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Kolumne: Das wackelige Vertrauen in den Launch

In der Wirtschaftswissenschaft gibt es eine goldene Annahme:
Alle Akteure auf einem Markt agieren rational.

Doch wie es immer bei den Wirtschaftswissenschaften ist, kann auch das schönste Modell einem winzigen Funken Realität nicht standhalten. Das weiß eigentlich niemand besser als wir Videospieler.

Es ist ja kein Geheimnis. Wartet man auch nur ein oder zwei Monate, fällt der Einkaufspreis eines jeden Videospiels. Ausnahmen wie Nintendo oder GTA bestätigen die Regel. Es ist daher irrational, ein Spiel zum Launch zu kaufen oder gar vorzubestellen. Videospiele sind Premiumgüter, 60 Euro sind viel Geld. Trotzdem brechen wir gerne diese goldene Annahme ab und zu. Es macht einfach Spaß, Teil der Launch-Diskussion zu sein und das Fenster für diese Diskussion ist knapp bemessen. Das nächste große Spiel lässt nicht lange auf sich warten. Also erteilen wir der Rationalität zur Ausnahme mal eine Abfuhr, besuchen den nächsten Elektromarkt und legen 60 bis 70 Euro auf den Ladentisch. Ach was soll’s, manchmal muss es auch die Special Edition für 100 Euro sein. Man lebt ja schließlich nur einmal. Ein kleiner Akt der wirtschaftswissenschaftlichen Rebellion.

Ginge es nach den Publishern, würden wir jedes Spiel gleich zum Release und zum Vollpreis kaufen. Das grenzt den unliebsamen Gebrauchtmarkt aus, macht viel mehr Geld und generiert Aufmerksamkeit. Was macht man also als gewiefter Publisher? Man belohnt die Spieler für ihr irrationales Verhalten, mit Pre-Order-Boni oder zeitlich begrenzten Boni. Mal gibt es eine fesche Jacke, mal eine wuchtige Wumme, mal ein niedliches Pokémon. Kauft das Spiel möglichst früh, dann belohnen wir euch auch.

Diese Pawlowsche Verkaufstaktik basiert ebenfalls auf einer goldenen Annahme: Wenn ich das Spiel nicht zum Launch kaufe, wird mein Spielerlebnis schlechter. Keine fesche Jacke, keine wuchtige Wumme, kein niedliches Pokémon. Das ist zwar schade, aber man kann ja auch gut ohne leben.
Womit man weniger “auch gut ohne” leben kann, sind hingegen Patches und Updates. Day One-Patches sind unschön aber oftmals ein notwendiges Übel. Sie machen den Launch komplizierter, schlimmstenfalls muss man aber etwas länger auf den Spielstart warten. Sicherlich verkraftbar. Mit Final Fantasy XV möchte Square Enix aber einen neuen Weg einschlagen:

We want you to enjoy Final Fantasy XV for a long time to come. We have been listening to your ideas on how to make the game experience even better, and so in addition to the previously announced content, we’ll be providing free updates to the game throughout the coming year.

Our early plans are to enrich certain aspects of the game, adding gameplay enhancements for Chapter 13, buffing ring magic, etc. We’ll have the specifics of what and when for you at a later date.

After that, we’re hoping to delve deeper into the story, adding scenes that will give you new insight into character motivations, such as why Ravus walked the path he did. We will need a little time with these, as they’ll need to be localized and voiced in other languages, but we’ll let you know the details once everything is set.

For the long term, we are looking at making certain key characters playable, and even considering the possibility of customizable avatars, in addition to other features over time.

http://eu.square-enix.com/en/blog/announcing-free-updates-final-fantasy-xv

Square Enix wird nicht einfach nur ein paar technische Fehler rauspatchen, es werden Inhalte und Verbesserungen Monate nach Release reingepatcht. Die Handlung wird gepatcht, ein komplettes Kapitel des Spiels wird gepatcht. An sich ja durchaus löblich, jedoch werden hier sämtliche unausgesprochene Vereinbarungen zwischen Spielern und Entwicklern über Bord geworfen. Ihr habt das Spiel schon gekauft und durchgespielt? Pech! Ihr habt also Vollpreis für ein schlechteres Spiel bezahlt? Pech! Ihr habt uns vertraut? Pech!

Die Motive von Square Enix ergeben durchaus Sinn. Nach zehn langen Jahren der Entwicklung soll Final Fantasy XV nicht wie der Großteil aller anderen Spiele nach zwei Wochen in Vergessenheit geraten. Die große offene Spielwelt eignet sich für immer neue Quests, Spieler sollen möglichst lange spielen und hoffentlich kostenpflichtige zusätzliche Inhalte kaufen, da können Patches und Updates nur hilfreich sein. Es wird versucht, MOBA- oder Online-Taktiken anzuwenden. Ein Spiel wie Overwatch oder Street Fighter V lebt von ständig neuen Patches. Charaktere werden verbessert, manchmal geschwächt. Tief greifende Veränderungen, um das Spielerlebnis für so viele wie möglich unterhaltsam zu gestalten. Für ein Spiel wie Final Fantasy XV ist das ungewohnt und einfach mal eben die Handlung mit neuen Zwischensequenzen und Dialogen zu “patchen” war schon bei Mass Effect 3 eine fragwürdige Wahl, die sich kaum gelohnt haben dürfte.

Zukünftige Spieler dürfen sich zu Recht auf diese Updates freuen und derart Grundlegendes in einem Spiel Monate nach dessen Erscheinen verbessern zu wollen, macht deutlich, dass Square Enix noch viel vorhat mit Final Fantasy XV. Zudem ist es auch faszinierend, dass es mittlerweile diese technischen Möglichkeiten gibt. Wer weiß, vielleicht werden in naher Zukunft lange Ladezeiten aus Spielen rausgepatcht oder unnötig komplizierte Dungeons simplifiziert.

Doch wie um alles in der Welt möchte Square Enix seinen allergrößten Fans, die natürlich schon vor Ewigkeiten die Mega Super Duper Special Edition für viel Geld gekauft und das Spiel schon längst durchgespielt haben, erklären, dass sie die schlechtere Version gespielt haben? Dass es sich überhaupt nicht gelohnt hat, am ersten Tag und zum Vollpreis dabei gewesen zu sein? Dass die wirtschaftswissenschaftliche Rebellion nach hinten losgegangen ist?

Square Enix muss diesen Vertrauensbruch anerkennen und den enttäuschten Spielern entgegenkommen. Nichts ist wertvoller als Vertrauen. Es muss über Jahre hart aufgebaut werden und kann mit nur einer schlechten Entscheidung in Sekunden wieder verpuffen. Spieler verlieren ihr Vertrauen in den Launch-Tag und kaufen weniger zum Vollpreis, die Preise von neuen Spielen fallen noch schneller und der Gebrauchtmarkt wird noch größer. Und wer kann es den enttäuschten Käufern verübeln? Gerade bei diesem Chaos-Projekt namens Final Fantasy XV haben Fans der ersten Stunde Besseres verdient, als einen Beta-Test zum Launch. (kf)

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