Comic-Review: Blake und Mortimer Bibliothek 7: Die Diamanten-Affäre
Ein Wiedersehen mit den Kultfiguren Blake und Mortimer im Paris der 1960er Jahre.
Neben den regulären Alben der seit 1946 laufenden Comicserie Die Abenteuer von Blake und Mortimer erscheinen im Carlsen Verlag seit 2018 im jährlichen Abstand Bände der Blake und Mortimer Bibliothek. Diese Bibliothek-Ausgaben sind kommentierte und vollständig überarbeitete gebundene Hardcover-Bände, die jeweils eine originale Blake und Mortimer-Geschichte von Edgar P. Jacobs umfasst, wobei hier auch zwei zusammenhängende Bände in einem Band vereint sein können. Sie enthalten umfangreiches Zusatzmaterial, Anekdoten und Faksimile-Seiten der ersten Abdrucke. Mit Die Diamanten-Affäre ist nun der bereits siebte Band (genau genommen es gibt auch eine Ausgabe Null) erschienen.
Dieses ursprünglich in den Jahren 1965-1966 im legendären Tintin Magazin abgedruckte Geschichte ist eine klassische Detektivgeschichte, die ganz ohne fantastische oder Science-Fiction-Elemente auskommt wie wir sie in der Serie öfters präsentiert bekommen. Dieses Kriminalabenteuer, in dem die Ermittlungen zum Diebstahl des Halsbandes von Königin Marie-Antoinette durch Olrik im Mittelpunkt stehen, verdient es, zumindest wegen seiner Retro-Atmosphäre wiederentdeckt zu werden. Auch wenn sich das Abenteuer etwas von den üblichen Jacobs’schen Registern – Fantastik und Antizipation – entfernt, stürzt es uns doch in die Geheimnisse des Paris der 1960er Jahre, ja sogar in die der gesamten Serie: Denn kehren Blake und Mortimer, die zwischen Abwasserkanälen, Katakomben und unterirdischen Steinbrüchen umherstreifen, nicht zu den Quellen des Traumas ihres eigenen Schöpfers zurück? Zugegeben, Oberst Olrik, der ikonische, Kriminelle und ewige Verräter (der in jeder Hinsicht alle statistischen Wahrscheinlichkeiten in Bezug auf das Überleben widerlegt!), auf die Rolle eines gewöhnlichen Diebes oder Bandenchefin reduziert zu sehen, war für die Leser von Tintin damals wohl enttäuschend, die ungeduldig auf neue Abenteuer von Professor Philip Mortimer und Captain Francis Blake entgegenfieberten.
Der Grund dürften Konflikte gewesen sein, die Blake und Mortimer Schöpfer Edgar P. Jacobs nach dem Erscheinen des letzten Bandes mit der Zensur und einigen Journalisten ausgefochten hatte, ein Umstand, der das Erscheinen des neuen Abenteuers auch um Jahre verzögerte. Dennoch ist Die Diamanten-Affäre ein außergewöhnliches Abenteuer geworden, das mit einiger psychologischer Tiefe Einblicke in die Charaktere von Blake, Mortimer und Olrik bietet. Ihre Motivationen und Beziehungen werden nuanciert dargestellt.
Der Comic fängt die Atmosphäre der 1960er Jahre in Frankreich, mit ihren politischen und kulturellen Spannungen, gut ein. Jacobs war bekannt für seine akribische Recherche und seinen Sinn für Details. Dies spiegelt sich in der präzisen Darstellung von Paris und den historischen Bezügen wider. So hat er nicht verabsäumt, seine Geschichte zu bereichern, indem er ein Drama ausnutzte, das sich am 1. Juni 1961 ereignete. Der Einsturz von sechs Hektar Kreidebruch, auf einer Höhe von zwei bis vier Metern, an den Grenzen der Pariser Gemeinden Clamart und Issy-les-Moulineaux. Sechs Straßen verschwanden, 25 Gebäude wurden zerstört, wobei 21 Menschen ums Leben kamen. Dieses Ereignis machte Jacobs den fiktionalen Reichtum der Hauptstadt bewusst: eine geheimnisvolle und beunruhigende Welt, eine unterirdische Kulisse, die aus 300 km Gängen bestand, die der Autor nicht zögern würde, teilweise zu durchqueren (im Untergrund oder an der Oberfläche), um die zahlreichen Erkundungen durchzuführen, die für seine Geschichte notwendig waren…
Jacobs zögert auch nicht, seinem Kommissar Pradier das Aussehen von Jean Gabin zu geben, dem Helden des Films von Jean Delannoy, „Maigret und die Saint-Fiacre-Affäre“ (1959). Jacobs verfehlt es vor allem nicht, der Flucht von Olrik nach dem Diebstahl des Halsbandes von Marie-Antoinette einen Teil Realismus zu verleihen: eine Geschichte, die natürlich an den wahren Halsbandskandal erinnert, der sich zwischen 1784 und 1786 in Versailles ereignete…. Steinbrüche und Keller des V e, VI e, XIV e und XV e Arrondissements, Bunker und Luftschutzräume, die während des Zweiten Weltkriegs als passive Verteidigung dienten, Sickerschächte, die das Infiltrationswasser aufnehmen, alles ist glaubwürdig. Fast zu sehr, wenn man bedenkt, dass Jacobs das Thema, das dem Album etwas mehr Würze hätte verleihen können, letztendlich umgangen hat: die Pariser Katakomben und ihre düstere Aura werden nur angedeutet, aber nie gezeigt. Die Geschichte regt zum Nachdenken über nationale Identität und den Wert historischer Artefakte an.
Meinung:
Die Diamanten-Affäre ist nicht nur ein spannendes Abenteuer, sondern auch ein Zeitdokument, das die Atmosphäre der 1960er Jahre in Paris gekonnt einfängt. Obwohl ursprünglich für das Jugend-Comic-Magazin TinTin erschaffen wurde, bietet dieser Krimi eine überraschend komplexe Handlung und tiefgründige Charaktere machen diesen Band zu einer anspruchsvollen Lektüre, die sich vor allem an erwachsene Comic-Enthusiasten richtet. Jacobs‘ akribische Recherche und Detailtreue verleihen dem Comic eine beeindruckende Authentizität. Die Mischung aus historischen Fakten, kulturellen Bezügen und fiktiven Elementen schafft ein unvergessliches Leseerlebnis. Besonders hervorzuheben ist das umfangreiche Zusatzmaterial, das Einblicke in den Schaffensprozess und historische Hintergründe bietet sowie die hochwertige Aufmachung des Bandes. Für Liebhaber des europäischen Abenteuercomics und Sammler ist Blake und Mortimer Bibliothek 7: Die Diamanten-Affäre ein Muss. Es ist eine gelungene Verneigung an einen Klassiker des Genres und bietet sowohl Nostalgie als auch zeitlose Unterhaltung.
Infos:
Zeichner: Edgar P. Jacobs
Verlag: Carlsen Comics
Seiten: 88
Preis: ca. 23 Euro