichkeiten umfassen gravierende Framerate-Einbrüche, verschwommene/nachladende Texturen, diverse Glitches und Bugs NPCs betreffend (Charaktere bleiben in Wänden stecken, laufen durch V hindurch oder fallen durch eine Treppe) und einen gelegentlich „einfrierenden“ Bildschirm bei schnellen Drehungen und Wendungen. Es wurden bereits zwei große Patches in Jänner und Februar 2021 angekündigt, die das Gröbste ausmerzen sollen. Bis dahin empfiehlt es sich wohl mit dem Kauf von Cyberpunk 2077 zu warten oder auf PC/Google Stadia auszuweichen.

Update: Paukenschlag: Sony entfernt Cyberpunk 2077 aus dem PlayStation Store und erstattet das Geld

PS. Sämtliche Screenshots sind auf Ben’s PC-Version des Titels entstanden

Wie sehe ich aus?

In Cyberpunk 2077 erstellen wir uns zunächst in einem aufwendigen und komplexen Charaktereditor einen Helden oder eine Heldin. Dieser ist, wie auch alle Menüs in Cyberpunk 2077 leider überfrachtet, etwas umständlich und überladen, wodurch die Anwenderfreundlichkeit und Übersicht verloren geht. Dies könnte vor allem Casual Spieler, die aufgrund des Hypes zugeschlagen haben, abschrecken, weil überfordern.

Nach diesem kurzen Exkurs nun zurück zur Charaktererstellung: Wir haben uns für das weibliche Pendant des Hauptcharakters entschieden, weshalb im nachfolgenden Review von V als Frau (she/her) die Rede sein wird. Nebst dieser binären Geschlechtsaufteilung ist es in der Zukunftsdystopie auch möglich, Transmänner- und -Frauen zu erstellen – mittels freier Wahl der Stimme und/oder Genitalien. Auch, wenn die im weiteren Spielverlauf gezeigten Charaktere lieblos und vor allem „fetischiert“ dargestellt werden, bildet die generelle Implementierung dieser aus unserer Sicht einen Schritt in Richtung mehr Diversität und Repräsentation in Videospielen.

Ihr wählt im Anschluss zwischen drei Backgroundgeschichten von V aus. Hier stehen euch Nomade, Street Kid und Konzerner zur Verfügung. Wir haben uns für Street Kid bei unserem Playthrough entschiedenen, mussten aber feststellen, dass sich diese Entscheidung lediglich zu Beginn der Geschichte stärker ausgewirkt hat. Später in der Story beeinflusst diese Wahl lediglich eure Dialog-Optionen.

Der Coup eines Lebens

V ist hier eine Söldnerin, die in Night City, einer pulsierenden und (alp-)traumhaften Dystopie einer Megacity, ihr Glück versucht. Dies führt sie auch recht schnell zu Jackie, der ähnliche Ziel wie sie verfolgt. Er versucht, sein Leben in vollen Zügen zu genießen, ist jedoch stets charmant und loyal zu V – dabei aber niemals eindimensional. Es ist generell anzumerken, dass wohl die Charakterisierung der Figuren die große Stärke und das Alleinstellungsmerkmal (neben der Haupt- und Nebenquests) von Cyberpunk 2077 darstellt.

Zurück zur Story: V und Jacky verdingen sich ihren Lebensunterhalt, indem sie einen kleinen Auftrag nach dem nächsten annehmen und zum erfolgreichen Abschluss bringen – bis sie einen richtig großen Deal angeboten bekommen. Sie sollen einen Chip des Riesenkonzerns Arasaka stehlen, der ewiges Leben verspricht. Der Coup ihres Lebens läuft jedoch nicht so, wie sie sich das vorgestellt haben… dies führt auch zu einer Bekanntschaft mit Johnny Silverhand, einer Night City-Legende, die von niemand Geringeren als Keanu Reeves verkörpert wird. Dieser wird ob der verpflichtenden Ego-Perspektive von Cyberpunk 2077 und der damit einhergehenden starken Immersion (sofern man nicht durch technische Gebrechen aus dieser herausgerissen wird) zur zweiten Hauptperson des Spiels.

Sollten aufmerksame Leser und Leserinnen das Thema Crunch in dieser Review, welches im Vorfeld des Releases und im Zuge der Entwicklung dieses Mammutprojekts häufig thematisiert und zurecht kritisiert wurde, vermissen, so seien diese auf eine sich in Arbeit befindliche Kolumne, die demnächst auf SHOCK2 erscheinen wird, verwiesen.

Die Perspektive macht’s

Die Ego-Perspektive war für uns während des Tests Fluch und Segen zugleich. Einerseits verstärkt diese die Immersion auf eine Art und Weise, welche The Witcher 3: Wild Hunt aus unserer Sicht nie erfahren durfte. Andererseits haben wir uns bei optischen Anpassungen von V häufig gefragt, warum wir dies eigentlich tun. Immerhin sieht man seinen Hauptcharakter nur äußerst selten im Spiel. Selbst für einen selbstverliebten Blick in den Spiegel müssen wir mittels Knopfdruck interagieren, um ihn zu bekommen. Dies könnte organischer implementiert sein und besser ablaufen. Warum darf ich zum Beispiel mein Spiegelbild nicht in den Fensterscheiben von Night City bestaunen? Aja… die Technik.

Cyberpunk 2077 ist ein Ego-Shooter und ein Action-RPG. Das bedeutet, es ist besonders wichtig, wie sich das Gunplay anfühlt. Auf der Konsole konnten wir uns aber leider dem Eindruck nicht erwehren, dass sich dieses etwas ungenau und zuweilen sogar schwammig anfühlt. Das könnte daran liegen, dass vereinzelte Waffen bei Schüssen (wohl gewollt) verziehen, um mehr Authentizität zu schaffen. Uns hat dies aber (besonders zu Beginn des Spielens) etwas irritiert (Hier soll sich ebenfalls das Fahrgefühl angesprochen fühlen, aber hierzu etwas später mehr).

Johnny Silverhand geht schon fast als zweiter Hauptcharakter durch | © CD Projekt RED

Hat jemand neue Augen bestellt?

Nebst dem Waffengefühl ist es aber auch wichtig, Spielern die Möglichkeit zu geben, mittels Skilltree ihren Charakter nach ihren Vorstellungen zu verändern und upzugraden. Dies gelingt Cyberpunk 2077 bravourös. Skillpunkte, die man durch das Aufsteigen in seinem Level erhält, möchten klug und besonnen eingesetzt werden, um in Night City zu bestehen. Zudem stehen einem im Laufe der Story immer mehr biotechnische Implantate zur Verfügung, mit denen ihr euer Spielerlebnis verändern könnt. Gleich zu Beginn etwa (einige wenige Stunden nach Starten des Spiels) erhält ihr eine Verbesserung/Adaptierung eurer Augen.

Neben purer (Feuer-)Waffengewalt könnt ihr eure Feinde aber auch auf andere Wege ausschalten oder umgehen. So ist es gelegentlich durch gezielte Ablenkungsmanöver möglich, aus Konflikten und/oder brenzligen Situation zu entkommen. Diese setzt ihr mittels eurer Hacking-Fähigkeiten ein. So könnt ihr Videokameras oder auch Gegner zu euren Gunsten manipulieren und gemütlich aus einem potenziellen Feuergefecht entkommen. Die Hacking-Fähigkeiten von V müssen jedoch nicht nur passiv, sondern können auch sehr offensiv eingesetzt werden. Dies könnt ihr beispielsweise machen, indem ihr Granaten zum Detonieren bringt oder auch, indem ihr sie mit übernommenen Videokameras markiert und dann mittels Hightech-Waffen durch angrenzende Räume und Wände hindurch erledigt. Hier regiert die Vielfalt!

Perfekter Sound in einer Stadt mit Potenzial

Wie versprochen, kommen wir nun zu dem Fahrgefühl des Spiels. Hier gilt es festzuhalten, dass wohl nur die wenigsten Action-Spiele „gutes“ Fahrgefühl vermitteln können. Das ist auch nicht wirklich ihr Steckenpferd und soll/muss es auch gar nicht sein. Cyberpunk 2077 ordnet sich hier irgendwo dazwischen ein. Es bietet keine Fahrsimulation á la Forza oder Gran Turismo an, ist aber mehr als „nur“ ein Arcade-Racer. Hier muss auch erwähnt werden, dass sich euer allererstes Auto aus der Story im Vergleich zu denen im Verlauf des Spiels bescheiden steuert.

Ein weiteres Merkmal von Cyberpunk 2077 ist sein Stadtgefühl. Night City bietet schier unendlich viel Potenzial für Abenteuer und unvergessliche Momente. Diese können auch in wunderbaren und interessanten Nebenmissionen erlebt und bestaunt werden (ein Punkt, der uns wieder zurück zur Story bringt) – oder, wenn man einfach durch die dunklen, aber von Neonfarben durchfluteten Gassen streift und schlendert. Aber auch hier werden wir das Gefühl nicht los, dass da noch etwas mehr gegangen wäre. Mit vielen Dingen, die eine Stadt ausmachen wie beispielsweise Parkbänke, können wir nicht einmal interagieren beziehungsweise uns einfach so hinsetzen.

Umso schöner und erfreulicher ist dafür die musikalische Gestaltung des Spiels. Der häufig gehörte Song „Spoiler“ des Künstlers Hyper bleibt sofort im Gedächtnis, ist aber nur Teil eines großen Ganzen. Wir prophezeien, dass viele nach dem Spielen den Soundtrack auf Spotify oder Apple Music oder wo auch immer rauf und runter hören werden.

Zweite Meinung von Benedikt Zöchling

Seit ich den ersten Teaser von Cyberpunk 2077 gesehen habe, habe ich den Präsenzdienst absolviert, ein Studium begonnen, gewechselt und schließlich abgeschlossen, zweimal Job gewechselt und dreimal Wohnung. Meine Erwartungshaltung auf den Titel war also dezent hoch, aber ich kann hiermit freudig berichten: Ich bin sehr zufrieden! Night City ist eine atemberaubende Metropole voller unvergleichlicher Detailverliebtheit, verschlingt einen förmlich mit seiner überquellenden Kultur und schafft es mich im Minuten-Takt zu seinen unzähligen mitreißenden Missionen zu motivieren. Egal ob Haupt- oder Nebenstory, alles ist elaboriert geschrieben, weiß zu überraschen und wird von beeindruckendem Voice-Acting zum Leben erweckt. Sowohl Nah- als auch Fernkampf konnten mich nach einer kurzen Eingewöhnungsphase absolut überzeugen und dank sehr gutem Schuss- und Treffer-Feedback, abwechslungsreichen Waffen-Design, sowie vielfältigen Konflikt-Lösungswegen via Dutzender Cyber-Implantate macht das ganz auch nach Stunden um Stunden noch einen Heidenspaß. Selbiges gilt für die extrem kreativ und verspielt designten Autos, wegen denen ich unter anderem die optionale Schnellreise-Funktion des Spiels größtenteils ignoriert habe. Kritik gibt es von mir vor allem für die leider wieder sehr umständlich designten Menüs und dafür wie selten ich meinen eigenen Charakter eigentlich zu sehen bekomme. Kann man über diese sowie die je nach Plattform unterschiedlich stark ausfallenden technischen Mängel aber hinwegsehen (was zumindest am PC sehr gut möglich ist), ist Cyberpunk 2077 ein kybernetisch-übertaktetes Fallout, das seinen Bruder im Geiste aber in faktisch allen relevanten Punkten zu überflügeln weiß und ich liebe es.

Fazit

Wertung - 8.5

8.5

Es ist kompliziert - so oder so ähnlich lässt sich mein Eindruck von Cyberpunk 2077 zusammenfassen, denn selten ist es mir schwerer gefallen, ein Spiel am Ende eines Reviews mit einer Zahl zu versehen. Cyberpunk 2077 ist ob seiner spannenden Geschichte mit seinen vielen philosophischen Anleihen sowie gut ausgearbeiteter Charaktere eine wahre Freude. Aber auch für die Sinne wird grundsätzlich einiges geboten: Eine atemberaubende Grafik mit schönen Lichtstimmungen und ein Soundtrack, der sich in das Trommelfell einzubrennen scheint und seine Hörer nicht mehr loslassen möchte. Wären da nicht die vielen technischen Gebrechen, die sich dieses Spiel auf Konsole (auch auf Next-Gen) vorwerfen lassen muss und für viele zurecht das ausschlaggebende Kriterium, das von einem Kauf abrät, darstellen könnte. Sobald aber die vielen Fehler, Bugs und Glitches, wie es CD Projekt RED versprochen hat, aus der Welt geschafft wurden, schließen wir ein Upgrade der Wertung von 85 auf 90 (oder sogar höher) nicht aus. Night City ist nämlich durchaus einen Besuch wert und lockt mit dem großen Abenteuer.

Genre: Action-RPG, Ego-Shooter
Entwickler: CD Projekt RED
System: PlayStation 4, Xbox One, PC und Google Stadia;
Erscheint: Bereits erschienen
Preis: ca. 70 Euro

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