SHOCK2 Leser wissen längst, dass Marvels Bemühungen ein sich überschneidendes Film-Universum zu erschaffen, eine noch nie dagewesene Leistung darstellen. Seitdem Robert Downey Jr. als Tony Stark/Iron Man am Ende des 2008er Hulk Films auftauchte, schien ein neues Zeitalter der Kinounterhaltung angebrochen zu sein. Wie bereits in meiner letzten Kolumne erklärt, überträgt Marvel ihr Comic-Konzept (in dem alle Helden und Schurken in einem großen, sich überschneidenden Universum existieren) mit großem Erfolg auch auf ihre Filme. Auch Warner Bros. zog nach dem massiven Erfolg des Avengers Films nach, und produziert gerade einen Justice League Film, in welchem unter anderem Batman, Superman, Aquaman, Wonder Woman und viele mehr aufeinander treffen. In Comickreisen sorgt diese sogenannte „Kontinuität“ bzw. der sogenannte „Kanon“ oftmals für hitzige Diskussionen und Streitereien, da sich viele Sammler über falsche Darstellungen der Charaktere und widersprüchliche Dialoge aufregen können. All dies kann allerdings auch großen Spaß machen. Beispielsweise kann es sehr interessant sein zu recherchieren, welcher Marvel-Superheld die größten Martial Arts Fähigkeiten hat. Man sucht in seinen Comics nach Szenen, in denen sich verschiedene Figuren wie beispielsweise Captain America und Wolverine gegenüber standen (sogenannte Crossovers) und diskutiert dann das für und wider seiner Befunde. Doch vergisst man oft, dass solche Crossovers in der TV Landschaft ebenfalls nichts neues sind. Ich stelle vor: die Welt von Tommy Westphall…
Alles fing an mit der 80er Jahre Drama-Serie Chefarzt Dr. Westphall (in Deutschland startete die Serie erst 1991 im Fernsehen), die – wie es in der amerikanischen TV Landschaft seit den 50er Jahren bereits Gang und Gebe war: regelmäßig Gastauftritte von Figuren anderer beliebter Serien hatte. Auch Charaktere der Serie selbst, traten in den 6 Jahren der Show in anderen Programmen auf. Das war stets eine beliebte Methode, Fans einer Serie auch für Shows mit einem Sendeplatz davor oder danach zu begeistern. So hatte Kevin James‘ Figur Doug Heffernan aus King Of Queens einen Gastauftritt in der beliebten Sitcom Alle Lieben Raymond. Auch Spin-Off Shows wie Private Practice (entstand aus Greys Anatomy) oder die bald startende Serie Better Call Saul (der schmierige Anwalt aus Breaking Bad) sind im Fernsehgeschäft keine Seltenheit. Doch was genau macht Chefarzt Dr. Westphall so besonders? Was hat das Ganze mit Kontinuität zu tun?
Nun, um das zu erklären müssen wir einmal annehmen, dass TV-Serien wie Comics tatsächlich in einem großen, gemeinsamen Universum existieren. Zumindest die, welche wie oben erklärt, mit Spin-Offs und Gastauftritten auch auf andere Serien übergreifen und diese somit auch dem eigenen Kanon hinzufügen. Soweit erstmal kein Problem, da das ja eh meist nur kleinere Verweise sind, die sich selten groß widersprechen. Doch genau da kommt Chefarzt Dr. Westphall ins Spiel. Diese Serie endete nämlich mit einem völlig unerwarteten Twist. Im der letzten Szene der letzten Folge nämlich, sehen wir Tommy Westphall, den autistischen Sohn der Hauptfigur. In genau dieser Szene wird erklärt, dass das Krankenhaus sowie all seine Charaktere und Handlungen nur eine Fantasie, ein Hirngespinnst des Jungen waren. Nichts davon hat jemals existiert und alles war lediglich der Vorstellungskraft von Tommy entsprungen.
Das heißt dadurch jedoch auch, dass alle Serien die mit Chefarzt Dr. Westphall in Berührung kamen ebenfalls nicht „existiert“ haben. Und da das Internet voller Menschen ist, die großen Spaß daran haben, Dinge auf akribische Weise zu sortieren und aufzulisten, fanden sich auch sehr schnell Leute die in die Tiefen der Westphall-Verschwörung hinab stiegen. Schnell stellte sich heraus, dass ein enormer Teil aller amerikanischen TV Serien der letzten 60 Jahre möglicherweise nur ein Traum eines autistischen Ärztesohnes gewesen sein könnten.
Ein Beispiel? Zwei der Ärzte aus Dr. Westphalls Klinik hatten Gastauftritte in der 90er Jahre Serie Homicide, welche wiederum einen Charakter namens John Munch hatte, der im späteren Verlauf der Serie zu Law & Order emigrierte. Diese Show hatte bekanntlich unzählige Ableger, wodurch auch alle Handlungen der Serien Law & Order: Special Victims Unit, Criminal Intent, Law & Order: Trial by Jury, Law & Order: LA, New York Undercover, Conviction, In Plain Sight – In der Schusslinie, Chicago Fire und Chicaco PD von Tommy Westphall ausgedacht wurden. Die Figur des John Munch trat darüber hinaus auch in der unfassbar beliebten Serien The Wire, Luther und Akte X auf! Hier wird die Sache erst so richtig prickelnd. Die FBI Agenten Dana Scully und Fox Mulder aus Akte X hatten wie wir alle wissen einen berühmten Gastauftritt in den Simpsons, wodurch nicht nur die am längsten laufende Zeichentrickserie aller Zeiten, sondern auch die dort gefeatureten Serien 24, King Of The Hill, Futurama und demnächst Family Guy (und damit auch Die Cleveland Show und American Dad) Teil von Tommys Fantasie sind.