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Kolumne: 2 Jahre PlayStation VR

Was bleibt vom Erfahrungs- und Erlebnis-Medium?

Der erste große VR-Hype ist vorbei, der Zauber des Neuen verflogen, das neue Medium ist nicht mehr en vogue. Aber ist es deshalb wirklich weniger reizvoll geworden? Im Gegenteil! Wer hinter übertriebene Stigmata wie VR-Krankheit blickt, der kann mit den neuesten VR-Games eine fast schon lebensverändernde Erfahrung machen.

Wie war das noch mal gleich mit der virtuellen Realität? Da spüren wir den Atem des Biests im Nacken, blicken wir dem Grauen direkt ins hässlichen Antlitz und schauen wir die Magie der digitalen Schöpfung, als wären wir direkt vor Ort. Mit dem Headset durchbrechen wir die letzte Grenze zur virtuellen Welt – den Bildschirm. Zumindest in der Theorie – denn in der Praxis kommt der Trip ins Wunderland mit ein paar Bedingungen. Fast wie bei Lewis Carroll. Zwar stürzen wir beim Eintritt in die virtuelle Welt durch keinen endlosen Tunnel – aber wer einen sensiblen Gleichgewichtssinn und einen empfindlichen Magen hat, dem kommt es unter Umständen fast so vor, als würde er in einen bodenlosen Abgrund stürzen. Zumindest so lange, bis er sich voll und ganz auf das Medium „VR“ eingelassen hat. Denn an dieser Stelle gibt es nach wie vor ein fundamentales Missverständnis: Ein Headset wie Sonys „PlayStation VR“-Brille ist keine bloße Peripherie, kein schlichtes Accessoire zur Intensivierung der Gaming-Erfahrung. Vielmehr ist es ein eigenständiges und vor allem neues Medium, das sich lediglich der PS4-Rechenpower sowie ihres Controllers bedient, um seine virtuellen Erlebniswelten abbilden und uns darin verorten zu können.

Hat bei den Gaming Awards zurecht den Preis fürs beste VR-Game eingeheimst: das PSVR-exklusive „Astro Bot: Rescue Mission“

Zu behaupten, es handele sich bei „VR“ lediglich um eine andere Art und Weise, um Games zu erfahren – das ist ungefähr so, als würde man behaupten, dass „Dungeons & Dragons“ ein Roman wäre. Nur weil beide Erlebnis-Gattungen in Buchform kommen – als bedruckter Blätterhaufen zwischen zwei Pappdeckeln. Aber entscheidend für die verschiedenen Arten von „Erlebniswelten“ ist nicht das technische Medium, auf dem sie gespeichert sind – wie Papier, Diskette, Modul, Disc oder Festplatte. Auch der vermeintlich damit gekoppelte Bearbeitungs-Mechanismus ist eigentlich nur Mittel zum Zweck. Denn all das verrät uns herzlich wenig darüber, was in unserem Kopf passiert, wenn wir das derart befeuerte Medium erstmal gestartet haben.

Virtuelle Ego-Action mit Gamegun-Shooter-Note: „Farpoint“

Warum „VR“ ein so dramatisch anderes Medium ist wie ein klassisch per Flimmerkasten konsumiertes Spiel, das versteht nur, wer sich schon intensiv damit auseinandergesetzt hat. Nicht beim kurzen Antesten im Elektronik-Markt oder auf einer Messe wohlgemerkt. Um sich nach zwei Minuten unter der „Glocke“ erstmal zwei Stunden lang über das daher rührende Unwohlsein zu echauffieren und dabei pathetisch zu verkünden, dass das nichts für einen sei. Obwohl man in Wahrheit nur nach Argumenten sucht, um keine 200 bis 300 Euro ausgeben zu „müssen“. Mit Argumenten, die ungefähr genauso stichhaltig sind wie die der eigenen Eltern, als sie einem vor zehn, 20 oder 30 Jahren erklären wollten, warum „diese Tele-Spiele“ nicht das Richtige für uns sind. Zum Beispiel, weil sie krank und dumm machen.

Gefangen im virtuellen Spukhaus: „Resident Evil 7“ ist der bisher größte Blockbuster für PSVR.

Die Wahrheit ist, dass das Medium „VR“ noch jung ist – mit allen Kinderkrankheiten, die das so mit sich bringt. Und wie jedes neue Medium braucht es dringend Freunde, die sich – trotz der anfänglichen Probleme – dafür begeistern und engagieren. Die bereit sind, das Headset auch dann aufzubehalten, wenn ihnen mal schwummrig wird. Wie diejenigen Spieler, die sich früher bei Ego-Shootern über Brechreiz beklagt haben und denen das Ego-perspektivische Gewetze heute längst zur zweiten Natur geworden ist. Denn ja – man kann sich damit arrangieren, wenn man nur WILL. Und bereit ist, die dafür nötige Eingewöhnungszeit aufzubringen. Dazu gehört aber auch, dass man den Entwicklern genug Zeit gibt. Denn die müssen sich genauso an das Medium gewöhnen wie wir. Dabei lockten schon ganz am Anfang einige verheißungsvolle Abenteuer in die virtuelle Dimension: Wir sind im Haifischkäfig auf den Grund des Ozeans getaucht, haben uns Verfolgungsjagden in „The London Heist“ geliefert, durften für „Battlezone VR“ in die Piloten-Kanzel eines Panzers steigen, sind in „Robinson: The Journey“ zwischen den meterhohen Beinen von riesigen Brachio-Sauriern herumgewuselt und haben uns dann – als vorläufiger Höhepunkt des PS4-seitigen VR-Angebots – in das Horrorhaus von „Resident Evil 7“ getraut.

Ich glaub, mich tritt ne Maus: „Moss“ ist die perfekte VR-Erfahrung für „Redwall“-Leser

Doch dann kam der erste Knick – im VR-Programm. Nicht nur auf der PS4, sondern insgesamt. Wer Software für sein neues Spielzeug haben wollte, musste immer tiefer im Fundus in der Indie-Anbieter graben. Und selbst hier gab es zeitweise nur noch wenige Perlen zu entdecken. Auch die VR-Version eines „Skyrim“ konnte da nur bedingt aus der Lethargie reißen – zählt die virtuelle Fassung des Mammut-Rollenspiels doch zu denjenigen VR-Titeln, die uns trotz ihres Potentials in erster Linie all das aufzeigen, was das Medium VR NICHT kann und auch gar nicht erst versuchen sollte. Eine Krankheit, unter der übrigens auch das just veröffentlichte „Borderlands 2 VR“ leidet: Indem man das ursprünglich für den Bildschirm konzipierte Original ohne architektonische Anpassungen auf das Sony-Headset verfrachtet hat, produzierte man genau die Sorte Probleme, vor der VR-Architekten von Anfang an eindrücklich gewarnt haben. Weil wir Größenverhältnisse und Abstände in der virtuellen Welt anders empfinden, wirken ehemals stimmige Spielwelten auf einmal verzerrt. So kommt es, dass wir in der VR-Fassung von „Borderlands 2“ mit dem Kopf gegen oder buchstäblich DURCH den Türstock laufen, ursprünglich bedrohliche Feinde auf einmal klitzeklein wirken und unsere eigenen Hände oder Waffen wie die eines mit Spielzeugen bewaffneten Kleinkindes. Immerhin hat sich Gearbox ebenso wie Bethesda Gedanken darüber gemacht, wie wir uns am besten durch die Ego-Shooter-Welt hindurch bewegen: Wer sich als ungeübter VR-Konsument nicht in Richtung seiner Feinde übergeben will, kann eine ganze Fülle von Kontroll- und Kamera-Optionen feinjustieren, die inzwischen zu einer Art Standard für den Spaziergang durch die virtuelle Dimension geworden sind. Da drehen wir uns auf einmal nicht mehr wie gewohnt um die eigene Achse, sondern rotieren stattdessen in 45-Grad-Winkeln. Auch das ist anfangs gewöhnungsbedürftig – aber im Zweifelsfall hilft es dabei, das Frühstück bei sich zu behalten. In Kombination mit der ebenfalls verbreiteten Teleportations-Methode ergibt sich eine Art der Fortbewegung, die zwar allem widerspricht, was wir gewöhnt sind, die für das neue Medium aber erstaunlich gut funktioniert.

Angenehm entschleunigte Ego- und Survival-Action mit „Dark Souls“-DNA: „The Persistence“

Richtig angenehm werden diese Elemente aber nur dort, wo die Erfahrung von Anfang an um die virtuelle Realität herum konstruiert wurde. Man VR und Spiel also nicht nachhaltig und krampfhaft dazu gezwungen hat, doch noch irgendwie zusammen zu passen. Damit der Software-Katalog ganz schnell um die Sorte Produkt bereichert wird, die dem jungen Medium bisher noch fehlen: Komplette, nahtlos durch den Nutzer erforschbare Welten, die nicht nach nur wenigen hundert Schritten enden. Denn die Entwicklung riesiger Open-World-Kosmen verschlingt so viel Geld, dass sie sich VR-seitig noch nicht rechnet. Hundert Millionen Dollar in die Erschaffung einer ganzen Welt investieren – das will niemand, wenn er damit aufgrund der noch immer kleinen User-Basis nur zehn bis 20 Millionen verdienen kann.

Die Dimensionen taugen nicht alle fürs VR-Spiel, aber die Steuerung funktioniert klasse: „Borderlands 2 VR“

Umso erfreulicher, dass wir dieses Jahr gleich mehrere kleine VR-Revolutionen begrüßen durften, die uns zeigen, wie VR richtig geht: Indie-Titel wie „The Persistence“ oder „Moss“ werden von Sony mitfinanziert und Marketing-seitig unterstützt. Der PlayStation-Hersteller sichert sich auf diese Weise eine zeitliche Exklusivität – der Entwickler wiederum verpflichtet sich dazu, den mutmaßlichen Vorzeigetitel speziell auf dessen VR-Plattform auszurichten. Im Falle von „Persistence“ ist dabei einer der besten „Souls“-alike-Titel überhaupt entstanden. Einer, der uns obendrein zeigt, wie Ego-Perspektive auf einem Headset auszusehen hat. Wunderbar schwerfällig und im Vollbesitz seiner schaurigen Kräfte – denn bei gepflegtem Grusel kann die VR-Plattform ihre Immersions-Muskeln besonders gut spielen lassen.

„Moss“ oder das später veröffentlichte „Astro Brot: Rescue Mission“ sind zwar eher herzig und plüschig als gruselig – aber auch hier haben die Entwickler einige fundamentale Regeln und Wahrheiten des Mediums verstanden: VR funktioniert immer dann am besten, wenn wir uns in aller Ruhe umsehen können und wo wir selber lange an einem Platz verharren. In beiden Erfahrungen ist der „Spieler“ nicht selber der Held des Abenteuers. Stattdessen hilft er einem anderen dabei, eins zu bestehen. Zugegeben: Natürlich werden sowohl der knuffige „Moss“-Nager Quill wie auch der niedliche Astro-Bot vom Spieler kontrolliert. Aber weil sich der Spieler dabei als Ego-perspektivische Entität in unmittelbarer Nähe zu dem derart kontrollierten Helden aufhält, um notfalls durch Motion-Control-Kommandos hilfreich eingreifen zu können, erschafft man die Illusion eines dynamischen Abenteuer-Duos aus Spieler und KI. Der Spieler beobachtet seinen Schützling voller Hingabe dabei, wie er feixend durch einen puppigen Kosmos turnt und fühlt sich dabei zugleich als Teil dieser neuen, fremden Welt. Man vermittelt ihm die Illusion, endlich die Bildschirmgrenze durchquert zu haben, ohne dabei die Kontrolle über eine andere Figur aufgeben zu müssen. Der Unterschied: Auf dem Bildschirm ist der aus der dritten Person kontrollierte Akteur ein Avatar, ein Alter Ego. In der virtuellen Dimension dagegen ist er ein Kumpel – denn auf einmal hält man sich ja in der selben Welt auf wie er. Und ja, das ist genauso faszinierend wie es verwirrend ist.

Macht auch in VR eine Menge Spaß, leidet aber unter gefühlt geschrumpften Entfernungen: die PlayStation-Vr-Version von „Skyrim“.

Hier zeigt sich zwar, dass das Medium VR das klassische Bildschirm-Abenteuer während der kommenden Jahre nicht wird ersetzen können. Will es vielleicht auch gar nicht. Denn gleichzeitig wird eindrucksvoll unterstrichen, dass es eine ganz eigene und neue Art von Erfahrung darstellt, die friedlich mit der Mattscheibe koexistieren und diese Erfahrungs-Kosmos um einen weiteren bereichern kann. Man muss sich nur darauf einlassen wollen. Aber wer einmal in die Knopfaugen der kleinen Quill geblickt hat, während sie um ihn herum turnt und dabei ihr Stecknadel-Schwert kreisen lässt, um aufdringliches Käfer-Getier zu erledigen, bei dem wird auch der letzte Widerstand gegen VR im Nu dahinschmelzen. VR ist vielleicht nicht die perfekte GAMES-Plattform. Aber sie das beste Medium, um Erfahrungen zu erleben, die wir in der echten Welt niemals machen könnten.

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