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Review: Baldur’s Gate Enhanced Edition

Ein Rollenspielklassiker auf Konsolen

Fragt man Gamer nach den besten Rollenspielen der letzten zwanzig Jahre, fällt recht rasch der Name Baldur’s Gate, dessen zwei Teile nicht nur ihre Entwickler BioWare groß machten, sondern auch daran beteiligt waren, das zu diesem Zeitpunkt schwächelnde CRPG-Genre wieder salonfähig zu machen. Auf Konsolen wurden die beiden Titel allerdings nie portiert – dort präsentierte man stattdessen mit zwei Baldur’s Gate: Dark Alliance-Titeln weniger Rollenspiel und mehr Hack’n’Slay-Action. Doch die Konsolenabstinenz der Klassiker endet endlich: Beamdog und Skybound Games bringen Baldur’s Gate Enhanced Edition auf Switch, PS4 und Xbox One.

So viel Story

In Baldur’s Gate übernehmt ihr die Rolle eines Waisen, der geschützt vor der Außenwelt aufgewachsen ist, natürlich ein ganz besonderes Schicksal hat und plötzlich aus der Sicherheit in die große weite Welt und ein gewaltiges Abenteuer gestürzt wird, das mit Klischees spielt aber dennoch darin nicht untergeht. Das „groß“ ist definitiv nicht übertrieben: Schon Teil eins kann euch mit den Expansions 100 Stunden oder mehr beschäftigen, und das ebenfalls enthaltene Sequel (das übrigens auf der Story des ersten aufbaut, also natürlich Spoiler bietet, wenn ihr es vorab startet) ist noch größer. Rein vom Umfang her ist also das Preis/Leistungsverhältnis genial – auch weil die Enhanced Edition im Vergleich zu den Urversionen noch ein wenig mehr nachgelegt hat.

Dennoch solltet ihr nicht erwarten, eine völlig neue Version der alten Spiele von 1998 bzw. 2000 zu bekommen. Wir sprechen hier von einem Klassiker, und das wird keineswegs verleugnet. Die Optik ist nach wie vor isometrisch mit vorgerenderten Hintergründen (wenn auch mittlerweile in Widescreen und HD), die Figuren und Animationen wurden zwar aufpoliert, haben aber noch immer einen gewissen klassischen Ruckel-Charme. Und deshalb wird schon die Präsentation die Spielergemeinde teilen: Die einen freuen sich, einen echten Klassiker nun auf der Konsole in der Optik von damals erleben zu können; die anderen lassen sich davon abschrecken und verpassen damit vielleicht einen Meilenstein der Spielegeschichte, das auch heute noch vor allem in Sachen Storytelling und NPCs überzeugen kann – zumindest, wenn man kein Problem mit Unmengen an Text hat (übrigens mittlerweile dank Day-1-Patch auch auf Deutsch – unser Review-Muster hatte nur englischen Text).

Das Tutorial führt euch in einige wichtige Grundlagen ein – Spielen definitiv empfohlen

90s Mindset, heutige Hardware

Wer ab und an Retro-Spiele spielt, weiß, dass es oft gar nicht so einfach ist, diese Klassiker auch heute noch zu spielen. Viele Annehmlichkeiten von heute sind den Spielen noch fremd und machen es schwer, die alten Perlen zu genießen. Das trifft auch auf Baldur’s Gate zu, das damals die Ehre hatte, zum Vorbild für zahlreiche spätere Rollenspiele zu werden. Die Entwickler der Enhanced Edition haben zwar ein wenig gefeilt – vor allem auch, um das doch sehr stark auf eine Maus zugeschnittene Interface Controllertauglich zu bekommen –, doch ist das gelungen? Ja und nein. Grundsätzlich kann man unter anderem dank einem reichlich belegten Controller, einem Radialmenü und der optionalen direkten Steuerung der Party mit einiger Einarbeitung recht komfortabel spielen. Andererseits bleibt der Eindruck, dass man all das mit einer Maus noch immer besser steuern könnte. Dazu kommt, dass die Switch-Version im Handheld-Modus eher unübersichtlich ist. Zwar kann man zumindest alle Texte lesen, aber auf dem kleinen Screen merkt man dann doch, dass das Spiel früher für größere Bildschirme designed wurde und man sich auf dem kleinen Display ständig zwischen Übersicht und Details entscheiden muss.

Zumindest in noch einer Hinsicht haben die Entwickler der EE allerdings an heutige Spieler gedacht: Der ursprünglich doch heftige Schwierigkeitsgrad wird durch zusätzliche Schwierigkeitsstufen entschärft. Dadurch gibt es nun für jeden Geschmack Abstufungen von „man kann einfach durch die Story spazieren“ über „normal“ und „Alle Rollenspielregeln“ bis hin zu „Macht es mir höllisch schwer“. Apropos Rollenspielregeln: Im Hintergrund werkeln hier wie im Original die AD&D-Regeln der zweiten Edition (mit ein paar Erweiterungen aus dem dritten D&D-Regelwerk). AD&D 2nd Edition war damals gerade noch aktuell, für heutige Pen & Paper-Spieler ist es allerdings schon weite Vergangenheit (aktuell ist die fünfte Edition). Zwar hat sich mittlerweile im Regelwerk vieles geändert, aber dennoch haben Kenner von D&D und dem Setting der Forgotten Realms auch heute noch einen Startvorteil darin, sich im Spiel und den Regeln zurechtzufinden. Und gerade letzteres ist durchaus nützlich, denn auch wenn das Spiel die Aufgaben des Dungeon Masters erfüllt und im Hintergrund würfelt, wisst ihr so besser, wie das Spiel tickt und warum Kämpfe gerade am Anfang oft darauf hinauslaufen, ewig daneben zu schlagen. Auch bei der Charaktererstellung (ihr könnt wahlweise nur euren Protagonisten erstellen oder auch gleich eine ganze Party) hilft Hintergrundwissen, denn hier greift man ebenfalls auf die AD&D-Regeln zurück, erklärt aber nur wenig. Deshalb ist es nützlich, ein wenig Ahnung zu haben, wie Fähigkeiten, Klassenkombinationen, Spezialisierungen oder Alignments in AD&D funktionieren bzw. wie die einzelnen Klassen der Charaktere „ticken“ und was sie mitbringen. Ein paar Grundbegriffe werden zwar auch im Tutorial erklärt, aber dennoch kann es nicht schaden, sich hier ein wenig einzulesen. Leider fehlt das dicke Manual des Originals, das damals eine recht umfassende Einführung in das Ruleset ablieferte. Schade! Und wenn wir schon beim Fehlen sind: Auch der Multiplayer-Modus, durch den wir vor 20 Jahren mit Freunden im lokalen Netzwerk gemeinsam das Abenteuer erleben konnten, ist (noch) nicht vorhanden.

Fazit

Wertung - 7.5

7.5

Nicht jeder Klassiker altert optimal

In den letzten zwei Monaten musste ich mir mehrmals die Frage stellen „Wie bewertet man das Remaster eines Klassikers“? Das Problem bleibt jedes Mal dasselbe: Auf der einen Seite die Erinnerung an einen großen Titel von anno dazumal. Auf der anderen Seite die technische Portierung ins Heute und die heutigen Spielgewohnheiten. Baldur’s Gate Enhanced Edition hat sich als die härteste Prüfung für mich erwiesen. Zumindest Baldur’s Gate II war vor zwanzig Jahren ein echtes Highlight in unserem LAN – und doch ist es mir schwer gefallen, mich wirklich auf die Konsolenfassung einzulassen. Die Optik hat Retro-Charme, ist aber schlecht gealtert – auf Präsentationsebene gewinnt das Spiel heute keinen Blumentopf mehr; die Steuerung scheitert auf zugegebenermaßen hohem Niveau an der Anforderung, Maus und Tastatur vollwertig zu ersetzen (auch wenn es mit zunehmender Einarbeitung besser wird). Wer an diesen beiden Punkten vorbeikommt, wird allerdings jenen Kern entdecken, der heute wie damals begeistert: die Story ist toll geschrieben, die Party-NPCs zu einem großen Teil echte Persönlichkeiten und der Umfang über jeden Zweifel erhaben. Immerhin eines kann sich Baldur’s Gate Enhanced Edition deshalb auf die Fahnen heften: Es hat mich zurück zum Klassiker gebracht – wenn auch auf etwas unerwartete Weise: Mittlerweile habe ich die Steam-Version wieder auf meinem PC installiert und erfreue mich der deutlich komfortableren Maussteuerung …

Genre: Rollenspiel
Entwickler: Bioware (Original) / Beamdog (Enhanced Edition)
System: Switch, PS4, Xbox One
Erscheint: erhältlich
Preis: ca.  50 Euro

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Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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