1985 erschien Where in the World is Carmen Sandiego? Wohl kaum jemand hätte damals gedacht, dass das kleine Edutainment-Spiel von Broderbund solch eine Karriere hinlegen sollte. Heute, etliche weitere Spiele, Gameshows, Filme, Bücher, Comics und TV-Serien später ist die Meisterdiebin nicht nur zur zumindest zeitweisen (Anti-)Heldin mutiert, sondern schon längst Teil der Popkultur. Nun kehrt sie – passend zur aktuell laufenden Netflix-Serie – auch zu ihren Videospielwurzeln zurück. Und das sogar in mehr als einer Hinsicht.
Klassisches Gameplay …
Erinnern wir uns zurück: Damals, in den 80ern und 90ern, lief eine Partie Carmen Sandiego ungefähr so ab: Ein Verbrecher von V.I.L.E. – eventuell sogar die Chefin und Meisterdiebin selbst – stahl einen ikonischen Gegenstand irgendwo auf der Welt, und wir als Mitglied der ACME Detective Agency mussten den Dieb fangen, bevor die Zeit ablief bzw. die Spur kalt wurde. Dafür reisten wir von Stadt zu Stadt, untersuchten dort interessante Locations und fanden so einerseits Hinweise auf den Verbrecher (schließlich brauchten wir am Ende einen gültigen Haftbefehl) und andererseits Info-Schnipsel, wohin der Täter als nächstes gereist ist. So wurde spielerisch gelernt, denn schließlich musste man sich aus Hinweisen wie „der Verbrecher las ein Spanisch-Wörterbuch“ und „er wollte in eine präsidiale Republik“ aus drei möglichen nächsten Destinationen die richtige aussuchen – eine falsche Wahl konnte fatal sein, denn jede Aktion kostete wertvolle Zeit. Ja, das machte durchaus Spaß – und umso schöner ist es, dass die Macher des neuen Carmen Sandiego-Spiels genau diesen Gameplay-Loop zurückbringen: Wir fliegen von Ort zu Ort, untersuchen Tatorte und sammeln nach und nach die nötigen Infos, um hoffentlich den Dieb zu stellen, bevor das Zeitlimit abgelaufen ist (leider ist gerade letzteres manchmal etwas schwieriger als nötig, weil das Spiel schon zu Beginn etwas geizig mit Infos sein kann …). Die größte Änderung? Diesmal seid ihr nicht irgendein ACME-Agent, sondern Carmen Sandiego selbst, die analog zur aktuellen Netflix-Serie (das Spiel ist übrigens auch im Netflix-Abo verfügbar) hier eher das Gesetz unterstützt. Auch sonst treffen wir einige bekannte Figuren aus der Serie wieder – gesehen muss man diese allerdings nicht haben, um sich in der Geschichte auszukennen, die auch relativ einfach gehalten ist.
… und doch ein paar Modernisierungen
Nur Text, Hinweise und ein paar launige Fälle? Den Spielern von heute ist das zu wenig? Kann sein – deshalb haben die Macher das „neue“ Carmen Sandiego mit etlichen Minigames aufgepeppt: Ihr schleicht Verdächtigen nach, fliegt mit einem Gleiter, versucht euch im Taschendiebstahl, repariert elektrische Geräte, und, und, und. Nichts davon ist eine große Herausforderung (bis auf das Schaltkreis-Puzzle, das eher unsere Geduld strapaziert hat), soll sie aber wohl auch nicht sein, schließlich richtet sich dieser Titel – wie schon damals – eher an ein jüngeres Publikum. Oder vielleicht doch nicht? Wenn wir zwischendurch zum Aufleveln (die Kampagne erfordert für die nächste Mission immer ein Mindestlevel) Archiv-Fälle lösen, die mit Pixeloptik und reduziertem Gameplay auskommen, macht das zumindest den Veteranen eigentlich mehr Spaß – auch, weil das Tempo höher ist und man einen Fall in wenigen Minuten abschließen kann, statt in derselben Zeit mit dem Greifhaken einem Dieb hinterherzujagen oder mögliche Tatorte per Pedes nach Hinweisen abzusuchen. Leider wird die ganze Hatz dann aber doch irgendwann eintönig, weil außer neuen Minispielen und strengeren Zeitlimits kaum noch etwas die Formel aufrüttelt. Und auch in Sachen Präsentation ist man ein wenig (zu) sparsam: Geboten wird reduzierte Grafik (man merkt, dass das Spiel für Mobile entwickelt wurde), simple Sprachfetzen und eine vor allem unauffällige Musik.
Fazit:
Wertung: - 7
7
Alte Stärken, aber...
Ich hatte eine Zeit in meinem Leben, als ich am Amiga 500 in das klassische Where in the World is Carmen Sandiego? ziemlich hineingekippt bin. Danach hat mich das Franchise allerdings wieder verloren und nur aus der Nostalgie heraus habe ich mich auch für diesen Test interessiert. Ich war mir eigentlich ziemlich sicher, enttäuscht zu werden – und war doch zunächst positiv überrascht: Die Entwickler haben sich angesehen, was die Stärken des alten Gameplays waren, und dieses über weite Strecken ins Heute geholt. Während ich persönlich auf die Minigames verzichten könnte und mich mit den Retro-Fällen wohler fühle, sind diese wohl vor allem der jungen Zielgruppe wichtig – hier versuchen die Macher wohl, zwei Zielgruppen gleichzeitig anzusprechen. Reicht das für einen neuen Klassiker? Leider nein. Dafür ist das Gameplay dann doch zu repetitiv und nach ein, zwei Fällen am Stück ist die Luft zu eindeutig raus. Für ein Spiel zwischendurch und einen Schuss Nostalgie ist Carmen Sandiego dennoch durchaus reizvoll …
Entwickler: Gameloft Brisbane
Erscheint: erhältlich
System: PC, Xbox Series, Xbox One, PS4, PS5, Switch, iOS & Android (Netflix)
Preis: ca. 20 €
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Spiele, die ich vermisse #36: Where in the World is Carmen Sandiego?