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Kolumne: Die Macht der Fantasie

Erinnert man sich zurück an alte Gaming-Tage, dann kann man sich sicher noch entsinnen, wie man gedanklich versucht hat, den schlichten Pixel-Welten mit Fantasie mehr Leben einzuhauchen. Beim Zocken von Super Mario Bros. baute ich – angeheizt durch das Artwork auf der Verpackung – mental eine tiefe Story rund um das flache Pilzland, der schwarze Hintergrund des Anfangs von Kid Icarus barg für mich ungesehene Mythen – allesamt in meinem Kopf manifestiert. Pokémon-Spieler der ersten Stunde haben sicher nicht vergessen, wie es im Internet die spektakulärsten Gerüchte darüber gab, wo sich das geheimnisumwitterte Mew verstecken könnte. Ein von den Entwicklern als Zierde abgestellter LKW ließ die Gehirnwindungen der Fans glühen. Alle fragten sich, ob man ihn nicht gar zur Seite schieben könnte, um die fliegende rosa Katze zu schnappen. Ähnlich wie bei Büchern, die uns nur durch Worte ansprechen und den Rest der Ausschmückung der Szenerien im Kopf der Lesenden erledigen lassen, boten frühe Games durch ihre schlichte Präsentation sehr viel Raum für Gedankenspiele.

Perfektion vs. Imagination
Heute schaut die Sache anders aus: Games wie The Last of Us oder Beyond: Two Souls präsentieren uns Welten, die schon so perfekt ausformuliert sind, dass unserer Fantasie beim Spielen nur noch wenig Platz gelassen wird, um sich auszutoben. Die Charaktere bewegen sich realistisch, die Levels sehen aus wie die Vororte unserer Heimatstädte und die Storys sind so straff inszeniert, dass wir uns gar keine weiterführenden Gedanken mehr machen. Natürlich ist dies ein zweischneidiges Schwert: Sieht etwas einmal doch nicht ganz vollkommen aus, ist beispielsweise eine Textur ein bisschen gröber oder Objekte wirken deplatziert, werden wir brutal aus dem Erlebnis gerissen. Witzig, waren es doch genau jene schlichten Elemente, die uns vor Jahren noch tiefer ins Spiel gezogen haben. Doch mit sich entwickelnder Technik – und da sei bereits nach vorne zu Xbox One und PS4 geblickt, die uns mit genialen Demos präsentiert haben, dass die oben angesprochenen „Bücher-Games“ von einst längst zu Hollywoodstreifen geworden sind, werden auch jene Fehlerchen der aktuellen Generation nach und nach ausgemerzt.

Aus für Fantasie?
Heißt das also, dass wir uns aufgrund der voranschreitenden Perfektionierung der Videospiele irgendwann dem Punkt nähern, an dem wir unsere Finale Fantasie erleben, also komplett damit aufhören, mehr in die Spiele zu projizieren, als sie uns zeigen? Mitnichten: Erstens ist der Kopf immer rege, das beweisen Fan-Fictions, die sich zu Games à la The Last of Us entwickeln und die Storys weiterführen. Auf der anderen Seite sterben schlichte Games (noch) nicht aus. Kleinere Projekte wie Journey oder Thomas was alone, vermögen es noch immer, uns durch ihre Präsentation den Input zu geben, der es in unseren Oberstübchen rattern lässt. Mehr noch: Sie legen es darauf an! Man denke hier nur an die iOS-Überraschung Year Walk. Die einfache Optik war so perfekt kombiniert mit spärlichen Soundeffekten, dass man sofort gefangen in der flachen Welt voller Geheimnisse war. Ich entsinne mich gerne, wie ich die gezeichneten Bäume und Gebäude lange studiert habe – länger als jedes Gewächs im auf High-End-Niveau ausmodellierten Pilz-Drama von Naughty Dog. Und solche Dinge sind es dann auch, die diese Games lange in unserem Gedächtnis verweilen lassen und zeigen, wie stark die Macht der Fantasie ist. (HPG)

Hanns Peter: Auch wenn The Last of Us visuell und inszenatorisch wenig Platz für Überlegungen gibt, wer sich die verlassenen Gebäude anschaut, kommt schon ins Grübeln, was die Vorbesitzer betrifft.
Hanns Peter: Auch wenn The Last of Us visuell und inszenatorisch wenig Platz für Überlegungen gibt, wer sich die verlassenen Gebäude anschaut, kommt schon ins Grübeln, was die Vorbesitzer betrifft.

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