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Review: Anno 1800

Zurück in die Vergangenheit

„Rückkehr in die alte Welt“. Mit diesen Worten startet ihr nicht nur in die Kampagne von Anno 1800, sondern ahnt auch gleich, was euch im jüngsten Vertreter der bekannten Aufbauserie erwartet: Nach zwei Ausflügen in die Zukunft gibt endlich wieder ein klassisches Anno in der Vergangenheit. Sehr bewusst sei man laut den Entwicklern zurück zu den Wurzeln gegangen, um sich wieder den alten Werten zu besinnen, die Anno einst groß werden ließen. Dementsprechend groß waren natürlich auch die Erwartungen der zahlreichen Fans – mich eingeschlossen -, denn zumindest mir war die Zukunft immer einen Tick zu steril und klinisch. Ich vermisste den Charme des Landlebens mit seinen wogenden Weizenfeldern, blökenden Schafherden und sich im Schlamm suhlenden Schweinen, um ein paar Meter weiter in das geschäftige Treiben meines kleinen mittelalterlichen Städtchens inklusive Kopfsteinpflastern, schreienden Marketendern, spielenden Kindern und detaillierten historischen Gebäuden einzutauchen. In Anno 1800 ist all das nun endlich wieder zurück. Aber reicht das für den Serienthron?

Die Kampagne

Auch diesmal gibt es wieder eine Kampagne, die euch nicht nur mit einer launigen Geschichte unterhält, sondern noch wichtiger in sämtliche Gameplay-Mechaniken einführen soll. Doch hier tauchen bereits die ersten kleineren Probleme beim jüngsten Serienableger auf. Eigentlich hätte die Geschichte um den verlorenen Sohn, der in die neue Welt auszog, scheiterte und nun in die alte Welt zurückkehrt, um den Namen seines durch den bösen Onkel verratenen Vaters wieder reinzuwaschen, durchaus Potenzial gehabt. Tatsächlich beginnt die Story stark, doch nach ca. zehn bis zwanzig Stunden seht ihr schon dem wenig befriedigendem Ende entgegen und habt noch nicht einmal alle Features des Spiels gesehen. Das ist zu einem großen Teil der Tatsache geschuldet, dass es reicht, bis zur dritten von fünf Bevölkerungsstufen zu kommen. Die Elektrizität und die damit verbundene Eisenbahn, die das Gameplay nochmals völlig umwälzen, werden aber erst durch die Ingenieure (die vierte Stufe) freigeschaltet.

Das ist ein großer Schritt für eine Stadt, denn dann will diese für das Schienennetz adaptiert werden, was oftmals eine rigorose Umplanung mit sich zieht. Gut, dass es die Möglichkeit gibt, Gebäude einfach zu versetzen, statt umständlich abreißen und neu bauen zu müssen. Nicht nur durch die Schienen und fahrenden Züge ändert sich euer Stadtbild ab diesem Zeitpunkt, sondern auch durch die Stromleitungen, die nun eure Straßen säumen, und die kleinen LKWs, die die Pferdekarren ersetzen. Habt ihr es danach geschafft, auch das letzte Bedürfnis eurer Ingenieure zu erfüllen, habt ihr die Möglichkeit, diese zu Investoren aufsteigen zu lassen; eine Bevölkerungsgruppe, die nicht arbeitet und nach Luxusgütern wie Schokolade oder Zigarren verlangt, dafür aber auch ordentlich Steuern abwirft und eine neue Ressource namens Einfluss generiert. Durch ihre Höhe wird zum Beispiel bestimmt, wie viele Inseln ihr besitzen dürft, aber auch die Größe eurer Flotte, womit sie zu einem nicht zu unterschätzenden Faktor im Endgame wird. Aber auch die Berichte in der lokalen Zeitung lassen sich mit ausreichend Einfluss anpassen, um unsere Bevölkerung mit Fake News bei Laune zu halten. Spannend ist außerdem, dass diesmal jede Bevölkerungsschicht – außer die Investoren – in ausreichender Menge benötigt wird, um die Betriebe der jeweiligen Stufe am Laufen zu halten. Ohne eine ausreichende Zahl an Bauern werden eure Felder nicht mehr bewirtschaftet und ohne Arbeiter stehen die Fabriken still. Eine wirklich spannende Neuerung, die dem Gameplay noch mehr Tiefe verleiht.

Tolles Endgame, aber maue Seeschlachten

Wie den Kaiserdom und die Sultansmoschee in Anno 1404 gibt es auch diesmal wieder einen monumentalen Prachtbau: die Weltausstellung. Diese ist nicht nur ein irrsinniger Ressourcenfresser, sondern auch in mehrere Bauphasen unterteilt. Sobald wir damit fertig sind, werden wir mit einer gesteigerten Inselattraktivität und Gegenständen belohnt, die wir wiederum einsetzen können, um zum Beispiel mit unserer Handelsgilde die Produktion bestimmter Gebäudetypen zu steigern. Besagte Gegenstände und Spezialisten bekommen wir allerdings auch um einiges früher durch das Erledigen von Aufgaben, die uns unsere Bürger auferlegen. Die Wimmelbildaufgaben, bei denen wir bestimmte Dinge in unserer Stadt suchen müssen, kennen wir bereits aus den Vorgängern; neu sind jedoch die Fotoaufgaben, bei denen uns Bürger bitten, bestimmte Teile der Insel zu fotografieren. Eine weitere Möglichkeit, um an Gegenstände zu kommen, sind die neu eingeführten Expeditionen. Was sich zu Beginn wie ein launiges neues Feature anhört, verkommt allerdings sehr bald zu stupider Klickerei: In Form eines Textadventures schickt ihr hierbei euer Schiff auf eine Reise und trefft Entscheidungen über den weiteren Verlauf. Leider wiederholen sich die Ereignisse zu schnell. Dazu kommt, dass euch teilweise sogar simple Fotoaufgaben bessere Items bescheren.

Wenn wir schon bei Features sind, die nicht ganz überzeugen, müssen wir noch ein paar Worte über das Kampfsystem verlieren. Beginnen wir mit einer positiven Nachricht: Die nervigen Landschlachten aus den Vorgängern gehören Gott sei Dank der Vergangenheit an. Stattdessen müssen wir lediglich die feindliche Hafenanlage so lange mit unseren Schiffen beschießen, bis die Insel kapituliert, woraufhin wir sie wahlweise als Kolonie weiterführen (bringt ordentlich Geld) oder sie völlig übernehmen können. Sämtliche gebauten Gebäude werden dann allerdings umgehend dem Erdboden gleichgemacht – wieso auch immer. Neben dem Übernehmen von Inseln warten natürlich auch einige Seegefechte auf uns, die sich zwar Anfangs durch die unterschiedlichen Schiffstypen und ihre Ausstattung durchaus taktisch spielen, im späteren Spielverlauf jedoch zu reinen Materialschlachten verkommen. Wer die höhere Feuerkraft hat, gewinnt. Taktik wird zur Nebensache. Es gibt zwar auch die Möglichkeit, auf diplomatischem Weg einen Friedensvertrag auszuhandeln, leider verlangen die Gegner hierfür (auch wenn sie einem deutlich unterlegen sind) aber derart horrende Summen, dass man hier oftmals doch lieber den mühsamen Eroberungsweg in Kauf nimmt. Immerhin machen selbst fast besiegte Gegner uns das Leben mit Angriffen auf unsere Handelsrouten schwer.

Zurück in die Neue Welt

Apropos Handelsrouten: Hier kommt dann die neue Welt doch wieder ins Spiel, denn auch dort müssen wir Inseln besiedeln, um an die Zuhause so dringend gewünschten Luxusgüter, wie Kaffee, zu kommen. Auf den exotischen Inseln erwartet uns aber auch eine einheimische Population, die ebenfalls in zwei Stufen ausgebaut werden will. Damit müssen wir einen Teil unserer Aufmerksamkeit auch diesen fernen Inseln widmen, damit eine lückenlose Versorgung unserer Bürger gewährleistet ist. Keine leichte Aufgabe, wenn unsere Handelsrouten oftmals zwei Karten und Regionen umspannen und dann auch noch Piraten darauf lauern, unseren Schiffen die wertvolle und bereits dringend benötigte Fracht abzunehmen. Glücklicherweise ist es im übersichtlichen Handelsmenü ein leichtes auch Umwege anzuordnen, um die gefährlichsten Piratennester zu umschiffen. Unsere Multitasking-Fähigkeiten werden hier dennoch ordentlich gefordert.

Offline und Multiplayer

Mit Anno 1800 haben wir nicht nur die Möglichkeit, sowohl Kampagne als auch Endlosspiel solo zu spielen, sondern können uns auch einem umfangreich konfigurierbaren Multiplayermodus widmen. Bis zu vier Spieler können hier gegeneinander antreten und darum wetteifern, wer schneller eine von den sechs auswählbaren Siegbedingungen erreicht. Von kurzen Partien bis zum Erreichen einer bestimmten Bevölkerungszahl bis hin zu Wochen dauernden Matches inklusive dem Bau der Weltausstellung ist hier alles dabei und funktioniert auch dank schneller Spielersuche und praktischer Speicherfunktion problemlos. Trotz momentan noch fehlenden Koop-Möglichkeiten (diese sollen nachgepatcht werden) ist der Multiplayer-Modus damit eine gelungene Ergänzung zum Singleplayer.

Fazit

Wertung - 9

9

Serienthron knapp verpasst

Es ist eine Wohltat, endlich wieder in der Vergangenheit eine blühende Metropole bauen zu dürfen und von der mir persönlich doch zu sterilen Zukunft wieder zu den Wurzeln der Serie zurückzukehren. Die ausgeklügelten Warenketten, das komplett neue Gameplay durch die Erfindung von Elektrizität und Eisenbahn sowie das ausgeklügelte und fordernde Endgame werden mich definitiv noch Stunden an den PC fesseln. Anders gesagt: Wären da nicht die diversen kleineren Schnitzer, wie die etwas unbefriedigende Kampagne, mühsame Textadventure-Expeditionen sowie das nicht ganz optimale Kampfsystem, hätte es Anno 1800 wohl geschafft, meinen Serienfavoriten Anno 1404 vom Thron zu stoßen. So reicht es für mich in meiner persönlichen Reihung leider nur für einen (wenn auch guten) zweiten Platz. (Silvia Scherz)

Genre: Aufbaustrategie
Entwickler: Blue Byte
System: PC
Erscheint:erhältlich
Preis: ca. 55 Euro

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Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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