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Kolumne: Xbox Game Pass – Die Büchse der Pandora

Diese Woche hat Microsoft eine Revolution angekündigt: Den Xbox Game Pass. Das neue Abo ermöglicht laut offizieller Seite “unbegrenzten Zugriff auf über 100 fantastische Xbox One und Xbox 360 Spiele” für 10 US-Dollar im Monat. Für Kunden ein guter Deal. Für den Gebrauchtmarkt eine Kriegserklärung.

Videospiele haben mit zwei Marktgegebenheiten zu kämpfen. Ein starker Gebrauchtmarkt und limitierte Verwertungsstufen. Ein Spiel erscheint im Handel, der Preis sinkt kontinuierlich, das Spiel wird schnell aus dem Fokus der Allgemeinheit verdrängt. Das beste Mittel dagegen: hohe Retention, in etwa “Beibehaltung”. Der Begriff ist bei Free-to-Play-Games die wichtigste Kennzahl für den Erfolg und wird immer wichtiger für traditionelle Vollpreistitel im Handel. Der Kunde soll das Spiel kaufen, möglichst lange spielen und nicht verkaufen. Manche Spieler werden es trotzdem verkaufen, dagegen können Publisher nicht viel anstellen. Microsoft hat es mit der ursprünglichen Xbox One versucht, die Reaktion des Marktes war deutlich. Stattdessen versuchen Publisher, die Spieler mit DLC und Multiplayer an der Stange zu halten. Mittlerweile haben selbst Final Fantasy 15 und The Legend of Zelda: Breath of the Wild einen Season Pass. Das andere Problem sind die limitierten Verwertungsstufen. Während Filme im Kino anlaufen, als Blu-Rays/DVDs verkauft werden, im Premium- und Free-TV laufen, in Mediatheken und Streamingdiensten wie Netflix angeboten werden und zuletzt vielleicht als Extra in einer Zeitschrift oder Zeitung beiliegen, haben Videospielpublisher weniger Möglichkeiten. Game of the Year-Editionen, PlayStation Plus, Games with Gold und PlayStation Now sollen da helfen. Das ominöse “Netflix für Videospiele” gibt es nicht. Bis jetzt.

Der Xbox Game Pass birgt Chancen und Risiken mit sich. Chancen, weil das Programm eine neue Verwertungsstufe darstellt. Ein alter Titel wie Fable 3 dürfte für 19,99 Euro kaum noch Erlöse generieren. Aber er ist nun mal da, das Spiel liegt auf den Microsoft-Servern und kann jederzeit erworben und gespielt werden. Im Game Pass könnte der Titel Verkaufsargument für ein Abo sein, neue Fans finden, der Serie zu einem Nachfolger verhelfen. Natürlich verliert Microsoft dadurch 19,99 Euro Erlös durch Fable 3 alleine, das soll aber eine hohe Zahl an Abonnements wieder wettmachen. Bundling heißt das moderne Geschäftsmodell, in dem temporärer Zugang zu vielen Titeln als Abo verkauft wird. Plötzlich geht es nicht mehr um den einen Titel, es geht um die Fülle an Titeln. Aber auch das Geschäftsmodell hat sich über die Jahre verändert. Mittlerweile ist auch hier exklusiver Content König und Netflix vertreibt nicht nur Filme und Serien, sondern produziert sie auch. Mit eigenen Serien wie Halo, Gears of War und Fable ist Microsoft hier gut aufgestellt. Diese Titel müssen die Highlights des Programms werden. Microsoft muss dazu bereit sein, hier einzelne Käufe aufzugeben, damit das Programm interessant ist. Für LEGO Batman schließen die wenigsten ein weiteres Abo ab.

Und die Risiken? Mannigfaltig. Welche Spiele erscheinen im Game Pass? Wie lange nach Release? Wie verändert sich das Kaufverhalten der Kunden? Steuern wir auf eine Zukunft zu, in der Kunden keinen Vollpreis mehr für Titel bezahlen wollen, weil der über kurz oder lang im Game Pass landet? Öffnet Microsoft die Büchse der Pandora und das “Race to the Bottom” beginnt? Satoru Iwata, ehemals CEO von Nintendo, hat immer wieder vor einem Werteverlust in der Videospielindustrie gewarnt und Mobile-Games als Beispiel genannt. Recht hatte er, kostenpflichtige Mobile-Games sind zu einer Nische verkommen. Doch haben sie ein neues Monetarisierungsmodell für sich gefunden, mit dem einige wenige Titel sehr viel Gewinn erwirtschaften. Mit Blick auf Xbox Game Pass wäre diese Schwarzmalerei des Werteverlusts verfrüht, doch muss Microsoft bewusst sein, dass sie hier mit dem Feuer spielen. Kunden passen ihre Erwartungen gemäß ihren Erfahrungen an. Die Büchse der Pandora lässt sich nicht einfach wieder schließen.

Wem das alles überhaupt nicht schmeckt: GameStop. Die größte Videospielkette der Welt macht ihr Geld mit Gebrauchtspielen, nicht mit Neuerscheinungen oder neuen Konsolen. Sie sind Mittel zum Zweck, um Kundschaft ins Geschäft zu locken und gebrauchte Spiele zu verkaufen. Oft schon gerieten Publisher und GameStop aneinander. Einerseits buhlen sie um das gleiche Geld des Konsumenten, andererseits brauchen sie sich gegenseitig. Es ist eine komplizierte Beziehung, die durch Xbox Game Pass noch komplizierter wird. Wieso sollten sich Kunden LEGO Batman gebraucht bei GameStop kaufen, wenn sie für denselben Preis auch einen Monat lang über 100 Xbox-Spiele runterladen könnten? Wieso sollte GameStop noch Xbox-Hardware und -Spiele verkaufen, wenn sie daran kaum Geld verdienen? Vielleicht ist das auch die natürliche Entwicklung der Videospielindustrie, die andere Industrie schon hinter sich haben. Die Musikindustrie ist schon an diesem Punkt angekommen, schnelleres Internet und die Digitalisierung aller Videospiele könnten nun dazu führen, dass die Videospielindustrie aufholt. GameStop wird weiterhin an ihrem Kerngeschäft festhalten und gebrauchte Spiele verkaufen, aber auch der Händler durchgeht tief greifende Veränderungen. Mittlerweile ist GameStop selbst Publisher für ein paar Videospiele.

Aber warum eigentlich? Warum riskiert Microsoft diesen Schritt, der wichtige Handelspartner verärgern wird und potenziell zur Entwertung ihres Softwareangebotes führen könnte? Zwei Gründe. Erstens, sie liegen deutlich abgeschlagen auf dem zweiten Platz im aktuellen Konsolenrennen. Microsoft braucht solche riskanten Schritte. Vielleicht finanziert sich Game Pass nicht sofort, jedoch könnte es als Fundament für die Zukunft dienen. Sony hat ein ähnliches Programm mit PS Now vor einiger Zeit gestartet, doch scheint es nicht wirklich zu ziehen. Und Microsoft scheut nicht den direkten Vergleich mit Sony.

Zweitens, Digital Revenues. Der Trend in den durch digitalen Gütern generierten Erlösen ist deutlich. Mit Game Pass fügt Microsoft dem eigenen Repertoire ein weiteres Abo hinzu. Neben Xbox Live Gold und Xbox Game Pass existiert auch noch EA Access exklusiv auf der Xbox One. Microsoft rüstet sich für die digitale Zukunft und mit der eigenen Cloud-Sparte könnten sich hier starke Geschäftsfelder für sie öffnen.

Quelle: Microsoft

Da ist es also, das Netflix für Videospiele. Microsoft traut sich zuerst. Langsam aber sicher nimmt die Spencer-Xbox-Ära ihre neue Form an. Die überraschende Ankündigung der Abwärtskompatibilität deutete es schon an, nun schließt Xbox Game Pass den Kreis. Microsoft setzt auf das Abomodell als Werkzeug für Retention und für den Kampf gegen den Gebrauchtmarkt. Oft wird das Wort “disruptiv” in dieser Industrie verwendet, selten ist es angemessen. Hier passt es aber. Xbox Game Pass hat das Potenzial, disruptiv zu sein.

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