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Retro: Kung Fu/Kung Fu Master

Es gibt Spiele, die findet man klasse, weil sie spielerisch und optisch einfach unschlagbar sind – und es gibt welche, die mag man aus anderen Gründen. Etwa weil sie lange Zeit das Einzige waren, das man auf einer Konsole zum Zocken hatte, oder weil man besonders witzige Multiplayer-Erfahrungen damit verbindet. Ähnliches ist bei mir und Kung-Fu der Fall: Dieses Game habe ich vor rund 20 Jahren gebraucht von einem Schulfreund meines Bruders erstanden, fand es aber zu schwer und legte es schnell wieder beiseite; erst dass meine Schwester, die bis zu ihrem Erstkontakt mit dem digitalen Jackie-Chan (dazu später mehr) aus Prinzip noch kein Videogame angerührt hatte, völlig in das Beat’em-Up kippte und es innerhalb eines Wochenendes zur Perfektion meisterte, schürte meinen Ehrgeiz. Heute verdamme ich den Tag, an dem mein NES den Geist aufgegeben hat – bislang warte ich nämlich noch immer vergebens auf ein Wiedersehen mit Kung-Fu in der Virtual Console. Doch was macht ein Spiel, das man – wenn man will und dazu fähig ist – in fünf Minuten durchspielen kann, so besonders?

Kicks bringen weniger Punkte als Faustschläge, mir war es damals egal.
Kicks bringen weniger Punkte als Faustschläge, mir war es damals egal.

Kämpfen wie Jackie Chan 
Dass das 1984 für NES und ein Jahr zuvor als Spartan X bzw. Kung-Fu Master für Arcade erschienene Beat’em-Up auf dem Jackie-Chan-Film „Powerman“ basierte, wusste ich damals beim Spielen vor meinem Uralt-Röhren-TV freilich noch nicht. Für mich zählte nur, dass Thomas endlich seine geliebte Sylvia aus der Gefangenschaft Mr. X‘ befreien musste – außerdem hätte ich an etwaige Filme ohnehin keinen Gedanken verschwenden können: Nicht nur, dass man Anfang der 1990er-Jahre als Kind ohnehin keine Ahnung hatte, was medientechnisch in der großen weiten Welt so vor sich ging (Internet für die Massen gab es schließlich noch nicht), war das Spiel darüber hinaus so bockschwer, dass man schon durch die winzigste mentale Ablenkung einen Feindestreffer einsteckte. Während man im ersten sidescrollenden Beat’em-Up überhaupt nämlich von einer Seite des Schirms zur nächsten läuft, kommen allerlei Gegner von vorne, aber auch von hinten auf einen zu, die allesamt eine unterschiedliche Taktik erfordern. Etwas, das ähnliche – in den Jahren darauf folgende – Spiele wie beispielsweise Double Dragon oder Teenage Mutant Ninja Turtles auch heute noch sehr hoch in der Gunst der Fans stehen lässt. 

Kein Wunder, dass meine Schwester trotz mangelnder Game-Erfahrung eher zu Syliva gelangte – hier ist nämlich spielerisches Multitasking gefragt!
Kein Wunder, dass meine Schwester trotz mangelnder Game-Erfahrung eher zu Syliva gelangte – hier ist nämlich spielerisches Multitasking gefragt!

Reflextraining vom Feinsten
Während simpel langsam heranschreitende Schergen noch flott mit Faustschlägen oder Fußkicks vom Holzboden gefegt werden, steigt die Schwierigkeit rasant. Der erste Messerwerfer ist so nicht fern – und hier müsst ihr euch unter dem Messer hindurchducken oder es agil überspringen. In jedem der kommenden vier Stockwerke der mehrgeschossigen chinesischen Pagode (etwas schwer als solche zu erkennen) wächst auf diese Art der Grad der vom Spieler geforderten Hand-Augen-Raffinesse: Unerwartet explodierende Disco-Kuglen, aufpoppende Feuer speiende Drachen, flotte Giftfliegen, Schlangen und griesgrämige Kleinwüchsige erforderten einen gekonnten Wechsel zwischen den Moves eurer Figur. Kicks am Boden, im Sprung, Faustschläge – wenn Horden diverser Gegner plötzlich auf einmal aus beiden Richtungen auf euch zukommen, schwindet die Lebensenergie bei frühen Versuchen schneller, als man „Kung-Fu“ sagen kann. Noch dazu, weil Zwischenbosse – wie ihr Name schon andeutet – in harten Intermezzi dazu fordern, ihre lange Lebensleiste auf Martial-Arts-Weise zu schmälern. 

Spoiler ahoi! 26 Jahre nach dem Release trauen wir uns: Ja, das ist Mr. X!
Spoiler ahoi! 26 Jahre nach dem Release trauen wir uns: Ja, das ist Mr. X!

Die fanatischen Vier!
Ein einfacher Schlägertyp mit Stock, ein großer, schwerfälligerer, dunkelhäutiger Sportler (Basketball-Legende Kareem Abdul-Jabbar nachempfunden), ein Magier, der mit Feuerbällen schmeißt, sowie ein Bumerang werfender Widerling stellen sich euch in den Weg, bevor Mr. X, der für seine Rolle als Oberboss doch recht einfallslos und bieder aussieht, auf dem Schirm erscheint und euch das Leben schwer macht. Dass man für das Durchspielen des Games – wie auch schon in der Arcade-Vorlage – darüber hinaus Punkte erntete, war mir damals – gelinde gesagt – voll kommen egal. Ich wollte Syliva retten, mehr nicht – alles, was der praktisch nicht vorhandenen Story fehlte, ergänzte mein kindisch-kreativer Kopf. Erst viel später habe ich dann herausgefunden, dass die in puncto Reichweite schlechteren Punches mehr Punkte bringen und gleichzeitig den Gegnern mehr Energie abziehen als die Kicks, mit denen es einfacher ist, sich die Gegner vom trainierten Pixel-Leib zu halten. 

Kommen euch Mr. X’ Schergen zu nahe, halten sie euch fest und zehren an eurer Lebensenergie.
Kommen euch Mr. X’ Schergen zu nahe, halten sie euch fest und zehren an eurer Lebensenergie.

Netter Quickie
Optisch ist die NES-Version der Arcade-Vorlage deutlich unterlegen, dennoch läuft das Spiel stets flüssig und die abwechslungsreichen Moves von Thomas gehen auch für heutige Verhältnisse gut von der Hand. Witzig: Heute würde man sich darüber beschweren, wenn sich auf einmal fünf gleich aussehende und sich synchron bewegende Gegner einem Game-Helden entgegenstellen, damals verursachte genau das jedoch jenen treibenden Stress, der einen zu neuen Highscore-Höchstleistungen anspornte. Selbst die Musik – so simpel das asiatisch angehauchte Gedudel auch sein mag – jagt einen förmlich durch die Etagen der Pagode. Und selbst ein paar Sound-Effekte fanden Platz auf der NES-Cartridge: Neben Punch-Geräuschen und dem Kampfgeschrei wurde sogar den Bossen ein fieses Lachen spendiert. Heute im wahrsten Sinne lachhaft, war ich damals als Kung-Fu-Knirps ordentlich beeindruckt (wenngleich auch etwas beängstigt). Heute würde zwar mit großer Wahrscheinlichkeit niemand mehr ein Spiel für umgerechnet 70 Euro (ich zahlte gebraucht nur etwa ein Siebtel) kaufen, das man in unter einer Viertelstunde durchspielen kann, aber wenn ihr jetzt bis hierher gelesen habt, dann versteht ihr sicher, warum ich mir ein Remake bzw. einen Virtual-Console-Auftritt von Kung-Fu wünsche. Dann frönt vielleicht sogar meine Schwester nach langer Abstinenz wieder einmal der Cyber-Prügelei! (hpg)


Die Film-Vorlage: Powerman

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Der 1984 als „Kwai tsan tseh“ erschienene Honk-Kong-Action-Streifen hat viele Titel, unter anderen auch „Wheels on Meals“; weil zwei Filme des Studios, die mit „M“ begannen, gefloppt waren, wurde so aus „Essen auf Rädern“ einfach „Räder auf Essen“. Der Name leitet sich von der Handlung ab, weil Thomas (Jackie Chan) und David (Yuen Biao), die beiden chinesischen Betreiber einer fahrenden Imbissbude, in Barcelona nach einem Treffen mit der Taschendiebin Syliva (Ex-Miss-Spanien, Lola Forner) in einen actiongeladenen Erbstreit hineinrasseln. Es folgten zwei „Fortsetzungen“, die sich in puncto Story aber immer weiter vom Erstling entfernten. Die Kung-Fu-Inspiration zum Fight durch eine Pagode sowie der Game-Cameo von Abdul-Jabber stammen allerdings aus dem Bruce-Lee-Film „Mein letzter Kampf“ aus dem Jahr 1978.

Kung-Fus Erben

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Beat’em-Ups, in denen man weitergehen kann, sind heute keine Seltenheit mehr, deshalb fällt es schwer zu glauben, dass es solche Games vor Kung-Fu Master einfach nicht gab. Double Dragon, Shinobi, Final Fight, Golden Axe, Streets of Rage und viele moderne Games, sind auf jenem Gameplay begründet, das Thomas damals bei seiner Suche nach Syliva das erste Mal einsetzte. Umso spannender, dass Capcoms Viewtiful Joe (seit 2003 auf dem GameCube und weiteren Konsolen) in ähnlicher Manier seine fast namensgleiche Freundin Silvia rettete. Seit sich die Spielwelt – zumindest auf dem Retail-Markt – allerdings hauptsächlich auf 3D-Welten konzentriert, finden sich Sidescrolling-Beat’em-Ups aktuell – mit einigen Ausnahmen – vorwiegend in den Download-Shops der Konsolen z.B. Castle Crashers oder Scott Pilgrim vs. the World: The Game.

Genre: Action
Systeme: NES
Entwickler: Irem/Nintendo
Erschienen: 1984

Die Varianten

Kung Fu Master in der Arcade
Kung Fu Master in der Arcade

Neben einigen Arcade-Versionen und der NES-Fassung erschien das Game (in einigen Abwandlungen) auch für Atari 7800, den GameBoy (1990), PC, C64, für den SEGA Saturn (1996, in einer Classic-Sammlung) und viele andere Systeme. Vor drei Jahren versuchten sich Fans außerdem an einer inoffiziellen PC-Fortsetzung namens Kung-Fu II, welche wesentlich näher am Original war als das offizielle, nur in Japan veröffentlichte NES-Sequel Spartan X2 aus dem Jahr 1991.

Kung Fu am GameBoy
Kung Fu am GameBoy

Der Film zum Spiel?

„Kung-Fu Master“ bzw. „Die Zeit mit Julien“
„Kung-Fu Master“ bzw. „Die Zeit mit Julien“

Als ich den 1988 erschienenen Film „Kung-Fu Master“ bzw. „Die Zeit mit Julien“ anno 1990 zufällig im Fernsehen anguckte, war ich gleich doppelt verstört: Zum einen sah ich das erste Mal die deutlich hübschere Arcade-Version des Games und zum anderen war die Story nicht wirklich eine, die ich im Alter von neun Jahren nachvollziehen konnte. Das Werk der für ihre kontroverse Arbeit bekannten Regisseurin Agnès Varda dreht sich nämlich um eine 40-Jährige (Jane Birkin), die eine Affäre mit einem 15-Jährigen (Mathieu Demy, der Sohn der Regisseurin) beginnt. Der Titel rührt daher, dass Julien begeisterter Zocker von Kung-Fu Master ist, was im Film als Skizzierung seiner Jugendlichkeit dient.

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